Staats­stif­tung für das Ehren­amt: Zurück in die Vergangenheit

CDU/CSU und SPD pla­nen Staats­stif­tung für das Ehrenamt

Als im Mai 2002 die Enquete-Kom­mis­sion des Deut­schen Bun­des­ta­ges „Zukunft des Bür­ger­schaft­li­chen Enga­ge­ments“ ihren Abschluss­be­richt vor­legte, war ein dickes Brett gebohrt wor­den. Ein­ge­setzt wurde die Enquete-Kom­mis­sion im Dezem­ber 1999, im Februar 2000 nahm sie ihre Arbeit auf. Zuvor war in eini­gen inter­na­tio­na­len Ver­gleichs­stu­dien Deutsch­land ein eher küm­mer­li­ches bür­ger­schaft­li­ches Enga­ge­ment beschei­nigt wor­den. Ein Ziel der Enquete-Kom­mis­sion bestand daher auch darin, das viel­fäl­tige Enga­ge­ment der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger in Deutsch­land auf­zu­zei­gen und seine inter­na­tio­nale Wett­be­werbs­fä­hig­keit unter Beweis zu stel­len. Pri­mä­res Ziel aber war es, die Rah­men­be­din­gun­gen für bür­ger­schaft­li­ches Enga­ge­ment in Deutsch­land nach­hal­tig zu verbessern.

Ent­stan­den ist die Enquete-Kom­mis­sion auch aus dem Impe­tus her­aus, das Enga­ge­ment der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger zu stär­ken. SPD und Bünd­nis 90/Die Grü­nen waren 1998 mit dem Ver­spre­chen in den Wahl­kampf gezo­gen, das Stif­tungs­zi­vil­recht und das Stif­tungs­steu­er­recht zu refor­mie­ren und mehr für das Bür­ger­en­ga­ge­ment zu leis­ten. Beide Stif­tungs­re­form­vor­ha­ben wur­den von der rot-grü­nen Bun­des­re­gie­rung ange­packt und für eine Enquete-Kom­mis­sion des Deut­schen Bun­des­ta­ges unge­wöhn­lich, wurde sie in den Bera­tungs­pro­zess im Deut­schen Bun­des­tag inten­siv einbezogen.

Als die Enquete-Kom­mis­sion ein­be­ru­fen wurde, gab es den Streit zwi­schen dem soge­nann­ten alten und neuen Ehren­amt. Dem ver­meint­lich „alten“ in Ver­ei­nen und fes­ten Orga­ni­sa­tio­nen und dem „neuen“, frei flot­tie­ren­den, auf Ange­bot und Nach­frage reagie­ren­den der Frei­wil­li­gen­agen­tu­ren. Das wirk­lich Erfreu­li­che an der Enquete-Kom­mis­sion „Zukunft des Bür­ger­schaft­li­chen Enga­ge­ments“ war, dass die Zuschrei­bun­gen, ob alte oder neue, über­wun­den wur­den. Der Begriff des Ehren­amts wurde durch den des bür­ger­schaft­li­chen Enga­ge­ments ersetzt und damit deut­lich gemacht, dass Enga­ge­ment sehr viel sein kann: Es kann in Ver­ei­nen oder Initia­ti­ven statt­fin­den, es kann die Spende von Zeit oder von Geld bedeu­ten, es kann zeit­lich befris­tet oder auf Dauer erfol­gen und vie­les andere mehr.

Ein wei­te­res wich­ti­ges und sehr hand­fes­tes Ergeb­nis der Enquete-Kom­mis­sion war die Anre­gung der Grün­dung des Bun­des­netz­werks Bür­ger­schaft­li­ches Enga­ge­ment (BBE). Die Autoren die­ses Bei­tra­ges haben beide in vor­be­rei­ten­den Kom­mis­sio­nen für das BBE mit­ge­ar­bei­tet und allein das Rin­gen von zivil­ge­sell­schaft­li­chen Akteu­ren, Ver­tre­te­rin­nen und Ver­tre­tern aus Minis­te­rien sowie aus Unter­neh­men um die Sat­zung hat Unter­schiede offen­bart und zugleich zusam­men­ge­schweißt. Als am 5. Juni 2002 das BBE schließ­lich gegrün­det wurde, waren alle stolz und hoch­er­freut, dabei zu sein. Der Deut­sche Kul­tur­rat gehört zu den 28 Grün­dungs­mit­glie­dern des BBE und ist als Ver­tre­ter des Kul­tur­be­rei­ches auch heute noch gesetz­tes Mit­glied im Koordinierungsausschuss.

