Ras­sis­mus darf nicht gedul­det werden

Zusam­men­halt gegen alle For­men grup­pen­be­zo­ge­ner Menschenfeindlichkeit

In Art. 3 Abs. 3 des Grund­ge­set­zes steht: „Nie­mand darf wegen sei­nes Geschlech­tes, sei­ner Abstam­mung, sei­ner Rasse, sei­ner Spra­che, sei­ner Hei­mat und Her­kunft, sei­nes Glau­bens, sei­ner reli­giö­sen oder poli­ti­schen Anschau­un­gen benach­tei­ligt oder bevor­zugt wer­den. Nie­mand darf wegen sei­ner Behin­de­rung benach­tei­ligt wer­den.“ Die­ser am 23. Mai 1949 vom Par­la­men­ta­ri­schen Rat ver­ab­schie­dete Arti­kel fußt auf Art. 2 der All­ge­mei­nen Erklä­rung der Men­schen­rechte. Dort steht: „Jeder hat Anspruch auf alle in die­ser Erklä­rung ver­kün­de­ten Rechte und Frei­hei­ten, ohne irgend­ei­nen Unter­schied, etwa nach Rasse, Haut­farbe, Geschlecht, Spra­che, Reli­gion, poli­ti­scher oder sons­ti­ger Anschau­ung, natio­na­ler oder sozia­ler Her­kunft, Ver­mö­gen, Geburt oder sons­ti­gem Stand.“ Die All­ge­meine Erklä­rung der Men­schen­rechte wurde am 10. Dezem­ber 1948 ver­ab­schie­det. Sie wurde unter dem Ein­druck des Ver­bre­chens der Shoah und der Gräuel des Zwei­ten Welt­kriegs erar­bei­tet. Die Väter und Müt­ter des Grund­ge­set­zes haben sich in Art. 3 Abs. 3 des Grund­ge­set­zes die Grund­la­gen der All­ge­mei­nen Erklä­rung der Men­schen­rechte zu eigen gemacht.

Sowohl die All­ge­meine Erklä­rung der Men­schen­rechte als auch das Grund­ge­setz ent­stan­den in einer Zeit, in der Ras­sis­mus all­ge­gen­wär­tig und weit­ge­hend akzep­tiert war. Noch gab es den Wider­stand von Rosa Parks gegen die Dis­kri­mi­nie­rung von Schwar­zen in US-ame­ri­ka­ni­schen Bus­sen nicht, auch der Marsch nach Washing­ton und die beein­dru­ckende Rede von Mar­tin Luther King lagen in wei­ter Ferne, um nur zwei US-ame­ri­ka­ni­sche Bei­spiele zu nen­nen. Viele heu­tige Staa­ten Afri­kas waren noch bri­ti­sche, fran­zö­si­sche oder por­tu­gie­si­sche Kolo­nie. Die Frei­heits­be­we­gun­gen in den afri­ka­ni­schen Län­dern began­nen sich erst zu for­mie­ren. Die Hoch­phase der Apart­heid in Süd­afrika begann gerade erst und dau­erte bis in die 1980er Jahre.

Und in Deutsch­land? Ras­sis­mus, Frem­den­feind­lich­keit und Anti­se­mi­tis­mus war über zwölf Jahre wäh­rend des Natio­nal­so­zia­lis­mus Staats­rä­son. Es wurde gehetzt und getö­tet. Men­schen wur­den ihrer Würde beraubt. Die Ver­nich­tungs­po­li­tik der Natio­nal­so­zia­lis­ten rich­tete sich gegen alle, die nicht ihrem Men­schen­bild ent­spra­chen. Die sys­te­ma­ti­sche Ver­nich­tung der Juden in Deutsch­land und in Europa, ein­fach, weil sie Juden waren, ist his­to­risch bei­spiel­los. Die Ver­fol­gung der Sinti und Roma, die Aus­beu­tung von soge­nann­ten Fremd­ar­bei­tern, die als „Unter­men­schen“ titu­liert wur­den, die Ver­nich­tung durch Arbeit, dies alles war bis 1949 gegen­wär­tig. Es ist nicht weit ent­fernte Geschichte, es ist jüngste Ver­gan­gen­heit. Die Spu­ren der Indok­tri­na­tion und Hetze wäh­rend des Faschis­mus in Deutsch­land wir­ken noch immer nach.

