Wie sieht der lebendige Alltag von Jüdinnen und Juden heute in Deutschland aus? Vielfältig! Einblick in diese Vielfalt gibt das Projekt des Zentralrates der Juden in Deutschland „Meet a Jew“. Dabei sollen durch persönliche Begegnung Zusammenhalt gefördert und Vorurteile vor ihrem Entstehen entgegengewirkt werden. Die Projektkoordinatorin Mascha Schmerling berichtet.
„Meet a Jew“ will dazu beitragen, aktuelles jüdisches Leben durch in Deutschland lebende jüdische Menschen kennenzulernen – wie geht das genau und welche Motivation steht dahinter?
Das Projekt vermittelt jüdische Freiwillige, die in Begegnungen mit Gruppen einen Einblick in ihren persönlichen Alltag geben und auf Augenhöhe Fragen rund um ihre Religion, Kultur, Traditionen oder die persönliche Biografie beantworten. Unsere Motivation ist es, das gegenwärtige jüdische Leben in Deutschland sichtbar zu machen, dem Wort „Jude“ ein Gesicht zu geben und einen positiven Zugang zum Judentum zu ermöglichen. Ein zeitgemäßes Bild, das jüdische Menschen nicht auf den Holocaust oder den Antisemitismus reduziert und die Lebenswirklichkeit von deutschen Juden abbildet. Da die wenigsten Menschen in Deutschland eine Jüdin oder einen Juden persönlich kennen, helfen niedrigschwellige persönliche Begegnungen, miteinander statt übereinander zu sprechen und Klischees aufzubrechen.
Hinter „Meet a Jew“ stehen viele Gesichter und Geschichten. Inwieweit befördert dieser plurale Ansatz die Begegnungen und auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt?
Es ist uns wichtig zu zeigen, dass es nicht „die Juden“ gibt, sondern eine Vielzahl von jüdischen Identitäten. Die jüdische Gemeinschaft ist sehr vielfältig, es gibt viele Möglichkeiten das Jüdischsein zu leben. Auch unsere Gesellschaft ist mittlerweile sehr divers. Diese Pluralität sollte auch im Alltag gelebt und in der öffentlichen Wahrnehmung gesehen und mitgedacht werden.
Jüdinnen und Juden verstehen sich als einen selbstverständlichen Teil davon und wollen nicht als fremd kategorisiert werden. Deutsch und jüdisch zu sein ist kein Widerspruch. „Meet a Jew“-Begegnungen spiegeln die Pluralität in der Gesellschaft und sensibilisieren für die Gefahren, die von Vorurteilen ausgehen.
Die Schwerpunkte der Arbeit von „Meet a Jew“ liegen auf Begegnungen in der Schule, auf dem Campus und bei Sport. Wieso konzentrieren Sie sich insbesondere auf diese Gesellschaftsbereiche?
Eines der Ziele von „Meet a Jew“ ist es, Menschen anzusprechen, die noch kein gefestigtes Weltbild haben und bevor Vorurteile entstehen. Dies gelingt am besten in jüngeren Gruppen, da niemand als Antisemit geboren wird. Es ist auch einfacher, präventiv gegen Antisemitismus vorzugehen als ihn nachträglich mit größerem Aufwand zu bekämpfen.
Der Schwerpunkt Sport ist für uns deshalb so spannend, weil Sport wie kein anderes Thema Menschen quer durch die Gesellschaft begeistert und verbindet. Er bietet einen leichten Einstieg ins Gespräch und betont den Fairplay-Gedanken. Mit unseren Kooperationspartnern Lernort Stadion e.V. und Makkabi Deutschland e.V. können wir sportaffine Menschen erreichen und sie als Multiplikatoren für eine offene und vielfältige Gesellschaft gewinnen.
Gleichzeitig sind wir realistisch, dass „Meet a Jew“ nur ein Baustein in der Prävention von Antisemitismus sein kann. Antisemitismus tritt immer offener zutage und zeigt, wo wir als Gesellschaft stehen.
Wo Juden angegriffen werden, ist auch die Demokratie in Gefahr. Es braucht daher eine nachhaltige und strukturelle Auseinandersetzung mit den demokratiegefährdenden und menschenfeindlichen Einstellungen in unserem Land. So sollten z. B. Lehrkräfte und Beamte bereits in der Ausbildung darin geschult werden, Antisemitismus zu erkennen und den Umgang damit zu erlernen.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2021.