Die Menschen stapfen neben- und hintereinander den Weg entlang. Schnee bedeckt die Wiese rechterhand und das Gelände bis zum Graben auf der linken Seite. Was wie ein winterlicher Gruppenspaziergang in der freien Natur aussieht, hat europäische Dimensionen. Denn die Gruppe – Teilnehmer eines Seminars im Evangelischen Bildungszentrum Bad Alexandersbad (EBZ) – läuft auf dem betonierten ehemaligen Kolonnenweg der DDR-Grenzpatrouillen mitten im Grünen Band, der heutigen Lebenslinie, die einst eine tödliche Grenze war.
„Nachhaltigkeit braucht Heimat. Das Grüne Band als Erinnerungsort und Chancen für periphere ländliche Räume“ ist die bundesweite Tagung überschrieben, die der BUND und der Deutsche Kulturrat in Zusammenarbeit mit dem EBZ organisiert haben. Unter der Leitung von Hubert Weiger, BUND-Ehrenvorsitzender, Kulturrats-Geschäftsführer Olaf Zimmermann, und Joachim Twisselmann vom EBZ diskutierten gut 50 Teilnehmer drei Tage lang Aspekte rund um das „Grüne Band“ und die Frage einer Nominierung als UNESCO Weltnatur- und -kulturerbe.
„Können der Umwelt- und der Naturbereich strukturell zusammenarbeiten?“, fragte und bejahte sogleich die auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinende Zusammenarbeit von BUND und Deutschem Kulturrat, die tatsächlich aus der gemeinsamen Kritik an TTIP vor einigen Jahren heraus entstanden war.
„Natur ohne Kultur hat in einer Gesellschaft keine Perspektive“, betonte Hubert Weiger in seinen Eingangsworten. Das nahm die Präsidentin des Deutschen Kulturrates, Susanne Keuchel, in ihrem Einführungsvortrag auf. Betrachte man nämlich Naturschutz als Bewahrung und Kulturbildung als Gestaltung von Heimat, so könne man in diesem Zusammenspiel „Nachhaltigkeit als Visionen begreifen“, um Heimat für heutige und nachkommende Generationen gut zu gestalten.
An Beispielen aus ihrer persönlichen Vergangenheit in der damaligen DDR erläuterte Schriftstellerin und Psychologin Kathrin Schmidt, wie das Verhalten Erwachsener durch ihre Erinnerungen geprägt ist. Das aus dem Eisernen Vorhang entstandene Grüne Band sei ein wichtiges Zeichen im auseinanderdriftenden Europa, meinte Joachim Leonhard als UNESCO-Fachmann. Eine zentrale historische Chance für Mensch und Natur über Europa hinaus nannte Hubert Weiger das Grüne Band, das deshalb alle Voraussetzungen als Weltnatur- und -kulturerbe habe.
Dieser von der Natur eroberte Grenzstreifen wurde bereits im November 1989 von Naturschützern aus Ost und West als schützenswertes Gebiet so benannt. Mit einer Gesamtlänge von mehr als 12.500 Kilometern, 1.393 davon in Deutschland, reicht das Grüne Band Europa vom Eismeer an der norwegisch-russischen Grenze, über die Ostseeküste, durch Zentraleuropa und den Balkan bis an das Schwarze Meer. Seit 2014 vertritt der European Green Belt Association e. V. die Initiative Grünes Band Europa aus 150 zivilgesellschaftlichen und staatlichen Institutionen mit dem Ziel, es als UNESCO Weltnatur- und Kulturerbe zu sichern.
Kai Frobel, Initiator der ersten Stunde als „Vater des Grünen Bandes“, und Liana Geidezis vom BUND Fachbereich Grünes Band ließen Entstehungsgeschichte und Dimensionen dieser beeindruckenden Lebenslinie deutlich werden. Trotz der verständlichen Zerstörungswut an den verhassten Grenzanlagen nach der Wende gibt es in Deutschland fast 50 Grenzlandmuseen und Erinnerungspunkte entlang des Grünen Bandes. Unzählige Aktionen unter dem Motto „Erlebnis Grünes Band“ reichen von Buchreihen über Internationale Jugendcamps und Schulprojekte bis zu Zeitzeugengesprächen. Natur, Kultur und Geschichte werden dabei immer als eins betrachtet.
Dazu passte auch das abendliche Konzert „Wu is mei Heimat?“ des fränkischen Theologen und Liedermachers Wolfgang Buck, der Sprache und Landschaft als deren wichtige Bestandteile ausmachte.
Chancen und Bedeutung des Grünen Bandes als Erinnerungsort in der Peripherie thematisierte eine abschließende Podiumsdiskussion. Joachim Twisselmann machte das Grüne Band in seiner Doppelfunktion zum Schutz der Natur und zur Stärkung des Menschen als „Dritten Ort“ aus.
Als „großer Fan des Grünen Bandes“ erklärte sich Peter Berek, Bürgermeister der kleinen Gemeinde Bad Alexandersbad im Fichtelgebirge. Den Begriff ‚“Heimat“ wolle man positiv besetzen und auf keinen Fall den Rechten überlassen. „Und einen gemeinsamen Heimatraum schaffen“ ergänzte Birgit Seelbinder, denn der Heimatbegriff in der Region war bis 1990 definiert als Zonenrandgebiet. Die langjährige Oberbürgermeisterin von Marktredwitz ist seit 28 Jahren Präsidentin der Euregio Egrensis und erfahren in grenzüberschreitender Zusammenarbeit. Olaf Zimmermann wies deutlich darauf hin, dass es nicht reiche, nur die Orte zu schaffen. An die Politik gerichtet, mahnte er die entsprechenden Mittel für Betriebskosten und Personal an. Martin Geilhufe, Landesbeauftragter des Bund Naturschutz Bayern, plädierte für Dritte Orte als Möglichkeit einer direkten Auseinandersetzung, um im Gespräch unterschiedliche Meinungen austauschen und auch Grenzen setzen zu können. Die Glaubwürdigkeit eines kirchlichen Hauses wie das EBZ – auch für Kirchenferne – unterstrich Joachim Twisselmann. Es sei vor allem wichtig, ein moralisches Fundament in der Gesellschaft zu bestätigen und zu erhalten.
Beim Besuch der Gruppe im Deutsch-Deutschen Museum Mödlareuth, dem winzigen Ort mitten im Grünen Band, den die Grenze einst zerschnitt, rückt die Erinnerung dann noch einmal ganz nahe.
Zwar sind im Winter weder Braunkehlchen noch Arnika oder andere der hunderte seltener Tier- und Pflanzenarten zu sehen, jedoch ist es das Wissen darum, dass die Natur sich in der Todeslinie durchgesetzt und mithilfe des Menschen in eine ganzheitlich-kulturelle Lebenslinie gewandelt hat, welches zu umfassender Hoffnung Anlass gibt. Am Ende steht deshalb ein eindeutiges Ja zur Unterstützung einer UNESCO-Bewerbung.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2020.