Gianni Jovanovic ist Aktivist, Unternehmer, Autor und Performer. Über seine Initiativen, Vorträge und Workshops setzt er sich für die Rechte von Roma und Sinti sowie der LGBTIQ-Community ein. Als homosexueller Rom ist er selbst tagtäglich Diskriminierung ausgesetzt. Im Alter von vier Jahren erlebt er einen Anschlag auf seine Unterkunft in Darmstadt. In „Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit“ (2022), geschrieben mit Oyindamola Alashe, befasst sich Jovanovic mit seiner außergewöhnlichen und gewaltvollen Geschichte. Geboren 1978 in Rüsselsheim, wurde er mit 14 Jahren verheiratet und mit 16 Jahren Vater. Wenige Jahre später outete er sich vor seiner Familie, zu der er weiterhin engen Kontakt pflegt. Er ist nun in Köln glücklich mit seinem Mann verheiratet und stolzer Großvater. Darin, dass Jovanovic ebenfalls als Comedian auf der Bühne steht, zeigt sich sein positiver Umgang mit dem Leben.
In Ihrem autobiographischen Buch „Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit“ sprechen Sie davon, dass Ihre Eltern mit falschen Erwartungen aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland kamen. Sie und Ihre Familie erfuhren gewaltvollen Rassismus von der Nachbarschaft, aber auch von politischer Seite. Wie erklären Sie sich, dass der Pharrajmos (Holocaust) in Deutschland zu keiner „demütigeren“ Perspektive auf Romnja und Roma führte?
Ich vermisse in Deutschland eine demütigere Perspektive auf Rom*nja & Sinti*zze. Dass sie trotz des Holocausts, auch bekannt als Porajmos, fehlt, hat verschiedene Gründe. Einerseits gibt es nach wie vor Vorurteile, Stereotypen und Rassismus gegenüber Rom*nja & Sinti*zze in Deutschland und anderen Teilen Europas. Diese tief verwurzelten Vorurteile führen oft dazu, dass die historischen Erfahrungen und das Leid der Rom*nja & Sinti*zze nicht angemessen anerkannt oder ernst genommen werden.
Darüber hinaus haben die Rom*nja & Sinti*zze in Deutschland oft mit sozialer Ausgrenzung, Diskriminierung und Armut zu kämpfen. Diese sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen machen es schwierig, sich aktiv in die Gesellschaft einzubringen und Demut bei der Mehrheitsgesellschaft zu fördern.
Es braucht eine breitere Aufklärung, Sensibilisierung und aktive Auseinandersetzung mit den historischen und aktuellen Erfahrungen der Romn*ja und Sinti*zze, um einen wirklichen Wandel in der Wahrnehmung und Behandlung zu erreichen.
Sie sind mit Ihren 45 Jahren nicht nur Vater, sondern auch Großvater und begründen die Motivation für Ihren Aktivismus in diesen Rollen. Welche Zukunft wünschen Sie sich für Ihre Kinder und Enkelkinder? Was können wir bereits von der jungen Generation lernen?
Als Vater und Großvater motiviert mich die Vorstellung einer gerechten und inklusiven Zukunft für meine Kinder und Enkelkinder. Ich wünsche mir eine Welt, in der sie frei von Diskriminierung, Vorurteilen und Ungerechtigkeit aufwachsen können. Eine Welt, in der sie ihre Träume verfolgen und ihr volles Potenzial entfalten können, unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit, sexuellen Orientierung oder anderen Merkmalen.
Von der jungen Generation können wir bereits jetzt viel lernen. Sie sind oft offener, toleranter und sensibilisierter für soziale Gerechtigkeit und Menschenrechtsfragen. Ihre Fähigkeit, Vielfalt anzuerkennen und zu akzeptieren, kann uns allen als Vorbild dienen. Wir sollten ihre Stimmen ernst nehmen, ihre Perspektiven einbeziehen und sie in Entscheidungsprozesse einbinden, um eine inklusivere Gesellschaft aufzubauen.
Als homosexueller Rom setzen Sie sich für die Rechte von Roma und Sinti sowie die Rechte von Schwarzen Menschen und People of Colour innerhalb der LGBTIQ-Community ein und bieten Workshops zu Intersektionaler Diskriminierung und Queer Roma an. Wie bringen Sie anderen bei, ihre vielfältigen Identitäten zu akzeptieren und mit Diskriminierungsformen von verschiedenen Seiten umzugehen?
