Sie weiß Bescheid, die Maus, die kleine süße Maus“… mit Hornbrille und orangefarbenem Hemdkragen rappt der Entertainer Stefan Raab diese Zeilen in den 1990er Jahren auf einem quietsch-grünen Sofa in die Kamera. Zu diesem Zeitpunkt ist die Maus 25 Jahre alt. Sie weiß Bescheid, also, die Maus. Und es stimmt: Spaß am Lernen – das ist das Konzept der Lach- und Sachgeschichten, das Konzept der Sendung, für das sie berühmt ist. Die Neugierde für Groß und Klein leistet die Maus Woche für Woche – und jetzt wird Mausgeburtstag gefeiert.
„50 Jahre“ – ein Jubiläum, bei dem man vielen Menschen eine Art „Angekommen-Sein“ attestieren würde. Ein „erwachsenes Leben“; der Körper verliert künftig an Muskelmasse, prägende Lebenserfahrungen liegen scheinbar zurück. Das stimmt nicht, beweist die orangefarbene Zeichentrick-Maus. Ja, sie wird 50 – aber: nicht älter. Armin Maiwald ist einer der Erfinder und heute schon 81. „Niemand wollte damals die Sendung, sie wirkte für viele zu schnell, mit zu viel Musik“, erzählt er. „Vorwürfe, die man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann.“
Generationen kennen Maiwalds Gesicht, mindestens aber seine ruhige Erzählerstimme. Hunderte Sachgeschichten hat er mit ihr erklärt. „Brötchen“ war die erste von ihnen. Er klärte, wo Brötchen, Milch und Eier beim Frühstück herkommen.
Doch was hat sie, die Maus, die uns immer wieder anzieht und die meisten dabei offensichtlich nicht abstößt? „Sie ist unaufdringlich“, sagt Eberhard Beutler, Kommunikationsberater aus Frankfurt am Main. „Die Maus ist für eine breite Zielgruppe geeignet, weil sie als Cartoon-Figur keinen Trend vorgibt. Sie schließt niemanden aus – damit erzeugt sie eine hohe Akzeptanz.“ Die Maus ist nicht Punk und nicht Spießer, es gibt kein Fashion-Statement, das polarisieren würde. Ihre gewissermaßen absichtliche Neutralität macht sie universell – und lenkt gleichzeitig vom Inhalt nicht ab, weil sie nicht lauter sein will als er. Sie ist zurückhaltend und unaufdringlich, allumfassend in Ordnung quasi.
Gezeichnet hat sie die Illustratorin Isolde Schmitt-Menzel. Mit dem großäugigen, orangefarbenen Tier setzt sie in den 1970er Jahren ein Statement. Ihr Äußeres hat die Maus seitdem nicht verändert. Auch akustisch ist sie unverkennbar und sicher würde fast jeder das Augenklappern und das „Törööö“ des Elefanten nach Sekunden erkennen.
Gleiches gilt für das Sendungskonzept. Sicher – es gibt Veränderung: Seit den 1990er Jahren spinnt Käpt’n Blaubär sein Seemannsgarn, auch neue Charaktere wie Shaun das Schaf oder der Maulwurf treten auf. Die Technik wird moderner, die Maus-Webseite mehrfach preisgekrönt. Auch als Digitalradio und als Podcast gibt es die Sendung.
Und trotzdem bleibt sie konstant, eine gesicherte Quelle. Sie macht sich unabhängig von Trends, unterliegt keiner journalistischen Glaubwürdigkeitskrise. Damit erreicht sie eine breite Zielgruppe. Egal ob 5 oder 52 Jahre: Sonntagvormittags schaut ein Millionenpublikum die Maus. Die Kinder werden nicht vor dem Fernseher geparkt, die Eltern gucken gerne mit. Im Schnitt sind die Zuschauer 40 Jahre alt, hat der Westdeutsche Rundfunk (WDR) ermittelt.