Zehn Jahre nach dem Ende der Enquete-Kom­mis­sion, in der letz­ten Wahl­pe­ri­ode (2013 bis 2017), begann die Vor­be­rei­tung für die Errich­tung einer „Deut­schen Enga­ge­ment­stif­tung“. Sie sollte das bür­ger­schaft­li­che Enga­ge­ment in Deutsch­land för­dern. Sie war als För­der­stif­tung, ana­log der Kul­tur­stif­tung des Bun­des, geplant und die Zivil­ge­sell­schaft sollte – allein auf­grund ihrer Exper­tise im bür­ger­schaft­li­chen Enga­ge­ment – sowohl im Stif­tungs­rat als auch auf­grund begrenz­ter Platz­zahl in einem Kura­to­rium in die Arbeit ein­ge­bun­den wer­den. Dadurch sollte gewähr­leis­tet wer­den, dass die Breite des Enga­ge­ments auf­scheint und die Exper­tise wert­ge­schätzt wird.

Der Berg kreißte und kreißte und gebar schließ­lich in die­ser Wahl­pe­ri­ode die Maus „Deut­sche Stif­tung für Enga­ge­ment und Ehren­amt“. Im Sep­tem­ber die­ses Jah­res wurde mit der groß­mü­ti­gen Rück­mel­de­frist von zwei Tagen (sic!) der Refe­ren­ten­ent­wurf zur Beur­tei­lung unter ande­rem dem Deut­schen Kul­tur­rat zuge­sandt. Am 25. Okto­ber 2019 fand die erste Lesung im Deut­schen Bun­des­tag statt. Am 9. Dezem­ber 2019 fin­det eine Anhö­rung im Aus­schuss für Fami­lie, Senio­ren, Frauen und Jugend statt. Noch in der­sel­ben Woche soll die zweite und dritte Lesung statt­fin­den, damit die Stif­tung im kom­men­den Jahr ihre Arbeit auf­neh­men kann.

Der Geset­zes­ent­wurf von CDU/CSU und SPD zur Errich­tung der „Deut­schen Stif­tung für Enga­ge­ment und Ehren­amt“ ist eine ein­zige Ent­täu­schung. Schon die Namens­wahl macht deut­lich, dass diese Stif­tung ein inhalt­li­cher Rück­fall in die 1990er Jahre ist. Der Begriff „Ehren­amt“ war mit Vor­lage des bereits ange­führ­ten Enquete-Berich­tes ad acta gelegt wor­den. So bleibt der Geset­zes­text samt Begrün­dung auch die Beant­wor­tung der Frage schul­dig, was denn nun unter bür­ger­schaft­li­chem Enga­ge­ment und was unter Ehren­amt zu ver­ste­hen sei oder ob es sich um Syn­onyme han­delt und der Gesetz­ge­ber meint „dop­pelt genäht, hält bes­ser“. Viel­leicht ist es aber auch ein­fach nur Unkenntnis.

Nicht bes­ser wird es, wenn es um die Beschrei­bung des Stif­tungs­zwe­ckes in Para­graph 2 bzw. ins­be­son­dere die Erfül­lung des Stif­tungs­zwe­ckes in Para­graph 3 geht. Da ist unter ande­rem die Rede von „Ser­vice-Ange­bo­ten im Bereich des bür­ger­schaft­li­chen Enga­ge­ments und des Ehren­amts“, von der „Ver­net­zung von Bund, Län­dern, Kom­mu­nen, Wirt­schaft und Zivil­ge­sell­schaft“, von beglei­ten­der For­schung im Bereich des bür­ger­schaft­li­chen Enga­ge­ments und des Ehren­am­tes und, natür­lich nicht zu ver­ges­sen, zur För­de­rung von Inno­va­tio­nen, ins­be­son­dere von digi­ta­len Innovationen.

