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Warum wir Urhe­ber­recht in Zei­ten von ChatGPT & Co. anders den­ken müssen

Seit bald einem Jahr beherr­schen ChatGPT und andere Anwen­dun­gen gene­ra­ti­ver KI mit immer neuen Fähig­kei­ten, Inves­ti­tio­nen und Unter­neh­mens­grün­dun­gen unsere Schlag­zei­len und poli­ti­schen Tages­ord­nun­gen. Die Anwen­dun­gen begeis­tern: Sie geben einen Vor­ge­schmack dar­auf, was KI kann und wie die Tech­no­lo­gie heute und in Zukunft unser Leben und Arbei­ten berei­chern könnte. An man­chen Stel­len ist die anfäng­li­che Eupho­rie aller­dings Ernüch­te­rung gewi­chen. Denn neben sys­te­mi­schen Risi­ken wie Dis­kri­mi­nie­rung oder Falsch­in­for­ma­ti­onbrin­gen Anwen­dun­gen gene­ra­ti­ver KI für einige Bran­chen mas­sive Umwäl­zun­gen mit sich – auch für Kunst und Kultur.

Der Wert von Kunst und Kultur

Grund dafür ist einer­seits die Art und Weise, wie die Modelle trai­niert wer­den: Mit­hilfe von Craw­lern wer­den rie­sige Daten­men­gen aus dem Inter­net gesam­melt, aus denen ChatGPT & Co. ihr „Wis­sen“ schöp­fen – dar­un­ter auch urhe­ber­recht­lich geschütz­tes Mate­rial. Trotz des zen­tra­len Werts die­ser Daten für die Leis­tungs­fä­hig­keit der Modelle gehen Urhe­be­rin­nen und Urhe­ber bis­her nicht nur leer aus. Ihre Werke von Text bis Melo­die schaf­fen außer­dem die Grund­lage für eine preis­güns­tige Kon­kur­renz: die KI. Wei­tere Schwie­rig­kei­ten offen­ba­ren sich auf­sei­ten des Out­puts: Wahrt ein KI-gene­rier­tes Pro­dukt kei­nen hin­rei­chen­den Abstand zu einem urhe­ber­recht­lich geschütz­ten Werk, liegt eine Urhe­ber­rechts­ver­let­zung vor. Anders ist das beim Stil, der nicht urhe­ber­recht­lich geschützt ist. Wäh­rend Künst­le­rin­nen und Künst­ler also Jahre und Jahr­zehnte damit ver­brin­gen, ihre per­sön­li­che Hand­schrift zu ent­wi­ckeln, ahmen Anwen­dun­gen gene­ra­ti­ver KI diese in Sekun­den­schnelle nach. Auch hier schlägt die Maschine den Men­schen in puncto Geschwin­dig­keit und Preis. Auch hier ent­steht eine aus­ge­prägte Konkurrenzsituation.

Als Sozi­al­de­mo­kra­ten kri­ti­sie­ren wir nicht nur die Bedro­hung beruf­li­cher Exis­ten­zen, die sich auf­sei­ten der Urhe­be­rin­nen und Urhe­ber durch das Han­deln der KI-Anbie­ter ergibt. Wir bli­cken auch auf die Bedeu­tung, die ein freier Zugang zu künst­le­ri­schen Wer­ken für uns als Gesell­schaft hat – und welch fatale Fol­gen ein mög­li­cher Rück­zug von Kunst und Kul­tur aus dem digi­ta­len Raum im Falle einer Fort­set­zung des bis­he­ri­gen Geschäfts­mo­dells der KI-Anbie­ter haben könnte.

