Joshua Cohen entwirft mit seinem Roman „Die Netanjahus“ eine zwischen Realität und Fiktion oszillierende Geschichte, die als beißende Satire entlarvende Rückblicke in das Leben des emeritierten jüdischen Historikers Ruben Blum gewährt. Blum, der ab den 1950er Jahren am fiktiven Corbin College im Bundestaat New York eine Professur für Amerikanische Wirtschaftsgeschichte innehat, wird nach Drängen des Dekans Teil einer Kommission, welche über die Vergabe eines Lehrstuhls an den israelischen Historiker Ben-Zion Netanjahu entscheiden soll. Die Begründung für dieses forcierte Mitwirken findet der Dekan im geteilten Jüdischsein der beiden Historiker und veräußert damit eine der zahlreichen herablassenden Bemerkungen, denen Ruben Blum als Teil der jüdischen Diaspora in den USA seit jeher mit absoluter Anpassung begegnet. Dabei ist Indifferenz keineswegs etwas, das Cohen seiner Figur des radikal zionistischen Netanjahu beimisst; vielmehr kulminiert das Aufeinandertreffen der beiden Professoren mit ihrem dichotomen Verhältnis zum Jüdischsein in einer grotesken Szenerie absoluter Entgrenzung. So fällt Netanjahu samt seiner Frau und den drei Söhnen in das sorgsam hergerichtete Haus der Familie Blum ein und stiftet vollkommenes Chaos: Zwischen Tisch- und Stuhlbein wird der jüngste Sohn Iddo gewickelt, während seine beiden Brüder durch das Haus stürmen. Der in Slapstick-Manier geistreich mit Klischees spielende Höhepunkt des Buchs verdeutlicht dessen wiederkehrendes Prinzip, die politische Brisanz sowie die historische Schwere des Themas mit Komik zu unterwandern. So schafft es Cohen, in diesem Dazwischen die großen Fragen nach jüdischer Identität, Geschichtsschreibung, Ideologie, Religion und Sprache aufzuwerfen, was „Die Netanjahus“ zu einer absolut lesenswerten und hochaktuellen Auseinandersetzung macht.
Anna Göbel
Joshua Cohen. Die Netanjahus. Aus dem Englischen von Ingo Herzke. Frankfurt am Main 2023