„Kul­tur braucht Frie­den, Kul­tur schafft Frieden“

Der deut­sche UNESCO-Bot­schaf­ter Peter Reuss im Gespräch

Lud­wig Gre­ven spricht mit dem deut­schen UNESCO-Bot­schaf­ter Peter Reuss über die Welt­kul­tur­kon­fe­renz in Mexiko, die Zer­stö­rung von ukrai­ni­schen Kul­tur­gü­tern durch rus­si­sche Angriffe, und was die Welt dage­gen tun kann, sowie über „Fair Culture“.

Lud­wig Gre­ven: Die Welt­kul­tur­kon­fe­renz Mon­dia­cult hat Ende Sep­tem­ber auch über den Schutz von Kul­tur­gü­tern bera­ten. Russ­land greift in der Ukraine neben zivi­len Zie­len auch gezielt Kul­tur­ein­rich­tun­gen an. Was kann die UNESCO und damit die Staa­ten­ge­mein­schaft tun, um die ukrai­ni­schen Kul­tur­schätze zu retten?
Peter Reuss: Die UNESCO zählt bis­lang mehr als 200 wert­volle ukrai­ni­sche Kul­tur­stät­ten, die zer­stört oder beschä­digt sind, Thea­ter, Museen, Biblio­the­ken, Denk­mä­ler. Dazu Uni­ver­si­tä­ten und mehr als 2.600 Schu­len. Ich sehe hier klare Ver­stöße gegen die Haa­ger Kon­ven­tion von 1954 zum Schutz von Kul­tur­gut in bewaff­ne­ten Kon­flik­ten. Diese Kon­ven­tion wurde 1999 durch ein Zusatz­pro­to­koll auch auf inner­staat­li­che Kon­flikte und vor allem um ein Instru­ment erwei­tert, um Schul­dige zur Ver­ant­wor­tung zu zie­hen. Russ­land hat das Pro­to­koll aller­dings nicht rati­fi­ziert, ebenso nicht das Römi­sche Sta­tut des Haa­ger Gerichts. 2017 wurde vom Inter­na­tio­na­len Straf­ge­richts­hof in Den Haag dar­auf­hin erst­mals ein Ver­ant­wort­li­cher ver­ur­teilt für die Zer­stö­rung der auf die Liste des UNESCO-Welt­erbes ein­ge­tra­ge­nen Mau­so­leen in Tim­buktu. Ver­fol­gung und Stra­fen sind daher der­zeit keine Option. Den­noch doku­men­tiert die UNESCO die Zer­stö­run­gen in der Ukraine mit dem Ziel, spä­ter die Ver­ant­wort­li­chen zur Rechen­schaft zu ziehen.

Kann sie selbst Kul­tur­ein­rich­tun­gen schützen?
Die UNESCO schützt, indem sie klar macht, was schüt­zens­werte Gebäude, Kul­tur­gü­ter und Archive sind. Das geschieht durch das Anbrin­gen des Emblems der Haa­ger Kon­ven­tion, die bekann­ten blauen Rau­ten-Schil­der, „Blue Shield“, gerade in den letz­ten Mona­ten in der Ukraine. Diese Schutz­ab­sicht wird jedoch dadurch kon­ter­ka­riert, dass die Rus­sen Angst und Schre­cken gerade dadurch ver­brei­ten wol­len, dass sie ganz bewusst zivile Ziele angrei­fen, dar­un­ter auch bedeu­tende kul­tu­relle. Wir haben die Gene­ral­di­rek­to­rin der UNESCO beauf­tragt, genau zu beob­ach­ten und zu berich­ten, was in der Ukraine geschieht, ein­schließ­lich der Krim. Mit brei­ter Mehr­heit, gegen die Stim­men von Russ­land und China. Eine Exper­ten­kom­mis­sion ver­sucht, sich im Land selbst ein Bild zu ver­schaf­fen. Wo wir kön­nen, hel­fen wir auch bei Ret­tungs­maß­nah­men und spä­ter bei der Koor­di­nie­rung des Wie­der­auf­baus. Das gilt für die UNESCO wie für die Bundesregierung.

Was ist Völ­ker­recht wert, wenn es Kriegs­her­ren wie Putin bewusst ver­let­zen? Ähn­lich hat ja auch der IS die antike Stätte Pal­myra in Syrien zerstört.
Ich sehe große Fort­schritte in den letz­ten 25 Jah­ren. Frü­her war es ein­fa­cher, sol­che Ver­bre­chen als Kava­liers­de­likte abzu­tun. Seit dem Pro­to­koll von 1999 ist klar: Wer gegen die völ­ker­recht­lich ver­bind­li­chen Kon­ven­tio­nen ver­stößt, begeht Kriegs­ver­bre­chen und Ter­ror­akte. Es droht eine Anklage vor dem Inter­na­tio­na­len Straf­ge­richts­hof. Natür­lich ist die­ser Rechts­kon­sens nicht völ­lig zufriedenstellend.

