„Nichts über uns ohne uns“

Inklu­sion von blin­den und seh­be­hin­der­ten Men­schen im Kulturbereich

Mehr als 80 Pro­zent aller Wahr­neh­mun­gen nimmt der sehende Mensch mit den Augen auf. Gra­vie­rend sind die Kon­se­quen­zen für blinde und seh­be­hin­derte Men­schen in unse­rer heu­ti­gen Welt. Gerade auch im Kul­tur­be­reich funk­tio­niert vie­les nicht ohne die visu­elle Kom­po­nente. Der Weg zur mehr Inklu­sion ist auch hier noch lang. Klaus Hahn, Prä­si­dent des Deut­schen Blin­den- und Seh­be­hin­der­ten­ver­bands, gibt Ein­blick in die Her­aus­for­de­run­gen und Aufgaben.

Wie ist es aktu­ell um die Inklu­sion von blin­den und seh­be­hin­der­ten Men­schen im Kul­tur­be­reich in Deutsch­land bestellt? Und was for­dern Sie für mehr Inklu­sion im Kul­tur­be­reich von der Kulturpolitik?
Der Zugang zu Kul­tur ist ein Men­schen­recht. Ziel muss sein, die­sen Zugang für behin­derte Men­schen grund­sätz­lich bar­rie­re­frei zu gestal­ten. Das gelingt in Deutsch­land in den ein­zel­nen Berei­chen kul­tu­rel­ler Teil­habe unter­schied­lich gut.

Neh­men wir die Audio­deskrip­tion, also zusätz­li­che Bild­be­schrei­bun­gen für Men­schen mit Seh­einschrän­kung. Die sind inzwi­schen Pflicht, wenn man Film­för­de­rung erhal­ten will, was zu mehr Hör­fil­men geführt hat – nur lei­der kom­men die oft nicht im Kino an, weil die Ver­lei­her nicht mit­spie­len! Hier for­dern wir eine ent­spre­chende Rege­lung im Film­för­de­rungs­ge­setz. Ebenso müs­sen die pri­va­ten Fern­seh­sen­der stär­ker in die Pflicht genom­men wer­den, die haben bis­her gerade mal einige erste Ange­bote bereitgestellt.

Bei den Museen muss ich dif­fe­ren­zie­ren. So tref­fen wir bei­spiels­weise bei volks- und natur­kund­li­chen Samm­lun­gen ein sehr brei­tes Spek­trum von sehr gut bis gar nichts an. Bei den Kunst­mu­seen sto­ßen wir immer wie­der auf Vor­be­halte, weil sich viele Ver­ant­wort­li­che nicht vor­stel­len kön­nen oder wol­len, dass Men­schen, die wenig oder nichts sehen, von Kunst „über­haupt etwas haben“. Diese Hal­tung ist lang­sam im Abbau. Wäh­rend Kunst­schaf­fende selbst es häu­fig als span­nend und berei­chernd emp­fin­den, wie sich blinde Men­schen ihre Arbei­ten erschlie­ßen, ver­weh­ren Ver­ant­wort­li­che in Museen aus kon­ser­va­to­ri­schen Grün­den oft jede Berüh­rung, auch im Rah­men von Son­der­füh­run­gen. Bei der Aus­stel­lung von Bron­ze­skulp­tu­ren eines nam­haf­ten Bild­hau­ers, die übli­cher­weise im Freien ste­hen, wird mir das Berüh­ren verweigert.
In einem Museum für Glas­kunst darf ich bei einer Son­der­füh­rung fast alles, auch die ganz fili­gra­nen Werke anfas­sen, und die Kus­to­din wischt meine Fin­ger­spu­ren wie­der ab.
Oder neh­men wir den Buch­markt: Lei­der gibt es viel zu wenige Bücher in bar­rie­re­freien For­ma­ten. Im Urhe­ber­recht steht immer noch, dass Blin­den­bi­blio­the­ken eine Abgabe an die Ver­wer­tungs­ge­sell­schaf­ten zah­len müs­sen, wenn sie Bücher bar­rie­re­frei umset­zen und an blinde, seh­be­hin­derte und lese­be­hin­derte Men­schen nicht kom­mer­zi­ell abge­ben. Diese Abgabe muss gestri­chen wer­den. Wir for­dern außer­dem, dass Schul­bü­cher nur zuge­las­sen wer­den, wenn es eine bar­rie­re­freie Fas­sung gibt.

So kämp­fen wir in vie­len Kul­tur­be­rei­chen dafür, dass die umfas­sen­den recht­li­chen Ver­pflich­tun­gen aus der Behin­der­ten­rechts­kon­ven­tion der Ver­ein­ten Natio­nen auch wirk­lich umge­setzt werden.

An wel­chen Stell­schrau­ben muss jetzt in den Kul­tur­or­ga­ni­sa­tio­nen und -insti­tu­tio­nen gedreht wer­den? Wel­che Rolle spielt dabei die Ausbildung?
Mein Ein­druck: Viele Men­schen in die­sen Ein­rich­tun­gen wis­sen um ihre Ver­pflich­tung zur Bar­rie­re­frei­heit, sie haben Inklu­si­ons­pläne und sie haben sich auch etwas aus­ge­dacht – nur lei­der geht das dann oft am Bedarf vor­bei, weil ver­säumt wurde, behin­derte Men­schen bei der Ent­wick­lung der Kon­zepte ein­zu­be­zie­hen. Der Grund­satz „Nichts über uns ohne uns“ gilt auch hier. Wenn ich an das Per­so­nal denke, das direkt mit behin­der­ten Men­schen zu tun hat, dann wäre es sicher hilf­reich, das Thema „Behin­derte Men­schen in Kul­tur­ein­rich­tun­gen“ in den Plä­nen für Aus- und Wei­ter­bil­dung zu verankern.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 09/2021.

Von |2021-09-02T17:00:52+02:00September 2nd, 2021|lnklusion|Kommentare deaktiviert für

„Nichts über uns ohne uns“

Inklu­sion von blin­den und seh­be­hin­der­ten Men­schen im Kulturbereich

Klaus Hahn ist Präsident des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands (DBSV).