Anke Schött­ler

Kom­mu­ni­ka­ti­ons­bar­rie­ren abbauen – das ist der Wunsch des Teams der Sprach­lern-App EiS. Die Idee zur App hatte Anke Schött­ler und stellte diese 2017 beim Hacka­thon „Die Zukunft der Bil­dung“ der Wochen­zei­tung DIE ZEIT vor. Wei­tere krea­tive und moti­vierte Köpfe waren schnell gefun­den und so ent­stand die inklu­sive Sprach­lern-App EiS. Neben der App gibt es seit Neus­tem auch die EiS-Diele, ein Ver­net­zungs- und Austauschangebot.

Vie­len Dank, Anke Schött­ler, für das Enga­ge­ment zum Abbau von Kom­mu­ni­ka­ti­ons­bar­rie­ren und für mehr Teilhabe!

„EiS für alle“ ist das Motto der Sprach­lern-App EiS. Was ver­birgt sich dahinter?
Eine inklu­sive Sprach­lern-App – kurz EiS-App – ist ein digi­ta­les Wör­ter­buch für die Hosen­ta­sche. Es unter­stützt Kin­der, Fami­lien sowie Lern­be­glei­te­rin­nen und -beglei­ter dabei, viel­fäl­tige Sprach­ebe­nen zu ent­de­cken: visu­ell durch Gebär­den, audi­tiv, sym­bo­lisch und schriftlich.

„Dabei ist mir wich­tig, dass Inklu­sion nicht nur als Buz­zword dran steht.“

So wol­len wir die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­bar­riere bre­chen, vor der Kin­der mit Sprach­ent­wick­lungs­ver­zö­ge­run­gen, aber auch Kin­der, die Deutsch als Zweit­spra­che ler­nen und deren sozia­les Umfeld all­täg­lich ste­hen. Dabei ist mir wich­tig, dass Inklu­sion nicht nur als Buz­zword dran steht, son­dern in allen Ent­schei­dun­gen der Pro­jekt­ent­wick­lung, im Design der EiS-App und in der Zugäng­lich­keit für alle mit­ge­dacht wird. Es geht darum, allen Kin­dern eine Sprach­ebene anzu­bie­ten, auf der sie sich mit­tei­len und teil­ha­ben kön­nen – egal ob sie lesen, schrei­ben, hören, spre­chen kön­nen, oder nicht.

Wir wol­len zei­gen, dass alle Kin­der von und mit­ein­an­der ler­nen kön­nen und jede und jeder ein Lern­vor­bild sein kann. Wür­den alle Kin­der schon in Kita und Schule alter­na­tive Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mög­lich­kei­ten ken­nen­ler­nen, wie z. B. Gebär­den, wäre für die Gene­ra­tion von mor­gen das Thema Inklu­sion all­täg­lich gelebte Rea­li­tät und nicht so uto­pisch wie für man­chen Erwach­se­nen heute.

Wie ent­stand die Idee zu der App und wie wurde sie umgesetzt?
Die Idee hat mein Sohn initi­iert. Er spricht auf­grund sei­ner Behin­de­rung noch unver­ständ­lich. Er ist 12 Jahre alt, kann aber (noch) nicht lesen und schrei­ben. Zur Kom­mu­ni­ka­tion nutzt er einen Sprach­com­pu­ter mit einer sym­bol­ba­sier­ten App und syn­the­ti­scher Sprach­aus­gabe oder Gebär­den, mit denen er seine Laut­spra­che unterstützt.

Dabei ist er dar­auf ange­wie­sen, dass die Men­schen, mit denen er kom­mu­ni­zie­ren möchte, seine Gebär­den auch ver­ste­hen. Das ist nicht in allen Lebens­be­rei­chen der Fall: Wir Eltern, Oma und Opa und der beste Freund sit­zen nicht in sei­ner Klasse und ler­nen die Gebär­den, die er in der Schule lernt, mit. Auch bei kul­tu­rel­len Ange­bo­ten, Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten, beim Arzt­be­such oder beim Ein­kau­fen wird er nicht ver­stan­den und benö­tigt Assistenz.

Des­halb war ich auf der Suche nach einer App, die mein Sohn selbst­stän­dig bedie­nen kann. Mit der wir als Fami­lie sowie die Men­schen, die in Schule und Frei­zeit mit ihm zu tun haben, einen geteil­ten Gebär­den­wort­schatz auf­bauen können.

„Ein­fach und bar­rie­re­arm sind die Anfor­de­run­gen, nach denen wir uns in der App-Ent­wick­lung richten.“

Ich konnte keine App fin­den, die all unse­ren Ansprü­chen gerecht wurde. Dafür habe ich auf einem Hacka­thon das Team gefun­den, mit dem ich diese Idee seit April 2017 umsetze.

Die EiS-App soll in der Anwen­dung so ein­fach und bar­rie­re­arm wie möglich sein. Was bedeu­tet das genau? Und bie­tet sie even­tu­ell auch Unterstützungsmöglichkeiten und Anknüpfungspunkte für andere Zielgruppen?

Ein­fach und bar­rie­re­arm sind die Anfor­de­run­gen, nach denen wir uns in der App-Ent­wick­lung rich­ten und die wir immer wie­der mit Nut­zen­den aus der pri­mä­ren Ziel­gruppe testen.

