Eini­ges erreicht, aber kein Grund, sich zurückzulehnen

Zur Diver­si­tät in Kultureinrichtungen

Ist ein Anteil von 64 Pro­zent weib­li­chen Beschäf­tig­ten in vom Bund dau­er­haft geför­der­ten Kul­tur­in­sti­tu­tio­nen viel oder wenig? Ist das Ergeb­nis, dass bei 86 Pro­zent der befrag­ten Insti­tu­tio­nen das Thema Diver­si­tät eine Rolle gespielt hat, eine „Schein­ant­wort“, weil sie ver­meint­lich sozial erwünscht ist oder spie­gelt sie eine aktu­elle Dis­kus­sion in Kul­tur­in­sti­tu­tio­nen wider? Woran liegt es, dass bei den befrag­ten Insti­tu­tio­nen die Mehr­zahl der Beschäf­tig­ten mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund aus einem EU-Mit­glied­staat kommt? Ist es ein Zei­chen, dass die Arbeit­neh­mer­frei­zü­gig­keit im Bin­nen­markt auch in Kul­tur­in­sti­tu­tio­nen wich­tig ist oder belegt es gar, dass ein fal­scher Migra­ti­ons­be­griff zugrunde gelegt wurde? Alles Fra­gen, die bei der Vor­stel­lung des Berichts „Diver­si­tät in Kul­tur­in­sti­tu­tio­nen 2018-2020“ eine Rolle gespielt haben. Doch der Reihe nach.

Mitte Okto­ber die­ses Jah­res wurde die­ser Bericht der Öffent­lich­keit vor­ge­stellt. Es han­delt sich um einen Bericht der Initia­tive kul­tu­relle Inte­gra­tion, der ins­ge­samt 28 Insti­tu­tio­nen ange­hö­ren und die im Jahr 2016 vom Deut­schen Kul­tur­rat initi­iert wurde. Zur Mit­glied­schaft der Initia­tive kul­tu­relle Inte­gra­tion zäh­len neben dem Bun­des­mi­nis­te­rium des Innern, für Bau und Hei­mat, dem Bun­des­mi­nis­te­rium für Arbeit und Sozia­les, der Beauf­trag­ten der Bun­des­re­gie­rung für Kul­tur und Medien, der Beauf­trag­ten der Bun­des­re­gie­rung für Migra­tion, Flücht­linge und Inte­gra­tion und dem Deut­schen Kul­tur­rat als Initia­to­ren die Län­der, die kom­mu­na­len Spit­zen­ver­bände, die Sozi­al­part­ner, die Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten, die Medien sowie zivil­ge­sell­schaft­li­che Orga­ni­sa­tio­nen an. Aus­lö­ser für die Eta­blie­rung der Initia­tive kul­tu­relle Inte­gra­tion war das Ankom­men vie­ler Flücht­linge im Jahr 2016 und die sich hier­aus erge­ben­den Integrationsanforderungen.

Die Initia­tive kul­tu­relle Inte­gra­tion hat gemein­sam 15 The­sen unter der Über­schrift „Zusam­men­halt in Viel­falt“ (bit.ly/3Gkv1YI) erstellt, die im Mai 2017 vor­ge­stellt wur­den. Eine die­ser The­sen wid­met sich der Inte­gra­tion in der Arbeits­welt. These 14 lau­tet „Erwerbs­ar­beit ist wich­tig für Teil­habe, Iden­ti­fi­ka­tion und sozia­len Zusam­men­halt.“ In der Erläu­te­rung der These heißt es unter ande­rem: „In unse­rer Arbeits­ge­sell­schaft sol­len die Talente der Men­schen zur Ent­fal­tung kom­men, unab­hän­gig von Geschlecht, Natio­na­li­tät, eth­ni­scher Her­kunft, Reli­gion oder Welt­an­schau­ung, Behin­de­rung, Alter, sexu­el­ler Ori­en­tie­rung und Iden­ti­tät.“ Und wei­ter: „Die gesell­schaft­li­che Ver­än­de­rung muss sich in der Beschäf­tig­ten­struk­tur wider­spie­geln. Das gilt für den öffent­li­chen Sek­tor ebenso wie für die Pri­vat­wirt­schaft.“ Diese For­mu­lie­rung bil­det den Rah­men für die Beschäf­ti­gung der Initia­tive kul­tu­relle Inte­gra­tion mit dem Thema Inte­gra­tion in der Arbeits­welt, wie z. B. die dies­jäh­rige Jah­res­ta­gung, die sich dem Thema Inte­gra­tion und Arbeit widmete.

