Nach der Zeit im Sommer 2015, in der mehr als eine Million Menschen nach Deutschland gekommen waren, wurde im Januar 2016 das Webangebot WDRforyou des Westdeutschen Rundfunks ins Leben gerufen.
Die Idee ist: Programm für Menschen zu machen, die in Deutschland neu sind und eine Orientierung für ihr neues Leben brauchen. Es soll Neuankömmlingen beim Ankommen helfen, ihnen Deutschland erklären und auch ein passendes Unterhaltungsprogramm anbieten. Natürlich will WDRforyou aber auch andere Zuschauerinnen und Zuschauer erreichen, die sich für diese Themen interessieren.
Aber wie können diese Menschen, zu denen auch ich damals gehörte, am besten erreicht werden? Dem Team von WDRforyou war schon damals klar, dass „die Neuen“ oft keinen Fernseher und kein Radio besitzen, sondern ein Smartphone, denn für sie diente das Handy allein schon als unverzichtbares Hilfsmittel zur Planung von Fluchtrouten sowie zur Kommunikation mit den Menschen in der Heimat. Deswegen wurde das Format für Smartphones geplant, auch damit die Inhalte über soziale Medien schnell geteilt werden können.
Um das Angebot optimal zugänglich zu gestalten, werden die Inhalte auf Deutsch, Arabisch und Persisch produziert. So soll auch denjenigen Nutzern, die noch nicht so gut Deutsch sprechen, geholfen werden, am Leben in Deutschland teilzuhaben. Deutsch soll man immer im Ohr haben bei WDRforyou.
Anfangs waren die Inhalte des Angebots hauptsächlich direkt an den Lebenswelten der Neuankömmlinge orientiert. WDRforyou sah damals seine Aufgabe darin, den Zuschauern Deutschland zu erklären, Antworten auf ihre Alltagsfragen zu liefern und Infos zu Asylverfahren bereitzustellen.
Eine weitere Herausforderung bestand darin, das Vertrauen der Zielgruppe zu gewinnen. Weil es oft falsche Gerüchte gibt, vertrauen viele Geflüchtete eher Gleichgesinnten, die ihnen die Informationen liefern. Daher gehören zu WDRforyou auch Menschen, die selbst eine Migrationsgeschichte haben und die Muttersprachen der Geflüchteten beherrschen, wie Bamdad Esmaili und Falah Elias, die Frontgesichter sozusagen.
Außerdem arbeiten auch Menschen mit im Team, die selbst erst rund um 2015 nach Deutschland kamen. Einige beherrschen inzwischen die deutsche Sprache sehr gut und trauen sich sogar vor die Kamera. Andere arbeiten eher im Hintergrund, sie planen, übersetzen, tragen zur Weiterentwicklung bei und betreuen die Social-Media-Kanäle.
Doch haben sich mittlerweile die Themenschwerpunkte des Formats verändert, denn die Bedürfnisse der Menschen, die vor Jahren nach Deutschland kamen, sind nicht mehr die gleichen wie bei ihrer Ankunft. WDRforyou hat in der Anfangszeit bereits viele existenzielle Fragen beantworten können und ein umfangreiches Erste-Hilfe-Paket geliefert. Trotzdem ist der Informationsbedarf weiterhin enorm groß.
Den Neuankömmlingen Deutschland zu erklären und sie über aktuelle Asylgesetze auf dem Laufenden zu halten, ist längst nicht alles, was WDRforyou tun muss, um durch das Webangebot ein besseres Zusammenleben zu fördern, Brücken zwischen Menschen zu bauen, Perspektiven zueinander zu bringen und mit Klischees aufzuräumen.
Interessanterweise gibt es mittlerweile auch Kritik aus der Community. Ein Beitrag, in dem es um einen homosexuellen Geflüchteten geht, sorgte beispielsweise für Empörung. Denn Homosexualität gehört zu den Themen, mit denen viele Geflüchtete sich schwer tun. Ein Zuschauer schrieb: „WDRforyou wirbt für Unzucht!“
Denn vier Jahre nach dem Sommer 2015 hat sich die Stimmung im Land verändert. Das Wort „Flüchtling“ klingt mittlerweile anders. Der rechte Rand ist stärker geworden. Im Deutschen Bundestag sitzt eine Partei, die gegen Geflüchtete hetzt. Deutschland hat immer mehr mit Hassrede zu kämpfen.