Lücken schlie­ßen, für Klar­heit sorgen

Für uns ist also klar: Es besteht Hand­lungs­be­darf. Selbst­ver­pflich­tun­gen aus der Bran­che rei­chen nicht weit genug. Was die vie­len Kunst- und Kul­tur­schaf­fen­den in Deutsch­land und Europa brau­chen, ist recht­li­che Ver­bind­lich­keit. Aus­sicht dar­auf gibt einer­seits die euro­päi­sche KI-Ver­ord­nung, die gegen­wär­tig im Tri­log-Ver­fah­ren ver­han­delt wird. Nach­dem Kom­mis­sion und Rat sich gar nicht oder nur ober­fläch­lich mit dem Thema gene­ra­tive KI befasst haben, hat das Euro­päi­sche Par­la­ment in sei­nem Beschluss deut­lich nach­ge­schärft. Die Par­la­men­ta­rie­rin­nen und Par­la­men­ta­rier stel­len in Bezug auf das Thema Urhe­ber­recht zusätz­li­che Trans­pa­renz­an­for­de­run­gen auf: KI-gene­rierte Inhalte sol­len als sol­che gekenn­zeich­net wer­den, der Erstel­lung ille­ga­ler Inhalte soll durch eine ent­spre­chende Kon­zep­tion der Modelle Ein­halt gebo­ten und eine Zusam­men­fas­sung urhe­ber­recht­lich geschütz­ter Trai­nings­da­ten öffent­lich ver­füg­bar gemacht wer­den. Ein Vor­stoß, den wir unter­stüt­zen: Denn das Wis­sen über die Nut­zung der eige­nen Werke im Trai­nings­pro­zess ist für die Urhe­be­rin­nen und Urhe­ber Vor­aus­set­zung dafür, ihre Rechte gel­tend zu machen. Dar­über hin­aus plä­die­ren wir für Rechts­klar­heit beim Opt-out: Die gel­tende Rechts­lage sieht vor, dass Urhe­be­rin­nen und Urhe­ber der Nut­zung ihrer Werke zu Trai­nings­zwe­cken durch ein maschi­nen­les­ba­res Opt-out wider­spre­chen kön­nen – wann ein wirk­sa­mer maschi­nen­les­ba­rer Nut­zungs­vor­be­halt tat­säch­lich vor­liegt, wird aller­dings recht­lich und tech­nisch sehr unter­schied­lich inter­pre­tiert. Wei­tere Her­aus­for­de­run­gen erge­ben sich durch die Schran­ken­re­ge­lung für wis­sen­schaft­li­che For­schung: Wird das Text- und Data-Mining im Rah­men des­sen ein­ge­setzt, fällt die Mög­lich­keit des Opt-outs weg. Zwar gibt es im gel­ten­den Recht die klare Fest­le­gung, dass dies nur für Zwe­cke der wis­sen­schaft­li­chen For­schung zuläs­sig ist und dass sämt­li­che Gewinne in die wis­sen­schaft­li­che For­schung reinves­tiert wer­den müs­sen. Wir erin­nern uns aber: Auch Ope­nAI, das US-ame­ri­ka­ni­sche Unter­neh­men hin­ter ChatGPT, ist als gemein­nüt­zi­ges For­schungs­in­sti­tut gestar­tet – und heute mil­li­ar­den­schwer. Hier muss ggf. eben­falls Rechts­klar­heit geschaf­fen wer­den, wie mit Über­gän­gen von For­schung zu kom­mer­zi­el­ler Ver­wer­tung umge­gan­gen wer­den soll. Eine Umge­hung des Opt-outs der Urhe­be­rin­nen und Urhe­ber darf es durch eine sol­che Kon­stel­la­tion jeden­falls nicht geben.

KI: gekom­men, um zu bleiben

Gene­ra­tive Künst­li­che Intel­li­genz schafft Effi­zi­enz – aber nichts genuin Neues, nichts Krea­ti­ves, nichts Dia­log­stif­ten­des. Fakt ist aber auch, dass KI als Schlüs­sel­tech­no­lo­gie immer wei­ter in unser Leben und Arbei­ten vor­drin­gen wird. Um Kunst und Kul­tur sowie die daran geknüpf­ten beruf­li­chen Exis­ten­zen zu schüt­zen, müs­sen wir han­deln. Denn nur, wenn wir jetzt mit einer ein­deu­ti­gen und kohä­ren­ten Regu­lie­rung an den rich­ti­gen Stell­schrau­ben dre­hen, sor­gen wir dafür, dass nicht nur einige wenige, son­dern alle von den Poten­zia­len der Tech­no­lo­gie profitieren.

Die­ser Test ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 10/2023.

Von |2023-10-27T15:54:29+02:00September 27th, 2023|Medien|Kommentare deaktiviert für

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Warum wir Urhe­ber­recht in Zei­ten von ChatGPT & Co. anders den­ken müssen

Parsa Marvi ist Abgeordneter der SPD im Bundestag. Als Mitglied des Ausschusses für Digitales setzt er sich für eine KI-Regulierung ein, die Diskriminierung verhindert sowie Grund- und Persönlichkeitsrechte schützt. Macit Karaahmetoğlu ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht. Er ist Mitglied im Rechtsausschuss und dort für die SPD-Bundestagsfraktion Berichterstatter für das Urheberrecht.