Die These war auch Hin­ter­grund des ers­ten Work­shops im Rah­men des Natio­na­len Akti­ons­plan Inte­gra­tion, der im Novem­ber 2018 im Bun­des­kanz­ler­amt durch­ge­führt wurde und in den die Initia­tive kul­tu­relle Inte­gra­tion invol­viert war. Bei die­sem Work­shop wurde aus ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven, Sozi­al­part­ner, Wis­sen­schaft und Kul­tur­ak­teure, erör­tert, wie bedeut­sam und erfolgs­för­dernd eine diverse Beleg­schafts­zu­sam­men­set­zung ist. Im Rah­men des Natio­na­len Akti­ons­plan Inte­gra­tion wurde im Jahr 2021 als eines der Kern­vor­ha­ben die Erstel­lung eines Diver­si­täts­be­richts fest­ge­hal­ten. Mit dem vor­ge­leg­ten Bericht wird die­sem Kern­vor­ha­ben nachgekommen.

Grund­lage des Berichts ist eine Befra­gung von 102 dau­er­haft von der Beauf­trag­ten für Kul­tur und Medien geför­der­ten Kul­tur­ein­rich­tun­gen und -insti­tu­tio­nen. Es han­delt sich um ein brei­tes Spek­trum an Insti­tu­tio­nen mit unter­schied­lich gro­ßen Beleg­schaf­ten. Bei­spiele für diese Ein­rich­tun­gen sind die Stif­tung Preu­ßi­scher Kul­tur­be­sitz, der Deut­sche Lite­ra­tur­fonds, der Deut­sche Musik­rat und andere mehr. Die Befra­gung wurde schrift­lich von einem Befra­gungs­in­sti­tut auf der Grund­lage eines zuvor erar­bei­te­ten Fra­ge­bo­gens durch­ge­führt. Das Befra­gungs­in­sti­tut hat die Daten den Autoren der Stu­die zur Ver­fü­gung gestellt, sodass den Autoren nicht bekannt ist, wel­che Insti­tu­tio­nen geant­wor­tet haben.

Ins­ge­samt haben 67 Insti­tu­tio­nen den umfang­rei­chen Fra­ge­bo­gen aus­ge­füllt, was ange­sichts des Umfangs des Fra­gen­ka­ta­logs, der Kom­ple­xi­tät der Fra­ge­stel­lung und dem zugrunde geleg­ten Diver­si­täts­be­griff mit sei­nen vier Dimen­sio­nen Alter, Geschlecht, Behin­de­rung, Migra­ti­ons­hin­ter­grund sehr erfreu­lich ist. Das belegt, dass das Thema Diver­si­tät in den befrag­ten Insti­tu­tio­nen ange­kom­men ist. Bei den­je­ni­gen, die zwi­schen 31 und 100 Mit­ar­bei­tende haben, gaben sogar 94 Pro­zent an, dass Diver­si­tät in der Arbeit der Ein­rich­tung in den letz­ten drei Jah­ren eine Rolle spielte. Beson­ders wich­tig ist diese Fra­ge­stel­lung bei der Per­so­nal­ge­win­nung. Auf die Frage, inwie­fern das Thema Diver­si­tät in der Insti­tu­tion im Blick ist, ant­wor­te­ten 87 Pro­zent bei Stel­len­aus­schrei­bun­gen und 83 Pro­zent im Bewer­bungs­ver­fah­ren. Bei fast der Hälfte (48 Pro­zent) spielt das Thema eine Rolle in kul­tur­po­li­ti­schen Dis­kus­sio­nen sowie im Aus­tausch mit ähn­li­chen Ein­rich­tun­gen. Auch dies ist ein Beleg, dass die Fra­ge­stel­lung breit debat­tiert wird.

