Was es bedeu­tet, dazuzugehören

Bür­ger­schaft­li­ches Enga­ge­ment und Einwanderung

„Start with a Fri­end“ wurde als ehren­amt­li­che Initia­tive 2014 gegrün­det, um geflüch­tete Men­schen durch 1:1-Tandempartnerschaften beim Ankom­men zu unter­stüt­zen. Inzwi­schen sind wir als gemein­nüt­zi­ger Ver­ein an 26 Stand­or­ten bun­des­weit aktiv und brin­gen Men­schen mit und ohne Ein­wan­de­rungs­ge­schichte über unter­schied­li­che Tan­dem­for­mate, Qua­li­fi­zie­rungs­an­ge­bote für ehren­amt­lich Enga­gierte und gemein­same Pro­jekte inner­halb der gewach­se­nen Com­mu­ni­ties zusam­men. Das Ziel unse­res Enga­ge­ments ist dabei auch heute noch, ein­ge­wan­derte und in Deutsch­land lebende Men­schen darin zu bestär­ken, ein akti­ver Teil die­ser Gesell­schaft zu sein und ihre Viel­fäl­tig­keit posi­tiv sicht­bar zu machen.

Doch frei­lich hat sich unsere Arbeit und auch unser Ansatz in den letz­ten fünf Jah­ren erwei­tert. Wir sind keine ehren­amt­li­che Initia­tive mehr, son­dern ein vor­nehm­lich aus Bun­des­mit­teln geför­der­ter deutsch­land­weit agie­ren­der gemein­nüt­zi­ger Ver­ein. Wir beschäf­ti­gen 18 haupt­be­ruf­lich Mit­ar­bei­tende, haben 44 gering­fü­gige Stel­len geschaf­fen und beglei­ten 350 ehren­amt­li­che Team­mit­glie­der und inzwi­schen fast 7.000 Tan­dems in ihrem Enga­ge­ment. Ohne jene vor­aus­set­zungs­vol­len Struk­tu­ren in Form staat­li­cher Mit­tel der am Natio­na­len Akti­ons­plan Inte­gra­tion betei­lig­ten Minis­te­rien für die Teil­ha­be­för­de­rung ein­ge­wan­der­ter und geflüch­te­ter Men­schen, wäre uns jene Pro­fes­sio­na­li­sie­rung in solch kur­zer Zeit nicht mög­lich gewe­sen – wir stün­den nicht dort, wo wir heute ste­hen, und könn­ten unsere Arbeit nicht in der­sel­ben Grö­ßen­ord­nung aus­füh­ren. Wir sind dank­bar und schät­zen die Zusam­men­ar­beit mit unse­ren För­der­part­ne­rin­nen sehr und sind gleich­zei­tig stolz dar­auf, als Orga­ni­sa­tion einen solch nach­hal­ti­gen Rah­men geschaf­fen zu haben, der das bun­des­weite Enga­ge­ment mit der­art zahl­rei­chen Multiplikator*innen lang­fris­tig ermöglicht.

