Berufs­feld rebooted

Fach­kräf­te­man­gel in Bibliotheken

F ach­kräfte feh­len in vie­len Bran­chen und die Situa­tion macht in Biblio­the­ken nicht halt. Blickt man auf die Struk­tur der Biblio­the­ken in Deutsch­land, mit Hun­der­ten gro­ßer kom­mu­na­ler Biblio­the­ken und wis­sen­schaft­li­cher Biblio­the­ken an Hoch­schu­len, sowie Tau­sen­den klei­nen Biblio­the­ken mit gerin­ger Per­so­nal­aus­stat­tung, die einen Man­gel nicht gut auf­fan­gen kön­nen, so wird ins­be­son­dere für den länd­li­chen Raum eine dra­ma­tisch wer­dende Unter­ver­sor­gung erkenn­bar. Auch wer­den im Biblio­theks- und Infor­ma­ti­ons­sek­tor gut aus­ge­bil­dete IT-Kräfte, Pro­gram­mie­re­rin­nen und Ent­wick­ler benö­tigt, die in der berufs­spe­zi­fi­schen Eng­pass­ana­lyse der Bun­des­agen­tur für Arbeit (BfA) so nicht auf­tau­chen. Sie wer­den über­all gebraucht.

Rund 1.800 bis 2.000 junge Men­schen tre­ten in der Biblio­theks­bran­che aktu­ell im Jahr auf den Arbeits­markt. Sie haben eine Aus­bil­dung als Fach­an­ge­stellte für Medien- und Infor­ma­ti­ons­dienste oder ein Bache­lor- oder Mas­ter-Stu­dium mit der Aus­rich­tung Biblio­theks- und Infor­ma­ti­ons­wis­sen­schaft abge­schlos­sen. Sie fin­den Stel­len in Gemeinde-, Stadt- und Uni­ver­si­täts­bi­blio­the­ken, in Ver­la­gen, Rechts­an­walts­kanz­leien, wirt­schaft­li­chen Betrie­ben oder Wis­sen­schafts­or­ga­ni­sa­tio­nen. Auf Absol­ven­ten war­ten ca. 2.200 Stel­len­aus­schrei­bun­gen, die auf dem Job­por­tal openbibliojob.de im Jahr inse­riert wer­den. Ein­deu­tig ein Arbeit­neh­mer­markt. Die Pro­gnose bleibt grau. Die Bewer­ben­denzah­len für Aus­bil­dungs­stel­len sind rück­läu­fig, auch die Zahl der Stu­di­en­platz­be­wer­ben­den für biblio­theks­spe­zi­fi­sche Stu­di­en­gänge sinkt. Dem gegen­über steht eine explo­dierte Anzahl an unter­schied­li­chen Stu­di­en­gän­gen, was Stu­di­en­in­ter­es­sier­ten erschwert, einen pas­sen­den Über­blick zu bekom­men. Viele Berufs­fel­der ste­hen in einem extre­men Wett­be­werb, wer nicht auf­fällt und für Inter­es­sierte nicht sicht­bar ist, der wird vergessen.

Die demo­gra­fi­sche Ent­wick­lung ist wie in ande­ren Berufs­fel­dern spür­bar. Gebur­ten­starke Jahr­gänge, die Boo­mer und Gene­ra­tion X, gehen auch in Biblio­the­ken nach und nach in Rente. Stel­len, die aktu­ell aus­ge­schrie­ben wer­den, gehen häu­fig in die Frist­ver­län­ge­rung oder wer­den erneut aus­ge­schrie­ben. Vakanz­zeit heißt es in der Sta­tis­tik. Was sich in Zah­len nicht wie­der­fin­det, ist die gestie­gene Belas­tung der Beschäf­tig­ten, die auf Unter­stüt­zung durch neue Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen warten.

