Der Tra­di­tion ver­bun­den – in der Moderne leben

Zur Grün­dung der Jüdi­schen Aka­de­mie in Frank­furt am Main

Mit ihrem Sitz in der Main­me­tro­pole Frank­furt am Main steht die Jüdi­sche Aka­de­mie in der Tra­di­tion des Freien Jüdi­schen Lehr­hau­ses und wirkt als intel­lek­tu­el­ler Mit­tel- und Anzie­hungs­punkt sowohl für Juden aus Deutsch­land und Europa als auch für Mit­glie­der ande­rer Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten, die an jüdi­schen, inter­kul­tu­rel­len, inter­re­li­giö­sen oder uni­ver­sel­len Fra­ge­stel­lun­gen inter­es­siert sind. Sie wird als eigen­stän­dige Insti­tu­tion im Rah­men des Zen­tral­rats der Juden in Deutsch­land öffent­li­che Dis­kurse auf­grei­fen und somit der jüdi­schen Stimme in Deutsch­land ein erkenn­ba­res Pro­fil verleihen.

Das jüdi­sche Bil­dungs­ver­ständ­nis sieht sich beson­ders dem Pos­tu­lat einer akti­ven Tole­ranz und eines gleich­be­rech­tig­ten Mit­ein­an­ders von Kul­tu­ren ver­pflich­tet. Die Jüdi­sche Aka­de­mie will gerade im Zeit­al­ter der Glo­ba­li­sie­rung ihren Bei­trag dazu leis­ten, dass die deut­sche Gesell­schaft, in der sie wirkt, kul­tu­relle und reli­giöse Plu­ra­li­tät akzep­tiert. Wei­ter­hin sieht die Jüdi­sche Aka­de­mie ihre Auf­gabe in der krea­ti­ven und kri­ti­schen Aneig­nung des reli­giö­sen und kul­tu­rel­len Erbes des euro­päi­schen und deut­schen Juden­tums. Sie ist bestrebt, die­ses Erbe in der Zukunfts­de­batte sowohl in den Jüdi­schen Gemein­den als auch in der deut­schen wie der euro­päi­schen Gesell­schaft ein­zu­brin­gen. Zugleich möchte sie die Tra­di­tio­nen des in der ehe­ma­li­gen Sowjet­union gewach­se­nen Juden­tums, die durch die Zuwan­de­rung der rus­sisch­spra­chi­gen Juden in den Jüdi­schen Gemein­den zur Gel­tung kom­men, wür­di­gen und aufnehmen.

Die Jüdi­sche Aka­de­mie ist vor dem Hin­ter­grund der kul­tu­rel­len und reli­giö­sen Viel­falt der in Deutsch­land leben­den jüdi­schen Gemein­schaft vor die Auf­gabe gestellt, unter­schied­li­chen Bil­dungs­ver­ständ­nis­sen und -hori­zon­ten gerecht zu wer­den: So ste­hen reli­giös begrün­dete Zugänge zu Bil­dung und Erzie­hung neben bil­dungs­bür­ger­lich, säku­lar gepräg­ten oder reli­gi­ons­fer­nen Ansät­zen. Die Ver­mitt­lung eines auf­ge­klär­ten Juden­tums, in dem diese unter­schied­li­chen Tra­di­tio­nen ihren begrün­de­ten Platz haben und zugleich darum rin­gen, Juden unter­schied­li­cher Alters­grup­pen über­zeu­gende Ori­en­tie­rungs­an­ge­bote zu unter­brei­ten, fällt in den Auf­ga­ben­be­reich der Jüdi­schen Aka­de­mie. Sie ist bestrebt, im Rah­men ihrer päd­ago­gi­schen Pra­xis die Her­aus­bil­dung jüdi­scher Iden­ti­tä­ten in der Moderne zu vertiefen.

Wozu eine Jüdi­sche Akademie?

