Dies­seits und jen­seits des Tischkickers

Zwi­schen Tra­di­tion und Start-ups: Direkte und indi­rekte Kul­tur­pro­gramme für Arbeitnehmende

Kul­tur muss sein. Auch am Arbeits­platz – oder zumin­dest gleich dane­ben. Tra­di­tio­nell klin­ken sich des­halb viele Unter­neh­men ins Kul­tur­ge­sche­hen ein, spen­den oder spon­sern und mit­un­ter bie­ten sie auch ihren Mit­ar­bei­ten­den etwas an. Bei den Che­mie­kon­zer­nen Bayer AG in Lever­ku­sen und der BASF SE in Lud­wigs­ha­fen schauen Kunst und Kul­tur für die eigene Beleg­schaft auf über hun­dert Jahre Tra­di­tion zurück. Bei Bayer waren es um 1904 wohl neun Arbeits­ka­me­ra­den, die sich nach Arbeits­schluss im Werk tra­fen, um gemein­sam zu musi­zie­ren. Aus ihnen ent­stand ein Streich­or­ches­ter, die Bayer Phil­har­mo­ni­ker. Drei Jahre spä­ter wurde die Bayer-Kul­tur­ab­tei­lung gegrün­det, denn andere mach­ten es den Strei­chern nach. Es grün­de­ten sich Blas­or­ches­ter, ein Män­ner­chor, und bis heute gibt es ein Man­do­li­nen- und ein Akkor­de­on­or­ches­ter. Die Bayer Phil­har­mo­ni­ker auch. Als ein­ge­tra­ge­ner Ver­ein beschäf­tigt das ehren­amt­lich bis semi­pro­fes­sio­nelle Ensem­ble mit Bar Avni eine haupt­be­ruf­li­che Chef­di­ri­gen­tin und gibt Kon­zerte in der Region und in „sei­nem“ Kon­zert­saal in Lever­ku­sen, dem Bayer-Erho­lungs­haus, das 1907 in der Werk­sied­lung, wo die Arbei­ter­fa­mi­lien wohn­ten, eröff­net wurde. Hier fan­den regel­mä­ßig Kon­zerte statt, bald auch Gast­spiele. Die Beleg­schaft sollte sich nach Arbeits­schluss bei geis­ti­ger Nah­rung erho­len. Eine ähn­li­che Insti­tu­tion ist in Lud­wigs­ha­fen das 1913 eröff­nete unter­neh­mens­ei­gene BASF-Fei­er­abend­haus. Erst intern für die eigene Arbeit­neh­mer­schaft, spä­ter auch fürs öffent­li­che Publi­kum, fan­den hier regel­mä­ßig Kon­zerte statt. Auch die BASF hat ein Sin­fo­nie­or­ches­ter. Es hat sich 1980 gegrün­det, tritt heute als ambi­tio­nier­tes Laien-Ensem­ble unter dem Namen LUfo­ni­ker auf. Wie beim Erho­lungs­haus in Lever­ku­sen holte man sich auch im BASF-Fei­er­abend­haus die große, weite Welt der Kul­tur vor Ort. Bis heute ist das BASF-Fei­er­abend­haus für die Deut­sche Staats­phil­har­mo­nie Rhein­land-Pfalz ein wich­ti­ger Spiel­ort. Das heißt, öffent­li­cher Kul­tur­be­trieb und pri­vat­wirt­schaft­li­ches Unter­neh­men gehen Hand in Hand. Ähn­lich ist auch das Ver­hält­nis in Lever­ku­sen, wo das Erho­lungs­haus der Bayer AG viele Jahre für die Stadt Lever­ku­sen als Bespiel­thea­ter gedient hat. In bei­den Kon­zer­nen besteht das Enga­ge­ment für die Kul­tur aus einer Mischung von Tra­di­tion und inno­va­ti­ver Eigen­dy­na­mik. Die BASF hat 2019 unter dem Titel „Tor 4“ eine Serie von Ver­an­stal­tun­gen, Work­shops und Dis­kus­si­ons­run­den gestar­tet, um mode­rat und zeit­ge­mäß Wis­sen­schaft, Wirt­schaft und Kul­tur ein­an­der näher­zu­brin­gen. Bayer lädt die­ses Jahr zum ers­ten Mal zu sei­nem umfas­sen­den Fes­ti­val ein unter dem Titel „stART­fes­ti­val“, über Lever­ku­sen hin­aus auch an den Stand­or­ten Wup­per­tal, Ber­lin und Bit­ter­feld. Kurzum: Das Enga­ge­ment ist groß. Wie aber pro­fi­tie­ren die Mit­ar­bei­ten­den davon?