Die aktu­el­len Her­aus­for­de­run­gen und drin­gen­den Hand­lungs­fel­der sind: qua­li­fi­zier­tes Per­so­nal zu fin­den, zu hal­ten und wei­ter­zu­ent­wi­ckeln sowie junge Men­schen für Aus­bil­dung und Stu­dium zu begeis­tern. Gerne zu lesen scha­det dabei nicht, aber es sollte nicht die ein­zige Moti­va­tion blei­ben. Eine Vor­aus­set­zung ist es alle­mal nicht. Die Arbeit in Biblio­the­ken ist keine Arbeit mit Büchern, son­dern mit Men­schen. Der Kern von Biblio­the­ken ist ein alter und immer wie­der neuer: Sie ermög­li­chen Teil­habe am gesell­schaft­li­chen sowie wis­sen­schaft­li­chen Leben.

Und so sucht das Berufs­feld Men­schen, die offen sind, kon­takt­freu­dig, gerne zuhö­ren und reden, hel­fen, einen Ort des Aus­tauschs bie­ten, Lern­an­ge­bote für Lese­an­fän­ger bis zu Senio­ren bie­ten und Inter­esse an Pro­blem­lö­sun­gen haben. Die Suche nach Per­so­nal hat daher den Fokus auf Men­schen, die Infor­ma­tio­nen und Wis­sen bereit­stel­len kön­nen und Ler­nen­den hel­fen. Mit ihrer eige­nen päd­ago­gi­schen Kom­pe­tenz kön­nen sie andere unter­stüt­zen bei der Ent­wick­lung ihrer Lese-, Infor­ma­ti­ons- und Medi­en­kom­pe­tenz. Sie kön­nen mit Daten, Infor­ma­tio­nen, Meta­da­ten umge­hen, um IT-Ser­vices, Open Access und Open Sci­ence bis hin zu Citi­zen Sci­ence unter­stüt­zen kön­nen. Beschäf­tigte in Biblio­the­ken sind heute nicht nur Infor­ma­ti­ons­spe­zia­lis­ten, sie sind Infor­ma­ti­ons­päd­ago­gen, Data Ste­wards, Com­mu­nity Mana­ger, Open-Science-Supporter.

Die Aus­bil­dung und ins­be­son­dere die Stu­di­en­gänge haben bereits neben der Grund­aus­bil­dung ein sehr dif­fe­ren­zier­tes Wahl­pflicht­pro­gramm im Ange­bot, um die­sen gewach­se­nen Ansprü­chen gerecht zu wer­den. Die Aus­bil­dungs­ord­nung für Fach­an­ge­stellte befin­det sich aktu­ell im Relaunch, die Cur­ri­cula der Hoch­schu­len sind in einem stän­di­gen Anpas­sungs­pro­zess. Zer­ti­fi­zierte Wei­ter­bil­dungs­kurse ergän­zen den Bedarf. Das Ange­bot schrumpft jedoch, wenn den Hoch­schu­len als qua­li­fi­zier­ten Wei­ter­bil­dungs­an­bie­ten­den keine Mög­lich­kei­ten zur Quer­fi­nan­zie­rung gege­ben wer­den kön­nen. Solange die hohen Kos­ten auf Teil­neh­mende ver­la­gert wer­den, reicht ihre Frei­stel­lung als Bil­dungs­zeit nicht aus. Dane­ben bleibt ein gro­ßes Desi­de­rat, Exper­tin­nen und Spe­zia­lis­ten aus ande­ren Bran­chen wie IT, Mar­ke­ting, Recht oder Ver­wal­tung in Biblio­the­ken ein­zu­set­zen. Erkannt wird auch das man­gelnde Ange­bot für Quer­ein­stei­ger. Hier ist neben Fort­bil­dun­gen und Exter­nen­prü­fung wenig, was Men­schen aus ande­ren Bran­chen hel­fen könnte, in die Berufs­welt der Biblio­the­ken ein­zu­stei­gen. Noch.

Die aktu­elle Situa­tion bie­tet auch die Chance, umzu­den­ken. Jün­gere Gene­ra­tio­nen neh­men ihre Work-Life-Balance ernst und neh­men sich Zeit für das Leben, dann kommt die Arbeit.

Die per­sön­li­che Wei­ter­ent­wick­lung und die Erwar­tung, eigene Qua­li­fi­ka­tio­nen ein­brin­gen zu kön­nen, ste­hen im Fokus. Daran kön­nen Biblio­the­ken als Arbeit­ge­bende anknüp­fen, indem sie Berufs­ein­stei­gen­den bereits früh Ent­wick­lungs­per­spek­ti­ven anbie­ten und für ein Klima mit kla­ren Auf­ga­ben und hoher Eigen­ver­ant­wor­tung sorgen.

