Car­lotta Nwajide

Car­lotta Nwa­jide ist Pro­fi­ru­de­rin in der deut­schen Natio­nal­mann­schaft, Vize­welt­meis­te­rin und Euro­pa­meis­te­rin. Im Som­mer 2021 trat sie bei den Olym­pi­schen Spie­len in Tokio an. Ihre Lei­den­schaft fürs Rudern ent­deckte sie bereits wäh­rend der Schulzeit.

Als Mit­glied von „Ath­le­tes of Colour“ des Ver­bands Ath­le­ten Deutsch­land setzt sie sich gegen Ras­sis­mus im Pro­fi­sport ein. Dar­über hin­aus macht sie sich für die The­men Kli­ma­schutz und Nach­hal­tig­keit in ver­schie­de­nen Berei­chen stark.

Vie­len Dank, Car­lotta Nwa­jide, für dein sport­li­ches und viel­sei­ti­ges Engagement!

Du bist 2021 bei den Olym­pi­schen Spie­len in Tokio im Dop­pel­vie­rer beim Rudern ange­tre­ten. Wie hast du deine Lei­den­schaft für den Ruder­sport entdeckt?
Ich bin über eine Ruder-AG in mei­ner wei­ter­füh­ren­den Schule zum Rudern gekom­men. Damals ging ich mehr aus Grup­pen­zwang mit, als dass ich wirk­lich Lust aufs Rudern hatte. Es hat sich aber ziem­lich schnell her­aus­ge­stellt, dass ich gut im Rudern war, und das hat mich moti­viert dabei­zu­blei­ben. Damals dachte ich, wenn ich jetzt schon schnel­ler bin als alle aus mei­nem Ver­ein, wieso sollte ich dann nicht auch schnel­ler sein als Men­schen anderswo auf der Welt, wenn ich erst­mal anfan­gen würde rich­tig zu trainieren.

Der Sport wird oft als „Vor­zei­ge­mit­tel“ für gelun­gene Inte­gra­tion ange­bracht. Wie stehst du dem gegen­über? Und was sind deine per­sön­li­chen Erfahrungen?
Ich halte nicht viel vom Inte­gra­ti­ons­be­griff. Die For­de­rung nach Inte­gra­tion kommt meist von wei­ßen Men­schen aus einer domi­nie­ren­den Gruppe, die davon aus­geht, die Ent­schei­dungs­ho­heit dar­über zu haben, was „deutsch“ sei und wer dazu­ge­höre. Nicht weiße Men­schen wer­den dabei als nicht „deutsch“ gese­hen, egal ob sie in Deutsch­land gebo­ren sind oder nicht. Da die domi­nie­rende Gruppe ent­schie­den hat, dass Merk­male wie Haut­farbe zäh­len, wird es einer nicht wei­ßen Per­son nie mög­lich sein, voll­stän­dig Teil zu sein. Zu Inte­gra­tion gehört auch ein Macht­ge­fälle, in der die domi­nie­rende Gruppe immer bestimmt, wer dazu­ge­hö­ren darf bzw. wer nicht dazu­ge­hört. Die domi­nie­rende Gruppe schlägt auch nicht vor, etwas von sich selbst abzu­ge­ben und auf andere zuzu­ge­hen, son­dern stellt vor allem For­de­run­gen an die zu ande­ren gemach­ten Men­schen. Dadurch fin­det kein auf­ein­an­der zuge­hen auf Augen­höhe statt, son­dern eine Repro­duk­tion ras­sis­ti­scher Macht­ge­fälle. Daher bin ich der Mei­nung, dass das Inte­gra­ti­ons­kon­zept aus der Zeit gefal­len ist und nicht für Gerech­tig­keit sor­gen wird.

„Ich halte nicht viel vom Inte­gra­ti­ons­be­griff. Die For­de­rung nach Inte­gra­tion kommt meist von wei­ßen Men­schen aus einer domi­nie­ren­den Gruppe.“

In Bezug auf Sport ist meine Erfah­rung, dass Sport als Teil der Gesell­schaft nicht frei von Ras­sis­mus ist. Mit dem Zitat „Sport sei Vor­zei­ge­mit­tel für Zusam­men­halt“ machen wir uns als Gesell­schaft etwas vor und ver­hin­dern gleich­zei­tig, Ras­sis­mus wirk­lich abzu­bauen. Zum einen fin­det auf dem Spiel­feld und in den Umklei­den Ras­sis­mus genauso statt wie in ande­ren Berei­chen auch. Dar­über hin­aus brau­chen Men­schen für Sport Res­sour­cen und die sind ungleich ver­teilt. Und wer­fen wir abschlie­ßend einen Blick in die Stel­len von Trainer*innen, Verbandsvertreter*innen und Funktionär*innenebenen wird sehr schnell klar, dass auch hier BIPoC kaum Zugänge haben.

