Hei­mat: Zwi­schen Ver­lust und Neuanfang

In wel­chem Land wol­len wir leben?

Gibt es einen idea­len Aus­gangs­punkt für den kul­tu­rel­len Wan­del unse­rer Gesell­schaft? Ja, und zwar Heimat.

Aus die­sem Grund beti­teln der Bund für Umwelt und Natur­schutz Deutsch­land (BUND) und der Deut­sche Kul­tur­rat ihre gemein­same Ver­an­stal­tungs­reihe mit „Hei­mat: Was ist das?“. Ant­wor­ten auf diese Frage gibt es viele, sie sind stän­dig im Wan­del und bedür­fen des Aus­tau­sches und Gespräches.

Am 6. Sep­tem­ber luden der Deut­sche Kul­tur­rat und BUND genau dazu ins Museum der bil­den­den Künste Leip­zig ein. Am Anfang des regen Aus­tau­sches zeigte Wolf-Diet­rich Frei­herr Speck von Stern­burg, der erst nach dem Fall der Mauer nach Leip­zig kam, wie er dort durch sein Wir­ken und Enga­ge­ment eine neue Hei­mat gefun­den hat. Die Maxi­mi­lian Speck von Stern­burg Stif­tung, benannt nach sei­nem kunst­sam­meln­den Vor­fah­ren, zählt zu den För­de­rern des Muse­ums der bil­den­den Künste Leip­zig. Einige der Stern­burg­schen Gemälde gel­ten als Herz­stü­cke des Leip­zi­ger Kunst­mu­se­ums. Dar­un­ter befin­den sich Meis­ter­werke von Fran­cesco Fran­cia, Cima da Cone­gliano, Lucas Cra­nach d. Ä., Pie­ter de Hooch, Peter Paul Rubens, Cas­par David Fried­rich und Johan Chris­tian Dahl. Leip­zi­ger sehen Speck von Stern­burg als Bot­schaf­ter ihrer Stadt – wenn das kein hei­mat­li­cher Ver­trau­ens­be­weis für einen Zuge­zo­ge­nen ist!

Ein ande­rer wasch­ech­ter Leip­zi­ger, der seine Hei­mat liebte, war Erich Loest. Das weiß auch die Schrift­stel­le­rin und ehe­ma­lige Vize-Prä­si­den­tin des Deut­schen Kul­tur­ra­tes Regine Möbius. In ihrem aktu­el­len Buch „Schnei­sen der Zeit­ge­schichte. Erich Loest als poli­ti­scher Mensch“ beschreibt Möbius einen Men­schen, der seine Hei­mat Leip­zig liebte, den Sozia­lis­mus ernst nahm und sich immer wie­der mit Tex­ten ein­mischte, die zur Debatte auf­rie­fen. Als Autorin über­nimmt sie somit die Rolle einer Chro­nis­tin, die auch Erich Loest Zeit sei­nes Lebens inne­hatte. Loest scheute selbst acht Jahre Kampf nicht, bis ein von ihm beauf­trag­tes Bild tat­säch­lich in der neuen Uni­ver­si­tät Leip­zig auf­ge­hängt wurde. Ent­hüllt wer­den konnte „Auf­recht ste­hen“ lei­der erst nach Loests Tod. In ihrer Lesung machte Möbius auch deut­lich, dass Loest stets hell­wach reflek­tierte, was ihm, sei­nem Leip­zig und den Mit­men­schen widerfährt.

Die wohl wich­tigste Frage des Tages – „Geht Hei­mat immer nur ver­lo­ren oder kann sie neu ent­ste­hen?“ – wurde im Anschluss nach Impuls­vor­trä­gen von Susanne Keu­chel, Prä­si­den­tin des Deut­schen Kul­tur­ra­tes, und Helene Helix Heyer, Mit­glied im Bun­des­vor­stand der BUND­ju­gend, dis­ku­tiert (Anm. d. R.: Heyers ein­füh­rende Worte fin­den Sie untenstehend).

Es dis­ku­tier­ten die Leip­zi­ger Autorin Regine Möbius, die Mag­de­bur­ger Jour­na­lis­tin und Schrift­stel­le­rin Vale­rie Schö­nian, der Vor­sit­zen­der des BUND Hubert Wei­ger und der Geschäfts­füh­rer des Deut­schen Kul­tur­ra­tes Olaf Zim­mer­mann. Rein­hard Bärenz, Lei­ter der Haupt­re­dak­tion Kul­tur des MDR, sorgte für eine kon­zen­trierte, aber ent­spannte Gesprächs­at­mo­sphäre und trug dazu bei, dass sich das Publi­kum aktiv in das Gespräch ein­brin­gen konnte.

Die Frage des Abends konnte fünf Tage nach der Land­tags­wahl in Sach­sen von vie­len Sei­ten beleuch­tet wer­den. Wenn Hei­mat mehr ist, als der Ort der Kind­heit, wenn es vor allem der Ort ist, an dem wir mit unse­rer Umwelt unmit­tel­bar in Berüh­rung kom­men, dann kann, ja muss Hei­mat immer wie­der neu ent­ste­hen. Hier kön­nen selbst vor­mals Fremde aktiv wer­den und Ver­ant­wor­tung über­neh­men. Hier kann gestal­tet und ver­än­dert wer­den. Denn Hei­mat ist nicht etwas Fest­ste­hen­des, Unver­än­der­li­ches, son­dern etwas, das mit Leben gefüllt wer­den kann.

Um die­ses Vor­ha­ben in die Tat umzu­set­zen, brach man am nächs­ten Mor­gen zu einer Exkur­sion nach Neu­se­en­land auf. Hier wur­den in der Ver­gan­gen­heit ganze Land­stri­che für die Ener­gie­ver­sor­gung nahezu ver­wüs­tet, Dör­fer abge­bag­gert und Hei­mat ver­nich­tet. Heute ist etwas völ­lig Neues ent­stan­den. Die ehe­ma­lige Kra­ter­land­schaft süd­lich von Leip­zig wurde nach dem Ende des Braun­koh­le­berg­baus rena­tu­riert und geflu­tet. Eine fas­zi­nie­rende Melange aus Woh­nen und Frei­zeit, Natur und Kul­tur, Action und Ent­span­nung ist ent­stan­den. Die rie­si­gen Schau­fel­rad­bag­ger ste­hen nur noch als stäh­lerne Zeu­gen einer ver­gan­ge­nen Ära am Hori­zont. Kaum ein Ort ist wohl bes­ser geeig­net zu zei­gen, dass die Debat­ten um den Begriff Hei­mat keine rück­wärts­ge­rich­te­ten Dis­kus­sio­nen sein müs­sen, son­dern sich viel­mehr um die Zukunfts­frage dre­hen, in was für einem Land wir leben wol­len. Die Ver­an­stal­tungs­reihe wird am 22. Novem­ber 2019 in Hei­del­berg mit dem Schwer­punkt „Zukunft gemein­sam vor Ort mit­ge­stal­ten“ fortgesetzt.

Die­ser Bei­trag ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 10/2019.

Von |2019-10-09T14:09:27+02:00September 27th, 2019|Heimat|Kommentare deaktiviert für

Hei­mat: Zwi­schen Ver­lust und Neuanfang

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Jens Kober ist Referent für Nachhaltigkeit und Kultur beim Deutschen Kulturrat.