Mit der Ein­wan­de­rung von über 200.000 Juden aus der ehe­ma­li­gen Sowjet­union nach Deutsch­land seit Ende der 1980er Jahre zählt die Jüdi­sche Gemein­schaft in Deutsch­land zu den zah­len­mä­ßig größ­ten in Europa. Mit der gewal­ti­gen Her­aus­for­de­rung für die jüdi­schen Zuwan­de­rer, sich in die Gesell­schaft und in den Jüdi­schen Gemein­den zu inte­grie­ren, wächst auch deren Bedarf nach poli­ti­scher, kul­tu­rel­ler oder reli­giö­ser Orientierung.

Die Lage der jüdi­schen Min­der­heit in Deutsch­land ist – auch im Ver­gleich mit ande­ren Min­der­hei­ten – durch eine Reihe von Beson­der­hei­ten gekennzeichnet.

  • Die in Deutsch­land leben­den Juden sind auch Jahr­zehnte nach der Shoah mit den Fol­gen der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ver­nich­tungs­po­li­tik kon­fron­tiert. Es gibt kaum eine in Deutsch­land lebende jüdi­sche Fami­lie, die nicht Opfer des natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ras­sen­wahns zu ver­zeich­nen hat.
  • Im Unter­schied zu ande­ren von den Natio­nal­so­zia­lis­ten ver­folg­ten Min­der­hei­ten weist die jüdi­sche Gemein­schaft jedoch ein deut­li­ches reli­giö­ses Pro­fil auf: Bei aller Beto­nung eines eth­ni­schen jüdi­schen Zusam­men­hangs ist der wesent­li­che Aspekt der jüdi­schen Gemein­schaft die jüdi­sche Religion.
  • Der jüdi­sche Glaube zählt sowohl zu den Fun­da­men­ten der Auf­klä­rung als auch zur Real­ge­schichte Euro­pas in Mit­tel­al­ter und Frü­her Neu­zeit; die Auf­klä­rung wäre ohne die Betei­li­gung von Juden und die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Juden­tum nicht zu ver­ste­hen – ganz zu schwei­gen von der Kul­tur der Moderne.
  • Mit ande­ren in der mul­ti­kul­tu­rel­len Immi­gra­ti­ons­ge­sell­schaft leben­den eth­ni­schen Min­der­hei­ten ver­bin­det die jüdi­sche Min­der­heit die exis­ten­zi­elle Anteil­nahme am Schick­sal eines „Her­kunfts- oder Zukunfts­lan­des“ – im Falle der Juden ist dies der Staat Israel, an des­sen Geschick sie mit Inten­si­tät Anteil neh­men. Das Inter­esse der Juden wie­derum unter­schei­det sich von ande­ren For­men eth­ni­schen Enga­ge­ments der in Deutsch­land leben­den Min­der­hei­ten, dass der Staat, mit des­sen his­to­ri­scher und gegen­wär­ti­ger Ent­wick­lung sie sich iden­ti­fi­zie­ren, nach wie vor exis­ten­zi­ell bedroht ist und zugleich eine Zuflucht vor Juden­feind­schaft verheißt.

Aus die­sen beson­de­ren Merk­ma­len der jüdi­schen Gemein­schaft las­sen sich die sowohl an die all­ge­meine und jüdi­sche Öffent­lich­keit gerich­te­ten Pro­gramm­an­ge­bote ent­wi­ckeln. Die Jüdi­sche Aka­de­mie wird sich gezielt an ein poli­tisch und kul­tu­rell inter­es­sier­tes und enga­gier­tes Publi­kum wen­den. Nicht zuletzt wird es darum gehen, auch rele­van­ten Per­so­nen aus Poli­tik, Kul­tur, Öko­no­mie und Reli­gion die Gele­gen­heit zu geben, sich aus ers­ter Hand – durch Vor­träge von Exper­ten und Tref­fen mit jüdi­schen Ver­ant­wor­tungs­trä­gern – über Belange des zeit­ge­nös­si­schen Juden­tums zu infor­mie­ren. Die Jüdi­sche Aka­de­mie wird ihre the­ma­ti­schen Ange­bote in Form von offe­nen Vor­trä­gen, Semi­na­ren, inter­nen und exter­nen Fort­bil­dungs­ver­an­stal­tun­gen, Exkur­sio­nen und Koope­ra­ti­ons­ver­an­stal­tun­gen unterbreiten.

