Rede von Staats­mi­nis­te­rin Prof. Monika Grüt­ters MdB Beauf­tragte der Bun­des­re­gie­rung für Kul­tur und Medien bei der Eröff­nung der neuen Dau­er­aus­stel­lung des Jüdi­schen Muse­ums Ber­lin am 18. August 2020

„Han­nah Are­ndt und das 20. Jahr­hun­dert“: Diese sehens­werte Aus­stel­lung im Deut­schen His­to­ri­schen Museum war für mich die erste, die ich nach dem pan­de­mie­be­ding­ten Lock­down im Mai besucht habe, aber sie ist mir nicht nur des­halb in beson­de­rer Erin­ne­rung geblie­ben. Ich erin­nere mich an viele bewe­gende Ori­gi­nal-Doku­mente, dar­un­ter eine redak­tio­nelle Vor­be­mer­kung zu Han­nah Are­ndts Essay „Orga­ni­sierte Schuld“, erschie­nen kurz nach Kriegs­ende in der Zeit­schrift „Die Wand­lung“. In die­ser Vor­be­mer­kung wird Han­nah Are­ndt mit einer Erklä­rung zitiert, warum sie nicht ein­fach nach Deutsch­land zurück­kom­men könne. „Mir scheint“, schrieb sie, „kei­ner von uns kann zurück­kom­men (…), nur weil man nun wie­der bereit scheint, Juden als Deut­sche oder sonst was anzu­er­ken­nen; son­dern nur, wenn wir als Juden will­kom­men sind.“

Dass jüdi­sche Men­schen sich in Deutsch­land als Juden will­kom­men füh­len, ist trau­ri­ger­weise bis heute keine Selbst­ver­ständ­lich­keit – ja, ange­sichts anti­se­mi­ti­scher Hetz­pa­ro­len und Über­griffe scheint es manch­mal gar illu­so­risch. Und doch tra­gen viele Kul­tur­ein­rich­tun­gen dazu bei, jüdi­schen Men­schen diese Wert­schät­zung zu ver­mit­teln: das Gefühl, als Juden will­kom­men zu sein –  nicht zuletzt das Jüdi­sche Museum Ber­lin, das von 1.700 Jah­ren deutsch-jüdi­scher Geschichte und von der Viel­falt jüdi­schen Lebens in Deutsch­land erzählt. Es schärft das Bewusst­sein für den Reich­tum jüdi­scher Kul­tur und Tra­di­tion. Es offen­bart, was Deutsch­land jüdi­schen Dich­tern und Den­kern, Künst­le­rin­nen, Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Unter­neh­mern ver­dankt. Und es doku­men­tiert die erschüt­ternde All­ge­gen­wart anti­se­mi­ti­scher Aus­gren­zung und Gewalt über die Jahr­hun­derte bis heute. Ich bin froh und dank­bar, dass wir heute Abend trotz der im Moment schwie­ri­gen Bedin­gun­gen die neue Dau­er­aus­stel­lung eröff­nen kön­nen, die wir mit zusätz­li­chen Son­der­mit­teln aus mei­nem Kul­tur­etat in Höhe von rund 19 Mil­lio­nen Euro unter­stützt haben: als Signal des Auf­bruchs für das Jüdi­sche Museum nach einer schwie­ri­gen Zeit und auch als Aus­druck der Wert­schät­zung jüdi­schen Lebens in Deutschland.

Dem Aus­stel­lungs­team ist es gelun­gen, auf sehr ein­dring­li­che Weise von der deutsch-jüdi­schen Ver­gan­gen­heit und Gegen­wart zu erzählen.

