Sonne in „Kalt­land“

Björn Pät­zoldt über die von ihm mit­be­grün­dete erste "Aus­län­der­par­tei" in Deutschland

„In Ham­burg ist jetzt eine Par­tei gegrün­det wor­den, die sich beson­ders für Aus­län­der­belange ein­set­zen will. Vor­sit­zende der ‚Par­tei Aus­län­di­scher und Deut­scher Demo­kra­ten‘ ist die per­si­sche Schrift­stel­le­rin Tor­kan Danesh­far-Pät­zoldt. Die Par­tei will ab 1988 an den Wah­len in Ham­burg teil­neh­men.“ Diese kurze dpa-Mel­dung fin­det sich am 21. August 1987 in der taz. In ihrem Pro­gramm hat­ten die Initia­to­ren der Par­tei Aus­län­di­scher und Deut­scher Demo­kra­ten (PADD) For­de­run­gen, die sich teil­weise in dem von der rot-grü­nen Bun­des­re­gie­rung ver­ant­wor­te­ten Staats­an­ge­hö­rig­keits­ge­setz vom Juli 1999 wie­der­fin­den. Das Pro­jekt PADD stach inso­fern 1987 her­vor und erfuhr hohes media­les Inter­esse: Fern­se­hen und Print, dar­un­ter NDR und Spie­gel, berich­te­ten über die Par­tei. Björn Pät­zoldt, Jahr­gang 1944, Poli­to­loge und lange Jahre Ver­le­ger und selb­stän­di­ger Orga­ni­sa­ti­ons­be­ra­ter, war Mit­be­grün­der die­ser ers­ten „Aus­län­der­par­tei“ in der Bun­des­re­pu­blik. Behrang Samsami sprach mit Björn Pät­zoldt über die Initi­al­zün­de­rin der PADD, seine 2019 ver­stor­bene Frau Tor­kan Danesh­far-Pät­zoldt, die Gründe für die Ent­ste­hung der Par­tei und das sehr schnelle Ende die­ses poli­ti­schen Pro­jekts in Hamburg.

Behrang Samsami: Herr Pät­zoldt, Ihre 2019 ver­stor­bene Frau Tor­kan war Haupt­in­itia­to­rin der PADD. Bevor wir über diese Epi­sode geblie­bene Grün­dung spre­chen: Könn­ten Sie uns, da Infor­ma­tio­nen rar sind, das Leben Ihrer Frau skizzieren?
Björn Pät­zoldt: Tor­kan wurde im Juli 1941 in Azar-Shahr gebo­ren, einem klei­nen Ort in der ira­ni­schen Pro­vinz Gilan am Kas­pi­schen Meer. Daher ihr ursprüng­li­cher Nach­name Shakibi-Gui­lani, benannt nach ihrer Geburts­pro­vinz – was im Iran nicht sel­ten vor­kommt. Das „u“ in ihrem Namen hat Tor­kan selbst tran­skri­biert, da sie eigent­lich nach Eng­land emi­grie­ren und nicht als „Jilani“ ange­spro­chen wer­den wollte. Inter­es­sant übri­gens: Kurz nach ihrer Geburt über­fie­len die Alli­ier­ten den Iran, um seine Ölfel­der vor einer Inva­sion durch deut­sche Trup­pen zu sichern. Wäh­rend die Bri­ten den Süden besetz­ten, okku­pier­ten die Sowjets den Nor­den Irans, dar­un­ter auch Gilan.

Wel­cher Fami­lie ent­stammte Torkan?
Ihr Vater war Arzt; ihre Mut­ter Arzt­hel­fe­rin. Sie hatte noch drei Geschwis­ter: einen älte­ren und einen jün­ge­ren Bru­der und eine 16 Jahre nach ihr gebo­rene Schwes­ter. Über ihren jün­ge­ren Bru­der, einen eins­ti­gen Schah-Geg­ner, der spä­ter unter dem Mul­lah-Regime im Gefäng­nis ermor­det wurde, hat Tor­kan 1983 in Deutsch­land ein Buch ver­öf­fent­licht. Der Titel: „Tufan – Brief an einen isla­mi­schen Bruder“.

Wie ver­lief Tor­kans wei­te­rer Lebenslauf?
Ich kann da nur aus ihren Erzäh­lun­gen berich­ten: 1946, nach dem Abzug der sowje­ti­schen Trup­pen aus dem Nor­den Irans, über­sie­delte die Fami­lie nach Tehe­ran. Hier ver­brachte Tor­kan ihre Kind­heit und Jugend. An der Uni­ver­si­tät Tehe­ran stu­dierte sie Päd­ago­gik und Anglis­tik. Spä­ter unter­rich­tete sie in der Haupt­stadt als Volksschullehrerin.