Die ganze Familie also will „Lach- und Sachgeschichten“ sehen. Geschichten zum Lachen, Geschichten zu Sachen und Geschichten, die mit Spaß Informationen vermitteln – beides also. Ein Spagat, der journalistisch nicht einfach ist, kaum etwas ist komplexer, als schwierige Sachverhalte einfach zu erklären. Jeden Dienstag setzt sich die Redaktion zusammen und entscheidet, wie die Sendung am Sonntag aussehen soll. Ist es die personelle Konstanz, die der Maus ihren Erfolg verleiht?
Oder könnte es daran liegen, dass die Maus nicht spricht? Zu keinem Zeitpunkt selbst erklärt? Die Maus bietet den Rahmen für das, was sie uns vorstellt – ohne sich gemein zu machen. Das macht unabhängig – und glaubwürdig.
Die Fragen: nur scheinbar trivial, hochkomplex ihre Zusammenhänge und deren Aufdeckung. Auch Bundestagswahlen oder der Tod werden behandelt. In einem Kinderlied wirft die Maus schon in den 1970er Jahren keck feministische Grundhaltungen ins Gespräch: „Wer sagt, dass Mädchen dümmer sind? Der spinnt!“, wird gesungen.
Es sind eben diese Haltungen, die die Maus schon früh zum Politikum machen. Mit unauffälligen Lerneffekten – seit Folge 7 im Januar 1972 läuft jeder Vorspann zweisprachig – und mit Konstanten, die sie tragen: Reporter Armin und Christoph etwa; Letzterer unschwer zu erkennen am grünen Pullover. Seine On-Air-Karriere bei der Maus startet er mit dem Film „10 Arten, über einen Fluss zu kommen“. „Ich musste neunmal im Fluss landen“, erzählt der Redakteur. „Das wollte ich keinem Schauspieler zumuten. Da habe ich es selber gemacht“.
Die Reporterinnen und Reporter werden zu Heldinnen und Helden der Kindheit ganzer Generationen. An Christoph mit dem grünen Pulli sehen die Kinder: Schau, der weiß ja auch nicht alles so genau. Wie wird Eis so cremig? Wie kommen die Streifen in die Zahnpasta? Wie arbeitet ein richtiger Detektiv? Alltagsfragen, die kindgerecht beantwortet werden.
In Anbetracht all dessen ist die Überzeugung zu wagen, dass Maus, Elefant und Ente wahrhaftig als kulturelle Einrichtung, als politisches Bildungsinstrument gesehen werden können. Möglicherweise sogar als Ikone. Denn Ikonen gelten, so sagt es der Duden, als „Verkörperung bestimmter Werte, Vorstellungen, eines bestimmten Lebensgefühls o.Ä.“. Das mag zutreffen: Die Maus ist eventuell eine Ikone, mindestens aber eine Institution.
Eine Institution, die Dinge erklärt – und zwar so gut, dass die Inhalte auch in Corona-Lockdown-Zeiten von Lehrenden etwa für den Sachunterricht genutzt werden. „Die Videos werden an die Kinder geschickt und die Kinder nehmen es an“, sagt Elke Fröhlich. Sie ist Grundschullehrerin in Hessen. „Die Maus erklärt und das ist in Ordnung. Wäre ein Lehrer das Gesicht der Sendung, würden einige sich ausklinken. Das passiert durch die Mausfigur nicht“, ergänzt auch Lale Degoutrie. Auch sie unterrichtet an einer Grundschule.
Eines ist klar: Kinder sind Fachleute in Sachen Neugier. Obwohl sich das mediale Angebot massiv erweitert, hat die Maus keine Sorge unterzugehen. Am 7. März wird sie 50 und ARD, WDR und KiKa feiern das mit vielen Events. Auch Musiker Mark Forster hat einen Song getextet: „Ich frag die Maus – ich will es wissen, genau – und so schnell gehen mir die Fragen nicht aus“, singt er da für das 50-jährige Jubiläum. Sogar das Bundesfinanzministerium hat sich eine 20-Euro-Sondermünze zum Mausgeburtstag ausgedacht.
Und ob 50, 20 oder 75: Die Maus wird ja doch immer gleich alt bleiben. Vergänglichkeit geht der Maus ab. Sie bleibt die Clevere, die helfen kann. Die nicht als Streber abgestempelt oder von anderen Kindern geschubst wird. Das mag eines ihrer Geheimnisse sein.
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2021.