Das Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge ist bundesweit die größte Initiative, die sich für Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten engagiert. 2015 kamen Tausende von Menschen nach Deutschland. Ein großer Teil von ihnen will sich dauerhaft integrieren. Ausbildung und Arbeit sind dabei ein wesentlicher Schlüssel. Mit diesem Gedanken initiierten der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und das Bundeswirtschaftsministerium 2016 das Netzwerk mit zunächst 300 Mitgliedsunternehmen. Sechs Jahre später hat sich die Anzahl mit rund 3.200 Mitgliedern mehr als verzehnfacht. Die Mitgliedsunternehmen sind über die gesamte Bundesrepublik verteilt. Vom DAX-Konzern bis zum Handwerksbetrieb sind alle Branchen vertreten. Mehr als zwei Drittel sind kleine und mittelständische Unternehmen mit bis zu 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Dabei steht jedes Unternehmen vor individuellen Herausforderungen und versucht für sich geeignete Lösungen zu finden, wie die Integration am Arbeitsplatz gelingen kann. Diese vielfältigen Erfahrungen sammelt das Netzwerk und teilt es mit seinen Mitgliedern. Dabei beschäftigen Betriebe vor allem folgende Fragen: Wie und wo kann man Geflüchtete kennenlernen? Worauf sollte man achten, um einen erfolgreichen Ausbildungsstart zu erreichen? Welche juristischen Fragen gilt es zu beachten? Wie können Spracherwerb gefördert und interkulturelle Unterschiede überwunden werden? Was braucht die Stammbelegschaft, um neue Kolleginnen und Kollegen gut aufzunehmen? Und wie können Auszubildende mit Fluchthintergrund bei der Prüfungsvorbereitung unterstützt werden?
Aktuell spielt das Ankommen von geflüchteten Menschen aus der Ukraine eine große Rolle bei den Mitgliedsunternehmen. Während zu Beginn zunächst die humanitäre Versorgung eine zentrale Rolle spielte, gewinnt das Thema Integration in den Arbeitsmarkt zunehmend an Bedeutung.
Die Integration in den Betrieb: Herausforderungen gemeinsam meistern
Für viele Betriebe ist der Fachkräftemangel eine reale Bedrohung. Laut DIHK-Fachkräftereport (2021) konnten 51 Prozent der befragten Unternehmen offene Stellen nicht besetzen, weil sie keine passenden Arbeitskräfte finden. Gerade Geflüchtete, die bereits in Deutschland leben, bieten großes Potenzial, dieser Fach- und Arbeitskräftelücke entgegenzuwirken. Viele Mitgliedsunternehmen haben diese Chance für sich erkannt. Die Motivation vieler Geflüchteter ist hoch, sich in Deutschland ein neues Leben aufzubauen. Zudem werden manche Strukturen im Betriebsalltag durch die neue Kollegin oder den neuen Kollegen hinterfragt und auf den Prüfstand gestellt: Werden die – vielleicht kompliziert verfassten – Arbeitsanweisungen von allen wirklich verstanden? Um Missverständnisse zu vermeiden, nutzen Unternehmen z. B. digitale Medien als Hilfsmittel und achten vermehrt auf klar formulierte Anweisungen.
Die geringen Deutschkenntnisse der neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machen kreativ, aber gleichzeitig sind sie auch eine der größten Hürden bei der Arbeitsmarktintegration. Deutsche Kolleginnen und Kollegen können dabei unterstützen, sprachliche Hürden zu überwinden, indem sie beispielsweise auf komplizierte Höflichkeitsformeln verzichten, eine einfache Wortwahl sowie eine klare und dialektfreie Sprache verwenden. Um die Sprachfertigkeiten besser einschätzen zu können und Missverständnisse im Arbeitsalltag zu vermeiden, kann es hilfreich sein, den Mitarbeitenden mit Fluchthintergrund die Arbeitsanweisung noch einmal selbst erklären zu lassen.