Biblio­the­ka­ri­sche Ver­bände reagie­ren pro­ak­tiv: Um dem Fach­kräf­te­man­gel ent­ge­gen­zu­wir­ken und Biblio­the­ken als attrak­tive Arbeit­ge­bende sicht­ba­rer zu machen, rief der Dach­ver­band Biblio­thek Infor­ma­tion Deutsch­land (BID) bereits 2018 die ver­bands­über­grei­fende AG Per­so­nal­ge­win­nung ins Leben mit dem Ziel, durch Ana­ly­sen und Initia­ti­ven das Berufs­feld zu unter­stüt­zen, Kern­aus­sa­gen zum moder­nen Selbst­bild zu erar­bei­ten, das Image zu pro­fi­lie­ren und Maß­nah­men zur Per­so­nal­ge­win­nung aufzuzeigen.

Durch gemein­sam abge­stimmte Aktio­nen, durch Gesprä­che mit den aus­bil­den­den Hoch­schu­len und Berufs­schu­len, mit Trä­gern in Kom­mune und Hoch­schule, durch eine ver­stärkte Kom­mu­ni­ka­tion mit poten­zi­ell Inter­es­sier­ten, Schü­le­rin­nen und Schü­lern wie auch inter­es­sier­ten Quer­ein­stei­gern ist ein wert­vol­les Feed­back ent­stan­den. Hier­aus ging her­vor, dass der Wert von Biblio­the­ken, die Leis­tungs­fä­hig­keit und das sehr diverse Berufs­feld nicht auto­ma­tisch sicht­bar sind und stets deut­lich kom­mu­ni­ziert wer­den müs­sen. Die Kom­mu­ni­ka­tion mit poten­zi­el­len Berufs­in­ter­es­sier­ten sollte mög­lichst nah an den All­tag und das Medi­en­ver­hal­ten anknüp­fen. Neben der Kom­mu­ni­ka­tion über soziale Medien gehö­ren die Prä­senz auf Berufs­mes­sen, in Schu­len oder das Ange­bot von abwechs­lungs­reich gestal­te­ten Prak­tika zu ers­ten erfolg­ver­spre­chen­den Maßnahmen.

Die Arbeit der AG geht aktu­ell über in eine ver­bands­über­grei­fende Kom­mis­sion Per­so­nal­ge­win­nung, getra­gen vom Deut­sche Biblio­theks­ver­band zusam­men mit dem Ver­ein Deut­scher Biblio­the­ka­rin­nen und Biblio­the­kare sowie dem Berufs­ver­band Infor­ma­tion Biblio­thek. Erst­ma­lig finan­zie­ren die Biblio­theks­ver­bände zudem eine Stelle für Per­so­nal­mar­ke­ting. Im Rah­men des Pro­jek­tes „Per­so­nal­ge­win­nung Berufs­feld Biblio­thek und Infor­ma­tion“ wird ein Mar­ke­ting­kon­zept mit dem Ziel ent­wi­ckelt, Inter­es­sierte für eine Aus­bil­dung, ein Stu­dium oder einen Quer­ein­stieg im Berufs­feld Biblio­thek zu gewinnen.

Die Her­aus­for­de­run­gen der Per­so­nal­ge­win­nung ist auch eine Chance für Biblio­the­ken. Das Berufs­feld wird noch bun­ter und kann auf ein dyna­mi­sches Umfeld fle­xi­bler reagie­ren. Diver­si­tät, Koope­ra­tion, Agi­li­tät sind neue Werte in der Arbeit.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 12/2022-01/2023.

Von |2023-03-02T15:10:20+01:00Dezember 2nd, 2022|Arbeitsmarkt|Kommentare deaktiviert für

Berufs­feld rebooted

Fach­kräf­te­man­gel in Bibliotheken

Ute Engelkenmeier ist Vorsitzende des Berufsverbands Information Bibliothek (BIB) und Mitglied der Kommission Personalgewinnung der bibliothekarischen Verbände.