„Mit der Gewerk­schafts­ju­gend kann man sein Thema zum Thema machen“

DGB-Bun­des­ju­gend­se­kre­tä­rin Manuela Conte im Gespräch

Zuneh­mende Unsi­cher­heit bei der Aus­bil­dungs­platz­su­che, hoher Druck beim Stu­di­en­ab­schluss in Regel­zeit, pre­käre Prak­ti­kums­be­din­gun­gen – für diese und andere The­men macht sich die Gewerk­schafts­ju­gend ehren­amt­lich stark. An deren Spitze ver­tritt Manuela Conte gegen­über der Poli­tik die Inter­es­sen der jun­gen Men­schen auf dem Weg ins Berufs­le­ben. Sie selbst haben unter ande­rem schwie­rige Aus­bil­dungs­be­din­gun­gen dazu moti­viert. The­resa Brüh­eim spricht mit der Bun­des­ju­gend­se­kre­tä­rin des Deut­schen Gewerkschaftsbundes.

The­resa Brüh­eim: Frau Conte, seit April 2017 sind Sie DGB-Bun­des­ju­gend­se­kre­tä­rin. Was sind Ihre Auf­ga­ben, was machen Sie in die­ser Posi­tion genau?
Manuela Conte: Als Gewerk­schafts­ju­gend bie­ten wir Aus­zu­bil­den­den, Schü­le­rin­nen und Schü­lern, Stu­die­ren­den und jun­gen Beschäf­tig­ten Bera­tung und Unter­stüt­zung zu vie­len The­men der Arbeits­welt an. Wir sind aber auch die Stimme der jun­gen Gene­ra­tion gegen­über Poli­tik und Wirt­schaft. Wir ver­tre­ten die Inter­es­sen der jun­gen Men­schen in die­sem Land. Das ist schon eine sehr viel­fäl­tige Arbeit. Ich dis­ku­tiere viel mit jun­gen Gewerk­schaf­te­rin­nen und Gewerk­schaf­tern, aber auch mit Akti­ven ande­rer Jugend­ver­bände. So ent­wi­ckeln wir neue inhalt­li­che Posi­tio­nen und über­le­gen gemein­sam, wie wir sie öffent­lich­keits­wirk­sam beglei­ten kön­nen. Manch­mal sitze ich in öffent­li­chen Anhö­run­gen im Bun­des­tag, etwa wenn es darum geht, das Berufs­bil­dungs­ge­setz zu refor­mie­ren. Zu jugend­po­li­ti­schen The­men erar­bei­ten wir Stel­lung­nah­men und geben unsere Ein­schät­zung zu geplan­ten Geset­zes­vor­ha­ben. Außer­dem enga­gie­ren wir uns in ver­schie­de­nen Bünd­nis­sen, wie z. B. bei #unteil­bar und bei „Zusam­men gegen #Mie­ten­wahn­sinn“.

Zuvor waren Sie Jugend­se­kre­tä­rin in NRW – wie unter­schei­det sich in die­sem Auf­ga­ben­be­reich die Län­der- von der Bundesebene?
Da gibt es meh­rere Unter­schiede, ange­fan­gen damit, dass die IG Metall, bei der ich als Jugend­se­kre­tä­rin zuerst gear­bei­tet habe, eine Mit­glieds­or­ga­ni­sa­tion vom DGB ist. Der Deut­sche Gewerk­schafts­bund ver­tritt als Dach­ver­band sei­ner acht Gewerk­schaf­ten die Inter­es­sen der Beschäf­tig­ten gegen­über der Poli­tik. Die Gewerk­schaf­ten sind unter ande­rem durch die Tarif­ver­hand­lun­gen, die sie durch­füh­ren, näher an den Betrie­ben dran. Schon dadurch gibt es also eine gewisse Abgren­zung. Die Erfah­run­gen, die ich frü­her als Jugend­se­kre­tä­rin der IG Metall in NRW gemacht habe, sind für mich des­halb bis heute wich­tig. Dort war ich direkt in den Betrie­ben und Berufs­schu­len unter­wegs und habe mit jun­gen Men­schen dis­ku­tiert, warum Gewerk­schaf­ten wich­tig sind und wie man sich dort ein­bringt. Gemein­sam, in den Betrie­ben, haben wir die Aus­bil­dung auf den Prüf­stand gestellt und öfter auch Ver­bes­se­run­gen mit den betrieb­li­chen Inter­es­sen­ver­tre­tun­gen durch­ge­setzt. Der Auf­ga­ben­be­reich in den Regio­nen ist sehr nah bei den Men­schen, den jun­gen Men­schen, die in einer wich­ti­gen Lebens­phase ste­cken. Für viele junge Men­schen ist der Schritt in die Aus­bil­dung, ins Stu­dium, der erste Schritt in die Unab­hän­gig­keit von den Eltern. Hier wird der Grund­stein für die eigen­stän­dige Exis­tenz gelegt. Ins­be­son­dere hier ist ein sta­bi­les Netz­werk, der Aus­tausch und auch mal die gemein­same Frei­zeit­ge­stal­tung eine wich­tige Unterstützung.

