Vir­tu­elle Hei­ma­ten und reale Gefühle

Insze­nie­run­gen von Hei­mat im Computerspiel

Wenn schwar­zer Rauch aus den meter­ho­hen Schlo­ten der Fabrik­an­la­gen dringt und den sonst so unwahr­schein­lich schö­nen blauen Him­mel ver­dun­kelt und wenn ein Meer aus ent­haup­te­ten Bäu­men nur noch ent­fernt an das Grün erin­nert, das hier mal gestan­den haben könnte, wäh­rend die abge­hack­ten Baum­stämme schon in die Säge­werke gescho­ben wer­den, was steht dann auf dem Spiel? Hei­mat. „Red Dead Redemp­tion 2“ von Rock­star Games 2017, der Com­pu­ter­spiel-Block­bus­ter des ver­gan­ge­nen Jah­res, macht jeden­falls kei­nen Hehl dar­aus, dass er die unbe­rührte Natur als Ur-Hei­mat gegen die zer­stö­re­ri­sche Zivi­li­sa­tion mit all ihren Regeln stellt. Wer sich als Gesetz­lo­ser gegen die Zwänge des Rechts­staa­tes stellt, der braucht ja etwas, für das er kämp­fen möchte.

Diese Art der Instru­men­ta­li­sie­rung von Hei­mat, um Moti­va­tion für Spie­le­rin­nen und Spie­ler zu pro­du­zie­ren, ist im Reich der Com­pu­ter­spiele nichts Unge­wöhn­li­ches. Doch natür­lich ist damit die Band­breite des Begriffs „Hei­mat“ im Com­pu­ter­spiel lange nicht erfasst. Ich möchte daher schlag­licht­ar­tig ver­schie­dene Arten und Wei­sen vor­stel­len, wie das Kon­zept der Hei­mat im Com­pu­ter­spiel prä­sent wird, ohne dabei natür­lich Voll­stän­dig­keit zu beanspruchen.

Hei­mat als emo­tio­nale Aufladung
Hei­mat ist ein schwer greif­ba­res Kon­strukt, das aber – so viel scheint sicher – ganz erheb­lich mit spe­zi­fi­schen, häu­fig sehr inten­si­ven Emo­tio­nen ver­bun­den ist, die bestimmte Orte, soziale Grup­pen oder Tätig­kei­ten aus­lö­sen kön­nen. Diese Eigen­schaft von Hei­mat kön­nen sich Com­pu­ter­spiel­ent­wick­le­rin­nen und -ent­wick­ler zunutze machen. Wie häu­fig und abso­lut zu Recht kri­ti­siert, geht es in Com­pu­ter­spie­len allzu oft um krie­ge­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zun­gen, d. h. Gewalt wird als pri­mä­res Mit­tel der Pro­blem­lö­sung insze­niert. Damit sich Spie­le­rin­nen und Spie­ler nun nicht nur gezwun­gen füh­len müs­sen, Gewalt anzu­wen­den, son­dern selbst an die Not­wen­dig­keit die­ser Gewalt glau­ben kön­nen, ist es hilf­reich, eine Bedro­hungs­si­tua­tion zu kre­ieren, in der Gewalt­an­wen­dung ver­meint­lich not­wen­dig wird. Im oben genann­ten „Red Dead Redemp­tion 2“ wird die schwer greif­bare Hei­mat „Natur“ mit den ihr zuge­schrie­be­nen Frei­hei­ten und Schön­hei­ten in Gefahr gebracht, wor­aus sich das Han­deln der Spie­le­rin­nen und Spie­ler legi­ti­mie­ren lässt. Viel­fach wird die schüt­zens­werte Hei­mat dabei roman­tisch ver­klärt, um den Gegen­satz Gut gegen Böse ganz deut­lich zu machen.

