Die dunk­len Sei­ten der Zivilgesellschaft

Zum Umgang mit rechts­po­pu­lis­ti­schen und men­schen­feind­li­chen Akteuren

In den jun­gen Poli­tik­fel­dern der Enga­ge­ment- und Demo­kra­tie­po­li­tik bil­det das Kon­zept der Zivil- oder Bür­ger­ge­sell­schaft den Refe­renz­punkt der neue­ren reform­po­li­ti­schen Dis­kus­sio­nen. Dies gilt auch für die aktu­elle Dis­kus­sion über die sozia­len Inte­gra­ti­ons­po­ten­ziale moder­ner Gesellschaften.

Zum Begriffs­ver­ständ­nis

Wurde das Begriffs­ver­ständ­nis zunächst von den links-liber­tä­ren sozia­len Bewe­gun­gen, der Frau­en­be­we­gung, den Bür­ger­be­we­gun­gen sowie den inter­na­tio­na­len NGOs auch aus Grün­den einer not­wen­di­gen Selbst­ver­or­tung jen­seits von Staat und Markt geprägt, steht der Begriff aktu­ell vor der Her­aus­for­de­rung, mit der Beset­zung der zivil­ge­sell­schaft­li­chen Hand­lungs­räume auch durch rechts­po­pu­lis­ti­sche und men­schen­feind­li­che Akteure umge­hen zu müssen.

Ana­ly­tisch ver­weist Zivil­ge­sell­schaft auf viel­fäl­tige selbst orga­ni­sierte – auch infor­melle – Akteure in spe­zi­fi­schen inter­me­diä­ren Hand­lungs­räu­men, deren Vor­aus­set­zun­gen von Rechts­staat und Demo­kra­tie insti­tu­tio­nell abhän­gen. Zu die­sen Vor­aus­set­zun­gen gehö­ren eine kri­ti­sche Öffent­lich­keit, Mei­nungs­frei­heit, Ver­samm­lungs­frei­heit oder auch die staat­li­che Gewal­ten­tei­lung. Auto­ri­täre Regime gren­zen die Hand­lungs­räume der Zivil­ge­sell­schaft, die „civic spaces“, sys­te­ma­tisch ein. Zivil­ge­sell­schaft­li­che Akti­vis­tin­nen und Akti­vis­ten erfah­ren dann Behin­de­rung, Bedro­hung oder gar Gewalt wegen ihrer Arbeit.

Die not­wen­di­gen Hand­lungs­spiel­räume für zivil­ge­sell­schaft­li­che Akteure wer­den mit Blick auf deren Funk­tio­nen ver­ständ­lich: Sie sind Wäch­ter bei­spiels­weise für Ver­brau­cher­schutz, The­men­an­walt, z. B. für Natur­schutz, Bür­ger­rechts­grup­pen, Gewerk­schaf­ten etc., Dienst­leis­ter in Wohl­fahrts­we­sen, Bil­dung etc. sowie Mitt­ler bei Dach­ver­bän­den, För­der­stif­tun­gen etc. und die­nen der Selbst­hilfe wie bei Pati­en­ten­selbst­hil­fen, Sport etc., Gemein­schafts­bil­dung – Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten, Lai­en­mu­sik, Brauch­tums­ver­eine etc. – und poli­ti­schen Mit­ge­stal­tung wie bei poli­ti­schen Par­teien, Thinktanks etc.

Unzi­vile Akteure und Ori­en­tie­run­gen als Teil von Zivilgesellschaften

In den Hand­lungs­räu­men der Zivil­ge­sell­schaft sto­ßen wir frei­lich auch auf eine wach­sende Anzahl von Akteu­ren, deren Hand­lungs­ori­en­tie­run­gen als unzi­vil und anti­de­mo­kra­tisch bezeich­net wer­den müs­sen. Daher ist es im Sinne einer zivil­ge­sell­schaft­li­chen Ver­ant­wor­tung für die eige­nen Hand­lungs­räume und -grund­sätze not­wen­dig, Kri­te­rien zur Beur­tei­lung der zivil­ge­sell­schaft­li­chen Qua­li­tät des Han­delns zu formulieren.
Offen­bar sind Asso­zia­tio­nen der Zivil­ge­sell­schaft für ihre Mit­glie­der nicht auto­ma­tisch Orte, an denen sie demo­kra­ti­sche Tugen­den ler­nen. Dies lässt sich gut zei­gen für das Deut­sche Kai­ser­reich und die Wei­ma­rer Repu­blik: Weder der bür­ger­li­che Ide­al­ver­ein noch die Poli­tik des pro­le­ta­ri­schen Lagers brach­ten jene Öffent­lich­keits­for­men her­vor, die für Lern­pro­zesse in Rich­tung Demo­kra­tie­fä­hig­keit för­der­lich gewe­sen wären.

Demo­kra­ti­scher Staat und ent­ge­gen­kom­mende Wirtschaft

Die Demo­kra­ti­sie­rung libe­ra­ler Demo­kra­tien benö­tigt neue insti­tu­tio­nelle For­men und kann sich nicht in der Anru­fung der Zivil­ge­sell­schaft erschöp­fen. Die Zukunft der Demo­kra­tie erfor­dert eine vitale Zivil­ge­sell­schaft, die ihre Hand­lungs- und Erfah­rungs­räume refle­xiv beglei­tet, sich gegen Into­le­ranz, Gewalt und Men­schen­feind­lich­keit selbst­be­gren­zend ver­hält und sich auch als Lern­ort einer „Civic Edu­ca­tion“ versteht.

Zivil­ge­sell­schaft benö­tigt moti­vie­rende zivile Ver­hal­tens­stan­dards wie Tole­ranz, Ver­stän­di­gung, Kom­pro­miss­be­reit­schaft, Gewalt­frei­heit, aber auch eine über das rein pri­vate Inter­esse hin­aus­ge­hende Ori­en­tie­rung am Gemeinsinn.

Vor die­sem Hin­ter­grund wird deut­lich, wel­che Bedeu­tung den noch jun­gen und fra­gi­len Poli­tik­fel­dern der Enga­ge­ment- und Demo­kra­tie­po­li­tik zukommt: Sie müs­sen für nach­hal­tige und kom­pe­tente auch lokale Infra­struk­tur­ein­rich­tun­gen der Zivil­ge­sell­schaft zur Beglei­tung der Lern­pro­zesse in den Fel­dern von Enga­ge­ment und Betei­li­gung sowohl die recht­li­chen Rah­mun­gen zur Ver­fü­gung stel­len, die es der Zivil­ge­sell­schaft ermög­li­chen, pro­de­mo­kra­ti­sche Ein­stel­lun­gen und Hal­tun­gen in den eige­nen Hand­lungs­räu­men abzu­si­chern, als auch das not­wen­dige poli­ti­sche Gewicht die­ser für die Zukunft der Demo­kra­tie rele­van­ten Hand­lungs­fel­der zu stär­ken. Ent­spre­chende Vor­schläge hat das Bun­des­netz­werk Bür­ger­schaft­li­ches Enga­ge­ment am 6. Okto­ber im Deut­schen Bun­des­tag vorgestellt.

Die­ser Bei­trag ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 11/2020.

Von |2020-11-04T09:42:49+01:00November 4th, 2020|Bürgerschaftliches Engagement|Kommentare deaktiviert für

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Zum Umgang mit rechts­po­pu­lis­ti­schen und men­schen­feind­li­chen Akteuren

Ansgar Klein ist Geschäftsführer des Bun­desnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement (BBE), Privatdozent für Politische Wissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin und Publizist.