Im his­to­ri­schen Rund­gang offen­bart sich das kul­tu­relle Ver­mächt­nis des Juden­tums ebenso wie die trau­rige Tra­di­tion des Anti­se­mi­tis­mus und der Zivi­li­sa­ti­ons­bruch des Holo­caust. Kunst- und Medi­en­in­stal­la­tio­nen machen jüdi­sches Leben und Wir­ken sinn­lich und emo­tio­nal erfahr­bar. Ich bin sicher, Sie wer­den begeis­tert sein, meine Damen und Her­ren, wenn Sie sich nach­her bei einem ers­ten Rund­gang selbst ein Bild machen. Mich hat ganz beson­ders die Video­in­stal­la­tion „Mesubin“ – auf deutsch: „Die Ver­sam­mel­ten“ – am Schluss beein­druckt, eine viel­stim­mige Col­lage zur Frage, was Jüdisch­sein heute bedeu­tet, und damit eine ebenso ein­drucks­volle wie berüh­rende Illus­tra­tion der Viel­falt, die anti­se­mi­ti­sche Res­sen­ti­ments als lebens­fern und welt­fremd entlarvt.

Wegen der not­wen­di­gen Infek­ti­ons­schutz­maß­nah­men wer­den diese Aus­stel­lung im Moment noch nicht so viele Besu­che­rin­nen und Besu­cher sehen kön­nen, wie sie es zwei­fel­los ver­dient hätte. Doch es ist schon ein Erfolg, dass wir sie jetzt zei­gen kön­nen. Für die zusätz­li­chen finan­zi­el­len Belas­tun­gen, die das Museum wegen der Pan­de­mie stem­men muss, gibt es Unter­stüt­zungs­mög­lich­kei­ten aus den Corona-Hilfs­pro­gram­men mei­nes Hau­ses. Und so hoffe ich, dass wir in nicht allzu fer­ner Zukunft auch das wun­der­bare Kin­der­mu­seum ANOHA eröff­nen kön­nen, das bau­lich fer­tig ist, aber pan­de­mie­be­dingt noch im Dorn­rös­chen­schlaf liegt. Die unglaub­lich lie­be­voll und phan­ta­sie­voll gestal­te­ten Tiere, die da in der Arche Noah ver­sam­melt sind, wer­den nicht nur Kin­der begeis­tern, da bin ich sicher. Auch in der neuen Dau­er­aus­stel­lung des JMB wur­den viel Krea­ti­vi­tät und Sorg­falt dar­auf ver­wen­det, jün­gere Men­schen anzusprechen.

Die Aus­stel­lung ermög­licht Inter­ak­tion nicht nur; sie ver­führt gera­dezu, selbst aktiv zu wer­den und die Geschichte und Gegen­wart des Juden­tums zu ent­de­cken. Damit kann das Jüdi­sche Museum Ber­lin seine Stär­ken als außer­schu­li­scher Lern­ort opti­mal ent­fal­ten. Ent­spre­chend sind auch die Ticket­preise geplant: Der Ein­tritt in die Dau­er­aus­stel­lung wird für alle Besu­che­rin­nen und Besu­cher unter 18 Jah­ren frei sein. Das ist wich­tig, denn gerade sie müs­sen wir errei­chen, wenn wir dafür Sorge tra­gen wol­len, dass die Saat anti­se­mi­ti­scher Hetze in Deutsch­land nie wie­der auf frucht­ba­ren Boden fällt – wenn wir dafür Sorge tra­gen wol­len, dass jüdi­sche Men­schen sich als Jüdin­nen und Juden in Deutsch­land will­kom­men fühlen.

