Das journalistische Portal Correctiv setzt sich für Aufklärung und das Aufdecken von Missständen in der Gesellschaft ein. Jeder Bürgerin und jedem Bürger soll ein Zugang zu Information, Austausch und eine aktive Mitarbeit ermöglicht werden. Die Faktenchecker von Correctiv gehen Gerüchten nach und veröffentlichen ihre Rechercheergebnisse auf ihrer Webseite, zudem geben sie Tipps, wie man „Fake News“ entlarven kann. Maike Karnebogen spricht mit dem Geschäftsführer Simon Kretschmer über die Ziele der unabhängigen Plattform, den AfD-Spendenskandal und die Rolle von Correctiv in der Meinungsbildung.
Maike Karnebogen: Herr Kretschmer, was genau ist Correctiv und welche Idee steckt hinter Ihrer Plattform?
Simon Kretschmer: Correctiv ist eine gemeinnützige GmbH mit Sitz in Essen und einem Büro in Berlin. Unser Reporterteam deckt systematische Missstände auf und durchleuchtet komplexe Zusammenhänge. Wir machen Journalismus für die Gesellschaft und mit der Gesellschaft.
Denn eine starke Gesellschaft braucht investigativen Journalismus. Damit stärken wir Demokratie und Freiheit. Der Austausch mit unseren Leserinnen und Lesern ermöglicht es, dass wir uns als Bildungseinrichtung für eine bessere Zukunft einsetzen. So kehrt der Journalismus zu seinen Wurzeln zurück: Er wird zur vierten Gewalt in der Gesellschaft.
Correctiv finanziert sich vor allem über Spenden und Stiftungsbeiträge. Das garantiert Unabhängigkeit von Werbeeinnahmen, Verkaufszahlen und Quoten.
Sie bezeichnen sich als gemeinnütziges Recherchezentrum. Was kennzeichnet ein solches?
Die Gesellschaft ist aktiver Teil von Correctiv. Dazu suchen wir das Gespräch und gewähren Einblick in unsere Arbeit. Bürgerinnen und Bürger arbeiten bei vielen Recherche-Projekten mit uns zusammen. Gemeinsam erheben wir z. B. Daten und Informationen über Situationen vor Ort, die wir später auch für Geschichten von überregionaler Bedeutung nutzen. Je mehr Menschen mit den Mechanismen journalistischer Arbeit vertraut sind, desto stärker ist die Medienkompetenz und Debattenkultur einer Gesellschaft. Unser Bildungsprogramm befähigt die Menschen, sich selbst Informationen zu beschaffen und Missstände aufzudecken.
Ihr Ziel ist eine aufgeklärte Gesellschaft. Correctiv fühlt sich nach eigener Aussage ausschließlich der Wahrhaftigkeit und dem Gemeinwohl verpflichtet. Wie schlägt sich dies in der Arbeit und besonders in den Recherchen nieder?
Journalismus ist das wesentliche Mittel, um die Gesellschaft besser aufzuklären. Deshalb initiieren wir Recherchen, die wir Kooperationspartnern kostenfrei zur Verfügung stellen oder recherchieren direkt gemeinsam mit unseren Partnern. So werden aufwändige Projekte möglich, die Redaktionen allein kaum bewältigen könnten. Correctiv arbeitet unabhängig und überparteilich. Dabei setzen wir auf eine transparente Arbeitsweise. Wir machen Recherchewege nachvollziehbar und legen unsere Finanzierung offen.
Im April dieses Jahres haben Sie z. B. eine Recherche zum AfD-Spendenskandal veröffentlicht. Welche Wirkung hat Correctiv damit erzielt?
Wahlkampfspenden an die AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl Guido Reil und Jörg Meuthen aus den Jahren 2017 bzw. 2016 waren illegal. Correctiv hatte bereits 2017 den Fall Guido Reil aufgedeckt. Dieser führte dazu, dass auch der zweite Fall um Jörg Meuthen dank einer gemeinsamen Recherche mit dem investigative ZDF-Politmagazin „Frontal21“ publik wurde. Die Bundestagsverwaltung hat auf Grundlage dieser Recherchen Strafzahlungen in Höhe von 402.900 Euro verhängt. Weitere Recherchen ergaben, dass AfD-Funktionäre in die Verteilung der AfD-nahen Zeitungen „Deutschland-Kurier“ und „Extrablatt“ in Essen und Duisburg eingebunden waren. Damit wäre die Verteilung eine Parteispende und die AfD müsste die Geldgeber nennen.
Die Bundestagsverwaltung prüft derzeit auch die Verteilung der Gratiszeitung „Extrablatt“ im Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen 2017. Auch Staatsanwaltschaften in Essen und Berlin gehen der Fragen nach, ob Parteifunktionäre gegen die Regeln des Parteiengesetzes verstoßen haben.
Für Ihr Projekt „Wem gehört Hamburg?“, in dem Sie gemeinsam mit den Bürgern die Besitzverhältnisse auf dem Wohnungsmarkt recherchiert haben, erhielten Sie kürzlich den Grimme Online Award in der Kategorie „Information“. Was bedeutet diese wichtige Auszeichnung für publizistische Qualität im Internet für Sie?
Die Auszeichnung bedeutet für uns Anerkennung und Wertschätzung unserer journalistischen Arbeit und Herangehensweise. Gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern schaffen wir im Projekt „Wem gehört …?“ in mittlerweile sechs Städten Transparenz im deutschen Wohnungsmarkt und tragen damit zur Aufklärung in einem sehr elementaren und stark diskutierten Thema der Gesellschaft bei. Das ist enorm wichtig, um beispielsweise notwendige Debatten über Mieten und den Immobilienmarkt möglichst fundiert zu führen. Wir freuen uns sehr, dass das Projekt durch den Preis noch mehr Aufmerksamkeit erhält. Gleichzeitig verstehen wir die Auszeichnung als Dank für alle Beteiligten, die Ihre Daten in der Crowdrecherche mit uns geteilt haben.
Welche Rolle will Correctiv in der Meinungsbildung einnehmen?
Nur gut informierte Bürgerinnen und Bürger können auf demokratischem Weg Probleme lösen und Verbesserungen herbeiführen. Als Journalisten benennen wir Missstände und stoßen Debatten an. Unser Bildungsprogramm befähigt die Menschen, sich selbst korrekte Informationen zu beschaffen. Menschen lernen dank unserer Faktenchecks zwischen verifizierten Fakten und bloßen Behauptungen zu unterscheiden.
Dieses Interview ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2019.