Sarah Vecera

Sarah Vecera ist Exper­tin für das Thema Ras­sis­mus und Kir­che, infor­miert zu den Fol­gen des Kolo­nia­lis­mus und ver­sucht die Kir­che zu ver­än­dern, indem sie bei­spiels­weise eine „Alle-Kin­der-Bibel“ initi­iert. Sie wurde 1983 in Ober­hau­sen gebo­ren und ist im Ruhr­ge­biet auf­ge­wach­sen. Die Theo­lo­gin, Reli­gi­ons­päd­ago­gin, Pod­cas­te­rin und Autorin arbei­tet als Senior Bil­dungs­ko­or­di­na­to­rin in der Abtei­lung Deutsch­land der Ver­ein­ten Evan­ge­li­schen Mis­sion (VEM). Die VEM ist eine inter­na­tio­nale, gleich­be­rech­tigte Gemein­schaft von 39 Mit­glie­dern, dar­un­ter 38 evan­ge­li­sche Kir­chen in Afrika, Asien und Deutsch­land. Im Jahr 2022 erschien ihr Buch „Wie ist Jesus weiß gewor­den? Mein Traum von einer Kir­che ohne Ras­sis­mus“ im Pat­mos-Ver­lag, in dem Sarah Vecera den ras­sis­ti­schen Struk­tu­ren in der Kir­che auf den Grund geht und auf­zeigt, wie diese inklu­si­ver gestal­tet wer­den kann. Auf Insta­gram, in ihrem Blog und ihrem Pod­cast geht es um The­men rund um Dis­kri­mi­nie­rung und Kir­che. In „Sta­chel und Herz – der Pod­cast der Ver­ein­ten Evan­ge­li­schen Mis­sion“ unter­hält sie sich dazu mit Thea Hum­mel sowie ver­schie­de­nen Gäs­ten. Seit Okto­ber 2021 ist Sarah Vecera im Prä­si­dium des Deut­schen Evan­ge­li­schen Kirchentags.

Weih­nach­ten steht vor der Tür, ein guter Zeit­punkt, um weiße Jesus­fi­gu­ren in Kir­chen­krip­pen und Wohn­zim­mern zu hin­ter­fra­gen. Wie ist reli­giö­ses White­washing entstanden?

Die süd­afri­ka­ni­sche Spo­ken-Word-Künst­le­rin Koleka Putuma sagte mal: „Ihr habt Gott ein Geschlecht und eine Haut­farbe gege­ben und damit das Kon­zept von Gott kolo­nia­li­siert.“ Das fasst gut zusam­men, was pas­siert ist, denn reli­giö­ses White­washing hat schon lange eine macht­volle Inten­tion. Im Mit­tel­al­ter wollte man die jüdi­sche Iden­ti­tät der bibli­schen Figu­ren ver­schlei­ern und ver­brei­tete gern euro­pä­isch aus­se­hende Bilder.

Zur Zeit der Skla­ve­rei gab es sogar eine soge­nannte „Skla­ven­bi­bel“, in der alle Stel­len ent­nom­men wur­den, die Ver­sklavte Men­schen hät­ten zum Wider­stand nut­zen kön­nen. Da kam ein wei­ßes Got­tes­bild natür­lich auch gele­gen. In der Kolo­ni­al­zeit wurde aus dem White­washing dann ein glo­ba­les Pro­jekt und für uns in Deutsch­land mün­dete es darin, Jesus als Arier dar­zu­stel­len. An all das soll­ten wir den­ken, wenn wir zu Weih­nach­ten in unsere Krip­pen schauen.

Jedem sollte klar sein, dass Jesus kein wei­ßer Mann war, sowie alle ande­ren Figu­ren, die in der Bibel vor­kom­men, auch nicht. Warum bie­tet Ihr Buch den­noch so viel Rei­bungs­flä­che? Im März wur­den Sie in Leip­zig bei einer Lesung bedroht.

Auf der kogni­ti­ven Ebene ist den Men­schen bewusst, dass Jesus ein Jude aus dem Nahen Osten war. Weiße Vor­herr­schaft und Ras­sis­mus wir­ken jedoch nicht nur über den Kopf, son­dern vor allem auf der emo­tio­na­len Ebene. In der Kir­che kommt noch der Glaube hinzu.

Auf der einen Seite haben wir Theo­lo­gie im euro­zen­tri­schen Sinne ver­wis­sen­schaft­licht, aber Glaube ist eben nicht nur Theo­lo­gie und wirkt zudem auch vor allem emotional.

Ich denke, dass Men­schen sich vor allem emo­tio­nal rei­ben und daher habe ich genau das auch in mei­nem Buch the­ma­ti­siert. Daher ist meine Erfah­rung tat­säch­lich, dass bei Men­schen, die es gele­sen haben, weni­ger Rei­bung ent­steht und dar­über freue ich mich, denn das sind die aller­meis­ten, die mir Rück­mel­dun­gen geben.

Sie sind Initia­to­rin der Alle-Kin­der-Bibel, die auch PoC-Figu­ren zeigt. Wie wich­tig ist Reprä­sen­ta­tion im Zusam­men­hang von Reli­gion? In einem Inter­view beschrei­ben Sie, dass Sie sich Gott als Schwarze dicke Frau vor­stel­len. Was hätte es ver­än­dert, wenn Sie diese Bibel als Kind gehabt hätten?