Nein, Frei­kar­ten für die Beleg­schaft gibt es nicht. „Das geht aus steu­er­recht­li­chen Grün­den nicht“, begrün­det Tho­mas Helf­rich, Lei­ter von Bayer Kul­tur, die Rege­lung. Ent­spre­chen­des gilt auch bei Klaus Gas­tei­ger vom BASF-Social Enga­ge­ment: „Wir bie­ten aber unse­ren Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern einen frü­he­ren Vor­ver­kaufs­ter­min der Tickets an und das wird gut ange­nom­men.“ In bei­den Kon­zer­nen fin­den jähr­lich Jubi­lar­fei­ern statt mit gro­ßem Kul­tur­pro­gramm, zu denen aus­ge­wählte Mit­ar­bei­tende ein­tritts­frei ein­ge­la­den wer­den. Nur sehr ver­ein­zelt gibt es mal kos­ten­freie Kul­tur­ange­bote für Mit­ar­bei­tende, auch spo­ra­disch Ticket-Ver­lo­sun­gen. Aber en gros gilt, dass Mit­ar­bei­tende zu den öffent­li­chen Kul­tur­pro­gram­men den glei­chen Zugang haben wie auch die Öffent­lich­keit außer­halb des Unter­neh­mens. Eine Beson­der­heit ist dabei viel­leicht die Bil­dende Kunst. Die Bayer Arto­thek z. B. umfasst 5.500 Kunst­werke, von denen Mit­ar­bei­tende zur Aus­stat­tung ihrer Fir­men- und Büro­räume, in denen sie sich täg­lich bewe­gen, aus­wäh­len dür­fen und sol­len. Ansons­ten rich­ten sich die Kul­tur­pro­gramme der Kon­zerne eigent­lich nur indi­rekt an die Beleg­schaft – und kom­men trotz­dem an. Auch wenn die Daten nicht erho­ben wer­den, weiß Tho­mas Helf­rich aus Erfah­rung, dass in den letz­ten Spiel­zei­ten unter den jähr­lich über 30.000 Ver­an­stal­tungs­be­su­chern viele Mit­ar­bei­tende dabei waren, vor allem auch viele ehe­ma­lige, ältere Kol­le­gin­nen und Kollegen.