Ent­spre­chend der Pha­sen des Ein­wan­de­rungs­pro­zes­ses hat sich auch unsere inhalt­li­che Arbeit und unser Enga­ge­ment ver­än­dert. Dies nicht nur auf­grund ver­än­der­ter Bedarfe ein­ge­wan­der­ter Men­schen, die nach zwei Jah­ren in Deutsch­land andere Fra­gen und Wün­sche haben als nach zwei Wochen, son­dern vor­nehm­lich auf­grund lehr­rei­cher Erfah­run­gen aus der Pra­xis. Auch wenn nach wie vor viele Men­schen an unse­rem Pro­gramm teil­neh­men, die erst seit Kur­zem ange­kom­men sind. Durch unser Enga­ge­ment in den letz­ten fünf Jah­ren haben wir jedoch vor allem eines: viel gelernt. Wir haben in unse­rem Pro­gramm unmit­tel­bar erfah­ren, dass demo­kra­tisch zu han­deln nicht nur heißt, wach zu sein und aktiv zu wer­den, son­dern in ers­ter Linie bedeu­tet, ein­an­der zuzu­hö­ren. Wir haben gelernt, dass bür­ger­schaft­li­ches Enga­ge­ment dann den Zusam­men­halt för­dert, wenn wir ein ehr­li­ches Inter­esse anein­an­der haben. Die Men­schen bei Start with a Fri­end haben uns ermög­licht, den Blick zu wei­ten, ein­an­der ken­nen­zu­ler­nen und gemein­sam das Zusam­men­le­ben zu gestal­ten. Jene, die neu ange­kom­men waren, haben geteilt, wie es sich anfühlt, nach Deutsch­land ein­zu­wan­dern, in Deutsch­land Asyl zu bean­tra­gen. Was es für das per­sön­li­che Leben bedeu­tet, in einer ande­ren Gesell­schaft Fuß zu fas­sen, wie groß der Wunsch ist, dazu­zu­ge­hö­ren und wie unsicht­bar Dis­kri­mi­nie­rung sein kann. Jene, die sich enga­gier­ten, brach­ten ihre indi­vi­du­el­len Geschich­ten und ihre Moti­va­tion mit, warum es ihnen wich­tig war, sich zu betei­li­gen, sich für andere Men­schen ein­zu­set­zen und die Gesell­schaft mit­zu­ge­stal­ten. Dadurch haben wir erfah­ren, wie sich „gelebte Demo­kra­tie“ anfühlt, was „gesell­schaft­li­cher Zusam­men­halt“ bedeu­tet und was wir ganz per­sön­lich in unse­rem All­tag damit zu tun haben.

Start with a Fri­end ist in den letz­ten Jah­ren gewach­sen, grö­ßer, klü­ger und durch die vie­len Enga­gier­ten vor allem viel­fäl­ti­ger gewor­den. Und genau dies sehen wir als unsere wich­tigste Res­source. Um plu­rale Demo­kra­tie zu leben und das gleich­be­rech­tigte Zusam­men­le­ben zu gestal­ten, braucht es das Zusam­men­wir­ken aller Men­schen in Deutsch­land und dem voran die Betei­li­gung jener, für die Zugänge erschwert sind. Das heißt, für uns als zivil­ge­sell­schaft­li­che Orga­ni­sa­tion, dass, wenn wir Teil­habe för­dern wol­len, wir diese in unse­ren Struk­tu­ren zunächst selbst leben müs­sen. Etwa durch eine inklu­sive Arbeits­um­ge­bung, eine bar­rie­re­freie Kom­mu­ni­ka­tion nach innen und außen, Qua­li­fi­zie­rungs­an­ge­bote zur Viel­falts­för­de­rung und Anti­dis­kri­mi­nie­rung, der par­ti­zi­pa­ti­ven Pro­jekt­ent­wick­lung und nicht zuletzt der viel­fäl­ti­gen Stel­len­be­set­zung auf allen Ebe­nen. Wir ver­mit­teln bei Start with a Fri­end wei­ter­hin 1:1-Tandempartnerschaften mit dem Ziel, Kräfte zu tei­len, das Ankom­men zu erleich­tern und Freund­schaf­ten zu schlie­ßen. Dar­über hin­aus haben wir gelernt, die indi­vi­du­el­len Begeg­nun­gen, die wir schaf­fen, als Basis für einen struk­tu­rel­len Per­spek­tiv­wech­sel zu sehen. Nur so kön­nen wir täg­lich üben und ler­nen, aus bür­ger­schaft­li­chem Enga­ge­ment ein ech­tes Schar­nier der Teil­habe zu machen.

