Seit einiger Zeit wird heftig über Meinungsfreiheit gestritten. Im Mittelpunkt steht dabei stets das Internet. Egal, ob es um das Netzwerkdurchsetzungsgesetz in der letzten Wahlperiode oder um die Debatte zur EU-Urheberrechtsreform in diesem Jahr ging, um das Rezo-Video vor der EU-Wahl oder um die mahnenden Worte von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zur Hassrede im Netz nach der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, stets kreisen die Fragen und auch die Argumente um die Frage, was im Internet erlaubt ist und wo Grenzen des vermeintlichen freien Wortes sind.
Und vor allem geht es um die Frage, was Meinungsfreiheit in der digitalen Welt ist, was Meinungsvielfalt im Netz bedeutet.
Um es gleich vorweg zu sagen, auch im analogen Zeitalter war nicht alles Gold, was glänzt. Boulevardmedien und nicht nur sie, haben Meinungsmache betrieben, sie haben teils ungeheuerlich gehetzt und wer in ihre Fänge geriet, kam selten ungeschoren davon. Überdeutlich war dies beim tiefen Fall von Altbundespräsident Christian Wulff zu beobachten, der von der Boulevardpresse erst glanzvoll gelobt und schließlich erbarmungslos zu Fall gebracht wurde. Und auch seriöse Medien sind keine Unschuldslämmer. Wer noch vor Augen hat, wie vor drei Jahren, als es um das Kulturgutschutzgesetz ging, die Tageszeitung „Die Welt“ Kulturstaatsministerin Monika Grütters aufs Korn nahm, weiß, dass Wahrheitsverdrehung dem Journalismus auch im Kulturbereich nicht unbekannt ist.
Dennoch gibt es vollkommen zu Recht Grenzen. Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit heißt eben nicht, dass alles, was einem eben durch den Kopf geht, rücksichtslos der Öffentlichkeit mitgeteilt werden darf. In Art. 5 Grundgesetz steht zwar in Abs. 1, dass eine Zensur nicht stattfindet und dass jeder das Recht hat, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern, es steht aber ebenso in Abs. 2 dieses Grundgesetzartikels, dass diese Rechte ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, der gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre finden. Die Meinungs- und vor allem die Pressefreiheit sind eben nicht schrankenlos, sondern werden eingehegt. Hier unterscheidet sich die Kunstfreiheit auch deutlich von der Pressefreiheit, die diese Einschränkungen nicht kennt.
Nicht wenige glauben, dass diese rechtlichen Regelungen nur in der analogen Welt, nicht aber im Netz ihre Gültigkeit hätten. Im Internet werden oft Hass und Lügen zügellos verbreitet, auch weil man leicht anonym agieren kann. Es sind vor allem die sogenannten sozialen Medien, die als Verbreitungsweg dienen. Jeder und jede kann sich einen Twitter-Kanal oder eine Facebook-Seite anlegen und darüber anders als am Stammtisch, an dem die Zuhörerzahl begrenzt und ein Mindestmaß an sozialer Kontrolle möglich war, weltweit Hass, Lügen und Unrat über andere verbreiten. Abgeordnete des Deutschen Bundestages wie Claudia Roth oder auch Renate Künast können ein Lied davon singen, wie immer wieder die gleichen falschen Behauptungen gepostet werden und sie auf schlimmste, entehrende Weise beleidigt werden. Der Journalist Hasnain Kazim hat eine ganz eigene Strategie entwickelt, auf solche Beleidigungen zu reagieren. Das Buch „Post von Karlheinz: Wütende Mails von richtigen Deutschen – und was ich ihnen antworte“ offenbart, zu welchen absurden und beleidigenden Bemerkungen sich manche Mitbürger hinreißen lassen und wie kleinlaut sie werden, wenn ihnen deutlich geantwortet wird.
Doch die Grundfrage bleibt, wie kann das Internet zivilisiert werden? Es ist unklar, ob das Netzwerkdurchsetzungsgesetz tatsächlich das richtige Instrument ist, damit Unternehmen wie Facebook und Twitter Verantwortung für Inhalte übernehmen, die über sie verbreitet werden. Klar ist meines Erachtens, dass Hass und Hassrede im Netz Einhalt geboten werden muss, um nicht den gesellschaftlichen Zusammenhalt aufs Spiel zu setzen. Hier sind allerdings alle gefragt. Rechtliche Instrumente können letztlich nur unterstützen. Es muss darum gehen, Beleidigungen und Hass im Netz auch mit anderen Instrumenten zu begegnen und vor allem sozial zu ächten.
Das Internet ist ein Freiraum für Hetzer und Lügner, aber es ist kein freies Netz. Es wird beherrscht von einigen wenigen Gatekeepern. Diese US-amerikanischen Konzerne sammeln Daten, sie verdienen sich mit Werbung und der millionenfachen Nutzung ihrer Plattform eine goldene Nase. Bislang gibt es weder eine europäische Antwort auf die marktbeherrschende Stellung dieser Unternehmen, noch besteht offenbar bei ihnen die Bereitschaft, Verantwortung für das Verbreiten von Hass und Lügen zu übernehmen.
Und trotz dieser Situation, ist eine generelle Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit der falsche Weg, diesem geistigen Müll Herr zu werden. Der ehemalige CDU-Generalsekretär Peter Tauber hat jüngst vorgeschlagen, um die enthemmte Sprache im Internet, die ohne Frage zu einer Enthemmung der Gewalt beiträgt, verhindern zu können, nicht nur mit den Mitteln des Strafrechts vorzugehen, sondern auch Grundrechte der Autoren dieser Hasstexte einzuschränken. Dieser Weg ist sehr gefährlich, den mit guten Gründen wurde Art. 18 des Grundgesetzes, der ein solches Vorgehen möglicherweise erlauben würde, in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht eingesetzt. Man kann unsere Freiheit nicht schützen, wenn man sie massiv einschränkt.
Festzuhalten ist, Meinungsfreiheit entbindet nicht von Verantwortung. Und diese Verantwortung ist nicht allein eine rein rechtliche. Sie betrifft nicht allein den Staat, sondern vielmehr uns alle. Wehren wir uns gegen die Lügner und Hetzer in unserem Land!
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2019.