Ganz gegen den Trend vieler katholischen Klöster in Deutschland wagt die Benediktinerabtei Tholey im Saarland den Aufbruch. Die Mönche des ältesten Klosters in Deutschland renovieren über Jahre ihr Gotteshaus. Wenn die Kirche Ende September wieder ihre Pforten öffnet, erwartet große Kunst die Besucher. Neben drei Fenstern des weltbekannten Gerhard Richter kommen 31 Werke von der Münchner Künstlerin Mahbuba Maqsoodi. Die heute 63-jährige Malerin und Zeichnerin malt in Glas für Tholey, beim derzeit spektakulärsten Projekt von moderner Kunst im kirchlichen Raum in Deutschland.
Christoph Strack: Frau Maqsoodi, Sie sind als Muslima in einem Dorf in Afghanistan aufgewachsen. Lebten dann zur Ausbildung als Künstlerin in Russland. Und irgendwann kamen sie mit ihrer Familie als Geflüchtete nach Deutschland und sind seit Langem Deutsche. Was bedeutet es für Sie, nun in einem deutschen Kirchenraum zu arbeiten?
Mahbuba Maqsoodi: Ja, ich bin sozusagen in drei Kulturen aufgewachsen. Aber die Basis ist Afghanistan, auf jeden Fall. Die ersten Jahre eines Kindes prägen doch den Charakter, auch den Charakter des zukünftigen erwachsenen Menschen. Und ich durfte in meiner eigenen Erziehung freie Gefühle genießen.
Im Afghanistan der 1960er Jahre?
Ich bin in einem Dorf geboren, in Herat, meine Eltern waren Muslime – aber sie haben nie den Glauben nur streng in Formen verstanden. Diese Formen waren für sie der Weg, zum Inhalt zu gelangen. Für meinen Vater war es auch unwichtig, ob seine Kinder nun Mädchen oder Jungen waren. Er hat alle – sieben Töchter – gleich geliebt. Und für ihn waren wir alle Gottes Geschenk und hatten den gleichen Wert, ob Mädchen oder Frau, Junge oder Mann. Deshalb hat er uns Erziehung ermöglicht. Er hat uns mit großem Respekt für andere Menschen und Kulturen erzogen. Ich spreche immer von meinem Vater. Auch unsere Mutter war eine sehr liebevolle Person. Sie hat alles für ihre Kinder und die Familie gegeben – aber sie hat selbst nie eine Schule besucht. Wenn unser Vater einen anderen Weg gegangen wäre, so wie viele andere Männer in Afghanistan, unsere Mutter hätte das wohl mitgemacht.
Was bedeutete diese Kindheit für die spätere Künstlerin?
Wir, alle sieben Schwestern, konnten eine freie Erziehung genießen und bekamen die Chance, uns zu entwickeln. Mein Vater hat für Mädchen im Dorf eine Schule gegründet. Bildung war für ihn der Schlüssel zur Entwicklung jeder Person. Damals wurde in mir die Offenheit für das Neue grundgelegt, und es hat mich immer sehr bereichert. Also, ich war immer neugierig. Dazu passt das spätere Studium in Russland, das diese Erfahrung noch einmal geweitet hat. All das war wunderbar.
Spiegeln Ihre Fenster davon etwas wider?
Sie sehen an den Fenstern: Farben sind für mich so wichtig. Wegen der Vielfältigkeit, die ich in meinem Leben erlebte, sehe ich so viele Farben. Und durch die Farbe und die Bewegung in der Farbe erreiche ich meinen Ausdruck. Wenn ich in Gedanken meine Komposition bilde – und erst male ich in Gedanken – ich sehe immer eine Farbe. Wenn ich dann die Komposition in eine Bleistiftzeichnung fasse, kommt wieder dieser Gedanke von Farbe rein. Das ist mein Leben, seit den Farben Afghanistans. Und in den Fenstern wirken die Farben wegen mehrerer Schichten fast dreidimensional.
Dann kommt die Muslima aus verschiedenen Kulturen und zeigt in den Fenstern von Tholey den Deutschen oder Europäern die Bilder aus deren Kulturkreis …
Das ist eine ganz tiefe Frage. Weil mir die Geschichte eigentlich nicht fremd ist. Vielleicht war mir die Art und Weise dieser Bildmalerei fremd, bevor ich nach Europa kam. Zuvor hatte das nur durch die Bücher gesehen. Aber die Erzählungen, das biblische Geschehen über Propheten, das habe ich schon als Kind über meine Großmütter mitbekommen. Wir haben auch unsere Erzählungen. Nur wird das nie bildlich dargestellt. Das lernte ich erst in Europa. Aber die Botschaft, finde ich, ist universal. Das ist nicht nur die Botschaft für Christen, für Juden oder für Muslime, sie ist für alle. Ich sehe diese Trennung nicht. Ich schaue auf den Inhalt. Was ist die Botschaft von Jesaja? Von Adam und Eva? Von Moses? Was sind diese Zehn Gebote, die er uns gebracht hat. Diese Gebote sind doch für alle Kulturen da. Jeder Muslim versteht das. Jeder Jude, jeder Atheist eigentlich auch. Ich versuche, dieses Klein-zu-Denken zu öffnen. Es ist immer viel größer. Und wir sollten in der Zeit der Globalisierung nicht noch so klein denken wie vor hundert oder zweihundert Jahren.