Wol­len Putin und sein Regime die Ukraine als eigen­stän­dige Kul­tur­na­tion auslöschen?
Dar­über müs­sen wir nicht spe­ku­lie­ren – denn genau diese Absicht wird von der rus­si­schen Füh­rung und in den Medien dau­ernd unzwei­deu­tig wie­der­holt. Eine eigen­stän­dige ukrai­ni­sche Kul­tur wird in Abrede gestellt. Und mili­tä­risch ange­grif­fen, um sie zu vernichten.

In der Abschluss­erklä­rung der Kon­fe­renz in Mexiko wird der rus­si­sche Ver­nich­tungs­krieg aber nicht benannt.
Die Kon­fe­renz wurde vom Krieg über­schat­tet. Wir haben bei jeder Gele­gen­heit den absur­den Behaup­tun­gen der rus­si­schen Dele­ga­tion wider­spro­chen. Im Abschluss­ple­num haben wir mit 47 ande­ren Staa­ten den Raum ver­las­sen, als die Rus­sen das Wort ergrif­fen. Wir haben uns auch nach­drück­lich dafür ein­ge­setzt, den rus­si­schen Angriffs­krieg in der Abschluss­erklä­rung expli­zit zu benen­nen. Wir haben dafür aber nicht genü­gend Unter­stüt­zung erhalten.

Auch hier­zu­lande wurde die Ukraine von vie­len bis zum Krieg nicht als Kul­tur­na­tion mit eige­ner Geschichte betrach­tet, son­dern als Teil Russ­lands. Man­che sehen das immer noch so.
Es stimmt, dass viele von uns die eigen­stän­dige Spra­che, Geschichte und Kul­tur der Ukraine bis zum Euro­mai­dan 2013 und man­che bis zum jet­zi­gen Krieg viel zu wenig wahr­ge­nom­men haben. Wir wuss­ten zu wenig über ihr Lei­den in den Zei­ten der Sowjet­union, sowohl beim deut­schen Ver­nich­tungs­krieg als auch beim Holo­do­mor unter Sta­lin, dem ver­ord­ne­ten Völ­ker­mord an Mil­lio­nen Ukrai­nern durch Hun­ger. Auch für den Holo­caust an ukrai­ni­schen Juden haben wir uns viel zu wenig inter­es­siert. Unter den Opfern des deut­schen Über­falls auf die Sowjet­union waren übri­gens ähn­lich viele Ukrai­ner wie Rus­sen, im Ver­hält­nis zur Bevöl­ke­rung sogar weit mehr. Die sowje­ti­schen Kriegs­denk­mä­ler in Ber­lin geden­ken nicht der rus­si­schen Befreier, son­dern der sowje­ti­schen, dar­un­ter viele Ukrainer.

Soll­ten diese Monu­mente erhal­ten werden?
Ja, dazu sind wir durch den 2+4-Vertrag ver­pflich­tet. Der ukrai­ni­sche Bot­schaf­ter Mel­nyk hat ein Zei­chen gesetzt, indem er am 8. Mai die­ses Jah­res mit einem Kranz am sowje­ti­schen Ehren­mal der ukrai­ni­schen Gefal­le­nen gedacht hat.

Wel­chen Bei­trag kann kul­tu­rel­ler Aus­tausch leis­ten, um Kon­flikte zu lösen, damit es erst gar nicht zu Krie­gen kommt?
In die­ser Frage steckt die Grün­dungs­idee der UNESCO. In der Prä­am­bel ihrer Ver­fas­sung steht: „Da Kriege im Geist der Men­schen ent­ste­hen, muss auch der Frie­den im Geist der Men­schen ver­an­kert wer­den.“ Das soll gesche­hen über Bil­dung, Kul­tur, Wis­sen­schaft und Kom­mu­ni­ka­tion. Das ist heute so aktu­ell wie damals und alles andere als naiv. Der UN-Sicher­heits­rat soll mili­tä­ri­sche Kon­flikte been­den, die UNESCO soll sie über Bil­dungs- und Kul­tur­aus­tausch lang­fris­tig verhindern.

Mit Russ­land pflegte gerade Deutsch­land über Jahr­zehnte einen regen kul­tu­rel­len Aus­tausch. Den­noch greift das Land uns jetzt mit einem Ener­gie- und Wirt­schafts­krieg an, mit brei­ter Unter­stüt­zung aus der rus­si­schen Gesellschaft.
Putin war im ernüch­ter­ten Rück­blick von Anfang an ein Gewalt­herr­scher. Wir hät­ten das seit der Mün­che­ner Sicher­heits­kon­fe­renz 2007 sehen müs­sen. Lei­der scheint es, dass unsere Aus­tausch­an­ge­bote die rus­si­sche Gesell­schaft nicht aus­rei­chend erreicht haben.
Das Haupt­ziel der Kon­fe­renz in Mexiko war die Aner­ken­nung von Kul­tur als glo­ba­les öffent­li­ches Gut. Was ist damit gemeint?
In Deutsch­land spre­chen wir der­zeit über Kul­tur als Staats­ziel, das ent­spricht der Idee von Kul­tur als glo­ba­lem öffent­li­chem Gut. Wir wol­len damit Kul­tur als eige­nes Ziel in der Debatte über eine Wei­ter­ent­wick­lung der Nach­hal­tig­keits­ziele der UN ab 2030 ver­an­kern. Kul­tur­ziele heißt nicht, dass wir die Kul­tur gän­geln wol­len. Die Frei­heit der Kunst ist für die UNESCO obers­ter Wert. Aber wir wis­sen, dass Kul­tur hilf­reich sein kann beim Errei­chen der glo­ba­len Nachhaltigkeitsziele.