Selbst­ver­ständ­nis und his­to­ri­sche Ver­an­ke­rung der Jüdi­schen Akademie

a. Eine zen­trale Pro­gramm­schiene wird sich der deutsch-jüdi­schen Geschichte sowie der Geschichte der Ver­nich­tung des euro­päi­schen Juden­tums und sei­ner Renais­sance zu wid­men haben. Nach wie vor wird die deutsch-jüdi­sche Geschichte in der Öffent­lich­keit mehr beschwo­ren, als dass sie bekannt ist und obwohl die Jüdi­schen Museen mit ihren Aus­stel­lun­gen hier schon viel ver­än­dert haben, ist der Öffent­lich­keit noch zu wenig bekannt, dass die Geschichte der in „Asch­ke­nas“ leben­den Juden ein inte­gra­ler Teil der deut­schen Geschichte ist. Das, was gemein­hin als Auf­ar­bei­tung der Shoah bezeich­net wird, ist his­to­risch noch bei Wei­tem nicht aus­rei­chend erforscht. Wich­tige Fra­gen – etwa danach, was die Deut­schen „wuss­ten“ bzw. wie sich der Wider­stand zur Juden­ver­nich­tung ver­hielt – sind nach wie vor, gerade ihrer beson­de­ren mora­li­schen Bedeut­sam­keit wegen, hoch umstrit­ten, und die Frage, ob und was von die­sem furcht­ba­ren Gesche­hen Kin­dern und Jugend­li­chen ver­mit­telt wer­den kann, eben­falls Gegen­stand inten­si­ver fach­päd­ago­gi­scher Dis­kurse. Noch viel zu wenig bekannt und erör­tert ist die in Ansät­zen erforschte Geschichte der Wie­der­grün­dung der Jüdi­schen Gemein­den nach dem Zwei­ten Welt­krieg: Das betrifft sowohl die Geschichte der Dis­pla­ced Per­sons, der Rück­kehr deut­scher Juden als auch der jüdi­schen Gemein­den in der ehe­ma­li­gen DDR.

b. Was für die Geschichte ein­leuch­tet, trifft für die Kennt­nis der jüdi­schen Gemein­schaft in ihrer Gegen­wart alle­mal zu. Die Bezie­hun­gen und das Span­nungs­ver­hält­nis von jüdi­schem Glau­ben und sei­nen ver­schie­de­nen Aus­for­mun­gen, jüdi­schen Lebens­wei­sen, die Exis­tenz des Staa­tes Israel und staats­bür­ger­li­cher jüdi­scher Exis­ten­z­weise in der Dia­spora ste­hen im Mit­tel­punkt jüdi­schen Inter­es­ses, wobei nor­ma­tive, glau­bens­ge­lei­tete Vor­stel­lun­gen eine ebenso große Rolle zu spie­len haben wie sozio­lo­gi­sche und sozi­al­psy­cho­lo­gi­sche Fakten.

c. Das Juden­tum in Geschichte und Gegen­wart aus sich selbst her­aus ver­ständ­lich zu machen, wird eine der Haupt­auf­ga­ben der Jüdi­schen Aka­de­mie sein. Weit­ge­hend unbe­kannt ist auch die Viel­falt jüdi­scher Deno­mi­na­tio­nen und Liturgien

d. Es gehört zu den Rea­li­tä­ten jüdi­schen Lebens und der poli­ti­schen Exis­tenz in Deutsch­land, sich mit der in jeder Hin­sicht beson­de­ren Rolle Isra­els aus­ein­an­der­set­zen. Dabei fällt auf, dass die Rea­li­tät der israe­li­schen Gesell­schaft jen­seits des Nah­ost­kon­flikts in der deut­schen Öffent­lich­keit nur eine geringe Auf­merk­sam­keit erfährt. Zwar sind israe­li­sche Autoren hier­zu­lande Best­sel­ler­au­toren, doch sind die sozia­len Ver­hält­nisse in Israel vom Bil­dungs­sys­tem über die Par­tei­en­land­schaft bis hin zur poli­ti­schen Kul­tur, von Kunst, Musik, Lite­ra­tur und Film eher nur wenig bekannt. Die Jüdi­sche Aka­de­mie will die­ser Rea­li­tät in Form einer beson­de­ren Pro­gramm­schiene entsprechen.