In jün­ge­ren Unter­neh­men, vor allem denen der New Eco­nomy, ist das Kul­tur­enga­ge­ment in der Regel weni­ger insti­tu­tio­na­li­siert. Google z. B. gibt es seit 23 Jah­ren. Mit sei­nen Pro­duk­ten wie anfangs der Such­ma­schine, dann den digi­ta­len Maps und der­zeit den Anwen­dun­gen künst­li­cher Intel­li­genz steht Google im Zusam­men­hang mit Digi­ta­li­sie­rung grund­sätz­lich für Inno­va­tion. Google Deutsch­land hat heute vier Büros und rund 2.000 Mit­ar­bei­tende. Kul­tur­ange­bote für sie wer­den bei Google unter ande­rem als „kuli­na­ri­sche Kul­tur“ inter­pre­tiert. Google-Mit­ar­bei­te­rin­nen und -Mit­ar­bei­ter haben kos­ten­freies Essen und Trin­ken – wobei die Lebens­mit­tel hoch­wer­tig und nach­hal­tig her­ge­stellt zu sein haben. Es gibt moderne, helle Kan­ti­nen und Google-Büros haben soge­nannte Micro-Kit­chens, die mehr Cafe­te­ria sind als Küchenecke. Sinn und Zweck ist, dass sich dort auch Mit­ar­bei­tende begeg­nen und aus­tau­schen, die ansons­ten kei­nen Kon­takt haben. Diese Funk­tion über­nimmt auch der sagen­um­wo­bene Tisch­ki­cker, der – so die etwas ver­klärte volks­tüm­li­che Mei­nung – über­all im jun­gen, krea­ti­ven IT-Busi­ness anzu­tref­fen ist. Google-Spre­cher Ralf Bre­mer kennt das Kli­schee: „Die Tisch­ki­cker gibt es bei uns tat­säch­lich. Aber sie allein machen nicht unsere Arbeits­kul­tur aus.“ Viel­mehr seien die Prin­zi­pien von Begeg­nung, von fla­chen Hier­ar­chien und vom Wohl­fühl­cha­rak­ter, dass alle sich gern an ihrem Arbeits­platz auf­hal­ten, über­all anzu­tref­fen. Obwohl sich Google in der Pan­de­mie als IT-Unter­neh­men recht schnell mit vir­tu­el­len Kon­fe­ren­zen und Home­of­fice gut zurecht­ge­fun­den habe, hät­ten alle bei Google schmerz­lich die Vor­züge des Prä­senz­ar­bei­tens ver­misst. „Durch Corona hat unsere Kul­tur des Aus­tauschs unter­ein­an­der doch sehr gelit­ten“, fasst Bre­mer zusam­men. Dabei dürfte Aus­tausch gene­rell für die Beleg­schaft enorm wich­tig sein. In ande­ren Län­dern hat Google Betriebs­räte, bei Google Deutsch­land jedoch nicht. Auch das ist Goo­gles Unter­neh­mens­kul­tur. Inter­es­sen­grup­pen wie­derum hat Google viele. Sie wer­den Employee Res­source Groups, abge­kürzt ERGs, genannt. Auf Initia­tive der Mit­ar­bei­ten­den schlie­ßen sich ERGs – in ers­ter Linie natür­lich über Inter­net­to­ols – zusam­men, zum Thema Lau­fen, Fit­ness, Nach­hal­tig­keit oder auch Musik. In allen Büros von Google Deutsch­land gibt es eine soge­nannte Cul­ture-Club-ERG. Die ERGs erhal­ten vom Unter­neh­men ein jähr­li­ches Bud­get, womit die Mit­ar­bei­ten­den Ver­an­stal­tun­gen durch­füh­ren kön­nen, z. B. dass man ab und zu gemein­sam ins Museum geht oder auch zu Som­mer- oder Weih­nachts­fei­ern ein­lädt. Das stärkt die Eigen­ver­ant­wor­tung der Mitarbeitenden.

