Grund­sätze einer wehr­haf­ten Demokratie

Rede von Rita Schwar­zelühr-Sut­ter, MdB, anläss­lich der Jah­res­ta­gung der Initia­tive kul­tu­relle Integration

Es ist wenige Wochen her, dass der Euro­pa­ab­ge­ord­nete Mat­thias Ecke in Sach­sen atta­ckiert und schwer ver­letzt wurde. Der bru­tale Über­fall reiht sich ein in unzäh­lige Vor­fälle, bei denen Demo­kra­tin­nen und Demo­kra­ten ange­grif­fen, ein­ge­schüch­tert, belei­digt oder bedrängt wur­den. Er hat noch­mals deut­lich gemacht: Wir ste­hen vor einer neuen, erschüt­tern­den Dimen­sion von Gewalt und ent­hemm­tem Hass – gegen­über Men­schen, die sich für unser Gemein­we­sen ein­set­zen. Aber wir ste­hen die­ser Gewalt nicht hilf­los gegen­über. Wir sind eine wehr­hafte Demo­kra­tie. Dafür haben die Väter und Müt­ter unse­res Grund­ge­set­zes gesorgt.

Das Grund­ge­setz wird 75 Jahre alt. Es ist zugleich eine frei­heit­li­che wie auch eine streit­bare, eine wehr­hafte Ver­fas­sung. Der Par­la­men­ta­ri­sche Rat hat sie ganz bewusst so ent­wor­fen – im Wis­sen, dass Demo­kra­tien auch an sich selbst schei­tern und zugrunde gehen können.

Des­halb sollte das Grund­ge­setz – in den Wor­ten von Carlo Schmid – auch den „Mut zur Into­le­ranz denen gegen­über auf­brin­gen, die die Demo­kra­tie gebrau­chen wol­len, um sie umzubringen“.

Es ist gerade diese zen­trale Lehre aus dem Schei­tern der Wei­ma­rer Demo­kra­tie und der Ter­ror­herr­schaft des Natio­nal­so­zia­lis­mus, die unsere Ver­fas­sung prägt. Sie stellt allem voran den Men­schen in den Mit­tel­punkt, seine Würde, seine Rechte, die uni­ver­selle Gleich­heit aller vor dem Gesetz. Und sie schreibt die Prin­zi­pien von Demo­kra­tie, Föde­ra­lis­mus und Sozi­al­staat auf Dauer fest: mit der „Ewig­keits­ga­ran­tie“ des Arti­kels 79 Absatz 3. Mit­hilfe des Grund­ge­set­zes ist die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land zu einer star­ken und sta­bi­len Demo­kra­tie im Her­zen Euro­pas her­an­ge­wach­sen. Den­noch sind wir alle gefor­dert, diese Errun­gen­schaf­ten zu verteidigen.

Nach dem Ende des Kal­ten Krie­ges waren die Hoff­nun­gen groß, dass die frei­heit­li­che Demo­kra­tie ein unauf­halt­ba­res Erfolgs­mo­dell sei und sie sich über kurz oder lang welt­weit durch­set­zen würde. Die ver­gan­ge­nen Jahre haben gezeigt: Das war deut­lich zu opti­mis­tisch. Welt­weit sind in vie­len Staa­ten und Regio­nen die Geg­ner einer offe­nen, plu­ra­lis­ti­schen und viel­fäl­ti­gen Gesell­schaft auf dem Vor­marsch. Vie­ler­orts droht der demo­kra­ti­sche Rechts­staat in die Defen­sive zu gera­ten. Durch Angriffe auf die Gewal­ten­tei­lung oder die Pres­se­frei­heit, durch reak­tio­näre poli­ti­sche Kräfte, die Ämter und Man­date erobern und von innen her­aus die libe­rale Demo­kra­tie unter­gra­ben. Mächte wie Russ­land, China oder der Iran wir­ken mas­siv dar­auf hin, die demo­kra­ti­sche Welt zu schwä­chen, durch Spio­nage und Des­in­for­ma­tion – auch, indem sie gezielt anti­de­mo­kra­ti­sche Kräfte und Bestre­bun­gen stärken.