Kön­nen Sie uns die Gründe für die Über­sied­lung Ihrer Frau in die Bun­des­re­pu­blik nennen?
Nach ihrer Aus­sage waren es nicht poli­ti­sche, son­dern gesell­schaft­li­che Gründe, die sie 1964 zur Aus­reise aus dem Iran bewo­gen: Sie litt unter den isla­mi­schen, frau­en­feind­li­chen Kon­ven­tio­nen, die auch unter dem Schah-Regime den All­tag beherrsch­ten. Sie wollte frei und selbst­be­stimmt leben.

Und wie haben Sie Tor­kan kennengelernt?
Ende 1977 in Ber­lin auf der Hoch­zeit eines Schul­freun­des, bei der sie Trau­zeu­gin der ira­ni­schen Braut war. Eigent­lich hät­ten wir uns schon zehn Jahre frü­her ken­nen­ler­nen kön­nen. Ende der 1960er Jahre arbei­tete ich als Vor­sit­zen­der des All­ge­mei­nen Stu­den­ten­aus­schus­ses (AStA) der Uni­ver­si­tät Ham­burg eng mit dem ira­ni­schen Stu­den­ten­ver­band CISNU zusam­men. In die­ser Orga­ni­sa­tion war auch Tor­kan poli­tisch aktiv. Wir hat­ten uns wohl gegen­sei­tig übersehen.

Ihre Frau hat 1976 die deut­sche Staats­bür­ger­schaft ange­nom­men. Was bewog sie zu die­sem Schritt, zumal zu einer Zeit, als im Iran noch Moham­med Reza Pah­lewi als Schah herrschte?
Sie hatte aus ihrer ers­ten rein ira­ni­schen Ehe einen in Ham­burg gebo­re­nen Sohn, der sich – wie sie selbst – in diese Gesell­schaft inte­griert hatte. Sie konnte und wollte unter den gesell­schaft­li­chen Zustän­den im Iran dort nicht mehr leben.

Wie hat sich Tor­kan in die deut­sche Gesell­schaft „inte­griert“?
Anfangs, noch ohne Sprach­kennt­nisse, hat sie sich mit „nied­ri­gen“ Jobs durch­ge­schla­gen: Als Rei­ni­gungs­kraft im Hotel und Post­bo­tin in einem Ver­si­che­rungs­kon­zern. Neben­bei erwarb sie zügig Kennt­nisse in deut­scher Spra­che, die sie als­bald nahezu kom­plett beherrschte. Sie schrieb Gedichte und Essays auf Deutsch, ver­öf­fent­lichte Kurz­ge­schich­ten in der Regen­bo­gen­presse und lan­dete schließ­lich bei den St.-Pauli-Nachrichten, beim Spie­gel und dem Stern.

Der ira­ni­sche Regis­seur Sohrab Shahid Saless wollte 1986 Tor­kans Buch „Tufan – Brief an einen isla­mi­schen Bru­der“ ver­fil­men. Wie kam es dazu und warum ist dar­aus nichts geworden?
Wir erhiel­ten per Post eine ent­spre­chende Anfrage und erklär­ten post­wen­dend unsere Ein­wil­li­gung. Danach geschah nichts. Es schei­terte wohl an einem zah­lungs­kräf­ti­gen Produzenten.

Kom­men wir zur PADD: Wenn man die Werke Ihrer Frau, den Roman „Tufan – Brief an einen isla­mi­schen Bru­der“ (1983) und den Erzähl­band „Kalt­land. Wah’­schate Ssard“ (1984) kennt, in denen sie sich stark auto­bio­gra­fisch mit ihrer eige­nen (Familien-)Geschichte im Iran sowie mit ihrer Situa­tion als „Aus­län­de­rin“ trotz deut­schem Pass in der Bun­des­re­pu­blik befasst, wirkt die Grün­dung der Par­tei wie der Ver­such, die Zustände nicht mehr nur zu beschrei­ben, son­dern ändern zu wollen.
Wir hat­ten einen inter­na­tio­na­len Bekann­ten­kreis aus ver­schie­de­nen Kon­ti­nen­ten. Bei allen kul­tu­rel­len Unter­schie­den einte sie alle doch eins: Das „Aus­län­der-Dasein“! Jeder beklagte sich über All­tags­dis­kri­mi­nie­rung und Behör­den­will­kür. Als Tor­kan dann mit dem ira­ni­schen Schrift­stel­ler SAID im Jahr 1986 quer durch die Uni­ver­si­täts­städte der Bun­des­re­pu­blik auf Lese­tour­nee war, erfuhr sie aus dem Audi­to­rium wei­tere erschre­ckende Bei­spiele der Frem­den­feind­lich­keit und des Ras­sis­mus. Es hatte ihr gereicht! Sie wollte keine Kla­gen mehr, sie wollte Veränderung.