Man fragt sich beim Lesen des Geset­zes­ent­wurfs, ob Zer­stö­rungs­wille oder ein­fach nur Unwis­sen­heit am Werk war. Einige der genann­ten Auf­ga­ben wer­den seit nun­mehr 17 Jah­ren erfolg­reich vom BBE aus­ge­führt. Das BBE dient gerade der Ver­net­zung von Bund, Län­dern, Kom­mu­nen, Wirt­schaft und Zivil­ge­sell­schaft. Seine tri­sek­to­rale Struk­tur trägt ihm dies schon qua Sat­zung auf und die Ver­net­zung wird in der prak­ti­schen Arbeit mit Leben gefüllt. Warum soll hier eine Par­al­lel­struk­tur geschaf­fen wer­den oder soll es dem BBE ans Leder gehen? For­schung zum bür­ger­schaft­li­chen Enga­ge­ment ist zum Glück fes­ter Bestand­teil der For­schungs­land­schaft. Wei­tere För­de­rung täte gut, doch warum eine neue Struk­tur dafür schaf­fen. Und ob sich bür­ger­schaft­lich Enga­gierte vor Ort, die kon­kret Rat suchen, an eine staat­li­che Stif­tung in Neu­stre­litz wen­den, denn dort soll die Stif­tung nach dem Wil­len von CDU/CSU und SPD ihren Sitz haben, sei dahingestellt.

Eine große Ent­täu­schung ist fer­ner, dass offen­bar gar nicht mehr an eine För­der­stif­tung ana­log der Kul­tur­stif­tung des Bun­des gedacht wird, son­dern nun­mehr eine ope­ra­tiv tätige Staats­stif­tung auf den Weg gebracht wer­den soll, die von Neu­stre­litz aus das Feld bestel­len soll. Bedau­er­lich ist auch die Zusam­men­set­zung des 19-köp­fi­gen Stif­tungs­rats, gerade ein­mal neun Mit­glie­der soll die Zivil­ge­sell­schaft stel­len, schön auf­ge­teilt nach Ein­fluss­sphä­ren des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums des Innern, für Bau und Hei­mat, des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Ernäh­rung und Land­wirt­schaft sowie des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Fami­lie, Senio­ren, Frauen und Jugend, die näm­lich die Ver­tre­ter der Zivil­ge­sell­schaft nach ihrem Gusto benen­nen. Wo blei­ben hier Kul­tur, Bil­dung, Natur- und Umwelt­schutz, Ent­wick­lungs­po­li­tik usw.? Das zuvor zumin­dest als Fei­gen­blatt vor­ge­se­hene Kura­to­rium, um eine grö­ßere Betei­li­gung der Zivil­ge­sell­schaft zu ermög­li­chen, wurde ganz fal­len gelas­sen. Alles in allem bleibt der Geset­zes­ent­wurf weit hin­ter den Erwar­tun­gen zurück und es stellt sich die Frage, ob die Stif­tung über­haupt sinn­volle Arbeit leis­ten kann.

Das Bun­des­mi­nis­te­rium für Fami­lie, Senio­ren, Frauen und Jugend hatte schon ein­mal eine Stif­tung, sei­ner Zeit zur Stär­kung des Ehren­amts, aus der Taufe geho­ben, die „Stif­tung Bür­ger für Bür­ger“. Zu den Stif­tern gehörte die dama­lige Fami­li­en­mi­nis­te­rin Clau­dia Nolte, heute Clau­dia Craw­ford. Diese Stif­tung krankte an der unzu­rei­chen­den Ein­bin­dung der Zivil­ge­sell­schaft und damit der man­geln­den Akzep­tanz. Das Bun­des­mi­nis­te­rium für Fami­lie, Senio­ren, Frauen und Jugend ver­lor 1998 nach dem Regie­rungs­wech­sel sicht­bar das Inter­esse an die­sem Kind der Vor­gän­ger­re­gie­rung und machte der Stif­tung das Leben schwer – nicht zuletzt durch Aus­trock­nen der Förderung.

Die Koali­tion und die Bun­des­re­gie­rung wären gut bera­ten, bevor ein neuer Rohr­kre­pie­rer auf den Weg gebracht wird, die Exper­tise aus der Zivil­ge­sell­schaft ein­zu­ho­len, bestehende Struk­tu­ren nicht zu dop­peln und eine echte För­der­stif­tung zur Stär­kung des bür­ger­schaft­li­chen Enga­ge­ments auf den Weg zu brin­gen. Viel­leicht wäre es hilf­reich, wenn einige der heute Ver­ant­wor­tung tra­gen­den Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker sich den Abschluss­be­richt der Enquete-Kom­mis­sion „Zukunft des Bür­ger­schaft­li­chen Enga­ge­ments“ des Deut­schen Bun­des­ta­ges aus dem Jahr 2002 durch­le­sen würden.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 12/2019-01/2020.

Von |2019-12-20T11:51:55+01:00Dezember 20th, 2019|Bürgerschaftliches Engagement|Kommentare deaktiviert für

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Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.