Mit ihrer Unter­stüt­zung wir­ken die inne­ren Feinde der offe­nen Gesell­schaft dar­auf hin, dass sich der öffent­li­che Dis­kurs radi­ka­li­siert. Extre­mis­ten und Popu­lis­ten schü­ren Angst und Hass, ver­brei­ten Falsch­in­for­ma­tio­nen und Pro­pa­ganda. Und gerade das Thema „gesell­schaft­li­che Viel­falt“ dient ihnen immer wie­der als Pro­jek­ti­ons­flä­che für men­schen­feind­li­che Zerr­bil­der und ras­sis­tisch ein­ge­färbte Unter­gangs-Sze­na­rien. Sie het­zen gegen alles ver­meint­lich Fremde, sie ver­su­chen, Men­schen unter­schied­li­cher Reli­gion, Her­kunft und Kul­tur gegen­ein­an­der in Stel­lung zu brin­gen – oder mit ande­ren Wor­ten: kul­tu­relle Des­in­te­gra­tion zu betreiben.

Wir hal­ten als Bun­des­re­gie­rung dage­gen – ent­schlos­sen, wach­sam und wirk­sam. Das gilt gerade für das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­rium, das nicht zuletzt Ver­fas­sungs­res­sort ist – und in des­sen Hän­den wich­tige Werk­zeuge der wehr­haf­ten Demo­kra­tie lie­gen. Dabei kön­nen wir auf ein brei­tes Spek­trum prä­ven­ti­ver und repres­si­ver Instru­mente zurück­grei­fen. Wir nut­zen sie kon­se­quent. Die Feinde der Demo­kra­tie müs­sen die harte Hand des Rechts­staats spüren.

Ein Instru­ment sind die Ver­eins- und Betä­ti­gungs­ver­bote. Gegen rechts­extreme Grup­pie­run­gen wie die „Ham­mers­kins“, aber auch gegen isla­mis­ti­sche Ter­ror­or­ga­ni­sa­tio­nen wie „Hamas“ und ihre Unter­stüt­zer wie „Sami­doun“. Wir haben das Dis­zi­pli­nar­recht des Bun­des geän­dert, um Extre­mis­ten und Ver­fas­sungs­feinde leich­ter aus dem öffent­li­chen Dienst ent­fer­nen zu kön­nen. Denn wer den demo­kra­ti­schen Staat ablehnt, kann ihm nicht die­nen. Gleich­zei­tig machen wir unsere Demo­kra­tie wehr­haft, indem wir auf starke Prä­ven­tion set­zen. Denn wir müs­sen ver­hin­dern, dass die Saat men­schen- und ver­fas­sungs­feind­li­cher Umtriebe auf­geht und sich ausbreitet.

Die­sen Zie­len dient auch der Akti­ons­plan gegen Rechts­extre­mis­mus vom März 2022, der im Februar die­ses Jah­res um zusätz­li­che Maß­nah­men erwei­tert wurde. Beide Ansätze ver­folgt auch die Bun­des­re­gie­rung im Rah­men der Stra­te­gie „Gemein­sam für Demo­kra­tie und gegen Extremismus“.

Nach wie vor ist Rechts­extre­mis­mus zwar kei­nes­wegs die ein­zige, aber defi­ni­tiv die größte extre­mis­ti­sche Bedro­hung für unser demo­kra­ti­sches Gemeinwesen.