Die UNESCO for­dert auch kul­tu­relle Men­schen­rechte. Wo wer­den sie bedroht?
Die unteil­ba­ren Men­schen­rechte sind auch die von Kul­tur­schaf­fen­den, und es gibt ein Men­schen­recht auf Teil­habe an Kul­tur. Sie wer­den in vie­len Län­dern ange­grif­fen, wir haben in Mexiko erschüt­ternde Berichte gehört. Wo Men­schen­rechte mit Füßen getre­ten wer­den, hat es die Kul­tur schwer – sie ist aber gerade dann auch beson­ders stark, wenn ich an die Auf­füh­rung der Schost­a­ko­witsch-Sym­pho­nien im bela­ger­ten Lenin­grad oder auch jetzt an die Ukraine denke, wo Men­schen wäh­rend der Rake­ten­an­griffe in der Kie­wer U-Bahn sin­gen. Den­noch: Kul­tur braucht Frie­den, und Kul­tur stärkt Frieden.

Die Deut­sche UNESCO-Kom­mis­sion hat sich bei der Kon­fe­renz in Mexiko mit einer eige­nen Ver­an­stal­tung zu „Fair Cul­ture“ ein­ge­bracht. Wol­len Sie ein Sie­gel für nach­hal­tige, sozial gerecht pro­du­zierte Kunst, ähn­lich wie bei Fairtrade?
Wir wol­len tat­säch­lich an Ideen und Erfolge der Fair­trade-Bewe­gung anknüp­fen und prü­fen, was davon auf die Kul­tur und Krea­tiv­wirt­schaft über­trag­bar ist. Dass z. B. welt­weit die Arbeit­neh­mer­rechte der Men­schen, die an einem Film­set arbei­ten, respek­tiert wer­den. Dass Musi­ke­rin­nen aus Afrika einen fai­ren Anteil an den Ein­nah­men von digi­ta­len Platt­for­men erhal­ten. Wie man bei fair gehan­del­ter Scho­ko­lade von den Kakao­bau­ern über die Ver­ar­bei­tung bis zum Ver­trieb weiß, dass die Bedin­gun­gen fair sind, wol­len wir das auch für die Krea­tiv­bran­che errei­chen. Ich ver­mag nicht zu sagen, ob alle Ele­mente von Fair­trade über­trag­bar sind, aber wir wol­len in einen Dia­log ein­stei­gen, an dem sich alle betei­li­gen kön­nen. Ich finde, die Idee ist sehr kon­kret und erfolgversprechend.

Wol­len andere Län­der das auf­grei­fen? Wie steht die Krea­tiv­bran­che dazu?
Bei der Ver­an­stal­tung im Goe­the-Insti­tut in Mexiko hat­ten wir 100 Teil­neh­mer vor Ort und fast 400 online. Wir haben die Ver­an­stal­tung mit Part­nern aus Kenia, Kolum­bien, Süd­ko­rea, Frank­reich und Kanada sowie einem inter­na­tio­na­len zivil­ge­sell­schaft­li­chen Netz­werk orga­ni­siert. Die Reso­nanz ist durch­weg posi­tiv. Dass die Idee funk­tio­nie­ren könnte, sagt uns auch eine vom Bun­des­mi­nis­te­rium für wirt­schaft­li­che Zusam­men­ar­beit finan­zierte Stu­die der kana­di­schen Wis­sen­schaft­le­rin Véro­ni­que Guè­v­re­mont. Sie hat auch die Krea­tiv­bran­che befragt, mit durch­gän­gig posi­ti­ven Ergebnissen.

Vie­len Dank.

Die­ses Inter­view ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 11/2022.
Von |2023-03-02T15:11:22+01:00November 3rd, 2022|Menschenrechte|Kommentare deaktiviert für

„Kul­tur braucht Frie­den, Kul­tur schafft Frieden“

Der deut­sche UNESCO-Bot­schaf­ter Peter Reuss im Gespräch

Peter Reuss ist deutscher Botschafter bei der UNESCO, der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur. Ende September 2022 veranstaltete sie in Mexiko-City die dritte Weltkulturkonferenz – 40 Jahre nach der ersten, ebenfalls in Mexiko. Ludwig Greven ist freier Publizist.