Die Corona-Pandemie hat – zumindest zeitweise – auch das Konsumtionsverhalten verändert. Der Online-Versand erreicht Rekordhöhen. Dafür bedienen sich einige Unternehmen auch neuer Werbeformen und Informationskanäle. Wer z. B. das neueste Waffelangebot von Bahlsen probieren möchte, muss nicht einmal mehr das Sofa verlassen. Dank des Smart Speakers kann man sich den neuen Riegel per Spracheingabe zum Probieren schicken lassen. In den vergangenen Wochen stieg nicht nur die Nutzung der mit dem Internet vernetzten Lautsprecher, sondern alle Audio-Angebote konnten ihre erfolgreiche Entwicklung der vergangenen Jahre fortsetzen. Die Radionutzung erhöhte sich im März um 24 Prozent, bei Männern allerdings stärker als bei Frauen, und auch die der Podcasts um 13 Prozent.
Die Mediengruppe RTL hat jetzt einen Radiosender für Mitarbeiter gestartet. Mit dem digitalen Hörfunkangebot „Wir.fm“ können die Mitarbeiter von Montag bis Freitag zwischen 7 und 18 Uhr News mit Aktuellem, Unternehmensthemen, Interviews mit verantwortlichen Managern und prominenten Programm-Protagonisten hören. Abrufen können die Mitarbeiter den Sender über das Intranet.
Vom boomenden Audiogeschäft möchte auch der gebeutelte TV-Konzern ProSiebenSat.1 profitieren.
Ende April ging seine lokale Audio-on-Demand-Plattform FYEO on Air. Neben Dokus, Experten-Talks, News-Podcasts oder Kino für die Ohren finden Nutzer hier eine Vielzahl an Audio-Formaten.
Egal ob Podcast, Voice, Smart Speaker, Streaming und Co – Hören wird individueller, mobiler und vor allem digitaler. Davon betroffen sind die unterschiedlichsten Branchen. Wer zukünftig wahrgenommen werden möchte, braucht eine Audioidentität und auditive Touchpoints. Vor allem bei der jungen Generation, der „Generation Kopfhörer“.
Autohersteller planen z. B. eigene Audio-Entertainment-Systeme. Mit individuellen, auf den jeweiligen Fahrer zugeschnittenen personalisierten Audio-Inhalten. Eine Mischung aus News, Podcasts und Musik. So soll beim Einsteigen ins Auto das System beispielsweise an der Stimme den Fahrer erkennen und die individuellen Audio-Inhalte vollständig geladen und sofort abrufbar zur Verfügung stellen. Und das einfach und schnell per Voice – ohne Bedienung am Smartphone oder Autoradio. Durch die gewonnenen Nutzerdaten könnten die Inhalte individuell angepasst werden. Audio ist das Begleitmedium insbesondere auf dem Weg zur Arbeit. Aber die individuellen Nutzererlebnisse könnten auch außerhalb des Autos fortgesetzt werden. Insbesondere für Verlage könnten Schnittstellen zu und mit Autoherstellern, Airlines oder Hotels neue Möglichkeiten bieten.
Radio ist keine Frage des Alters, sondern der Verbundenheit
Radio wird von knapp 80 Prozent der Bevölkerung tagtäglich gehört. Eine aktuelle Studie mehrerer Radiovermarkter belegt, dass für 52 Prozent der Deutschen Radio unverzichtbar ist. Für 37 Prozent ist es das öffentlich-rechtliche Fernsehen, für 31 Prozent das Privatfernsehen und jeweils 39 Prozent möchten nicht auf Video-Streaming und soziale Medien verzichten. Auf die Frage, welchem Medium sie am meisten vertrauen, antworteten 18 Prozent der Interviewten mit Radio, 21 Prozent mit öffentlich-rechtlichem Fernsehen und 6 Prozent vertrauen am meisten den privaten Fernsehsendern. Die Tageszeitung liegt mit 14 Prozent auf Platz 3 der Rangliste. Nur 5 Prozent vertrauen Social-Media-Kanälen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Radio bei 14- bis 49-Jährigen mit 16 Prozent den Spitzenwert liefert.
