Wach­sende Sorge um die Meinungsfreiheit

Ein medi­en­po­li­ti­scher Jah­res­rück­blick auf 2022

Die Siche­rung der Medien- und Mei­nungs­frei­heit gehörte zu den prä­gen­den The­men des Medi­en­jah­res 2022. Das Jahr begann medi­en­po­li­tisch mit einer Debatte über den nega­ti­ven Ein­fluss demo­kra­tie­feind­li­cher Pro­pa­ganda und endet mit der Sorge, ob diese wich­ti­gen Stüt­zen der Demo­kra­tie durch die Ände­rung von Besitz­ver­hält­nis­sen und Geschäfts­mo­del­len bei sozia­len Netz­wer­ken gefähr­det sein könn­ten. Am 1. Februar hatte die Kom­mis­sion für Zulas­sung und Auf­sicht (ZAK) der Medi­en­an­stal­ten die Ver­an­stal­tung und Ver­brei­tung des Fern­seh­pro­gramms „RT DE“ in Deutsch­land bean­stan­det und unter­sagt, weil die dafür erfor­der­li­che medi­en­recht­li­che Zulas­sung nicht vor­lag. Damit bestä­tigte die ZAK eine Ent­schei­dung der Medi­en­an­stalt Ber­lin-Bran­den­burg (MABB) vom 22. Dezem­ber 2021, nach der die Ver­brei­tung über den Satel­li­ten ein­ge­stellt wor­den ist. Die­ses Ver­bot, so die Medi­en­an­stal­ten, basiere nicht auf einer inhalt­li­chen, son­dern aus­schließ­lich auf einer medi­en­recht­li­chen Bewertung.

Am 1. März beschloss der EU-Minis­ter­rat in der Ver­ord­nung 2022/350 dage­gen mit einer inhalt­li­chen Begrün­dung ein Sende- und Ver­brei­tungs­ver­bot für das Nach­rich­ten­por­tal Sput­nik sowie die Pro­gramme von RT unter ande­rem in Deutsch. „Diese Medien spie­len eine maß­geb­li­che Rolle, um die Aggres­sio­nen gegen die Ukraine mit Nach­druck vor­an­zu­trei­ben und zu unter­stüt­zen und die Nach­bar­län­der der Ukraine zu desta­bi­li­sie­ren“, so die EU. Die Ent­schei­dung des EU-Rates hat in Deutsch­land zur Dis­kus­sion geführt. Sie mache ihn „min­des­tens unru­hig“, erklärte der Ham­bur­gi­sche Sena­tor für Kul­tur und Medien, Cars­ten Brosda. „Wir haben aus guten Grün­den die Staats­ferne bei der Auf­sicht“, erläu­terte der SPD-Poli­ti­ker seine Beden­ken. Hier ent­schei­den „jetzt die Regie­run­gen“. Den rus­si­schen Pro­pa­gan­da­me­dien gelang es teil­weise, die Sper­ren zu umge­hen und mit den Inhal­ten wei­ter im Netz prä­sent zu sein.

Aus einer ande­ren Per­spek­tive tra­ten am 28. Okto­ber mög­li­che Gefah­ren der Ein­schrän­kung der Mei­nungs­frei­heit in das öffent­li­che Bewusst­sein: Elon Musk hatte Twit­ter für 44 Mil­li­ar­den Dol­lar gekauft. Erst­mals ent­schei­det eine Ein­zel­per­son, ohne Auf­sichts­gre­mium, über die Inhalte eines Medi­ums. Nicht nur beim Ver­bot rus­si­scher Pro­pa­gan­da­me­dien, son­dern auch bei drei wei­te­ren Geset­zes­in­itia­ti­ven der EU stand die Sorge um die demo­kra­ti­sche Mei­nungs­bil­dung im Vor­der­grund. Mit dem Gesetz über digi­tale Dienste (DSA) will die EU Inter­net­kon­zerne dazu ver­pflich­ten, schnel­ler und bes­ser gegen Hetze, Des­in­for­ma­tion und gefälschte Pro­dukte vor­zu­ge­hen. Dafür wur­den ver­bind­li­che Regeln nach dem Prin­zip fest­ge­schrie­ben: Was off­line unrecht­mä­ßig ist, soll es auch online sein. Da nur wenige Kon­zerne die digi­ta­len Märkte und damit die Ver­brei­tung von Inhal­ten als soge­nannte Gate­kee­per bestim­men und mit ihrer rie­si­gen Markt­macht domi­nie­ren, ist es das Ziel des Digi­tal Mar­kets Act (DMA), fai­ren Wett­be­werb zu ermög­li­chen und die Ein­tritts­hür­den in die Märkte zu verringern.