Erfreu­lich ist, dass sich auch so man­che Start-ups in Kul­tur­ange­le­gen­hei­ten für ihre Beleg­schaft ein­set­zen, obwohl sie als junge Unter­neh­men neu am Markt sind und sich des­halb extrem auf ihr Kern­ge­schäft zu fokus­sie­ren haben. Wobei der Kul­tur­be­griff hier wei­ter zu fas­sen ist. Ange­bote zum Team­buil­ding ste­hen etwa an ers­ter Stelle, wie Michael Wendt, seit 1. März 2021 Mit­ge­schäfts­füh­rer der 2015 gegrün­de­ten HRin­stru­ments GmbH schil­dert. Der Münch­ner IT-Betrieb mit zehn Mit­ar­bei­tern ent­wi­ckelt und betreut digi­tale Feed­back-Tools für Unter­neh­men und Füh­rungs­kräfte. Gele­gent­lich zieht sich die Beleg­schaft für ein Wochen­ende an einen sepa­ra­ten Semi­nar­ort zurück, wo gemein­sam gear­bei­tet, aber auch gewan­dert, Sport gemacht, gekocht und geges­sen wird oder es wer­den bei­spiels­weise am Abend Kul­tur­ange­bote vor Ort wahr­ge­nom­men. „Die Kul­tur­ange­bote sind bei uns ein ›Nice-to-have‹, aber sie ste­hen nicht unbe­dingt an ers­ter Stelle“, sagt Michael Wendt. Ähn­lich sieht es auch Mit­grün­de­rin Alice Mar­tin von Der­ma­no­stic, einem 2019 gestar­te­ten tele­me­di­zi­ni­schen Unter­neh­men. Über eine App kön­nen Pati­en­ten Fotos ihrer Haut­ver­än­de­rung hoch­la­den und von Haut­fach­ärz­ten Dia­gnose und The­ra­pie­emp­feh­lung erhal­ten. Der Erfolg die­ses Geschäfts­mo­dells war über­wäl­ti­gend, aller­dings fast zeit­gleich mit Corona. „Wir woll­ten ein Kul­tur­pro­jekt ange­hen, ein Bene­fiz­kon­zert mit dem Musik­korps der Bun­des­wehr“, sagt Alice Mar­tin: „Das hat bis­lang nicht geklappt, wird aber viel­leicht als Online-Kon­zert rea­li­siert.“ Für die Beleg­schaft wäre das ein schö­nes Signal, dass sich auch das junge Unter­neh­men kul­tu­rell und sozial engagiert.

Kul­tur­ange­bote machen den Arbeits­platz attrak­ti­ver. Aus­schlag­ge­bend für die Wahl des Arbeits­plat­zes sind sie jedoch kaum. Wer einen Job bei einem Start-up antritt, lan­det dort, weil er von der inno­va­ti­ven Auf­gabe über­zeugt ist. Und weder bei Google noch bei Bayer oder BASF bewer­ben sich Men­schen aus aller Welt, weil die Kul­tur­ange­bote dort so ver­lo­ckend wären. „Die Ent­schei­dun­gen bei Bewer­bun­gen und Ein­stel­lungs­ge­sprä­chen hän­gen sicher­lich von ande­ren greif­ba­re­ren Fak­to­ren ab“, meint Klaus Gas­tei­ger von der BASF. Neue Mit­ar­bei­tende erhal­ten ein Will­kom­mens­pa­ket, das auch Hin­weise auf die Kul­tur­ange­bote ent­hält. Aber ansons­ten klingt das kul­tu­relle Enga­ge­ment des Unter­neh­mens im Arbeits­all­tag eher als Selbst­ver­ständ­lich­keit mit. Bei Bayer gibt es übri­gens, wie man auf Nach­frage erfährt, auch einen Tisch­ki­cker. „Der ist aus Kar­ton, sehr nach­hal­tig“, sagt Tho­mas Helf­rich: „Ich habe aber noch nie jeman­den dran spie­len sehen.“ Woran das nun liegt, weiß man nicht. Aber wahr­schein­lich ist es mit so einem Tisch­ki­cker wie mit der Kul­tur über­haupt: Erst mal gut, dass sie da ist.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 05/2021.
Von |2021-05-25T10:37:21+02:00Mai 5th, 2021|Arbeitsmarkt|Kommentare deaktiviert für

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Zwi­schen Tra­di­tion und Start-ups: Direkte und indi­rekte Kul­tur­pro­gramme für Arbeitnehmende

Sven Scherz-Schade ist freier Journalist und arbeitet unter anderem zu den Themen Kultur und Kulturpolitik für den Hörfunk SWR2.