Mein Ziel ist es, andere zu unterstützen, ihre vielfältigen Identitäten zu akzeptieren und mit Diskriminierung von verschiedenen Seiten umzugehen, indem ich Workshops zu Intersektionaler Diskriminierung und den Lebensrealitäten von queeren Rom*nja & Sinti*zze anbiete. In diesen Workshops schaffe ich einen sicheren Raum für den Dialog und fördere das Verständnis für die komplexen Herausforderungen, mit denen Menschen mit mehreren Identitäten konfrontiert sind.
Ich ermutige die Teilnehmenden, ihre eigenen Privilegien und Vorurteile zu reflektieren und empathisch zuzuhören, um die Erfahrungen anderer besser zu verstehen. Ich betone auch die Bedeutung von Solidarität und dem gemeinsamen Kampf gegen Diskriminierung und Ungerechtigkeit. Wir besprechen konkrete Handlungsschritte, um Benachteiligung entgegenzuwirken, sei es durch Bildungsarbeit, politische Einflussnahme oder individuelles Eingreifen in Diskriminierungssituationen.
Sie sprechen in Ihrem Buch sehr versöhnlich von Ihrer gewaltvollen Vergangenheit. Wo nehmen Sie Ihre positive Energie und die Kraft für Ihr Engagement her?
Meine positive Energie und meine Kraft für mein Engagement schöpfe ich aus der Überzeugung, dass Veränderung möglich ist. Trotz meiner gewaltvollen Vergangenheit habe ich gelernt, dass Liebe, Empathie und Vergebung viel bewirken können. Ich habe gesehen, wie Menschen sich verändern, wenn sie mit Respekt und Wertschätzung behandelt werden und die Möglichkeit erhalten, ihr volles Potenzial zu entfalten.
Meine positive Energie kommt auch aus der Gemeinschaft der Aktivist*innen, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen. Indem wir uns gegenseitig unterstützen, Ideen austauschen und gemeinsam für Veränderungen eintreten, können wir mehr erreichen.
Dennoch müssen die Regierung und die Gesellschaft in Deutschland eine aktivere Rolle spielen. Es ist notwendig, dass die Regierung wirksame Gesetze gegen Diskriminierung erlässt und diese auch durchsetzt.
Rassismus und Vorurteile müssen in allen Bereichen der Gesellschaft aktiv bekämpft werden, sei es im Bildungssystem, am Arbeitsplatz oder in der öffentlichen Verwaltung. Es bedarf umfassender Aufklärungskampagnen, die das Bewusstsein für die Geschichte und die Kultur der Rom*nja und Sinti*zze schärfen und Vorurteile abbauen.
Die Gesellschaft muss die Vielfalt als Bereicherung anerkennen und allen Menschen gleiche Chancen und Rechte gewähren. Es ist notwendig, dass wir uns als Gesellschaft aktiv für Inklusion und Gerechtigkeit einsetzen und uns gegen jede Form von Diskriminierung erheben. Nur so können wir eine gerechtere Zukunft für alle schaffen.
Die 15 Thesen der Initiative kulturelle Integration tragen den Titel „Zusammenhalt in Vielfalt“. Was bedeutet für Sie „Zusammenhalt in Vielfalt“ und welche der 15 Thesen ist Ihre „Lieblingsthese“?
Kulturelle Vielfalt ist eine Stärke. Sie ermöglicht uns, marginalisierte Gruppen emporzuheben und Privilegien gerecht zu teilen. Es geht um Teilhabe und Teilgabe, um die Anerkennung der eigenen Privilegien basierend auf Geschlecht, Race, oder sexueller Präferenz. Wir sollten die Intersektionalität berücksichtigen und verstehen, dass verschiedene Identitäten miteinander verflochten sind.
Indem wir die Vielfalt anerkennen und schätzen, können wir eine inklusive Gesellschaft schaffen, in der jede Stimme gehört wird und alle die gleichen Chancen haben.
Dieser Ansatz ermöglicht es uns, ein Gleichgewicht herzustellen und Gerechtigkeit für alle anzustreben.
Vielen Dank!