Mei­nes Erach­tens muss der Grund­ge­setz­ar­ti­kel, dass nie­mand wegen sei­ner Rasse benach­tei­ligt wer­den darf, in die­sem Kon­text gele­sen wer­den. Den­noch ist es wich­tig und rich­tig, wenn heute die For­mu­lie­rung „Rasse“ hin­ter­fragt wird, denn selbst­ver­ständ­lich gibt es keine Menschenrassen.

Die Dis­kus­sion über Ras­sis­mus in der Gesell­schaft und auch im Kul­tur- und Medi­en­be­reich ist rich­tig, wich­tig und not­wen­dig. Es ist nicht hin­nehm­bar, dass Men­schen mit einer dunk­le­ren Haut­farbe, krau­sen schwar­zen Haa­ren oder anders geschnit­te­nen Augen benach­tei­ligt, zurück­ge­setzt oder gar ange­grif­fen wer­den. Hier muss klar und unmiss­ver­ständ­lich ein­ge­schrit­ten wer­den. Ras­sis­mus darf nicht gedul­det werden.

Und selbst­ver­ständ­lich muss inner­halb des Kul­tur- und Medi­en­be­rei­ches geprüft wer­den, inwie­fern ras­sis­ti­sche Vor­stel­lun­gen und Kli­schees einen Nähr­bo­den haben. Hier gilt es Texte, Aus­stel­lun­gen und ande­res mehr neu zu befra­gen, zu hin­ter­fra­gen und gege­be­nen­falls zu ändern. Es muss darum gehen, dass Künst­le­rin­nen und Künst­ler ganz unab­hän­gig von ihrer Haut­farbe oder auch Her­kunft gerade im Thea­ter oder im Film eine Rolle spie­len – und zwar im zwei­fa­chen Sinne, dass sie prä­sent sind und dass sie eine Figur, wel­che auch immer sie wol­len, spie­len können.

Die Erin­ne­rung daran, als Kind gerne India­ner­häupt­ling gewe­sen zu sein, hat in mei­nen Augen nichts Ras­sis­ti­sches. Im Gegen­teil, Bet­tina Jarasch, die Spit­zen­kan­di­da­tin von Bünd­nis 90/Die Grü­nen bei der Land­tags­wahl in Ber­lin, prä­sen­tierte sich dabei als selbst­be­wusste Frau – Häupt­ling wollte sie als Kind sein und nicht Prin­zes­sin. Der Shit­s­torm gegen sie war unbe­grün­det, ihre Bitte um Ent­schul­di­gung unlo­gisch. Ich gestehe, auch ich wollte als Kind gerne den bewun­der­ten India­ner­häupt­ling spie­len, musste mich aber meist mit der Rolle des eher unge­lieb­ten Cow­boys zufrie­den­ge­ben. Kul­tu­relle Aneig­nung ist ein Wesens­merk­mal des Spiels und letzt­lich der Kultur.

Die Initia­tive kul­tu­relle Inte­gra­tion, deren Spre­cher ich bin, ein Zusam­men­schluss von 28 Insti­tu­tio­nen und Orga­ni­sa­tio­nen, hat 2020 for­mu­liert, dass sie sich ent­schie­den gegen jede Form von Ras­sis­mus, Anti­se­mi­tis­mus und gegen jede Form von Aus­gren­zung wen­det und allen ras­sis­ti­schen und men­schen­feind­li­chen Äuße­run­gen und Posi­tio­nen eine ein­deu­tige Absage erteilt. Sie for­mu­lierte wei­ter „Ras­sis­mus ist ein gesamt­ge­sell­schaft­li­ches, struk­tu­rel­les Phä­no­men. Die Mit­glie­der der Initia­tive kul­tu­relle Inte­gra­tion machen sich in ihrer eige­nen Arbeit für die Ein­hal­tung der Men­schen­rechte und gegen Ras­sis­mus stark. Sie tre­ten für eine demo­kra­ti­sche, viel­fäl­tige und offene Gesell­schaft ein. Durch ihre Arbeit und die von ihr ver­fass­ten 15 The­sen „Zusam­men­halt in Viel­falt“ posi­tio­niert sich die Initia­tive kul­tu­relle Inte­gra­tion ent­schlos­sen gegen alle For­men grup­pen­be­zo­ge­ner Men­schen­feind­lich­keit und gegen das Aus­ein­an­der­drif­ten der Gesell­schaft.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 07-08/2022.

Von |2022-08-05T15:26:43+02:00Juli 4th, 2022|Rassismus|Kommentare deaktiviert für

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Zusam­men­halt gegen alle For­men grup­pen­be­zo­ge­ner Menschenfeindlichkeit

Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber von Politik & Kultur.