Wird das Per­so­nal betrach­tet, so zeigt sich, dass die Mehr­zahl der Beschäf­tig­ten weib­lich ist (64 Pro­zent). Die über 50-Jäh­ri­gen stel­len mit 42 Pro­zent die größte Beschäf­tig­ten­gruppe, gefolgt von den 30- bis 50-Jäh­ri­gen mit 37 Pro­zent und dann den unter 30-Jäh­ri­gen mit 11 Pro­zent. 4 Pro­zent der Beschäf­tig­ten haben eine Beein­träch­ti­gung. Das ent­spricht in etwa dem Wert der erwerbs­tä­ti­gen Schwer­be­hin­der­ten in der Gesamt­ge­sell­schaft, der bei 4,5 Pro­zent liegt. Beschäf­tigte mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund stel­len 18 Pro­zent der Beschäf­tig­ten. Mit Blick auf den Migra­ti­ons­hin­ter­grund wurde die Defi­ni­tion des Sta­tis­ti­schen Bun­des­amts zugrunde gelegt. Hier wird defi­niert: „Zur Bevöl­ke­rung mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund zäh­len alle Per­so­nen, die die deut­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit nicht durch Geburt besit­zen oder die min­des­tens ein Eltern­teil haben, auf das dies zutrifft.“

Orga­ni­sa­ti­ons­er­he­bun­gen, wie die hier skiz­zierte, ste­hen vor der Her­aus­for­de­rung, dass die für das Per­so­nal in den Insti­tu­tio­nen Zustän­di­gen aus den ver­füg­ba­ren Per­so­nal­un­ter­la­gen nicht unbe­dingt wis­sen, ob Mit­ar­bei­tende einen Migra­ti­ons­hin­ter­grund haben oder nicht. Ein mög­li­cher Migra­ti­ons­hin­ter­grund ist eigent­lich nichts, was den Arbeit­ge­ber angeht, und wird daher in den Daten, die bei­spiels­weise den Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­gern über­mit­telt wer­den, auch nicht erho­ben. Das heißt, dass der Anteil der Beschäf­tig­ten mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund in den befrag­ten Ein­rich­tun­gen unter Umstän­den höher lie­gen kann als ange­ge­ben, weil die ent­spre­chen­den Daten nicht vor­han­den sind. Diese Lücke ließe sich nur durch eine Beschäf­tig­ten­be­fra­gung schlie­ßen. Dar­über ist zu berück­sich­ti­gen, dass einer­seits das Anlie­gen besteht, mehr Diver­si­tät, spe­zi­ell mit Blick auf den Migra­ti­ons­hin­ter­grund, beim Per­so­nal zu errei­chen, und ande­rer­seits streng genom­men der Migra­ti­ons­hin­ter­grund keine Rolle spie­len sollte – eine Apo­rie, die schwer zu lösen ist.