Was war der kon­krete Anlass für die Grün­dung der PADD?
Tor­kan hatte nicht die Absicht, selbst eine poli­ti­sche Kar­riere ein­zu­schla­gen; sie wollte als natu­ra­li­sierte Aus­län­de­rin mit der Grün­dung der Par­tei ledig­lich ein Zei­chen set­zen, um nach deren Eta­blie­rung den Vor­sitz an beru­fe­nere Hände zu über­ge­ben. Sie war es – wie bereits erwähnt – ein­fach nur leid, immer nur Kla­gen zu hören und nichts gegen die Miss­stände zu tun.

Was waren die Ziele?
Wir hat­ten sie in sechs Punk­ten zusam­men­ge­fasst: 1. Wahl­recht für alle Immi­gran­ten nach fünf­jäh­ri­ger Auf­ent­halts­dauer in der Bun­des­re­pu­blik, 2. deut­sche Staats­bür­ger­schaft für jedes in der BRD gebo­rene Kind, 3. Libe­ra­li­sie­rung und teil­weise Abschaf­fung des Aus­län­der­ge­set­zes, 4. Erleich­te­rung bei der Erlan­gung der deut­schen Staats­bür­ger­schaft, 5. Abschaf­fung aller die Immi­gran­ten benach­tei­li­gen­den Vor­schrif­ten und Gesetze und 6. beson­de­rer staat­li­cher Schutz von Immi­gran­ten vor Benach­tei­li­gung und Diskriminierung.

Einige Ihrer sei­ner­zei­ti­gen For­de­run­gen fin­den sich, zwar etwas modi­fi­ziert, im Staats­an­ge­hö­rig­keits­ge­setz vom Juli 1999 wie­der. Wie kamen Sie selbst mit Aus­län­der­rechts­fra­gen in Berührung?
1968/69 war ich als Vor­stands­mit­glied des Ver­ban­des Deut­scher Stu­den­ten­schaf­ten (VDS) für Inter­na­tio­na­les zustän­dig und stand in engem Kon­takt mit aus­län­di­schen Stu­den­ten­or­ga­ni­sa­tio­nen in der BRD. In die­ser Funk­tion hatte ich auch an der Erstel­lung des „Alter­na­tiv­ent­wurfs ’70 zum Aus­län­der­ge­setz ’65“ mitgewirkt.

Was hat Sie bewo­gen, sich auf das „Ausländer“-Thema zu konzentrieren?
In den Schul­fe­rien bin ich Jahr für Jahr durch Europa getrampt – und nach dem Abitur über ein­ein­halb Jahre quer durch Afrika gereist. Diese Erleb­nisse und Erfah­run­gen haben mein Inter­esse geprägt. Und natür­lich auch meine erwähnte Tätig­keit in der Studentenpolitik.

Die Grün­dung der PADD fiel in eine Zeit, als Migran­ten in Deutsch­land über­haupt kein Wahl­recht hat­ten. Damals plante der SPD-FDP-Senat in Ham­burg laut Koali­ti­ons­ver­ein­ba­rung, Migran­ten „nach einem lega­len, unun­ter­bro­che­nen Auf­ent­halt von min­des­tens acht Jah­ren“ zu erlau­ben, zumin­dest die sie­ben Bezirks­ver­samm­lun­gen in der Freien und Han­se­stadt mit­wäh­len zu dür­fen. Der dama­lige Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Fried­rich Zim­mer­mann (CSU) lehnte diese Idee als „Anschlag auf die Ver­fas­sung“ strikt ab.
Die geplante Ein­füh­rung des Aus­län­der­wahl­rechts nur auf kom­mu­na­ler Ebene reichte uns nicht; sie ist übri­gens auf­grund eines spä­te­ren Urteils des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts geschei­tert, das die Ver­lei­hung des Wahl­rechts zu den Bezirks­ver­samm­lun­gen an Aus­län­der für „ver­fas­sungs­wid­rig“ erklärte.

Die PADD war Ihre erste und letzte Par­tei­grün­dung. Wie sind Sie vorgegangen?
Nach mehr als 32 Jah­ren erin­nere ich mich, wie wir unsere Par­tei­sat­zung „gezim­mert“ hat­ten: Man­gels eige­ner „Par­tei­grün­dungs­er­fah­rung“ baten wir den befreun­de­ten Schrift­stel­ler Peter Schütt um Aus­hän­di­gung der Sat­zung der Deut­schen Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei (DKP), deren Vor­stands­mit­glied er damals war. Wir „kup­fer­ten“ deren Sta­tut weit­ge­hend ab, reich­ten diese Unter­la­gen beim Notar ein und bean­trag­ten die Zulas­sung als „Par­tei Aus­län­di­scher und Deut­scher Demo­kra­ten“ (PADD).

