Die Frei­heit des Wortes

Wri­ters-in-Exile: Hilfe für ver­folgte Schriftsteller

Seit nun­mehr 23 Jah­ren besteht das mit öffent­li­chen Gel­dern finan­zierte Wri­ters-in-Exile-Pro­jekt (WiE) des PEN Zen­trums Deutsch­land. Seine Ein­rich­tung gehörte zu einer der ers­ten Amts­hand­lun­gen des neuen Kul­tur­staats­mi­nis­ters Michael Nau­mann im Jahr 1999. Die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Dik­ta­tur zwang einst Tau­sende von Schrift­stel­le­rin­nen und Schrift­stel­lern ins Exil. Ein demo­kra­ti­sches, welt­of­fe­nes Deutsch­land lädt nun Schrift­stel­le­rin­nen und Schrift­stel­ler, die in ihren Her­kunfts­län­dern unter­drückt und ver­folgt wer­den, nach Deutsch­land ein. Es wurde mit fünf Sti­pen­dia­ten im Jahr 1999 begon­nen, es sind nun 15 Sti­pen­di­en­plätze. Hinzu kom­men durch eine Son­der­re­ge­lung »Ukraine« in die­sem Jahr zwei zeit­lich begrenzte Plätze hinzu.

Manch­mal ein 25-Stunden-Job

Zur Betreu­ung der Sti­pen­dia­tin­nen und Sti­pen­dia­ten ist ein logis­ti­scher Appa­rat not­wen­dig. In unse­rer PEN-Geschäfts­stelle in Darm­stadt sind drei haupt­amt­li­che Mit­ar­bei­tende und die ehren­amt­lich arbei­tende WiE-Beauf­tragte damit beschäf­tigt, Visa zu beschaf­fen, mit Bot­schaf­ten zu ver­han­deln, Auf­ent­halts­ti­tel zu erlan­gen, Betreue­rin­nen und Betreuer zu orga­ni­sie­ren, die mit den Sti­pen­dia­tin­nen und Sti­pen­dia­ten die unter­schied­lichs­ten Behör­den­gänge machen, Sprach­kurse zu ver­mit­teln, Auf­ent­halts­ti­tel zu ver­län­gern, sich mög­li­cher­weise um Fami­li­en­nach­zug zu küm­mern. Hinzu kommt aber auch, wenn not­wen­dig, psy­cho­lo­gi­sche und medi­zi­ni­sche Betreu­ung. Da wird auch die ehren­amt­li­che Arbeit schnell zum Full­time-Job. Sel­ten kommt es vor, dass sich eine Sti­pen­dia­tin in einer bestimm­ten Stadt nicht wohl­fühlt, sodass eine neue Woh­nung gefun­den wer­den muss; gegen­wär­tig ist dies ange­sichts des ange­spann­ten Woh­nungs­mark­tes beson­ders kom­pli­ziert. Und da Geheim­dienste ihrer Her­kunfts­län­der auch in Deutsch­land aktiv sein kön­nen, hal­ten wir unter Ver­schluss, in wel­chen Städ­ten unsere Sti­pen­dia­tin­nen und Sti­pen­dia­ten woh­nen. Einige wer­den zu ihrem eige­nen Schutz nicht ein­mal auf der Home­page des PEN genannt.

Unsere Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen sind viel­fach mit trau­ma­ti­schen Situa­tio­nen kon­fron­tiert gewe­sen. Das kann 16 Jahre Haft in einem Gefäng­nis des Baschar-al-Assad-Regimes bedeu­ten oder phy­si­sche Fol­ter in Uganda. Weni­ger sicht­bar ist die psy­chi­sche Gewalt, denen diese Men­schen aus­ge­setzt waren. So kommt es vor, dass ein Trauma, das durch den Über­le­bens­mo­dus ver­drängt wurde, an die Ober­flä­che kommt, wenn die betrof­fene Per­son hier Auf­nahme und Schutz gefun­den hat.

Erfah­rung, Sta­bi­li­tät sowie Bestän­dig­keit sind eine Grund­vor­aus­set­zung für die haupt­amt­li­chen Mit­ar­bei­te­rin­nen, um diese Tätig­keit über­haupt bewäl­ti­gen zu kön­nen. Die WiE-Mit­ar­bei­te­rin­nen und ich als ehren­amt­li­che WiE-Beauf­tragte sind nicht daran inter­es­siert, in der Presse mit spek­ta­ku­lä­ren Geschich­ten auf­war­ten zu wol­len. Der PEN gilt als ver­läss­li­cher Part­ner. Husa­ren­stü­cke sind kon­tra­pro­duk­tiv, zumal die betrof­fe­nen Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen meist noch ihre Fami­lien in den Her­kunfts­län­dern haben, die in Schwie­rig­kei­ten gera­ten könnten.

