Künstlerinnen und Künstler waren immer auch Ketzer. Sie haben immer Traditionen und Gewissheiten überwunden, mit allen Risiken. Michelangelo etwa, dessen Deckenfresken in der Sixtinischen Kapelle Neil Mac Gregor 2016 als „große Meditation über Religion“ bezeichnet. Seine Zeitgenossen sahen das freilich anders. Adam, Eva, Engel und Heilige nackt wie Gott sie schuf – das war skandalös, eine Gotteslästerung. Folglich wurde Daniele da Volterra beauftragt, das Werk zu „entschärfen“. Und ging so als Hosenmaler und Lachnummer in die Kunstgeschichte ein. Es ist die Freiheit wahrhaftig zu sein und subversiv, die Kunst wertvoll macht für eine freiheitliche Gesellschaft und gefährlich für autoritäre Systeme. Gerade stand die iranische Dichterin Fatemeh Shams beim Poesiefestival in Berlin auf der Bühne, grün gekleidet in der Farbe der iranischen Rebellion. Ihre Gedichte – z. B. „ich war verliebt in Männer/die immer jung starben“ – sind Zeugnis der brutalen Unterdrückung der Freiheitsbewegung im Iran. Vor zehn Jahren ging sie ins Exil.
Freiheit unter Druck
Besagte Freiheit ist vielerorts unter Druck von Nationalisten und Rechtspopulisten. Gerade wird die TV-Serie „Chernobyl“ von der russischen Zensurbehörde geprüft. Angeblich ist sie zu unpatriotisch und zeigt zu wenig „Hightech: Made in Russia“. In Venedig wollte die rechtspopulistische Lega das zum Kunstwerk erklärte Flüchtlingsschiff „Barca Nostra“ von Christoph Büchel verbieten. In Polen wurden Fotoreihen der Avantgardekünstlerin Natalia LL, die Frauen beim genussvollen Verzehr von Bananen zeigen, abgenommen – bis ein kollektives öffentliches Bananenessen bewirkte, dass die Werke wieder im National Museum in Warschau hängen.
Auch in Deutschland wird von rechts versucht, Druck auszuüben, etwa auf Amelie Deuflhard vom Hamburger Kampnagel wegen ihrer Theaterarbeit mit Geflüchteten oder das Berliner Gorki Theater. Im Mittelsächsischen Theater in Freiberg wurden Dialogveranstaltungen zum Thema Rechtspopulismus auf Druck von AfD-Stadträten untersagt. Was Kunst ist, das meinen in Freiberg nun ein paar Stadträte bestimmen zu dürfen. Das Theater als Dialograum, der sich kritisch gegen sie wenden kann, gehört nicht dazu.
Grenzen der Freiheit
„Kunst muss … zu weit gehen, um herauszufinden, wie weit sie gehen darf“, sagte Böll in seiner Wuppertaler Rede zur Freiheit der Kunst. In einer Demokratie muss immer wieder aufs Neue ausgehandelt werden, wo die Grenzen der Kunstfreiheit liegen. Etwa die Frage, wie wir zu Schieles Mädchenakten und Balthus’ Träumender Thérèse stehen. Oder zu Caravaggios Amor, den Kritiker 2014 abhängen wollten wegen der Darstellung eines Kindes in sexualisierter Pose. Die Frage bleibt: Legitimieren wir die Ausbeutung von Kindern als Betrachter? Wo sind die Grenzen der Freiheit, vor allem dann, wenn es die Freiheit weniger Privilegierter ist?
Um die Freiheit Privilegierter geht es auch im Diskurs um das Gemälde „Open Casket“ der weißen Malerin Dana Schutz. Ihre Darstellung des schwarzen Gewaltopfers Emmett Till wirft die Frage auf, ob diese Art der Erinnerung an den Mord ihn verarbeiten hilft oder erneut verletzt. Die schwarze Künstlerin Hannah Black warf Schutz vor, schwarzes Leid in Profit und Vergnügen umzumünzen. Sie forderte, das Bild zu zerstören. Ich denke, solange Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe stattfindet, solange wird die Hautfarbe des Künstlers und seines Gegenstandes relevant sein. Black schärft mit dieser Debatte das Bewusstsein für Diskriminierung und unsere koloniale Vergangenheit und Gegenwart. Nicht die Zerstörung des Kunstwerkes, die gewonnene Erkenntnis ist entscheidend.
Freiheit hat Voraussetzungen
Noch immer gilt: Künstlerinnen werden weniger ausgestellt, ihre Werke sind auf dem Kunstmarkt weniger wert. Frauen sind weiter in erster Linie Objekt von Kunst, vorzugsweise als weiblicher Akt. Und, wie Regisseur Volker Lösch für das Projekt „Horrorhouse“ recherchiert hat: 70 Prozent aller Inszenierungen an deutschen Theatern sind von Männern, 75 Prozent der gespielten Autoren und 78 Prozent aller Intendanten sind männlich. Verglichen mit der hohen Zahl qualifizierter Sprach- und Kulturwissenschaftlerinnen ist klar: Kunst ist frei, vorausgesetzt sie ist männlich. Künftig muss es daher darum gehen, Künstlerinnen zu stärken, etwa durch staatliche Kulturförderung, die in ihren Förderentscheidungen für mehr Geschlechtergerechtigkeit und Diversität sorgt, sowie durch Gremien- und Jurybesetzung.
Worin unterscheidet sich der heutige Diskurs von früheren Bilderstürmen und Hosenmalereien? Warum sind die Grenzen für künstlerische Freiheit, die von rechts gefordert werden nicht gleichzusetzen mit denen von links? Ich bin überzeugt: Diskriminierung erledigt sich nicht, wenn wir ihre Darstellung verbannen, sondern, wenn wir den Diskurs führen, den nur eine freie Kunst anbietet. Die Rechte will diesen Raum schließen, die Linke will ihn öffnen, indem sie Fragen nach Diversität, Diskriminierung und Demokratie aufwirft. Anders als in den rechten Zensursehnsüchten geht es in der von Linken geführten Debatte nicht um Verbote, sondern um neue Perspektiven auf die Künste und ihre Freiheiten.
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Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2019.