Mit dem Euro­pean Media Free­dom Act (EMFA) initi­ierte die EU im Sep­tem­ber ein wei­te­res Regel­werk mit hoher Rele­vanz für die Medi­en­bran­che. Medi­en­po­li­ti­ker, Ver­bände und Medi­en­un­ter­neh­men sehen diese neue Ver­ord­nung jedoch kri­tisch. Sie war­nen vor einer Har­mo­ni­sie­rung im Bin­nen­markt zulas­ten funk­tio­nie­ren­der Sys­teme in den Mit­glied­staa­ten. Zudem müsse das Prin­zip der Staats­ferne bei der Medi­en­auf­sicht durch­ge­hend abge­bil­det sein.

Wei­tere wich­tige medien-poli­ti­sche Ereig­nisse und Ent­schei­dun­gen 2022:

RTL kauft Maga­zin­mar­ken von G+J

Seit 1. Januar 2022 gehö­ren die Maga­zin­mar­ken von Gru­ner + Jahr zu RTL. Der Kauf­preis betrug nach Anga­ben des Sen­ders 230 Mil­lio­nen Euro. So will sich die Ber­tels­mann-Toch­ter im Kampf gegen inter­na­tio­nale Strea­ming-Anbie­ter stär­ken. Damit gehö­ren bekannte Maga­zin-Titel wie „Stern“, „Bri­gitte“ oder „Geo“ von nun an zu RTL, und der Fern­seh­sen­der plant mit die­ser Akquise, der Kon­kur­renz von inter­na­tio­na­len Strea­ming-Anbie­tern etwas ent­ge­gen­zu­set­zen. Im Sep­tem­ber hatte Tho­mas Rabe, Ber­tels­mann- und RTL-Chef, ange­kün­digt, das Maga­zin-Geschäft von Gru­ner + Jahr zur Dis­po­si­tion zu stel­len. Das Maga­zin­ge­schäft stehe „aktu­ell beson­ders unter Druck“, des­halb „werde das Titel­port­fo­lio über­prüft und nur sol­che Titel mit RTL zusam­men­ge­führt, die syn­er­ge­tisch sind“, sagt Rabe.

23. Bericht der Kom­mis­sion zur Ermitt­lung des Finanz­be­darfs der Rund­funk­an­stal­ten (KEF)

Der 23. Bericht der Kom­mis­sion zur Ermitt­lung des Finanz­be­darfs der Rund­funk­an­stal­ten (KEF) sieht keine Ver­än­de­run­gen beim Rund­funk­bei­trag vor. Ein Aus­gleich für den Aus­fall aus der ver­zö­ger­ten Bei­trags­an­pas­sung mit rund 224,3 Mil­lio­nen Euro erfolgte nicht. Die KEF ver­weist dar­auf, dass die Kos­ten für Tele­me­dien und Live­streams auch in der Peri­ode 2021 bis 2024 „erheb­lich“ anstei­gen. Die erhöh­ten Auf­wen­dun­gen sind vor allem auf eine Aus­wei­tung des Ange­bots, auf einen höhe­ren Ver­brei­tungs­auf­wand auf­grund stei­gen­der Nut­zungs­zah­len und höhe­rer Video-Qua­li­tät (HD) sowie in gerin­ge­rem Maße auf die Erwei­te­rung der bar­rie­re­freien Ange­bote zurück­zu­füh­ren. Inner­halb von zwei Jah­ren, so die KEF, klet­terte der ange­mel­dete Auf­wand für Tele­me­dien um 225,0 Mil­lio­nen Euro (16,4%).

ARD und ZDF nah­men zudem mehr Geld mit dem Rund­funk­bei­trag ein. 8,42 Mil­li­ar­den Euro lan­de­ten 2021 an Erträ­gen aus dem Rund­funk­bei­trag auf dem Konto von ARD, ZDF und Deutsch­land­ra­dio. Im Ver­gleich zum Vor­jahr bedeu­tet das einen Zuwachs von 3,8 Pro­zent. Haupt­grund für den Anstieg war die vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt beschlos­sene Anpas­sung des Rundfunkbeitrags.