Die EiS-App ist aus vier Modu­len aufgebaut:

  • einem META­COM-Sym­bol*, das den Begriff visua­li­siert und ein Anker für die Navi­ga­tion in der App ist, wenn Nut­zende noch nicht lesen und schrei­ben können;
  • dem Wort, um das Schrift­bild ein­zu­prä­gen und ein Lese­an­ge­bot zu machen;
  • einem Audio-Bei­spiel des Begriffs mit authen­ti­schem Sprach­vor­bild, ein­ge­spro­chen von Kin­dern im Tonstudio;
  • einem Gebär­den­vi­deo als visu­el­les Vor­bild, bei dem Gebär­den aus der Deut­schen Gebär­den­spra­che (DGS) laut­sprach­un­ter­stüt­zend ein­ge­setzt wer­den. Die Gebär­den­dar­stel­le­rin­nen und -dar­stel­ler sind Kin­der mit und ohne Behin­de­run­gen, Kin­der deren Mut­ter­spra­che Deutsch ist, aber auch Kin­der, die Deutsch als Zweit­spra­che lernen.

Wir haben gerade die EiS-Diele ins Leben geru­fen. Sie soll ein Raum für Aus­tausch und Begeg­nun­gen wer­den. Wir stel­len Men­schen und Pro­jekte vor, die sich für Inklu­sion und Viel­falt ein­set­zen und laden ein, sich zu ver­net­zen und im bes­ten Fall Syn­er­gien zu finden.

Was wünschen Sie sich von der neuen Bun­des­re­gie­rung im Hin­blick auf die Förderung der Teil­habe aller an Bil­dung und Gesellschaft?
Ich wün­sche mir, dass die UN-Behin­der­ten­rechts­kon­ven­tion, die seit dem 26. März 2009 in Deutsch­land gel­ten­des Recht ist, end­lich in allen Punk­ten umge­setzt wird. Ins­be­son­dere der Arti­kel 24, in dem es um das Recht auf Bil­dung geht, ist mir wich­tig. Er garan­tiert, dass Men­schen mit Behin­de­run­gen nicht vom all­ge­mei­nen Bil­dungs­sys­tem aus­ge­schlos­sen wer­den und sie zu einer wirk­li­chen Teil­habe an der Gesell­schaft befä­higt wer­den müssen.

„Ich wün­sche mir, dass die UN-Behin­der­ten­rechts­kon­ven­tion, die seit dem 26. März 2009 in Deutsch­land gel­ten­des Recht ist, end­lich in allen Punk­ten umge­setzt wird.“

Außer­dem nehme ich die Kul­tus­mi­nis­ter­kon­fe­renz beim Wort, die am 9. Dezem­ber 2021 in der Wei­ter­ent­wick­lung der KMK-Stra­te­gie zum Thema „Bil­dung in der digi­ta­len Welt” davon spricht, dass eine Lehr- und Lern­kul­tur eta­bliert wer­den soll, in der sich die Umset­zung von Digi­ta­li­sie­rung und Inklu­sion wech­sel­sei­tig stär­ken. Ich würde mir wün­schen, dass dafür auch die benö­tig­ten per­so­nel­len und finan­zi­el­len Res­sour­cen zur Ver­fü­gung gestellt werden.

Die 15 The­sen der Initia­tive kul­tu­relle Inte­gra­tion tra­gen den Titel „Zusam­men­halt in Viel­falt“. Was bedeu­tet für Sie „Zusam­men­halt in Viel­falt“ und wel­che der 15 The­sen ist Ihre „Lieb­lings­these“?
Zusam­men­halt in Viel­falt ist für mich das Kon­zept der Gesell­schaft, in der ich leben möchte. Dadurch, dass ich mit einem Men­schen mit Behin­de­rung zusam­men­lebe, habe ich das Glück, Men­schen ken­nen­zu­ler­nen, denen ich ohne mei­nen Sohn wahr­schein­lich nie begeg­net wäre. Diese Begeg­nun­gen und den Blick aus ande­ren Per­spek­ti­ven wün­sche ich ins­be­son­dere auch den Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­kern, die dar­über ent­schei­den, wie viel­fäl­tig das Bil­dungs­sys­tem, der Zugang zum Arbeits­markt, zu Kul­tur- und Frei­zeit­an­ge­bo­ten ist. Viel­falt ist eine Berei­che­rung für alle und die Chance über den eige­nen Tel­ler­rand zu schauen.

„Zusam­men­halt in Viel­falt ist für mich das Kon­zept der Gesell­schaft, in der ich leben möchte.“

Darf ich zwei Lieb­lings­the­sen haben?
These 11: „Bil­dung schafft den Zugang zur Gesell­schaft“ und  These 12: „Deut­sche Spra­che ist Schlüs­sel zur Teilhabe“

Vie­len Dank!

*METACOM ist ein spe­zi­ell für Unter­stützte Kom­mu­ni­ka­tion gestal­te­tes Sym­bol­sys­tem von Annette Kit­zin­ger. Sie ist Gra­fi­ke­rin. Mit METACOM Sym­bo­len kom­mu­ni­zie­ren Men­schen aller Alters­grup­pen. Sie wer­den in Kitas und Schu­len ebenso ein­ge­setzt wie in Werk­stät­ten und ande­ren Ein­rich­tun­gen für erwach­sene Men­schen mit Behinderung.

Von |2022-04-04T13:02:56+02:00Januar 1st, 2022|Menschen|Kommentare deaktiviert für Anke Schött­ler