In eini­gen Nach­fra­gen und Dis­kus­sio­nen zum Bericht wurde pro­ble­ma­ti­siert, dass ein fal­scher Begriff gewählt wor­den sei, da EU-Bür­ge­rin­nen und -Bür­ger mit Migran­tin­nen und Migran­ten mit tür­ki­schem Migra­ti­ons­hin­ter­grund gleich­ge­setzt wür­den. Damit würde, so die Kri­ti­ke­rin­nen und Kri­ti­ker, ein schie­fes Bild ent­ste­hen. Dem ist zu ent­geg­nen, dass auch in der amt­li­chen Sta­tis­tik genau die­ser Migra­ti­ons­be­griff ver­wandt wird und er daher eine Refe­renz bil­det, um den ermit­tel­ten Wert an Diver­si­tät bei den Beschäf­tig­ten in Kul­tur­in­sti­tu­tio­nen über­haupt ein­schät­zen zu kön­nen. Mit Blick auf den gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Anteil von Men­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund und deren beruf­li­cher Stel­lung ist der Anteil von Men­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund in den befrag­ten Insti­tu­tio­nen bereits rela­tiv höher. Teil­weise liegt er sogar über dem Bevöl­ke­rungs­an­teil von Men­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund. Zu einem ähn­li­chen Befund kommt auch der Sach­ver­stän­di­gen­rat für Inte­gra­tion und Migra­tion (SVR), der in sei­nem Jah­res­gut­ach­ten 2021 (bit.ly/2XEiEoY) zu dem Schluss kommt, dass Kul­tur­in­sti­tu­tio­nen mit Blick auf migra­ti­ons­be­dingte Diver­si­tät in der Per­so­nal­di­men­sion einen Son­der­fall bil­den. Und zwar in der Hin­sicht, dass »hete­ro­gene Beleg­schaf­ten in vie­len Kul­tur­be­trie­ben schon längst und durch­aus tra­di­tio­nell Rea­li­tät“ sind. Ein Befund, der ange­sichts eini­ger Debat­ten erstaunt.

Unter­sucht wurde beim Diver­si­täts­be­richt auch die Dimen­sion Publi­kum. Vorab sei auch hier auf den SVR ver­wie­sen, der beklagt, dass zu wenig und vor allem zu wenig ver­gleich­bare und valide Daten zum Publi­kum von Kul­tur­ein­rich­tun­gen vor­han­den ist. Auch der Initia­tive kul­tu­relle Inte­gra­tion vor­ge­legte Diver­si­täts­be­richt för­dert zutage, dass Nach­hol­be­darf mit Blick auf sys­te­ma­ti­sche Unter­su­chun­gen zum Publi­kum bestehen. Am ehes­ten wer­den diese von Ein­rich­tun­gen mit einem grö­ße­ren Per­so­nal­stab durchgeführt.

Als zusam­men­fas­sen­der Befund kann fest­ge­hal­ten wer­den, dass zwar eini­ges mit Blick auf Diver­si­tät erreicht wurde, aber noch kein Grund besteht, sich zurück­zu­leh­nen. Der Kul­tur­be­reich wird ähn­lich ande­ren gesell­schaft­li­chen Berei­chen in den nächs­ten Jah­ren vor der Her­aus­for­de­rung ste­hen, den demo­gra­fi­schen Wan­del abzu­fe­dern. Ein beträcht­li­cher Teil der Beleg­schaf­ten wird in den nächs­ten zehn Jah­ren aus dem Erwerbs­le­ben aus­schei­den. Es ist daher im urei­gens­ten Inter­esse, sich als attrak­ti­ver, divers ori­en­tier­ter Arbeit­ge­ber auf­zu­stel­len, um in der Zukunft Per­so­nal zu gewin­nen. Dazu gehö­ren neben einem guten Betriebs­klima auch die ent­spre­chen­den Auf­stiegs­chan­cen. Oder anders gesagt und die These 14 Initia­tive kul­tu­relle Inte­gra­tion auf­grei­fend: In Kul­tur­in­sti­tu­tio­nen sol­len die Talente aller Men­schen zur Ent­fal­tung kommen.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 11/2021.

Von |2021-11-05T13:03:04+01:00November 5th, 2021|Arbeitsmarkt|Kommentare deaktiviert für

Eini­ges erreicht, aber kein Grund, sich zurückzulehnen

Zur Diver­si­tät in Kultureinrichtungen

Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.