e. Die unmit­tel­bare Auf­gabe, vor der die jüdi­sche Gemein­schaft in Deutsch­land indes steht, ist ihre innere Inte­gra­tion. Die künst­le­risch und intel­lek­tu­ell ebenso anspruchs­volle zweite und dritte Gene­ra­tion jüdi­scher Immi­gran­ten aus den Ter­ri­to­rien der ehe­ma­li­gen Sowjet­union wird das künf­tige Bild eines erneu­er­ten deut­schen Juden­tums prä­gen; man wird diese Syn­these kaum ver­ste­hen, ohne sich mit der jahr­hun­der­te­al­ten Geschichte der rus­si­schen Juden bis zum Ende der Sowjet­union inten­si­ver zu befas­sen. Die Jüdi­sche Aka­de­mie wird sich mit der Sozio­lo­gie, Psy­cho­lo­gie und Kul­tur die­ser Immi­gra­tion befas­sen und sie in ihren Ver­an­stal­tun­gen ein­bin­den, wodurch auch ein Bei­trag zur Ent­wick­lung der jüdi­schen Gemein­schaft geleis­tet wer­den kann.

Auf­ga­ben und Herausforderungen

Die Jüdi­sche Aka­de­mie sieht ihre Auf­gabe darin, die Krea­ti­vi­tät, die Span­nun­gen und Kon­flikte, die Chan­cen und Zukunfts­aus­sich­ten der Gemein­schaft der Öffent­lich­keit zu ver­mit­teln, und will damit einen eige­nen Bei­trag zur Fort­ent­wick­lung des erneu­er­ten Juden­tums in Deutsch­land und Europa leis­ten. Sie wird die­sem Pro­gramm in viel­fäl­ti­gen For­ma­ten nach­ge­hen und dabei fol­gende Schwer­punkte behandeln:

  1. Das Juden­tum – eine leben­dige Reli­gion in Geschichte und Gegenwart
    Eine Viel­falt reli­giö­ser Strö­mun­gen und Lit­ur­gien von der Ortho­do­xie über das Reform­ju­den­tum bis zu chas­si­di­schen Grup­pen for­men das jüdi­sche Leben welt­weit. Jüdi­sche Bil­dungs­ar­beit hat den Anspruch, die inner­jü­di­sche Plu­ra­li­tät zum Thema zu machen und eine Platt­form anzu­bie­ten, die sich mit den Posi­tio­nen und Tra­di­tio­nen der unter­schied­li­chen reli­giö­sen Strö­mun­gen des Juden­tums auseinandersetzt.
  1. Jüdi­sche Lebens­wel­ten – Plu­ra­li­sie­rung und Eigensinn
    Die jüdi­sche Gemein­schaft in Deutsch­land ist in den letz­ten Jahr­zehn­ten durch die Zuwan­de­rung von Juden nach Deutsch­land zah­len­mä­ßig enorm gewach­sen. Juden aus unter­schied­li­chen Her­kunfts­län­dern und reli­giö­ser Tra­di­tio­nen prä­gen die jüdi­sche Gemein­schaft. Der aktive Bei­trag der Jüdi­schen Aka­de­mie bei der Prä­sen­ta­tion und Ent­wick­lung der jüdi­schen Plu­ra­li­tät besteht darin, Ver­tre­tern jüdi­scher Grup­pen unter­schied­li­cher Alters­grup­pen sowie reli­giö­ser und kul­tu­rel­ler Ori­en­tie­run­gen ein Forum der Aus­ein­an­der­set­zung und Klä­rung der eige­nen Iden­ti­tät sowie der kul­tu­rel­len, poli­ti­schen oder reli­giö­sen Ori­en­tie­rung zu bieten.
  1. Das Ver­hält­nis zu Israel
    Die Ver­bin­dung zu dem Staat Israel ist für die meis­ten Juden sowie für die in Deutsch­land ansäs­si­gen jüdi­schen Insti­tu­tio­nen zu einer Selbst­ver­ständ­lich­keit gewor­den. Vor die­sem Hin­ter­grund sieht sich der jüdi­sche Bil­dungs­auf­trag auf­ge­for­dert, die Pflege und Ver­tie­fung bestehen­der Bezie­hun­gen mit israe­li­schen Orga­ni­sa­tio­nen und Insti­tu­tio­nen vor­an­zu­trei­ben. Dies trägt zu einer umfas­sen­den Aus­ein­an­der­set­zung mit den Belan­gen und Inter­es­sen der israe­li­schen Gesell­schaft bei.
  1. Auf­klä­rung über die Shoah
    Die Mas­sen­ver­nich­tung der euro­päi­schen Juden durch das natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Deutsch­land und seine Kol­la­bo­ra­teure ist noch nicht in allen wesent­li­chen Dimen­sio­nen erforscht. Eine Auf­gabe jüdi­scher Bil­dungs­ar­beit ist es, neue sub­stan­zi­elle Ergeb­nisse his­to­ri­scher For­schung zur Debatte zu stellen.
    Sie wird auch an der für die poli­ti­sche Bil­dung Deutsch­lands ent­schei­den­den Dis­kus­sion teil­neh­men, wie die Geschichte des Natio­nal­so­zia­lis­mus und sei­ner Ver­bre­chen einer in Deutsch­land leben­den Jugend ver­mit­telt wer­den kann.
  1. Erin­nern und Geden­ken in der deut­schen Gesellschaft
    Das Erin­nern und Geden­ken an die Ver­nich­tung der euro­päi­schen Juden wäh­rend der Shoah hat sich in Deutsch­land durch den zeit­li­chen Abstand zum Natio­nal­so­zia­lis­mus ver­än­dert. Sowohl in der deut­schen Gesell­schaft als auch in der jüdi­schen Gemein­schaft wer­den neue For­men der Gedenk­kul­tur ent­wi­ckelt, die eine iden­ti­täts­stif­tende Bedeu­tung begrün­den. Auf­gabe der Jüdi­schen Aka­de­mie ist es, den Pro­zess der Erin­ne­rungs­pra­xis zu beglei­ten und zu reflek­tie­ren, und somit recht­ex­tre­men und popu­lis­ti­schen Ver­su­chen, die Geschichte zu leug­nen oder umzu­deu­ten, entgegenzuwirken.
  1. Gefähr­dete Demo­kra­tie: Anti­se­mi­tis­mus und Populismus
    Die Zunahme rechts­po­pu­lis­ti­scher und anti­se­mi­ti­scher Par­teien und Bewe­gun­gen in Deutsch­land und Europa stellt die anti­se­mi­tis­mus­kri­ti­sche Bil­dungs­ar­beit vor neue Her­aus­for­de­run­gen. Unter kom­ple­xen gesell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­sen ver­brei­ten sich häu­fig Ver­schwö­rungs­my­then. Die Jüdi­sche Aka­de­mie sieht ihre Auf­gabe vor dem Hin­ter­grund des wach­sen­den Ein­flus­ses grup­pen­be­zo­ge­ner Men­schen­feind­lich­keit darin, die Bedeu­tung rechts­staat­lich ver­an­ker­ter demo­kra­ti­scher Struk­tu­ren und Insti­tu­tio­nen und der ihnen zugrunde lie­gen­den poli­ti­schen Kul­tur beharr­lich hervorzuheben.
