Mit den jährlich erscheinenden Fotobüchern „Fotos für die Pressefreiheit“ macht Reporter ohne Grenzen auf gravierende Verstöße gegen die Presse- und Meinungsfreiheit weltweit aufmerksam. Die Chefredakteurin der Bände und Mitgründerin von Reporter ohne Grenzen, Gemma Pörzgen, berichtet im Gespräch mit Maike Karnebogen über das Projekt.
Maike Karnebogen: Seit 1994 veröffentlicht Reporter ohne Grenzen (RSF) jährlich zum 3. Mai, dem internationalen Tag der Pressefreiheit, den Band „Fotos für die Pressefreiheit“. Wie kam es zu dem Projekt und welche Ziele stehen dahinter?
Gemma Pörzgen: Die Idee haben wir von unserer Pariser Zentrale übernommen. Reporter ohne Grenzen hat ja in Frankreich begonnen. Wir waren mehrere Jahre später eine Gruppe von Journalistinnen und Journalisten, die eine deutsche Sektion gegründet hat. Bei diesem ehrenamtlichen Engagement hat sich schnell die Frage gestellt, wie finanzieren wir das eigentlich und wie schaffen wir es, professionelle Strukturen aufzubauen?
So kam es zu der Idee, ein Fotobuch herauszugeben und zu verkaufen – also ganz existenziell der Versuch für eine NGO, die startet, Geld einzuwerben. Auf der anderen Seite war es auch immer schon ein wichtiges Instrument der Öffentlichkeitsarbeit. Mit 3.000 Mitgliedern und einem guten Spendenaufkommen hat das Fotobuch heute nicht mehr diese zentrale Rolle, vor allem Geld einzuwerben, aber ist Teil der DNA der Organisation.
Wie sind die Fotobücher aufgebaut?
Seit mehreren Jahren haben wir jetzt ein Konzept, bei dem wir uns überlegt haben, dass wir gerne große Fotostrecken zeigen wollen. Unsere Idee war, diesen sogenannten Essayteil mit einem Text zu begleiten, der von der Arbeit der Fotografen erzählt und deren Perspektive wiedergibt. Und dann gibt es einen Faktenteil in unserem Buch. In diesem bilden wir etwa zehn Länder ab, faktischer, nachrichtlicher geschrieben, aber auch kombiniert mit Fotos. Dort werden Einschränkungen der Pressefreiheit in einzelnen Ländern und auch unsere Aktivitäten thematisiert.
Wie gestaltet sich die Auswahl der Bilder bzw. der Fotografinnen und Fotografen? Und wie steht es um deren Sicherheit?
Grundsätzlich versuchen wir immer zu dokumentieren: Was war denn letztes Jahr? Wir vergegenwärtigen uns, welche Themen für uns als Reporter ohne Grenzen die wichtigste Rolle gespielt haben. Das ist die Orientierung dafür, dass wir in diesen Ländern schauen, wer sind die Fotografen und Fotografinnen, die infrage kommen? In unserem Team arbeite ich als für die Textseite verantwortliche Chefredakteurin sehr eng mit der Projektleiterin und Bildredakteurin Barbara Stauss zusammen. Sie hat viele Kontakte zu Fotografinnen und Fotografen und geht gezielt auf die Suche nach passenden Bildern. Wir bemühen uns dabei, vor allem Fotografinnen und Fotografen anzufragen, die aus den Ländern selbst kommen, das ist uns sehr wichtig. Aber oft sind es natürlich auch Kolleginnen und Kollegen, die viel reisen, die international unterwegs sind oder schon lange in dem Land leben.
Für den Fotoband 2021 haben wir ein eindringliches Titelbild aus China gewählt. Da wir immer das zurückliegende Jahr abbilden, war das gewählte Motiv für uns geradezu ein Symbolbild für die Coronazeit, die das Jahr 2020 maßgeblich bestimmt hat. Auf dem Foto sieht man lauter chinesische Krankenschwestern aus der Stadt Wuhan, die die Faust in die Luft ballen. Das ist fast militärisch streng. In diesem Bildband hatten wir auch eine sehr eindrucksvolle Fotostrecke aus Belarus von der Fotografin Violetta Savchits, die wir auch zu unserer Buchvorstellung am 3. Mai im Berliner Gorki Theater eingeladen haben. Sie ist nach unserer Veranstaltung nach Belarus zurückgekehrt und wir waren bereits in Sorge um sie.
Kurze Zeit später wurde klar, dass sie wegen ihrer fotografischen Arbeit gefährdet ist und aus dem Land ausreisen muss. Weil man in Belarus als Fotografin, wenn man politische Themen berührt, nicht mehr sicher arbeiten kann, sondern eine Verhaftung fürchten muss.
Wir bemerken, dass in vielen Ländern Fotografinnen und Fotografen so gefährdet sind, dass wir in den letzten Jahren immer häufiger den Fall haben, dass jemand zwar seine Fotos für unseren Bildband zur Verfügung stellt, aber selbst nicht genannt werden kann, den Schutz der Anonymität braucht.
Diesen Fall hatten wir auch im letzten Jahr bei dem eben beschriebenen Titelbild der Krankenschwestern aus Wuhan. Dieses Jahr haben wir das bei einer Fotostrecke aus Myanmar: Da haben wir einen tollen Fotografen, der für eine internationale Agentur arbeitet, aber dessen Namen wir nicht nennen können, weil es für ihn zu gefährlich ist. Da merken wir eine deutliche Veränderung in den vergangenen Jahren.
Am 3. Mai erscheint der aktuelle Band „Fotos für die Pressefreiheit 2022“. Was erwartet die Leserinnern und Leser? Welche Schwerpunktthemen wird es geben?
Das Buch, an dem wir aktuell arbeiten, wird den Fokus sehr stark auf Afghanistan legen. Das war natürlich das Thema, das uns ganz besonders beschäftigt hat im vergangenen Jahr. Afghanistan kommt deshalb auch auf das Titelbild.
Uns allen ist ja sehr eindringlich in Erinnerung, dass seit der Machtübernahme der Taliban viele Journalistinnen und Journalisten, aber auch Fotografinnen und Fotografen unter Druck geraten sind und mit anderen Menschen zusammen dringend nach Möglichkeiten suchen, irgendwie aus dem Land auszureisen. Ihnen zu helfen, war ein wichtiger Schwerpunkt unserer Arbeit und bleibt auch in diesem Jahr eine große Herausforderung und Verantwortung.
Es gibt auch eine sehr eindrucksvolle Bildreportage aus Gaza von der jungen Fotografin Fatima Shbair. Sie ist eine von ganz wenigen Frauen, die in dieser konservativen Gesellschaft überhaupt in diesem Beruf tätig ist. Weitere Fotostrecken widmen sich Serbien, Kongo, Äthiopien, Peru und Taiwan.
Vielen Dank.
Dieses Interview ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2022.