Um der Bedro­hung von Rechts­au­ßen Herr zu wer­den, nut­zen wir die Mit­tel des Straf­rechts genauso wie die erwähn­ten Ver­bots­maß­nah­men. Und mehr noch: Wir wol­len die Finanz­ströme die­ses Milieus tro­cken­le­gen. Wir stär­ken dazu den Ver­fas­sungs­schutz, nicht zuletzt was Finanz­ermitt­lun­gen angeht. Davon pro­fi­tiert im Übri­gen auch der Kampf gegen Isla­mis­mus und Links­extre­mis­mus. Wir ent­waff­nen die rechte Szene. Und wir hel­fen denen, die beson­ders gefähr­det sind, Opfer rechts­extre­mer Straf- und Gewalt­ta­ten zu wer­den! Dabei haben wir auch die­je­ni­gen im Blick, die sich aktiv für unsere Demo­kra­tie ein­set­zen. Und das nicht erst ange­sichts der jüngs­ten Eska­la­tion der Gewalt gegen poli­tisch aktive Demo­kra­tin­nen und Demo­kra­ten. Bereits 2022 haben wir – im Rah­men des Akti­ons­plans – eine Alli­anz zum Schutz kom­mu­na­ler Amts- und Man­dats­trä­ger ins Leben geru­fen. Anfang 2024 konn­ten wir den Start­schuss für eine bun­des­weite Ansprech­stelle geben, die den Betrof­fe­nen Hilfe und Unter­stüt­zung bie­tet. Die Sicher­heits­be­hör­den des Bun­des gehen außer­dem mit aller Kon­se­quenz gegen Extre­mis­ten vor und bekämp­fen Hass­kri­mi­na­li­tät. Denn die Hass­kri­mi­na­li­tät bis hin zu Mord­dro­hun­gen im Netz berei­tet den Boden für die Gewalt­ta­ten, die wir erle­ben müssen.

Wir stär­ken den gesell­schaft­li­chen Dia­log und die poli­ti­sche Bil­dungs­ar­beit, zum Bei­spiel mit dem Pro­gramm „Zusam­men­halt durch Teil­habe“ der Bun­des­zen­trale für poli­ti­sche Bil­dung. Wir stär­ken das ehren­amt­li­che Enga­ge­ment, ob im ört­li­chen Sport­ver­ein, in der Jugend­gruppe, im kul­tu­rel­len oder im kari­ta­ti­ven Bereich. Denn genau dort wach­sen Teil­habe und Zusam­men­halt, auch über soziale und kul­tu­relle Gren­zen hin­weg. Und das ist der Boden, auf dem resi­li­ente Demo­kra­tien gedei­hen. Eine starke Zivil­ge­sell­schaft ist das stärkste Boll­werk gegen die Feinde unse­rer Verfassung.

In den letz­ten Mona­ten sind viele Men­schen in ganz Deutsch­land für unsere frei­heit­li­che und demo­kra­ti­sche Ver­fas­sung auf die Straße gegan­gen. Sie haben hun­der­tau­send­fach sicht­bar gemacht, wofür sich auch die Initia­tive Kul­tu­relle Inte­gra­tion ein­setzt. These eins der neu gefass­ten 15 The­sen besagt: „Die Grund­rechte und Werte des Grund­ge­set­zes sind Grund­lage für das Zusam­men­le­ben und den Zusam­men­halt in Deutschland“.

Und es ist der Zusam­men­halt der Demo­kra­tin­nen und Demo­kra­ten, von denen eine Demo­kra­tie lebt. Sie lebt von Enga­ge­ment, von gegen­sei­ti­gem Respekt, von guter Debat­ten- und Streit­kul­tur (– auch das beto­nen die The­sen zu Recht).

Die Initia­tive kul­tu­relle Inte­gra­tion leis­tet dazu auch selbst einen Bei­trag. Denn sie för­dert den demo­kra­ti­schen Dis­kurs, und sie setzt Zei­chen für Offen­heit und Viel­falt in unse­rer Gesell­schaft. Kurz: Sie hilft, die Zukunft unse­rer Demo­kra­tie zu sichern.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 06/2024.

Von |2024-06-06T14:32:20+02:00Mai 31st, 2024|Grundgesetz|Kommentare deaktiviert für

Grund­sätze einer wehr­haf­ten Demokratie

Rede von Rita Schwar­zelühr-Sut­ter, MdB, anläss­lich der Jah­res­ta­gung der Initia­tive kul­tu­relle Integration

ist Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin des Innern und für Heimat (BMI).