Wie kön­nen sich Aus­zu­bil­dende, Schü­le­rin­nen und Schü­ler, Stu­die­rende, Prak­ti­kan­tin­nen und Prak­ti­kan­ten im Rah­men des bür­ger­schaft­li­chen Enga­ge­ments bei der Gewerk­schafts­ju­gend des DGB einbringen?
Mit­ma­chen ist sehr ein­fach. Vor Ort anfra­gen und ein­stei­gen. Mit der Gewerk­schafts­ju­gend kann man sein Thema zum Thema machen. Wir unter­stüt­zen junge Men­schen und bie­ten ihnen Platt­for­men dafür. Wir ver­mit­teln das Hand­werks­zeug, mit dem jede und jeder seine Rechte im Betrieb und dar­über hin­aus durch­set­zen kann – sei es wäh­rend der Aus­bil­dung, im Stu­dium oder auch schon im Feri­en­job. Die jun­gen Leute erle­ben, wie sie ihre Aus­bil­dung, ja, ihre Arbeits­welt, mit­ge­stal­ten kön­nen. Aktu­ell lau­fen bei­spiels­weise in vie­len Betrie­ben die JAV-Wah­len. Die Jugend- und Aus­zu­bil­den­den­ver­tre­ten­den wer­den dort gewählt. Sie sind die betrieb­li­che Inter­es­sen­ver­tre­tung für die Aus­zu­bil­den­den, die dual Stu­die­ren­den und die jugend­li­chen Beschäf­tig­ten in den Betrie­ben und Dienst­stel­len. Wir unter­stüt­zen und infor­mie­ren, wie so eine Wahl abläuft, wie man sich dafür erfolg­reich auf­stellt. Klar ist immer eins: Gemein­sam sind wir stär­ker – gerade wenn man Inter­es­sen gegen­über dem Arbeit­ge­ber durch­set­zen will. Für Stu­die­rende bie­ten wir außer­dem an vie­len Unis und Fach­hoch­schu­len Hoch­schul­grup­pen an. Auch dort kann man sich unpro­ble­ma­tisch enga­gie­ren. Das ganze Jahr über kön­nen sich junge Men­schen – egal ob aus Betrieb oder Uni – außer­dem kri­tisch mit diver­sen The­men aus Poli­tik und Wirt­schaft befas­sen. Dafür haben wir jedes Jahr ein span­nen­des Pro­gramm unse­rer Jugend­bil­dungs­ar­beit am Start.

Was all die Ebe­nen ver­bin­det, ob aktiv im Betrieb, der Hoch­schule oder vor Ort? Ohne Ehren­amt­li­che geht es nicht. Ohne sie würde die gewerk­schaft­li­che Arbeit nicht funk­tio­nie­ren. Unsere demo­kra­ti­sche Gesell­schaft lebt durch das soziale und poli­ti­sche Enga­ge­ment der Men­schen, die hier leben, und mit Demo­kra­tie meine ich nicht das Abge­ben der Stimme alle vier Jahre, mit Demo­kra­tie ist die aktive Betei­li­gung aller Men­schen gemeint.