Unter­zeich­nung des Ent­wurfs des 3. Medienänderungsstaatsvertrages

Am 2. Juni hatte die Minis­ter­prä­si­den­ten­kon­fe­renz der Län­der dem Ent­wurf des novel­lier­ten Medi­en­staats­ver­tra­ges zur Reform des öffent­lich-recht­li­chen Rund­funks ihre Zustim­mung gege­ben. Eine der kon­tro­vers dis­ku­tier­ten Pas­sa­gen war die For­mu­lie­rung zum Unter­hal­tungs­an­ge­bot: „Die öffent­lich-recht­li­chen Ange­bote haben der Kul­tur, Bil­dung, Infor­ma­tion und Bera­tung zu die­nen. Unter­hal­tung, die einem öffent­lich-recht­li­chen Pro­fil ent­spricht, ist Teil des Auf­trags.“ Das bedeu­tet, dass nur die Unter­hal­tungs­sen­dun­gen, die einem sol­chen Pro­fil ent­spre­chen, künf­tig im Pro­gramm ange­bo­ten wer­den dür­fen. Neben der Fle­xi­bi­li­sie­rung des Pro­gramm­an­ge­bo­tes und der damit ver­bun­de­nen deut­lich redu­zier­ten Beauf­tra­gung von linea­ren Ange­bo­ten­fin­den sich wich­tige Ände­run­gen im § 31 zu den Auf­ga­ben der Rund­funk- und Fern­sehräte. So sol­len die zustän­di­gen Gre­mien künf­tig über die „Erfül­lung des Auf­trags sowie über eine wirt­schaft­li­che und spar­same Haus­halts- und Wirt­schafts­füh­rung“ wachen.

Skan­dal: Miss­brauch von Bei­trags­gel­dern im RBB

Das Online-Por­tal „Busi­ness Insi­der“ hatte Ende Juni erst­mals über Vor­würfe gegen die RBB-Inten­dan­tin Patri­cia Schle­sin­ger und die Lei­tung berich­tet. Ihr wird Vet­tern­wirt­schaft, Vor­teils­nahme und Ver­schwen­dung vor­ge­wor­fen. Schle­sin­ger selbst weist alle Vor­würfe zurück. Der RBB-Rund­funk­rat hat sie als Inten­dan­tin abbe­ru­fen, die Vor­sit­zende des Rund­funk­ra­tes sowie der Vor­sit­zende des Ver­wal­tungs­bei­ra­tes tra­ten zurück, es wurde eine Inte­rims­in­ten­dan­tin gewählt. Zudem ermit­telt die Gene­ral­staats­an­walt­schaft Ber­lin. Die Miss­stände beim RBB haben eine Ver­trau­ens­krise des öffent­lich-recht­li­chen Rund­funks aus­ge­löst und die For­de­run­gen nach einer grund­le­gen­den Reform verstärkt.

Bun­des­rat for­dert schnelle Presseförderung

Der Bun­des­rat for­derte, auf Anre­gung meh­re­rer Län­der am 21. Sep­tem­ber, die Bun­des­re­gie­rung auf, schnellst­mög­lich Maß­nah­men zu ergrei­fen, um die flä­chen­de­ckende Ver­sor­gung mit Pres­se­er­zeug­nis­sen wei­ter­hin gewähr­leis­ten zu kön­nen. Die Zustel­lung von peri­odi­schen Pres­ser­zeug­nis­sen wird vor allem in länd­li­chen Gebie­ten pro­ble­ma­ti­scher. Sin­kende Auf­la­gen, höhere Papier­preise und stei­gende Ener­gie- und Sprit­aus­ga­ben füh­ren bei der Belie­fe­rung der Abo-Kun­den zu immer höhe­rem finan­zi­el­lem Auf­wand. Dadurch wer­den zuneh­mend mehr Zustell­ge­biete unwirt­schaft­lich. Hinzu kommt eine seit Okto­ber 2022 deut­li­che Erhö­hung der Lohn­kos­ten, die wei­tere nega­tive Aus­wir­kun­gen für die Ver­lage mit sich brin­gen wird. Nach einer Stu­die vom Mai 2020 sind bis 2025 40 Pro­zent der Regio­nen Deutsch­lands nicht mehr kos­ten­de­ckend mit Pres­se­er­zeug­nis­sen zu ver­sor­gen. Das betrifft fast 5 Mil­lio­nen Bürger.