Um dem skiz­zier­ten zen­tra­len Hebel für eine „erfolg­rei­che Inte­gra­tion“ in Form von gleich­be­rech­tig­ter Teil­habe zu fol­gen, haben wir unsere 1:1-Tandemvermittlungen – das SwaF Tan­dem, geför­dert durch das Bun­des­pro­gramm „Men­schen stär­ken Men­schen“ des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Fami­lie, Senio­ren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) – um zwei wei­tere Pro­gramme erwei­tert, die ein­an­der durch ihr gemein­sa­mes Ziel der Viel­falts­för­de­rung ergän­zen. Das Pro­gramm SwaF Verein(t), geför­dert durch das Bun­des­amt für Migra­tion und Flücht­linge (BAMF), stärkt das Enga­ge­ment ein­ge­wan­der­ter Men­schen in Ver­ei­nen und beglei­tet die Ver­eine bei der viel­fäl­ti­gen Mit­glie­der­ge­win­nung und Öff­nung. SwaF Peo­ple, geför­dert durch die Bun­des­be­auf­tragte für Migra­tion, Flücht­linge und Inte­gra­tion, ermög­licht die Qua­li­fi­zie­rung der ehren­amt­li­chen Enga­gier­ten, die vor Ort Ver­mitt­lun­gen durch­füh­ren, Gemein­schafts­ak­ti­vi­tä­ten orga­ni­sie­ren und Multiplikator*innen gewin­nen. Über ein ange­glie­der­tes Dia­log-Pro­jekt akti­vie­ren wir bei SwaF Peo­ple dar­über hin­aus die Teil­neh­men­den und Enga­gier­ten bei SwaF, eigene Pro­jekte für mehr Respekt in den Com­mu­ni­ties umzu­set­zen. Im Mit­tel­punkt unse­rer Arbeit steht dabei stets: Wir spre­chen nicht für ein­ge­wan­derte Men­schen, son­dern schaf­fen die Struk­tu­ren, damit jede und jeder für sich selbst spre­chen kann. Die­ses Leit­bild ist aus unse­rer Sicht ein zen­tra­les, damit bür­ger­schaft­li­ches Enga­ge­ment und Ein­wan­de­rung Hand in Hand gehen und noch mehr von­ein­an­der pro­fi­tie­ren kön­nen. Dar­über hin­aus kön­nen wir ihnen ver­si­chern: „Sich gemein­sam für etwas ein­zu­set­zen und soli­da­risch zu sein, tut rich­tig gut.“ Auf­ein­an­der zuzu­ge­hen hat sich schon immer gelohnt. Laut dem jüngs­ten Frei­wil­li­gen­sur­vey sind die größ­ten Moti­va­tio­nen für ehren­amt­li­ches Enga­ge­ment Gutes tun und die Freude an der Tätig­keit. Wer ein Enga­ge­ment ein­geht, wagt etwas, ist auf­ge­schlos­sen für Neues und möchte die Gesell­schaft, in der sie bzw. er lebt, ken­nen­ler­nen. Sich wei­ter­ent­wi­ckeln. Teil einer Gemein­schaft sein. Die Enga­ge­ment­for­schung zeigt das­selbe: Men­schen, die sich enga­gie­ren, moti­viert es, sich wirk­sam zu enga­gie­ren, Ver­än­de­rung zu schaf­fen und ein­ge­bun­den zu sein. Wie viel wirk­sa­mer könnte ein Enga­ge­ment sein, als wenn es pass­ge­nau auf die Bedarfe jener zuge­schnit­ten ist, an die es sich rich­tet? Wie viel wirk­sa­mer könnte ein Enga­ge­ment sein, als eines, das Teil­habe bereits in sei­nen Struk­tu­ren ver­wirk­licht? Wie viel wirk­sa­mer könnte ein Enga­ge­ment sein, als eines, das auf der Zusam­men­ar­beit mit jenen beruht, die eigene Erfah­run­gen gemacht haben und Expert*innen auf ihrem Gebiet sind? Mir würde ein sol­ches Enga­ge­ment große Freude berei­ten und ich würde mich bestärkt füh­len, auf dem rich­ti­gen Weg zu sein.

Die­ser Bei­trag ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 11/2020.

Von |2020-11-04T10:12:10+01:00November 4th, 2020|Bürgerschaftliches Engagement|Kommentare deaktiviert für

Was es bedeu­tet, dazuzugehören

Bür­ger­schaft­li­ches Enga­ge­ment und Einwanderung

Teresa Rodenfels ist Geschäftsführerin bei Start with a Friend e.V.