Als Sport­le­rin hast du dir die Auf­gabe als Akti­vis­tin nicht aus­ge­sucht, son­dern bist viel­mehr hin­ein­ge­wach­sen – so hast du es selbst ein­mal beschrie­ben. Du bist Mit­glied einer im Jahr 2020 gegrün­de­ten Anti-Ras­sis­mus-AG, die sich an die deut­schen Sport­ver­bände rich­tet. Wofür setzt sich die AG ein?
Wir for­dern, dass sich Sport­ver­bände dafür ein­setz­ten, den Ras­sis­mus, der in den Sport­ar­ten und den Ver­bän­den repro­du­ziert wird, abzu­bauen und ein Umfeld zu schaf­fen, das für alle Athlet*innen ein­la­dend ist, nicht nur für weiße Athlet*innen. Dafür for­dern wir im ers­ten Schritt kon­kret vier Punkte:

  1. Ein öffent­li­ches Bekennt­nis gegen Ras­sis­mus von den Verbänden
  2. Sen­si­bi­li­sie­rungs­maß­nah­men im Rah­men von Lehr­gän­gen und Trainer*innenausbildung
  3. Ein­füh­rung von kla­ren Ver­fah­rens­wei­sen und Sank­ti­ons­prak­ti­ken bei ras­sis­ti­schen Vor­fäl­len, ein­schließ­lich Hin­weise für die Wei­ter­lei­tung an ent­spre­chende Bera­tungs- oder Mediationsstellen
  4. Ein­füh­rung und Umset­zung von Leit­li­nien zum Umgang mit ras­sis­ti­schen Kom­men­ta­ren und
    ander­wei­ti­ger Hass­rede in den sozia­len Netz­wer­ken („com­mu­nity management“)

„Es schien, als wurde ihnen zum ers­ten Mal bewusst, dass es in Deutsch­land Ras­sis­mus gibt.“

Im Früh­jahr 2020 kamen die Black-Lives-Mat­ter-Pro­teste ver­stärkt nach Europa. Hat sich dei­ner Mei­nung nach seit­dem etwas an der Ras­sis­mus-Debatte in Deutsch­land ver­än­dert? Und was fehlt die­ser Debatte weiterhin?
Im Jahr 2020 gab es einen kur­zen Moment, in dem sehr viele weiße Men­schen und weiß besetzte Insti­tu­tio­nen plötz­lich etwas gegen Ras­sis­mus machen woll­ten. Es schien, als wurde ihnen zum ers­ten Mal bewusst, dass es in Deutsch­land Ras­sis­mus gibt. Dabei erle­ben meine Fami­lie und ich Ras­sis­mus schon unser gan­zes Leben lang.

Lei­der ist es seit 2020 immer stil­ler gewor­den. Auch wenn das Grund­be­wusst­sein, dass Ras­sis­mus ein deut­sches Pro­blem ist, zwar ange­stie­gen ist, sta­gnie­ren die Hand­lun­gen, um zu Ver­än­de­rung bei­zu­tra­gen. Mei­ner Mei­nung nach wird zu häu­fig an dem Punkt auf­ge­hört, an dem es anstren­gend wird: In dem Moment, in dem bemerkt wird, dass anti-ras­sis­tisch han­deln auch bedeu­tet zu arbei­ten, zu ler­nen, Pri­vi­le­gien abzu­le­gen, Platz zu machen, andere spre­chen zu las­sen. Solange wir dies­be­züg­lich keine Ver­än­de­rung errei­chen, wird Deutsch­land ein unge­rech­tes Land bleiben.

„Zusam­men­halt bedeu­tet für mich, für­ein­an­der ein­zu­ste­hen und sich in Per­spek­ti­ven von ande­ren hineinzuversetzen.“

Die 15 The­sen der Initia­tive kul­tu­relle Inte­gra­tion tra­gen den Titel „Zusam­men­halt in Viel­falt“. Was bedeu­tet für dich „Zusam­men­halt in Viel­falt“ und wel­che der 15 The­sen ist deine „Lieb­lings­these“?
Zusam­men­halt bedeu­tet für mich, für­ein­an­der ein­zu­ste­hen und sich in Per­spek­ti­ven von ande­ren hin­ein­zu­ver­set­zen. Viel­falt bedeu­tet für mich viele ver­schie­dene Per­spek­ti­ven, die Raum haben, und glei­cher­ma­ßen Zugänge und Möglichkeiten.

Ich finde es schwie­rig, mich auf eine bestimmte These fest­zu­le­gen und denke, jede hat ihren eige­nen Wert.

Vie­len Dank!

Von |2022-10-04T17:23:58+02:00August 1st, 2022|Menschen|Kommentare deaktiviert für Car­lotta Nwajide