Wie setzt sich Deutsch­land mit Ras­sis­mus auseinander?

Ergeb­nisse der Stu­die "Ras­sis­ti­sche Realitäten"

Das Deut­sche Zen­trum für Inte­gra­ti­ons- und Migra­ti­ons­for­schung (DeZIM) ist der Frage „Wie setzt sich Deutsch­land mit Ras­sis­mus aus­ein­an­der?“ nach­ge­gan­gen. Die Stu­die „Ras­sis­ti­sche Rea­li­tä­ten“ zeigt, dass Ras­sis­mus in Deutsch­land kein Rand­phä­no­men ist: Viele Men­schen sind davon betrof­fen, und noch mehr sind sich des Pro­blems bewusst.

Die NSU-Morde und die Anschläge von Halle und Hanau haben in den ver­gan­ge­nen Jah­ren den Ruf nach einer ver­tief­ten und wis­sen­schaft­lich fun­dier­ten Aus­ein­an­der­set­zung mit Ras­sis­mus in Deutsch­land lau­ter wer­den las­sen. Vor die­sem Hin­ter­grund hat die ver­gan­gene Bun­des­re­gie­rung noch unter Angela Mer­kel einen Kabi­netts­aus­schuss zur Bekämp­fung von Rechts­extre­mis­mus und Ras­sis­mus ein­ge­setzt, der sich auf ein umfang­rei­ches Maß­nah­men­pa­ket verständigte. In die­sem Rah­men wurde das DeZIM damit beauf­tragt, die Ursa­chen, das Aus­maß und die Fol­gen von Ras­sis­mus in Deutsch­land wis­sen­schaft­lich zu unter­su­chen und her­aus­zu­fin­den, wie umfas­send und struk­tu­rell das Pro­blem mit Ras­sis­mus hier­zu­lande ist. Das DeZIM hat dazu im Jahr 2020 den Natio­na­len Dis­kri­mi­nie­rungs- und Ras­sis­mus­mo­ni­tor (NaDiRa) gestar­tet. Die neue Bun­des­re­gie­rung hat in ihrem Koali­ti­ons­ver­trag ange­kün­digt, ihn zu ver­ste­ti­gen und damit unter­stri­chen, dass sie das Thema auf ihrer poli­ti­schen Agenda hat.

Die Ergeb­nisse zei­gen, wie viru­lent das Pro­blem ist. Für die Auf­takt­stu­die zum NaDiRa wur­den zwi­schen April und August 2021 über 5.000 Men­schen in Deutsch­land zum Thema Ras­sis­mus befragt. Dabei wur­den Ange­hö­rige von sechs Min­der­hei­ten gezielt in den Blick genom­men: Schwarze Men­schen, Mus­lime, Asia­ten, Sinti und Roma, Juden und ost­eu­ro­päi­sche Men­schen. Die Befrag­ten konn­ten sich dabei sowohl selbst einer die­ser Grup­pen zuord­nen als auch ange­ben, ob sie von Außen­ste­hen­den einer die­ser Grup­pen zuge­ord­net werden.

Mehr als ein Fünf­tel der Bevöl­ke­rung, etwa 22 Pro­zent, gab in der reprä­sen­ta­ti­ven Umfrage an, selbst bereits von Ras­sis­mus betrof­fen gewe­sen zu sein. Von den Ange­hö­ri­gen der sechs genann­ten Min­der­hei­ten gaben das ins­ge­samt 58 Pro­zent an. In der Alters­gruppe zwi­schen 14 und 24 Jah­ren waren es in die­sen Grup­pen mit rund 73 Pro­zent aber deut­lich mehr als bei den über 65-Jäh­ri­gen mit 24,2 Pro­zent. Dass junge Men­schen häu­fi­ger von direk­ten Ras­sis­mus-Erfah­run­gen als Ältere berich­ten, mag mit einem geschärf­ten Pro­blem­be­wusst­sein bei den Jün­ge­ren zusam­men­hän­gen. Womög­lich aber auch damit, dass junge Betrof­fene mehr Kon­takt zu Ange­hö­ri­gen der Mehr­heits­ge­sell­schaft haben.

Nur eine kleine Min­der­heit der Bevöl­ke­rung bezwei­felt, dass es in Deutsch­land Ras­sis­mus gibt: Eine über­wäl­ti­gende Mehr­heit von 90 Pro­zent hält Ras­sis­mus in Deutsch­land dage­gen für eine Tat­sa­che. Rund 45 Pro­zent der Bevöl­ke­rung haben über­dies schon ein­mal einen ras­sis­ti­schen Vor­fall beob­ach­tet. Dar­über, wo Ras­sis­mus beginnt, gehen die Mei­nun­gen aller­dings aus­ein­an­der. Ras­sis­mus wird in der Stu­die defi­niert als eine Ideo­lo­gie sowie als eine dis­kur­sive und soziale Pra­xis, in der Men­schen auf­grund von äußer­li­chen Merk­ma­len in ver­schie­dene Grup­pen ein­ge­teilt wer­den, denen per „Abstam­mung“ ver­all­ge­mei­nerte, unver­än­der­li­che Eigen­schaf­ten zuge­schrie­ben wer­den. Sol­che Vor­stel­lun­gen sind ver­brei­tet. Zwar glau­ben der Stu­die zufolge ledig­lich neun Pro­zent der Bevöl­ke­rung, dass bestimmte eth­ni­sche Grup­pen bzw. Völ­ker intel­li­gen­ter als andere sind. Aller­dings stimm­ten rund ein Drit­tel der Befrag­ten der Aus­sage zu, dass gewisse eth­ni­sche Grup­pen oder Völ­ker „von Natur aus flei­ßi­ger sind als andere“ seien. Und fast die Hälfte (49%) der Bevölkerung glaubt noch immer, dass es mensch­li­che „Ras­sen“ gibt. Diese Über­zeu­gung ist vor allem unter Älte­ren ver­brei­tet und nimmt mit stei­gen­der Bil­dung ab.