ARD Kul­tur gestartet

Am 26. Okto­ber star­tete die ARD, drei Jahre nach dem ZDF, ein eige­nes Kul­tur­por­tal. Karola Wille, MDR-Inten­dan­tin und eine der Initia­to­ren von ARD Kul­tur betonte, dass das Por­tal den Kul­tur­auf­trag umsetze und den öffent­lich-recht­li­chen Mar­ken­kern in einer Zeit tie­fer Kri­sen stärke. Ins­ge­samt hat der MDR knapp fünf Mil­lio­nen Euro ein­ge­plant. Zum Start stan­den ca. 150 Bei­träge – Video und Audio – im Por­tal. Die Abstim­mung über Por­tal­in­halte erfolgt im Dia­log mit den Lan­des­rund­funk­an­stal­ten, die die Bei­träge auch auf Lauf­zei­ten-Rechte prü­fen. Letzt­end­lich liegt die Ent­schei­dung jedoch bei ARD Kul­tur. Die Redak­tion ori­en­tiere sich bei ihren Inhal­ten, so Wille, an der Defi­ni­tion des Medienstaatsvertrages.

Rede Tom Buhr­ows in Hamburg

Tom Buhrow, Inten­dant des West­deut­schen Rund­funks (WDR) und amtie­ren­der ARD-Vor­sit­zen­der, hat sich am 2. Novem­ber in einer Rede vor dem Ver­ein Über­see-Club in Ham­burg für eine große Rund­funk-Reform und einen neuen Gesell­schafts­ver­trag für die öffent­lich-recht­li­chen Sen­der aus­ge­spro­chen. Der Inten­dant, der aus­drück­lich als „Pri­vat­mann“ sprach und mehr Fra­gen auf­warf, als Ant­wor­ten gab, plä­dierte für einen „Run­den Tisch“ und for­derte die Län­der zu mehr Reform­mut auf. Seine Idee einer Struk­tur­re­form sieht mög­li­cher­weise nur einen natio­na­len TV-Sen­der vor und eine Redu­zie­rung der Lan­des­rund­funk­an­stal­ten. Heike Raab, die Koor­di­na­to­rin der Medi­en­po­li­tik der Län­der, hat gegen­über der „Süd­deut­schen Zei­tung“ ihre Ver­wun­de­rung gezeigt, dass der ARD-Vor­sit­zende nicht in der Rund­funk­kom­mis­sion der Län­der am 19. Okto­ber seine Über­le­gun­gen ein­ge­bracht habe. Die dort eige­la­de­nen Inten­dan­ten hat­ten, trotz Auf­for­de­rung, keine Reform­vor­schläge präsentiert.

Tech-Kon­zerne mit gebrems­tem Wachstum

Zum Jah­res­ende gab es meh­rere Berichte über Stel­len­ab­bau und zurück­ge­hende Umsätze bei Tech-Kon­zer­nen, haupt­säch­lich wegen rück­läu­fi­ger Wer­be­um­sätze. So will Ama­zon mehr als 10.000 Mit­ar­bei­tende ent­las­sen. Die Coro­na­pan­de­mie hatte bei vie­len Digi­tal­kon­zer­nen für eine Son­der­kon­junk­tur gesorgt, deren Höhe­punkt wohl über­schrit­ten ist. So kün­dete die Google-Mut­ter Alpha­bet bereits im Som­mer an, das Ein­stel­len neuen Per­so­nals zu ver­lang­sa­men. Meta, der Face­book-Mut­ter­kon­zern, plant den größ­ten Stel­len­ab­bau in der Geschichte des Unter­neh­mens: rund 13 Pro­zent der Beleg­schaft sind betrof­fen. Die Ent­wick­lung des „Meta­verse“ soll das Unter­neh­men Mil­li­ar­den kos­ten, ohne das Pro­fit abseh­bar ist. Elon Musk hat bei Twit­ter die Hälfte der 6.000 Twit­ter-Mit­ar­bei­ten­den ent­las­sen. Trotz aller Pro­bleme schrei­ben diese Unter­neh­men wei­ter­hin schwarze Zah­len und ver­die­nen Geld. Im drit­ten Quar­tal waren es bei Micro­soft, Ama­zon, Face­book und Alpha­bet ins­ge­samt 38,8 Mil­li­ar­den Dollar.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 12/2022-01/2023.

Von |2023-03-02T15:52:12+01:00Dezember 2nd, 2022|Medien|Kommentare deaktiviert für

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Ein medi­en­po­li­ti­scher Jah­res­rück­blick auf 2022

Helmut Hartung ist Chefredakteur des Blogs medienpolitik.net.