Ganz beson­ders herz­lich will­kom­men hei­ßen darf ich heute Sie als neue Direk­to­rin des JMB, liebe Frau Berg, nach­dem dazu bis­her coro­nabe­dingt keine offi­zi­elle Gele­gen­heit war. „Jüdin zu sein, ist keine Qua­li­fi­ka­tion“, haben Sie in einem Inter­view zu Ihrer Beru­fung gesagt, und natür­lich ist es Ihre aus­ge­wie­sene Exper­tise, die den Stif­tungs­rat dazu bewo­gen hat, die Geschi­cke des JMB in Ihre Hände zu legen. Doch es freut mich sehr, dass wir mit Ihnen nicht nur eine her­vor­ra­gend qua­li­fi­zierte Kura­to­rin und Kul­tur­his­to­ri­ke­rin für den viel­leicht anspruchs­volls­ten Pos­ten in der deut­schen Muse­ums­land­schaft gewin­nen konn­ten, son­dern auch eine Frau, die ihre per­sön­li­chen Erfah­run­gen als Jüdin mit in die Erzäh­lung der Geschichte und Gegen­wart des Juden­tums ein­brin­gen kann. Ich danke Ihnen und allen Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern für das Enga­ge­ment und die Beharr­lich­keit, mit der Sie in den ver­gan­ge­nen Mona­ten trotz aller pan­de­mie­be­ding­ten Wid­rig­kei­ten alles dafür getan haben, um das Jüdi­sche Museum mit der neuen Dau­er­aus­stel­lung als Ort des Dia­logs zu stär­ken. Ein herz­li­ches Dan­ke­schön ver­die­nen in die­sem Zusam­men­hang auch Michael Blu­men­thal, der noch in sei­ner Amts­zeit als Direk­tor den Anstoß dafür gege­ben und sich auch spä­ter stets für die Aus­stel­lung enga­giert hat, Peter Schä­fer, der die Aus­stel­lung in sei­ner Amts­zeit maß­geb­lich mit vor­be­rei­tet und sein schier uner­schöpf­li­ches Wis­sen als Juda­ist ein­ge­bracht hat, Cilly Kugel­mann, die als Pro­gramm­di­rek­to­rin und Chef­ku­ra­to­rin von der Kon­zep­tion bis zur Fer­tig­stel­lung prä­gende und trei­bende Kraft war, und das Aus­stel­lungs­team, das viel Sach­ver­stand, Sen­si­bi­li­tät und Enga­ge­ment in die­ses Pro­jekt gesteckt hat. Es ist ihr gemein­sa­mer Ver­dienst, dass das Jüdi­sche Museum mehr ist als ein Kul­tur­tem­pel für Bil­dungs­bür­ger oder ein dem All­tag ent­rück­ter Elfen­bein­turm der Wis­sen­schaft – dass das Jüdi­sche Museum ein Haus ist, das zum Nach­den­ken und zum Gespräch ein­lädt, das Ver­ste­hen und Ver­stän­di­gung ermöglicht.

Um ein Gefühl dafür zu bekom­men, wie wich­tig die­ses Haus ist, musste man in den ver­gan­ge­nen Wochen nur die Zei­tun­gen auf­schla­gen. Innen­po­li­tisch sorgte der Pro­zess gegen den Atten­tä­ter von Halle für Schlag­zei­len – der Beginn der juris­ti­schen Auf­ar­bei­tung eines der schwers­ten anti­se­mi­ti­schen Anschläge der deut­schen Nach­kriegs­ge­schichte. Außen­po­li­tisch war die Sorge ange­sichts der israe­li­schen Anne­xi­ons­pläne im West­jor­dan­land und einer erneut dro­hen­den Eska­la­tion des Nah­ost­kon­flikts ein beherr­schen­des Thema in den Medien. Und in den Feuil­le­tons hört und liest man seit gerau­mer Zeit immer wie­der neue Bei­träge zu einer hit­zig geführ­ten Debatte über Isra­el­kri­tik und Anti­se­mi­tis­mus, die sich vor Mona­ten am Werk des süd­afri­ka­ni­schen Phi­lo­so­phen Achille Mbembe ent­zün­det hat. Das sind Bei­spiele, die zei­gen, wie wich­tig eine fun­dierte und dif­fe­ren­zierte Aus­ein­an­der­set­zung mit der Geschichte und Gegen­wart des Juden­tums gerade hier­zu­lande ist.