Vielleicht ist das große Vertrauen mit ein Grund dafür, dass Radio täglich von mehr Jugendlichen genutzt wird als Fernsehen. Laut einer Jugendstudie des Forschungsverbandes Südwest lag 2018 bei den 12- bis 19-Jährigen in der täglichen Nutzung Radio mit 48 Prozent vor dem Fernsehen (42%). Aus dieser Studie geht ebenfalls hervor, dass mit zunehmendem Alter bei den Jugendlichen auch die Radionutzung täglich oder mehrmals pro Woche ansteigt. Bei den 12- bis 13-Jährigen liegt die tägliche Nutzung bei 67 Prozent, hingegen bei den 18- bis 19-Jährigen steigt der Radiokonsum bereits auf 75 Prozent an. Für welchen Radiosender sich Jugendliche entscheiden, hängt vor allem von der Art der Musik, den Nachrichten, den lokalen und regionalen Informationen ab. In den vergangenen Jahren nutzten immer weniger Jugendliche den traditionellen Verbreitungsweg für Radio-Angebote per UKW. Dafür steigt aber die Online-Nutzung – vor allem mobil. So bauen die Online-Angebote klassischer Radiosender ihre Reichweiten stetig aus. Während der Streaming-Anbieter Spotify im vergangenen Jahr 1,70 Millionen Hörer täglich erreichte, steigerten die klassischen Hörfunksender ihre Hörerzahl pro Tag online auf insgesamt 3,52 Millionen Menschen. Der derzeitige Audioboom ist Teil einer jungen Generation, die sich via Streamingdienste Playlisten selbst zusammenstellt oder algorithmenbasiert neue Musik entdeckt, oder Radioangebote über verschiedene digitale Empfangswege nutzt.
Corona-Pandemie verändert Akzeptanz und Funktion des Radios
Es ist für 53 Millionen Hörer selbstverständlich, den Morgen mit dem Radio zu beginnen – sei es als Wecker, beim ersten Kaffee, beim gemeinsamen Frühstück, unter der Dusche oder auf dem Weg zur Arbeit. Durch die Corona-Krise ist auch für die Radiomacher vieles anders: So wird die Moderation aus der Küche in den eigenen vier Wänden oder im Kinderzimmer absolviert, die Technik aus einem Sendewagen gesteuert oder das geplante Event auf digitalem Weg umgesetzt. Mit viel Kreativität und Engagement sind die Radiomacher vor dem Mikrofon, um die Hörer mit aktuellen Informationen und Musik zu versorgen. Radio leistet einen großen Beitrag, um Hörer zu entspannen, auch mal zum Lachen zu bringen und Freude zu schenken. Einige Sender stellen Werbezeit kostenlos für regionale Unternehmen zur Verfügung: Restaurants informieren via Radio über ihren Lieferservice. Auch Webseitenbetreiber, Buchläden und Freizeiteinrichtungen nutzen die Chance, auf sich aufmerksam zu machen.
Die Akzeptanz der Radioinhalte und wie diese Inhalte genutzt werden, hat sich in den Pandemiewochen verändert. „Am Anfang wollten die Menschen so viele Informationen wie möglich“, erläutert Bill De Lisle, Geschäftsführer von RadioAnalyzer, dem weltweit führenden Unternehmen für Data Analytics im Radio, in einem Interview mit radiowoche.de. „Wir haben klar gesehen: Irgendwann, als alle diese Informationen bekannt und ausreichend kommuniziert waren, war die ständige Erinnerung daran – zum Teil mit erhobenem Zeigefinger – ein deutlicher Abschaltfaktor. Ganz anders war es mit den Informationen, die sich darum gedreht haben, das Leben der Menschen emotional widerzuspiegeln. Ich denke, die Hörer genießen diese Art von sozialen Kontakten und damit den Bezug zu anderen Menschen, der ihnen durch die Ausgangsbeschränkungen im richtigen Leben verwehrt ist.“ „Es bestehe jetzt eine Situation“, so Bill De Lisle weiter, „wo der Großteil der Hörerschaft gezwungen sei, den Tagesablauf zu verändern, und das über längere Zeit. Die Hörer wollten diesen neuen Rhythmus mit Sinnvollem füllen. Das Radio habe jetzt also sehr gute Möglichkeiten, auf die neuen Tagesabläufe der Hörer einzugehen, um später davon zu profitieren.“
Viele Menschen entdecken gerade das Genre Podcast
Der Podcast „Das Coronavirus-Update“ mit dem Berliner Virologen Christian Drosten wurde für den Grimme Online Award nominiert. Seit 26. Februar hat der NDR mit dem bekannten Wissenschaftler bis Anfang Mai an die 40 Folgen seiner Gespräche produziert. Der Podcast lief in mehreren ARD-Hörfunkprogrammen, wurde über die ARD/NDR-Mediatheken, iTunes, Spotify und YouTube verbreitet und konnte auch als Download vom NDR-Portal oder tageschau24 genutzt werden. Als Podcast kommen alle Folgen zusammen mittlerweile auf 30 Millionen Abrufe.
„Gleichzeitig beobachten wir in der ARD Audiothek“, analysiert Katja Marx, NDR-Programmdirektorin Hörfunk, „dass auch Inhalte abseits der Corona-Thematik zulegen: Unsere preisgekrönten Podcasts ‚Leonora – mit 15 zum IS‘, ‚Enke – Leben und Tragik eines Torhüters‘ oder ‚Deutschland3000 – ’ne gute Stunde mit Eva Schulz‘ z. B. Politische Inhalte und der Themenbereich Wissen werden sehr viel abgerufen, aber auch Formate für Kinder, die nun zu Hause bleiben müssen. Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen das Genre Podcast gerade für sich entdecken.“
Podcasts haben in der aktuellen Situation einen zusätzlichen Schub bekommen und den Weg aus der technikaffinen Nische gefunden. Altersübergreifend gaben 37 Prozent der Hörer an, dass Podcasts für sie ein wichtiges Informationsmedium zum Thema Corona sind, so der Deloitte Media Consumer Survey.