Sie kom­men ursprüng­lich aus der IG Metall, haben dort ein Trai­nee-Pro­gramm absol­viert und sich enga­giert. Was hat Sie moti­viert, sich in einer Gewerk­schaft zu engagieren.
Nach der Schule habe ich eine kauf­män­ni­sche Aus­bil­dung bei der Deut­schen Bahn gemacht. Dort habe ich mich schnell in der Gewerk­schaft und der Jugend- und Aus­zu­bil­den­den­ver­tre­tung enga­giert. Zu die­ser Zeit gab es bei der Bahn mas­sive Umbrü­che im Zuge der Pri­va­ti­sie­rung. Ich bin damals in die Gewerk­schaft ein­ge­tre­ten, weil ich gese­hen habe, wie sich die Ver­än­de­run­gen auf die Beleg­schaft aus­ge­wirkt haben. Per­so­nal­ab­bau, mas­sive Ein­schnitte bei Aus­bil­dungs­plät­zen, nur noch wenige fer­tig aus­ge­bil­dete Jugend­li­che haben keine Anschluss­be­schäf­ti­gung bekom­men. Außer­dem waren die Zustände an der Berufs­schule unzu­mut­bar. Schim­mel an den Wän­den und zu wenig Lehr­per­so­nal waren schon damals Pro­bleme. In der Gewerk­schaft konnte ich mich mit Jugend­li­chen auch aus ande­ren Betrie­ben und Bran­chen ver­net­zen und aus­tau­schen. Gemein­sam haben wir einige Ver­bes­se­run­gen auch in mei­nem Aus­bil­dungs­be­trieb erreicht. Wir konn­ten Aus­bil­dungs­plätze erhal­ten und fer­tig aus­bil­de­ten Jugend­li­chen einen Arbeits­platz im Kon­zern sichern. Mit mei­ner Arbeit habe ich die Mög­lich­keit, poli­ti­sche The­men nach vorne zu brin­gen, die den jun­gen Men­schen und mir per­sön­lich sehr wich­tig sind.

Zur­zeit sind ca. 500.000 Men­schen bis 27 Jahre beim DGB enga­giert. Was for­dert die Gewerk­schafts­ju­gend – auch aktu­ell in der Coronakrise?
Schon vor der Krise war für viele junge Men­schen Unsi­cher­heit ein stän­di­ger Beglei­ter. Es fängt an bei der Suche nach einem Aus­bil­dungs­platz, dem Druck, das Stu­dium in der Regel­stu­di­en­zeit abschlie­ßen und oben­drein auch noch mit einem Nied­rig­lohn­job das Leben finan­zie­ren zu müs­sen. Und es geht für viele wei­ter mit Ket­ten­be­fris­tun­gen. Berufs­ein­stei­ger han­geln sich nach ihrer Aus­bil­dung von einer Befris­tung zur nächs­ten. Alle­samt schlechte Vor­aus­set­zun­gen, um die Zukunft zu pla­nen, um eine Fami­lie zu gründen.
Mit Corona ver­schärft sich die Situa­tion nun noch ein­mal. In Kri­sen­zei­ten sind gerade junge Beschäf­tigte stark von Arbeits­lo­sig­keit betrof­fen. Sie wer­den in über­durch­schnitt­lich hohem Maße befris­tet beschäf­tigt und sind damit die Ers­ten, die ihren Job ver­lie­ren wer­den. An deut­schen Hoch­schu­len stu­die­ren 2,9 Mil­lio­nen Stu­die­rende, rund 120.000 von ihnen arbei­ten dort zugleich als stu­den­ti­sche Beschäf­tigte. Stu­die­rende müs­sen sowohl um ihre Exis­tenz­si­che­rung in der Krise als auch um den gere­gel­ten Abschluss des von ihnen gewähl­ten Bil­dungs­we­ges fürch­ten. Die mehr als 1,3 Mil­lio­nen Aus­zu­bil­den­den in Deutsch­land sind keine regu­lä­ren Arbeit­neh­men­den, son­dern drin­gend benö­tigte Nach­wuchs­kräfte, sie sol­len und wol­len einen Beruf erler­nen. Es darf keine Gene­ra­tion Corona geben.

Wir sagen: Die Betriebe müs­sen wie­der mehr und gut aus­bil­den. Die Stu­die­ren­den brau­chen ein BAFöG, das zum Leben reicht. Gene­rell muss Schluss sein mit den Befris­tun­gen nach der Ausbildung.