Die Balance zu fin­den zwi­schen dem Anspruch, einer­seits ein poli­ti­sches Haus, ein Ort der Dis­kus­si­ons- und auch der Streit­kul­tur zu sein, und sich ande­rer­seits gegen jede Form der poli­ti­schen Ver­ein­nah­mung abzu­gren­zen, bleibt enorm schwie­rig – zumal in einer Zeit, in der die Schärfe der poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen und die Pola­ri­sie­rung im öffent­li­chen Dis­kurs zuneh­men. Gleich­zei­tig ste­hen wir in Deutsch­land ange­sichts einer zuneh­men­den Zahl anti­se­mi­ti­scher Über­griffe vor der Her­aus­for­de­rung, das Gift des Anti­se­mi­tis­mus mit wirk­sa­me­ren Gegen­mit­teln zu bekämpfen.

Im neuen Kabi­nettsau­schuss zur Bekämp­fung von Rechts­extre­mis­mus, Ras­sis­mus und Anti­se­mi­tis­mus bün­deln wir dafür in der Bun­des­re­gie­rung res­sort­über­grei­fend unsere Maß­nah­men. Für alle gesell­schaft­li­chen Berei­che soll es neue Ideen geben. Auch in der Arbeit mei­nes Hau­ses werde ich diese poli­ti­sche Ziel­set­zung stär­ken und habe eigens dafür eine neue Stelle im Lei­tungs­stab geschaffen.

Bei die­ser Gele­gen­heit will ich noch kurz eine wei­tere wich­tige Neu­be­set­zung erwäh­nen, die seit heute Nach­mit­tag fest­steht. Es freut mich, dass es uns gelun­gen ist, für die Gedenk- und Bil­dungs­stätte Haus der Wann­see-Kon­fe­renz – eine wei­tere wich­tige Insti­tu­tion zur Ver­mitt­lung jüdi­scher Geschichte – eine inter­na­tio­nal renom­mierte Exper­tin öster­reich-israe­li­scher Her­kunft als neue Direk­to­rin zu gewin­nen. Frau Debo­rah Hart­mann lei­tet seit 2015 die deutsch­spra­chige Bil­dungs­ab­tei­lung von Yad Vas­hem in Jeru­sa­lem. Sie bringt neben einem inno­va­ti­ven Ver­mitt­lungs­an­satz auch lang­jäh­rige Erfah­run­gen und Kon­takte zu vie­len Akteu­ren und Bil­dungs­ein­rich­tun­gen in Deutsch­land mit und wird ganz gewiss nicht zuletzt im Dis­kurs über den gesell­schaft­li­chen Umgang mit Anti­se­mi­tis­mus neue Akzente setzen.

Ich bin zuver­sicht­lich, meine Damen und Her­ren, dass auch die neue Dau­er­aus­stel­lung des JMB den Raum für dif­fe­ren­zierte Debat­ten erwei­tert, die unsere Gesell­schaft so drin­gend braucht. Und ich hoffe sehr, dass es dar­über hin­aus eines deut­lich ver­mit­telt: Jüdi­sche Men­schen wer­den in Deutsch­land als Jüdin­nen und Juden mehr als nur respek­tiert. Sie sind als Jüdin­nen und Juden will­kom­men und geschätzt; sie sind mit ihrem Glau­ben und ihrer Kul­tur Teil die­ser, unse­rer Gesell­schaft. Dafür wün­sche ich Ihnen, liebe Frau Berg, und Ihrem Team viel Erfolg, gute Ideen und eine glück­li­che Hand – und dem Jüdi­schen Museum Ber­lin zahl­rei­che Besu­che­rin­nen und Besucher.

Von |2020-08-31T16:13:27+02:00August 26th, 2020|Religiöse Vielfalt|Kommentare deaktiviert für Rede von Staats­mi­nis­te­rin Prof. Monika Grüt­ters MdB Beauf­tragte der Bun­des­re­gie­rung für Kul­tur und Medien bei der Eröff­nung der neuen Dau­er­aus­stel­lung des Jüdi­schen Muse­ums Ber­lin am 18. August 2020
Monika Grütters, MdB ist Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.