Was bedeutet es Ihnen, Fenster zu schaffen für ein Gotteshaus?
Ehrlich gesagt: Ich denke, Gott braucht diese Häuser nicht … – wir Menschen brauchen das. Davon bin ich wirklich überzeugt. In diesen Räumen hat man einen besonderen Bezug, der durch die Geschichte gewachsen ist. Man geht zu Gotteshäusern mit einem großen Respekt und einer Erwartung. Einer Erwartung, die voller Hoffnung ist, vielleicht angesichts von Wünschen, die man hat. Solche Räume, in denen man sich wohlfühlt, helfen, dass Vertrauen wächst. Vertrauen in sich selbst, Vertrauen auch darin, dass Gott dabei ist und einen unterstützt. Wenn diese Verbindung gelingt, hat man wirklich etwas Gutes geschafft. Das ist mein Gedanke. Und ich weiß aus vielen Rückmeldungen, die ich aus der Pfarrgemeinde der ersten Kirche bekam, für die ich in den USA Fenster arbeitete, dass das gelingen kann. Das ist dann schön, wenn Menschen so berührt werden.
Gibt es einen Grundsatz, der Sie bei der Arbeit leitet?
Kein Spruch aus einem religiösen Buch. Aber ein Satz von Lew Tolstoi: „Wenn wir in Harmonie leben möchten, dann müssen wir nach dem suchen, was uns vereint, nicht nach dem, was uns trennt.“ Das ist meine Haltung, mein Gedanke, egal, was ich tue. Ich versuche immer, dieses Gemeinsame zu finden. Man darf in seinem Blick nicht zu eng, nicht zu klein sein. Wenn sich der Blick weitet, sehen wir, dass wir so viele gemeinsame Charaktere haben. Und dann zerfließen Grenzen. Es gibt ein Chorfenster von mir in Tholey, in dem fließen die Formen ineinander. Immer weiter. In die Haltung von Christus. Und dann in den Himmel. Das zeigt: Ich sehe immer diese Verbindung – das Individuum und das Gesamte.
Was empfinden Sie bei dieser Arbeit im hellen Raum von Tholey?
Einige Kirchen sind oft geschlossen, schließen sogar ihre Pforten für immer. Hier in Tholey wird komplett der gesamte Raum renoviert und bekommt neue Fenster. Deshalb ist diese Aufgabe mir sehr, sehr wichtig. Ich werde sehr glücklich sein, wenn die gesamten Fenster eingebaut sind. Denn dann können die Menschen – ob sie gläubig sind oder nicht, unabhängig von ihrer Konfession oder Nationalität – sich darin finden. Ihre Haltung, ihre Erfahrung, ihr Leben. Und ich möchte mit dieser Arbeit nie eine Frage beantworten, nie. Sondern ich möchte, dass jeder, der die Frage für sich stellt, für sich auch die Antwort sucht. Es gibt nie nur eine Art der Interpretation.
Während Sie an diesem Projekt arbeiteten, kam Corona. Gibt es ein Fenster, von dem Sie sagen würden, es bringt die Situation der Menschen in der Zeit der Pandemie und das Leid zum Ausdruck?
Ich glaube sehr daran, dass Leid und Freude einander ergänzen und so auch den Menschen begleiten. Immer. Es gab ja solch katastrophale Situationen wie jetzt das Coronavirus schon öfter in der Geschichte, auch schlimmer. Nehmen Sie nur die Pest. Und Menschen wurden immer sehr betroffen. Ich glaube, dass heute durch die schnelle Vernetzung und durch die Globalisierung die Katastrophen die Menschen viel schneller erreichen können und diese genauso viel schneller die Freude mitteilen, auch den anderen glücklich machen können. Und diese Motive klingen in vielen Fenstern an. Am deutlichsten ist das sicher im Westfenster, dem Satanssturz. Das Thema des globalen Einflusses, den die Menschen haben – man sagt doch: Der Mensch ist die Krone des Schaffens – dann muss er sich genauso verhalten und Verantwortung haben. Das wird genauso im Westfenster interpretiert. Wir haben die Verantwortung, wir Menschen haben engelhafte Qualitäten, aber auch Charakterzüge, die teuflisch sein können, die den Menschen auch weiter negativ prägen. Das Westfenster stellt wirklich diese Katastrophe dar. Kürzlich, berichtete mir der Abt, war ein Kunsthistoriker in Tholey. Und der habe das Fenster als Motiv zur Corona-Pandemie interpretiert.
Vielen Dank.
Dieses Interview ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2020.