Es ist gene­rell wich­tig, dass man sich als Kind reprä­sen­tiert fühlt. Das zei­gen ja auch zahl­rei­che Stu­dien. Für die Ent­wick­lung des eige­nen Glau­ben und auch des eige­nen Selbst­werts hin­sicht­lich des Glau­bens ist es noch mal ver­stärkt wich­tig. Wenn in der bibli­schen Tra­di­tion die Rede davon ist, dass wir Eben­bil­der Got­tes sind und schon klei­nen Kin­dern erzählt wird, dass sie Kin­der Got­tes sind, ist eine diverse Reprä­sen­ta­tion unum­gäng­lich. Wenn ein wei­ßes, männ­li­ches, hete­ro­nor­ma­ti­ves, christ­li­ches und nicht-behin­der­tes Got­tes­bild ima­gi­niert wird, stelle ich mir die Frage, wie sich unter­schied­lich posi­tio­nierte Kin­der und Erwach­sene in die­ser Eben­bild­lich­keit über­haupt sehen können.

Für mich hätte so eine Kin­der­bi­bel vie­les ver­än­dert. Die ein­zi­gen Dar­stel­lun­gen in der Kir­che, auf denen ich mich als Kind reprä­sen­tiert gefühlt habe waren Spendenplakate.

Sie arbei­ten bei der Ver­ein­ten Evan­ge­li­schen Mis­sion, die inter­na­tio­nal orga­ni­siert ist. Ist das Kon­zept von Mis­sion über­holt? Wel­che Unter­schiede in der Arbeits­weise zu rein deut­schen Mis­si­ons­wer­ken oder evan­ge­li­schen Ein­rich­tun­gen konn­ten Sie feststellen?

Es ist hof­fent­lich wei­test­ge­hend bekannt, dass das kolo­niale Kon­zept von Mis­sion über­holt, ver­al­tet und vor allem ras­sis­tisch ist. In der Ver­ein­ten Evan­ge­li­schen Mis­sion (kurz: VEM) wird Mis­sion schon seit über 30 Jah­ren anders gedacht und gelebt. Ich habe die Unter­schiede dort nicht nur fest­ge­sellt. Ich habe dort vor bereits 20 Jah­ren mein ras­sis­mus­kri­ti­sches Bewusst­sein ent­wi­ckelt. Vie­les was ich über Ras­sis­mus im Zusam­men­hang mit Kir­che und Theo­lo­gie weiß, habe ich bei der VEM gelernt. Die VEM ist das bis­lang ein­zige ehe­ma­lige Mis­si­ons­werk, dass sich bereits 1996 auf allen Ebe­nen inter­na­tio­na­li­siert hat und damit einen über 25-jäh­ri­gen Weg geht, um gegen struk­tu­rel­len Ras­sis­mus ein­zu­tre­ten. Ich kenne keine andere kirch­li­che Orga­ni­sa­tion, die unter ande­rem in Deutsch­land tätig ist, und das so kon­se­quent lebt und ausführt.

Die 15 The­sen der Initia­tive kul­tu­relle Inte­gra­tion tra­gen den Titel „Zusam­men­halt in Viel­falt“. Was bedeu­tet für dich „Zusam­men­halt in Viel­falt“ und wel­che der 15 The­sen ist deine „Lieb­lings­these“?

Zusam­men­halt in Viel­falt hat für mich unter ande­rem einen spi­ri­tu­el­len Aspekt und daher ist mir die These 4 wich­tig, die fol­gen­des sagt: Reli­gion gehört auch in den öffent­li­chen Raum. In vie­len Reli­gio­nen, in indi­ge­nen Wis­sens­be­stän­den und auch in spi­ri­tu­el­len Pra­xen gibt es den Gedan­ken der Ver­bun­den­heit. In der süd­afri­ka­ni­schen Lebens­phi­lo­so­phie „Ubuntu“ heißt es zum Bei­spiel: „Ich bin, weil du bist.“ Es heißt, dass meine Iden­ti­tät sich zum einen durch die Iden­ti­tä­ten ande­rer erst ent­wi­ckelt. Und es bedeu­tet, dass wir so oder so mit­ein­an­der ver­bun­den sind. Auch im christ­li­chen Kon­text kommt der Gedanke der untrenn­ba­ren Ver­bun­den­heit durch.

Es ist ein kol­lek­ti­ves Wir-Gefühl, dass uns auto­ma­tisch zum Zusam­men­halt in Viel­falt ver­pflich­tet, aber nicht aus einer mora­li­schen Hal­tung her­aus, son­dern aus einem tie­fen Bewusst­sein her­aus, dass wir ein­an­der brau­chen und uns bedingen.

Es ist ein Gegen­ent­wurf zum euro­päi­schen Indi­vi­dua­li­täts­den­ken. Gleich­zei­tig müs­sen wir auch die Gefahr von Reli­gion in den Blick neh­men und den damit ein­her­ge­hen­den Gefah­ren Macht zu miss­brau­chen. Wenn wir jedoch macht­kri­tisch Räume gestal­ten, kön­nen reli­giöse und spi­ri­tu­elle Gemein­schaf­ten eine Berei­che­rung sein auf dem Weg hin zu einem Zusam­men­halt, der vie­les posi­tiv ver­än­dern kann in einer mul­ti­di­ver­sen Gesellschaft.

Vie­len Dank!

Von |2023-12-04T11:17:41+01:00Dezember 1st, 2023|Menschen|Kommentare deaktiviert für Sarah Vecera