Wel­che Rolle nimmt die Jugend in den ein­zel­nen Gewerk­schaf­ten ein? Wel­che Posi­tion kommt der Jugend dann im DGB zu?
Die DGB-Jugend ist ein Jugend­ver­band mit demo­kra­ti­schen Ent­schei­dungs­struk­tu­ren. Sie ist Teil des Deut­schen Gewerk­schafts­bun­des und Dach­ver­band der Jugend­or­ga­ni­sa­tio­nen der acht Mit­glieds­ge­werk­schaf­ten. Die DGB-Jugend setzt sich aus den Jugend­or­ga­ni­sa­tio­nen der DGB-Mit­glieds­ge­werk­schaf­ten zusam­men. Sie hat demo­kra­ti­sche Ent­schei­dungs­struk­tu­ren von unten nach oben, sowohl in den Mit­glieds­or­ga­ni­sa­tio­nen als auch auf der Ebene des Dach­ver­ban­des. Die Jugend­or­ga­ni­sa­tio­nen der Mit­glieds­ge­werk­schaf­ten bestim­men die Inhalte, Auf­ga­ben und For­men der Arbeit in der DGB-Jugend.

Als Jugend­or­ga­ni­sa­tio­nen, die sich um die Inter­es­sen jun­ger Men­schen im Zusam­men­hang mit Aus­bil­dung, Prak­ti­kum und Job küm­mert, sind wir die junge Stimme in den Gewerk­schaf­ten. Mit unse­ren The­men und unse­ren moder­nen For­ma­ten gelingt es uns häu­fig, Impulse in die Gesamt­or­ga­ni­sa­tion zu tragen.

Wie enga­giert sich die DGB-Jugend für faire Aus­bil­dungs- und Arbeitsbedingungen?
Kurz gesagt: Wir brin­gen die betrieb­li­chen The­men in die Poli­tik und poli­ti­sche Hand­lungs­fel­der in den Betrieb. Wäh­rend die DGB-Jugend auf Bun­des­ebene die Gesprä­che mit poli­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­gern in Ber­lin und die Unter­stüt­zung zum Bei­spiel im Deut­schen Bun­des­ju­gend­ring orga­ni­siert, neh­men wir in den Regio­nen die poli­ti­schen Akteure in die Ver­ant­wor­tung, wo sie zu Hause sind.

Das Enga­ge­ment vor Ort ist ent­schei­dend. Ob mit krea­ti­ven, öffent­li­chen Aktio­nen und Dis­kus­si­ons­for­ma­ten, The­men­set­zung auf Betriebs- sowie Jugend- und Aus­bil­dungs­ver­samm­lun­gen, gemein­sa­men JAV-Kon­fe­ren­zen und Betriebs­be­sich­ti­gun­gen mit Gäs­ten aus der Poli­tik wer­den die The­men der jun­gen Leute in die Öffent­lich­keit und die Poli­tik getra­gen. Zuletzt wur­den digi­tale Gesprächs­run­den mit den Jugend­li­chen aus den Betrie­ben mit den Mit­glie­dern des Bun­des­ta­ges aus dem jewei­li­gen Wahl­kreis orga­ni­siert und die For­de­run­gen der Aus­zu­bil­den­den in der Krise dis­ku­tiert. Die Jugend­li­chen gehen mit den ver­ant­wort­li­chen Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­kern vor Ort in einen direk­ten inhalt­li­chen Aus­tausch, um ihnen klar­zu­ma­chen, was ihnen wich­tig ist. Die Poli­tik lernt so gewerk­schaft­li­che Arbeit anders ken­nen. Sie erfährt aus ers­ter Hand, was ihr Han­deln für die Jugend­li­chen bedeu­tet. Es geht um den Men­schen – das wirkt.

Vie­len Dank.

Die­ses Inter­view ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 11/2020.

Von |2020-11-04T10:05:36+01:00November 4th, 2020|Bürgerschaftliches Engagement|Kommentare deaktiviert für

„Mit der Gewerk­schafts­ju­gend kann man sein Thema zum Thema machen“

DGB-Bun­des­ju­gend­se­kre­tä­rin Manuela Conte im Gespräch

Manuela Conte ist Bundesjugendsekretärin des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.