Das Par­tei­en­gesetz in der Bun­des­re­pu­blik schrieb damals vor, dass eine Par­tei bei Wah­len nur antre­ten durfte, wenn die Mit­glie­der der Par­tei oder des Vor­stands in der Mehr­heit deut­sche Staats­an­ge­hö­rige waren. Wie viele Mit­glie­der hatte die PADD und woher stamm­ten sie?
Im Par­tei­vor­stand waren aus­schließ­lich Deut­sche bezie­hungs­weise zu Deut­schen natu­ra­li­sierte, ehe­ma­lige „Aus­län­der“. Die letzt­li­che Anzahl der Mit­glie­der ist mir nicht mehr erin­ner­lich. Es waren Ange­hö­rige aus Ghana, Süd­ame­rika, Paki­stan, Iran, der Tür­kei und ein Japa­ner darunter.

Wie war die Reak­tion der Öffentlichkeit?
Durch­wach­sen. Die Medien reagier­ten über­aus posi­tiv auf die Par­tei­grün­dung; sie stürz­ten sich gera­dezu wohl­wol­lend mit Inter­view­an­fra­gen auf Tor­kan. Unge­zählte Aus­län­der und Deut­sche bean­trag­ten ihre Mit­glied­schaft. Ande­rer­seits – nicht nur von deut­scher, auch von aus­län­di­scher Seite, ins­be­son­dere vom „Bünd­nis tür­ki­scher Ein­wan­de­rer“, hagelte es Kri­tik: Die Grün­dung einer „Aus­län­der­par­tei“ würde den begehr­ten Ein­tritt von Aus­län­dern in deut­sche Par­teien und das ange­strebte Kom­mu­nal­wahl­recht für Aus­län­der erschweren.
Deren For­de­run­gen waren Tor­kan aber nicht genug. Der Ein­tritt in „rein deut­sche“ Par­teien würde deren Stel­lung gegen­über Aus­län­dern nicht wesent­lich beein­flus­sen kön­nen. Zudem wollte sie das Aus­län­der­wahl­recht nicht nur auf kom­mu­na­ler, son­dern auch auf Lan­des- und Bundesebene.

Die Idee mit der Par­tei wurde schnell wie­der begra­ben. Warum?
Neben der vor­er­wähn­ten Kri­tik von Aus­län­der­seite – es wurde auch unter der Hand moniert, dass kein Türke als Ver­tre­ter der Mehr­heits­aus­län­der, son­dern eine Ira­ne­rin und mit­hin eine Frau Par­tei­grün­de­rin ist – gab es auch hef­tige Angriffe von deut­scher Seite: Tele­fon­ter­ror im Form von „Deutsch­land den Deut­schen“, Bom­ben­dro­hun­gen und Anfein­dun­gen vor unse­rer Haus­tür zehr­ten zuneh­mend an unse­ren Kräf­ten. Als dann auch noch par­tei­in­tern ideo­lo­gi­sche Gra­ben­kämpfe aus­zu­bre­chen droh­ten, ging uns die Puste aus. Wir begru­ben die Par­tei und ver­ab­schie­de­ten uns von der Öffentlichkeit.

Das Ham­bur­ger Abend­blatt vom 30. Okto­ber 1987 schrieb unter der Über­schrift „Aus­län­der­par­tei zog sich zurück“: „Die erste Aus­län­der­par­tei in der Bun­des­re­pu­blik, die Ende August die­ses Jah­res in Ham­burg von der per­si­schen Schrift­stel­le­rin Tor­kan Danesh­far-Pät­zoldt gegrün­det wor­den war, hat auf­ge­ge­ben. Wie ein Spre­cher der ‚Par­tei Aus­län­di­scher und Deut­scher Demo­kra­ten‘ mit­teilte, sei der Ver­such geschei­tert, den in der Bun­des­re­pu­blik leben­den Aus­län­dern die Mög­lich­keit zu schaf­fen, ihre Inter­es­sen par­la­men­ta­risch zu vertreten.“

Vie­len Dank.

Von |2020-03-10T10:50:07+01:00März 10th, 2020|Einwanderungsgesellschaft|Kommentare deaktiviert für

Sonne in „Kalt­land“

Björn Pät­zoldt über die von ihm mit­be­grün­dete erste "Aus­län­der­par­tei" in Deutschland

Björn Pätzoldt ist Politologe. Er war viele Jahre Verleger und selbständiger Organisationsberater, Moderator und Mediator unter anderem für Industrie und Ministerien. Behrang Samsami ist freier Journalist.