Während mangelnde Sprachkenntnisse im Betrieb oftmals kreativ überbrückt werden, stoßen Unternehmen bei den Abschlussprüfungen ihrer Azubis häufig an ihre Grenzen. Leider scheitern Auszubildende mit Fluchterfahrung häufig an den komplizierten Prüfungsaufgaben. Für den Betrieb bedeutet das manchmal, eine angehende Fachkraft zu verlieren, wenn die Auszubildenden die Abschlussprüfung nicht bestehen. Für den Prüfling ist es oft ein zusätzlicher Druck, denn zum Teil ist die Bleibeperspektive auch an die Ausbildung geknüpft. Darüber hinaus kämpfen viele Geflüchtete damit, traumatische Erfahrungen, die sie im Heimatland oder auf der Flucht erlebt haben, zu verarbeiten oder sorgen sich um die Familie, die sie zurücklassen mussten. Das alles mindert die Konzentrationsfähigkeit und damit auch die Chance, die Ausbildung erfolgreich abzuschließen.
Ankommen im Betrieb: Vorbehalten intern & extern entgegnen
Um das Ankommen in Deutschland und auch im Betrieb zu erleichtern, kann es hilfreich sein, den neuen Mitarbeitenden bei Behördengängen, der Wohnungssuche und dem Erlernen der deutschen Sprache zu unterstützen. Viele Betriebe arbeiten mit gezielten Mentoren- oder Patenprogrammen, die den Einstieg ins Unternehmen und in die neue Heimat erleichtern sollen. Die Stammbelegschaft frühzeitig über die neue Kollegin oder den Kollegen zu informieren und aktiv in die Einarbeitung einzubeziehen, schafft dabei eine Möglichkeit, Vorurteile abzubauen.
Das Netzwerk leistet mit der Ausbildung von sogenannten Integrationsscouts einen Beitrag, um (Ausbildungs-)Betriebe vielfältiger zu machen und Begegnungen zu schaffen. Im Rahmen eines sechsmonatigen Programms entwickeln die Auszubildenden mit und ohne Fluchtgeschichte in Tandems oder in einer kleinen Gruppe eine Idee, um Integration und Vielfalt in ihrem Betrieb zu fördern und sichtbar zu machen. Das Netzwerk unterstützt die Scouts bei der Ideenfindung und der Vorbereitung zur Umsetzung. Die Auszubildenden gehen gestärkt aus dem Programm hervor: Auszubildende ohne Fluchtgeschichte werden für das Thema Vielfalt sensibilisiert und erleben einen Perspektivwechsel. Auszubildende mit Fluchtgeschichte erarbeiten eigenständig Ideen, wie das Ankommen neuer Kolleginnen oder Kollegen im Team noch besser gelingen kann. Die Sichtbarkeit des Projektes im Betrieb wird gewährleistet, da die Geschäftsführung und die Belegschaft den Prozess begleiten und aktiv einbezogen werden.
Leider erhält das Netzwerk immer wieder auch Erfahrungsberichte, dass sich Kundinnen und Kunden rassistisch äußern, wenn Geflüchtete im Unternehmen arbeiten. In einem Workshop wurde z. B. erzählt, dass eine Kundin nicht wollte, dass eine Mitarbeiterin mit Kopftuch ihre Einkäufe im Supermarkt einpackt. Der Betrieb positionierte sich sogleich, indem die Vorgesetzte klar verdeutlichte, dass der Supermarkt nicht der richtige Ort für den Einkauf der Kundin sei. Die umstehenden Kunden reagierten mit Applaus. Damit hat die Vorgesetzte gleich zwei Dinge auf einmal erreicht: Die Mitarbeiterin fühlt sich gestärkt durch die Vorgesetzte und die Bindung ans Unternehmen wird gefestigt. Zum anderen hat sie zur Reputation des Betriebes beigetragen, in dem sie die Werte der Organisation nach außen vertreten und sich für die Mitarbeiterin eingesetzt hat.
Nicht immer hat man eine schlagkräftige Antwort bei rassistischen Aussagen parat. Zusammen mit der Interessengruppe Flüchtlinge, einem Zusammenschluss Berliner Unternehmen, der sich für die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten einsetzt, hat das Netzwerk einen Leitfaden entwickelt – abzurufen unter bit.ly/3zJG2C4. Darin werden Antwortoptionen für typische Vorurteile im Arbeitskontext und Hinweise für den Umgang mit rassistischen Aussagen im Betrieb gegeben.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2022.