Einer gro­ßen Mehr­heit der Bevöl­ke­rung ist bewusst, dass sich Ras­sis­mus auch sub­til und unbe­wusst äußern kann. So stim­men 81 Pro­zent der Aus­sage zu, dass Men­schen „sich auch ohne Absicht ras­sis­tisch ver­hal­ten“ kön­nen. Etwa jedem vier­ten Men­schen in Deutsch­land ist voll und ganz bewusst, dass auch nett gemeinte Kom­pli­mente als ras­sis­tisch emp­fun­den wer­den kön­nen. Ein klas­si­sches Bei­spiel hier­für ist das ver­meint­li­che Kom­pli­ment: „Sie spre­chen aber sehr gut Deutsch.“ Zugleich wird Kri­tik an Ras­sis­mus oft dadurch abge­wehrt, dass Betrof­fe­nen eine Hyper­sen­si­ti­vi­tät unter­stellt wird. So ist ein gutes Drit­tel der Bevöl­ke­rung ten­den­zi­ell der Auf­fas­sung, dass Men­schen, die sich über Ras­sis­mus beschwe­ren, „häu­fig zu emp­find­lich“ seien. Und fast die Hälfte aller Befrag­ten (44,8%) stimmte ten­den­zi­ell der Aus­sage zu, dass „Ras­sis­mus­vor­würfe und poli­ti­sche Kor­rekt­heit“ die Mei­nungs­frei­heit einschränkten.

Um genauer zu beleuch­ten, was Men­schen unter Ras­sis­mus ver­ste­hen, leg­ten die Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Wis­sen­schaft­ler den Befrag­ten kon­krete Situa­tio­nen vor. Dabei zeig­ten sich Unter­schiede in der Bewer­tung, je nach­dem, um wel­che Gruppe oder was für eine Situa­tion es sich han­delte. So hält es bei­spiels­weise eine deut­li­che Mehr­heit (88%) für ras­sis­tisch, wenn eine Apo­theke keine Ange­hö­ri­gen einer bestimm­ten Gruppe ein­stel­len möchte, weil Kun­din­nen und Kun­den sich „unwohl fühlen“ könnten. Knapp zwei Drit­tel der Bevöl­ke­rung fin­den es voll und ganz (rund 35%) oder eher (gut 30%) ras­sis­tisch, wenn als Ange­hö­rige einer bestimm­ten Min­der­heit wahr­ge­nom­mene Men­schen bei der Ein­reise nach Deutsch­land wesent­lich häu­fi­ger kon­trol­liert wer­den als andere. Und mehr als die Hälfte der Befrag­ten bewer­te­ten es als ras­sis­tisch, wenn ein Come­dian kli­schee­hafte Witze über eine bestimmte eth­ni­sche oder reli­giöse Gruppe macht. Wann Ras­sis­mus erkannt und wie er bewer­tet wird, hängt aber auch von der betrof­fe­nen Gruppe ab. Geht es um Schwarze oder jüdi­sche Men­schen, wer­den die beschrie­be­nen Situa­tio­nen ten­den­zi­ell häu­fi­ger als ras­sis­tisch ein­ge­stuft, als wenn es um Mus­li­min­nen oder Osteuropäer geht.

Grund­sätz­lich zeigt sich aber eine Mehr­heit bereit, sich gegen Ras­sis­mus zu enga­gie­ren. Jeder Zweite (47%) der Befrag­ten gab an, in den ver­gan­ge­nen fünf Jah­ren schon ein­mal einer ras­sis­ti­schen Aus­sage im All­tag wider­spro­chen zu haben. Fast 18 Pro­zent der Befrag­ten haben in die­sem Zeit­raum eine Unter­schrif­ten­samm­lung gegen Ras­sis­mus unterstützt, neun Pro­zent an einer Demons­tra­tion oder Pro­test­ak­tion teil­ge­nom­men und fünf Pro­zent einer anti­ras­sis­ti­schen Orga­ni­sa­tion Geld gespendet.

Der Ras­sis­mus­mo­ni­tor stellt die bis­her umfang­reichste Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Thema in Deutsch­land dar: Er soll dau­er­haft Ein­stel­lun­gen in der Gesamtbevölkerung und Per­spek­ti­ven Betrof­fe­ner erhe­ben und Aus­maß, Ursa­chen und gesell­schaft­li­che Fol­gen von Ras­sis­mus ana­ly­sie­ren. Um kon­ti­nu­ier­lich Ent­wick­lun­gen und Trends auf­zu­zei­gen, soll ab 2023 regel­mä­ßig ein Bericht erschei­nen. Die Auf­takt­stu­die „Ras­sis­ti­sche Realitäten“ ist ein ers­ter Mei­len­stein auf dem Weg zu einem regel­mä­ßi­gen Ras­sis­mus­mo­ni­tor. Die Stu­die wurde am 5. Mai 2022 Bun­des­fa­mi­li­en­mi­nis­te­rin Lisa Paus im Rah­men einer Pres­se­kon­fe­renz überreicht.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 07-08/2022.

Von |2022-08-05T10:07:52+02:00Juli 4th, 2022|Rassismus|Kommentare deaktiviert für

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Daniel Bax ist Pressesprecher des DeZIM-Instituts.