Podcasts sind einfach zu produzieren, leicht zu distribuieren und mit Kopfhörern ohne Weiteres überall zu konsumieren. Sie werden nicht nur von Hörfunk- oder TV-Sendern, sondern auch von Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen, PR- und Werbeagenturen oder Blog-Betreibern erzeugt.
Die Formate gehen häufig tiefer als die Nachrichten aus TV und Radio und punkten bei den Nutzern mit relevanten Hintergrundinformationen. Zahlreiche prominente Macher – von Atze Schröder über Charlotte Roche bis Mats Hummels – verschafften Podcasts schon 2019 eindrucksvolle Reichweiten: Mehr als ein Viertel der Deutschen (26% laut Bitkom) war mindestens gelegentlich Podcast-Nutzer. Die vielen neuen Podcast-Formate und -Portale treiben den nächsten On-Demand-Markt weiter an. Durch die Integration von Podcasts in den Google-Suchergebnissen werden die Formate besser auffindbar und präsenter. Das Markforschungsunternehmen Goldmedia geht deshalb davon aus, dass 2020 jeder Dritte in Deutschland zumindest gelegentlich Podcasts hören wird.
Smart Speaker als Transporteur von Informationen
Smart-Speaker wie Amazons Alexa sind nicht nur sprechende Lexika oder Übermittler von Aufträgen per Sprachbefehl und steuern das smarte Home, sondern auch ideale Transporteure von Podcasts. Bei jedem vierten Deutschen steht bereits ein Smart-Speaker zu Hause und die Hälfte der Besitzer haben sogar mehrere Geräte im Einsatz. Das geht aus der Smart Speaker Studie 2020 des Unternehmens Beyto hervor.
Rund die Hälfte derjenigen, die einen vernetzten Lautsprecher besitzen, nutzen ihn täglich. 40 Prozent aller Deutschen gehen zudem davon aus, dass die Bedeutung von Smart Speakern und Sprachanwendungen allgemein künftig weiter zunehmen wird.
Trotz der hohen Verbreitung – auch in vielen Schlafzimmern – sind 59 Prozent der Deutschen der Meinung, dass die Lautsprecher für die Privatsphäre ein größeres Risiko darstellt als andere technische Geräte. Zu dieser Einschätzung kommt auch die Hälfte der Besitzer eines Smart Speakers.
Verwendet werden die Smart Speaker in erster Linie für Streamingdienste, die Steuerung des Smart Homes und um Antworten auf Fragen zu erhalten. Für Spiele oder Online-Shopping werden die Sprachassistenten hingegen so gut wie nie genutzt. Die Voice Apps für zusätzliche Nutzungsmöglichkeiten galten lange Zeit als „das nächste große Ding“ im digitalen Marketing. Laut der Studie werden aber zu wenig Informationen über die Erweiterungen bereitgestellt. Viele Smart-Speaker-Nutzer zeigen sich an den Apps nicht interessiert, sehen keinen Nutzen oder bemängeln die schlechte Qualität der Alexa Skills oder Google Actions.
Die Radiozukunft ist digital
In Deutschland wird Radio immer mehr digital gehört. Wie der Digitalisierungsbericht Audio der Medienanstalten von 2019 zeigt, steigt die Netto-Digitalisierungsquote im Hörfunk weit über die 50-Prozent-Marke. Vor allem DAB+ gewinnt: Fast ein Viertel der Haushalte in Deutschland (23%) ist zu Hause oder im Auto mit DAB+-Empfangsgeräten ausgestattet. Das sind sechs Prozentpunkte mehr als im Vorjahr und entspricht mehr als neun Millionen Haushalten. Auch die Ausstattung mit internetfähigen IP-Radiogeräten konnte leicht zulegen und liegt nunmehr bei 12 Prozent der Haushalte. Die genauere Betrachtung zeigt, dass DAB+ zum entscheidenden Treiber des digitalen Radioempfangs avanciert ist. Die Haushaltsausstattung mit DAB+-Empfängern ist um mehr als ein Drittel gegenüber dem Vorjahr angestiegen. Das größte Wachstum verzeichnen dabei mit 50 Prozent und mehr die Länder Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Die höchste Dichte an DAB+-Haushalten weist nach wie vor Bayern mit knapp 30 Prozent der Haushalte auf, gefolgt von Sachsen (26%) und Baden-Württemberg (24%). Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklung weiter beschleunigt.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2020.