  1. Ästhe­tik, Kunst, Film und Literatur
    Die Band­breite jüdi­schen kul­tu­rel­len Schaf­fens fin­det ihren Aus­druck in nahezu allen künst­le­ri­schen Berei­chen der moder­nen Gesell­schaft. Diese tra­gen dazu bei, einen Ein­blick in eine von Jüdin­nen und Juden geführte ästhe­ti­sche und lite­ra­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit ihrer Lebens­welt in Deutsch­land, Europa, den USA und Israel zu gewin­nen. Ein jüdi­sches Bil­dungs­kon­zept sieht vor, als Forum künst­le­ri­scher Werke aus der jüdi­schen Welt zu fungieren.
  1. Jüdi­sche Phi­lo­so­phie und Ethik
    Die Leh­ren und Ideen des rab­bi­ni­schen und tal­mu­di­schen Juden­tums haben einen wesent­li­chen Bei­trag zum moder­nen jüdi­schen Den­ken und sei­ner Kul­tur geleis­tet. Jüdi­sche Phi­lo­so­phie und Ethik basie­ren auf die­sem Den­ken und prä­gen zeit­ge­nös­si­sche Dis­kurse und exis­ten­zi­elle Fra­ge­stel­lun­gen. Im Rah­men der Beglei­tung jüdi­scher Bil­dungs­pro­zesse wird not­wen­di­gen sinn- und iden­ti­täts­stif­ten­den Debat­ten Raum gege­ben, um die Grund­la­gen jüdi­schen Den­kens und Han­delns inner­halb der jüdi­schen Gemein­schaft zu erweitern.
    Die Jüdi­sche Aka­de­mie ver­spricht sich, mit die­sen aus­dif­fe­ren­zier­ten und viel­fäl­ti­gen Ori­en­tie­rungs­an­ge­bo­ten für die Mit­glie­der jüdi­scher Gemein­den einen Bei­trag zur Stär­kung der jüdi­schen Iden­ti­tät zu leis­ten und somit die Bedeu­tung der jüdi­schen Stimme inner­halb der plu­ra­len deut­schen Gesell­schaft fes­ti­gen zu können.
  1. Inter­re­li­giöse (Streit-)Gespräche
    Der christ­lich-jüdi­sche Dia­log hat in den letz­ten Jahr­zehn­ten zu gro­ßen Fort­schrit­ten beim Abbau von Vor­ur­tei­len geführt. Die sys­te­ma­ti­sche Erfor­schung der Ver­ant­wor­tung der christ­li­chen Theo­lo­gie und der Kir­chen für die Juden­ver­fol­gung ist Aus­druck eines ver­än­der­ten Ver­ständ­nis­ses christ­li­cher Ein­stel­lun­gen gegen­über dem Juden­tum. Den­noch wird das Juden­tum in reli­giö­ser Hin­sicht vor allem als Reli­gion des Alten Tes­ta­ments wahr­ge­nom­men. Dass es jedoch vor­nehm­lich die Leh­ren und Ideen des rab­bi­ni­schen, des tal­mu­di­schen Juden­tums waren und sind, die einen wesent­li­chen Bei­trag zum zeit­ge­nös­si­schen und moder­nen jüdi­schen Den­ken und sei­ner Kul­tur geleis­tet haben, wird weit­ge­hend über­se­hen. Die Jüdi­sche Aka­de­mie wird sich daher sowohl den his­to­ri­schen Wur­zeln des christ­li­chen Anti­ju­da­is­mus und des poli­ti­schen Anti­se­mi­tis­mus als auch dem rab­bi­ni­schen Juden­tum als Basis moder­ner Phi­lo­so­phie inten­siv widmen.

Mit dem Auf- und Aus­bau eines spe­zi­fisch „jüdisch-isla­mi­schen“, theo­lo­gisch und phi­lo­so­phisch geführ­ten Dia­logs wird die Jüdi­sche Aka­de­mie einen neuen, eige­nen Akzent set­zen, um sowohl die his­to­risch gewach­se­nen Unter­schiede als auch die gemein­sa­men Inter­es­sen als reli­giöse Min­der­hei­ten in Deutsch­land zu erkunden.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 04/2021.

Von |2021-04-01T12:01:24+02:00April 1st, 2021|Religiöse Vielfalt|Kommentare deaktiviert für

Der Tra­di­tion ver­bun­den – in der Moderne leben

Zur Grün­dung der Jüdi­schen Aka­de­mie in Frank­furt am Main

Doron Kiesel ist Direktor der Bildungsabteilung des Zentralrats der Juden in Deutschland.