WDRforyou sieht seine Aufgabe also zum einen darin, den geflüchteten Menschen die Demokratie als Staatsform und demokratische Grundwerte näher zu erklären. Wer in Syrien oder dem Iran in einer zerstörten Gesellschaft aufgewachsen ist, dem muss oft nicht nur Demokratie nähergebracht werden, sondern auch so manche grundlegenden Werte wie Gleichberechtigung von Mann und Frau, Presse-, Religions- und Meinungsfreiheit. Und, dass der Wohlstand der Deutschen nicht selbstverständlich ist, sondern geschützt werden muss. Die Kunst dabei ist, aufzuklären, ohne oberlehrerhaft zu wirken. Zum anderen muss auch Deutschen vieles über häufige Persönlichkeitsmerkmale der Geflüchteten erklärt werden. Unter anderem deshalb hat WDRforyou eine offene und interkulturelle Diskussion zu den Erfordernissen der gesellschaftlichen Integration von Migranten veranstaltet.
WDRforyou hat gelernt, dass die Zuwanderer eine gewisse Anerkennung brauchen, damit die Fehler im Umgang mit den Gastarbeitern in den 1960er und 1970er Jahren sich nicht wiederholen. Wer einen Aufenthaltsstatus hat, wer legal hier ist, dessen Existenz muss man nicht ständig in Frage stellen. Migranten müssen als dauerhaft hier lebende Menschen gesellschaftlich eingegliedert werden. Deutschland braucht, so habe ich in den vergangenen vier Jahren verstanden, keine Menschen, die sich anfeinden, sondern Menschen, die zueinander finden. Viele Deutsche wissen nicht, mit welchen Schwierigkeiten die Geflüchteten im Alltag zu kämpfen haben und warum sie sich in der einen oder anderen Situation ungewohnt verhalten. Auch das spiegelt sich in der Wahl der Themen wider. So gibt es etwa Diskussionen und Berichterstattung über den Familiennachzug und die tragischen Folgen für Familien, die zum Teil auf unbestimmte Zeit getrennt leben müssen, oder Geflüchtete, die unter psychischen Erkrankungen leiden.
Knapp vier Jahre ist WDRforyou nun alt. Dass die Redaktion auf ihre Leistung sehr stolz ist, drückt nicht alles aus, was das Team fühlt und denkt.
Das Angebot von WDRforyou ist bis heute die Hauptanlaufstelle für Neuankömmlinge in Deutschland. Vor allem die Facebook-Seite erfreut sich mit mehr als einer halben Million Abonnentinnen und Abonnenten
großer Beliebtheit. Weitere 115.000 zählen die YouTube- und Instagram-Kanäle.
WDRforyou wächst mit seiner Community zusammen. Es wurden tatsächlich Brücken zwischen Menschen gebaut, Menschen aus zig verschiedenen Kulturen zusammen an einen Esstisch gesetzt und geflüchtete Schülerinnen und Schüler mit dem Bundespräsidenten ins Gespräch gebracht. Denn Demokratie funktioniert in erster Linie, wenn sie praktiziert wird.
Das Feedback der Zuschauenden ist überwiegend positiv. Das Wort „Danke“ hört und liest WDRforyou mehrmals am Tag. Den Reporterinnen und Reportern wird tagtäglich auf der Straße von Zuschauerinnen und Zuschauern Dank ausgesprochen, die sich sehr auf ein Selfie mit ihnen freuen.
Die Redaktion beschäftigt sich mittlerweile auch mit Menschen, die in anderen Teilen Europas in miserablen Zuständen leben. WDRforyou will deren Stimmen Gehör verleihen und Missstände in Europa aufzeigen.
Das Team ist momentan unterwegs auf Lesbos in Griechenland. Im Camp Moria, in dem 13.000 Menschen eng aufeinander leben, fragen Kinder
Isabel Schayani: „Was bringt es uns, wenn wir mit euch sprechen?“ – „Das Einzige, was wir machen können, ist, öffentlich zu machen, was hier passiert“, sagt Isabel, „und das machen wir.“
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2019.