Sebas­tian Guhr: Mr. Lin­coln & Mr. Thoreau

Ame­rika im 19. Jahr­hun­dert, Gesell­schaft und Poli­tik sind im Zwie­spalt über die Skla­ve­rei. Ein jun­ger Mann namens Abra­ham Lin­coln ist als Mit­glied der natio­na­lis­ti­schen Whig-Par­tei gro­ßer Anhän­ger der Idee einer ver­bes­ser­ten inner­staat­li­chen Infra­struk­tur, der Indus­tria­li­sie­rung sowie einer stär­ke­ren Zen­tral­macht und Zen­tral­bank. Im Bun­des­staat Illi­nois schlägt er sich zunächst als mit­tel­mä­ßi­ger Prä­rie-Anwalt durchs Leben, ver­liebt sich unglück­lich und hat mit sei­ner Depres­sion zu kämp­fen, bis er seine poli­ti­sche Kar­riere wie­der aufnimmt.

Daran ist ein gewis­ser Henry David Tho­reau nicht ganz unschul­dig. Als Sohn eines Indus­tri­el­len wider­setzt er sich den gesell­schaft­li­chen Zwän­gen, will als Frei­heits­ver­fech­ter die Enge der Stadt hin­ter sich las­sen und stellt die Gesetze des Staa­tes infrage. In der Nähe von Bos­ton, Mas­sa­chu­setts, star­tet er ein Expe­ri­ment, baut sich seine eigene kleine Hütte im Wald und notiert seine Gedan­ken in ver­schie­de­nen Essays. Auf­grund einer Steu­er­zah­lungs­ver­wei­ge­rung ver­bringt Tho­reau eine Nacht im Gefäng­nis, wor­auf­hin er sei­nen Auf­satz „Über die Pflicht zum Unge­hor­sam gegen den Staat“ verfasst.

Genau die­ser Auf­satz rüt­telt Lin­coln wach, seine Empö­rung dar­über hilft ihm, seine Krise zu über­win­den und sich erneut den Weg in die Poli­tik zu bah­nen. Lin­coln – als Befür­wor­ter von Fort­schritt und Ver­än­de­rung – macht sich auf die Suche nach Tho­reau, will mit ihm über seine für ihn nicht nach­voll­zieh­ba­ren Ansich­ten spre­chen. Worin sich jedoch beide einig sind, ist die Unmensch­lich­keit der Skla­ve­rei und die Not­wen­dig­keit ihrer Abschaffung.

Mit „Mr. Lin­coln & Mr. Tho­reau“ nimmt Sebas­tian Guhr einen mit in ein gesell­schaft­lich stark gespal­te­nes Ame­rika kurz vor Aus­bruch des Bür­ger­kriegs und gib auf amü­sante Weise Ein­blick in die Köpfe zweier weg­wei­sen­der Den­ker. Eine his­to­risch ange­rei­cherte Fik­tion, die zum Nach­den­ken über aktu­elle Zustände anregt.

Kris­tin Braband

Sebas­tian Guhr. Mr. Lin­coln & Mr. Tho­reau. Wies­ba­den 2021

Von |2021-10-29T14:42:36+02:00September 2nd, 2021|Rezension|Kommentare deaktiviert für Sebas­tian Guhr: Mr. Lin­coln & Mr. Thoreau