Der PEN als NGO und WiE mit staat­li­cher Förderung

Als Ver­ein finan­ziert sich der PEN aus­schließ­lich aus Mit­glieds­bei­trä­gen. WiE hin­ge­gen wird als Pro­jekt von der Beauf­trag­ten der Bun­des­re­gie­rung für Kul­tur und Medien voll­fi­nan­ziert. Ein Wider­spruch? Es ist schon eine Beson­der­heit, dass eine Regie­rung eine aus­drück­li­che Wil­lens­er­klä­rung abgibt, ver­folg­ten Schrift­stel­le­rin­nen und Schrift­stel­lern aktiv zu hel­fen. Unter den etwa 140 Zen­tren der inter­na­tio­na­len PEN-Gemein­schaft ist die­ses Pro­gramm ein­zig­ar­tig. Und hier darf man dann auch den bis­he­ri­gen Kul­tur­staats­mi­nis­te­rin­nen und -minis­tern und beson­ders auch der amtie­ren­den, Clau­dia Roth, einen gro­ßen Dank aus­spre­chen. Glei­cher­ma­ßen ist das Pro­jekt auch eine Mess­latte für die Sta­bi­li­tät unse­rer eige­nen Demo­kra­tie. Denn wäh­rend viele PEN-Zen­tren welt­weit sich für die Frei­heit des Wor­tes in ihrem eige­nen Land ein­set­zen müs­sen, gehen wir davon aus, dass die Frei­heit des Wor­tes garan­tiert ist und wir uns Auf­ga­ben wie die­sen wid­men können.

Umgang mit der neuen Heimat

Unsere Sti­pen­dia­tin­nen kom­men aus dem Sudan, dem Iran, Syrien, der Tür­kei, Bela­rus, Afgha­ni­stan, Uganda oder dem Irak. Inzwi­schen auch aus der Ukraine. Den meis­ten ist es nach Ablauf ihres Sti­pen­di­ums ver­wehrt, in ihre Hei­mat zurück­zu­keh­ren. Wir tun daher alles, ihnen bei der Inte­gra­tion in unsere Gesell­schaft bei­zu­ste­hen. Umge­kehrt stellt sich für die Schrift­stel­le­rin­nen und Schrift­stel­ler die Frage, wie sie in ihrer neuen Umge­bung, die mög­li­cher­weise ihre Hei­mat wer­den soll, arbei­ten kön­nen. Wenn sie vor­her Akti­vis­ten waren: Wo knüp­fen sie hier an? Und was ist mit ihrer Spra­che? Social Media, Twit­ter oder Video­ka­näle ermög­li­chen ihnen heute eine ungleich bes­sere Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mög­lich­keit als 1999. Zen­sur in den Her­kunfts­län­dern kann jedoch auch im Inter­net aus­ge­übt werden.

För­de­rung künst­le­ri­scher Arbeit und Berei­che­rung unse­rer Kultur

Nun geht es aber nicht allein um Auf­nahme und Ver­sor­gung, son­dern ganz beson­ders auch um die Inte­gra­tion unse­rer Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen in den hie­si­gen Kul­tur­be­trieb. Wir orga­ni­sie­ren daher Über­set­zun­gen, Publi­ka­ti­ons­mög­lich­kei­ten und Lesun­gen und unter­stüt­zen die Sti­pen­dia­tin­nen und Sti­pen­dia­ten darin, hier auf eige­nen Füßen zu ste­hen. Auch die Kon­takte unter­ein­an­der wer­den gefördert.

Für mich per­sön­lich ist der Umgang mit den Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen eine große Berei­che­rung. Auch wenn ich selbst sehr viel Aus­lands­er­fah­run­gen habe, davon fünf Jahre regel­mä­ßi­ger Arbeit im Irak, eröff­net der Dia­log mit den Sti­pen­dia­tin­nen und Sti­pen­dia­ten immer wie­der neue Hori­zonte. Oft denke ich über ihre Gedichte nach, über ihren Stil, ihre Wort­wahl, ihre Meta­phern oder auch nur über den Klang ihrer Spra­che. In den jüngs­ten Lesun­gen, die wir nach der Pan­de­mie wie­der orga­ni­sie­ren kön­nen, stelle ich ein gewach­se­nes Inter­esse des Publi­kums für die Ori­gi­nal­spra­che der Lesen­den fest, bevor ihre Gedichte und Texte dann in der Über­set­zung gehört wer­den können.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 07-08/2022.

Von |2022-08-01T09:57:56+02:00Juli 4th, 2022|Meinungsfreiheit|Kommentare deaktiviert für

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Wri­ters-in-Exile: Hilfe für ver­folgte Schriftsteller

Astrid Vehstedt ist international arbeitende Regisseurin und Schriftstellerin. Sie ist die Writers-in-Exile-Beauftragte des PEN-Zentrums Deutschland.