Doch auch wo nicht der Kampf um die Hei­mat im Vor­der­grund steht, sind sol­che Roman­ti­sie­run­gen ver­brei­tet. Der höchst erfolg­rei­che „Land­wirt­schafts-Simu­la­tor“ von Giants Soft­ware seit 2008 oder auch der Über­ra­schungs­er­folg „Star­dew Val­ley“ von Eric Barone 2016 zei­gen ver­klärte, weil kon­flikt­be­freite land­wirt­schaft­li­che Arbeit in lieb­li­chen Umge­bun­gen, womit eben­falls das Bedürf­nis nach einer Hei­mat befrie­digt wird, die frei ist von Unsi­cher­heit, Unüber­schau­bar­keit und Beschleu­ni­gung unse­rer Zeit. Diese roman­ti­sier­ten Hei­ma­ten befrie­di­gen eine »Sehn­sucht nach Ursprüng­li­chem«, wie sie der Medi­en­so­zio­loge Robert Sei­fert in sei­nem Auf­satz „Ori­en­tie­rungs­su­che im Vir­tu­el­len“ nennt.

Com­pu­ter­spiele als Heimat
Der Über­gang zu die­sem nächs­ten Aspekt von Hei­mat im Com­pu­ter­spiel ist flie­ßend. Prin­zi­pi­ell kann jedes Com­pu­ter­spiel zur Hei­mat wer­den, wenn es bestimmte emo­tio­nale Reak­tio­nen her­vor­ruft. Auf zwei Aspekte möchte ich an die­ser Stelle aller­dings genauer ein­ge­hen. Ers­tens kön­nen Com­pu­ter­spiele soziale Räume sein und sich damit beson­ders gut dafür eig­nen, als Hei­mat wahr­ge­nom­men zu wer­den. Online-Rol­len­spiele wie „World of War­craft“ von Bliz­zard Enter­tain­ment 2004 ermög­li­chen es, Teil einer Welt aus aber­tau­sen­den Spie­le­rin­nen und Spie­lern zu sein, an gemein­sa­men Aktio­nen teil­zu­neh­men, sich in Clans oder Gil­den zu enga­gie­ren. Aber auch eSport-Titel wie „Over­watch“ von Bliz­zard Enter­tain­ment 2016 fußen auf sozia­ler Inter­ak­tion im gemein­sa­men Spie­len. So sind es nicht nur die Spiele, son­dern auch und beson­ders deren Com­mu­ni­ties, die zur Hei­mat wer­den kön­nen. Zwei­tens erlau­ben viele Com­pu­ter­spiele das aktive Auf­bauen einer Hei­mat, wobei sich die starke Ver­bun­den­heit dann durch die eigene Arbeit am Ort erklä­ren lässt. Eine Auf­bau- und Lebens­si­mu­la­tion wie „Die Sims“ von Maxis 2000 ist ein gutes Bei­spiel dafür, wie ein vir­tu­el­ler Ort, den man mit Couch und Fern­se­her aus­stat­tet, und eine vir­tu­elle Fami­lie, deren Leben man beglei­tet, zur Hei­mat wer­den kön­nen. Einen beson­de­ren Vor­teil haben diese vir­tu­el­len Hei­ma­ten außer­dem: Wäh­rend die reale Hei­mat allzu oft zurück­ge­las­sen wer­den muss, weil Ver­pflich­tun­gen es ver­lan­gen, sind die vir­tu­el­len Hei­ma­ten immer und über­all verfügbar.

Hei­mat als Thema
Com­pu­ter­spiele kön­nen sich anfüh­len wie Hei­mat und Hei­mat sein – der Über­gang ist, wie erwähnt, flie­ßend – doch kön­nen sie Hei­mat auch expli­zit dis­ku­tie­ren. Häu­fig sind Hei­mat­lo­sig­keit und die Suche nach einer neuen Hei­mat zen­tral und damit auch wich­ti­ger Antrieb für die Spie­le­rin­nen und Spie­ler – so z. B. in „Mass Effect Andro­meda“ von Bio-Ware 2017. Auch fin­den sich Erzäh­lun­gen über das Nach-Hause-Kom­men, also über eine Rück­kehr in die irgend­wann zurück­ge­las­sene Hei­mat, in Spie­len wie „Gone Home“ von The Full­bright Com­pany 2013 oder „What Remains of Edith Finch“ von Giant Spar­row 2017. Als beson­ders wich­tig im Ange­sicht der andau­ern­den Kriege im ara­bi­schen Raum erwei­sen sich wie­derum Spiele wie „Begrabe mich, mein Schatz“ von The Pixel Hunt 2017 oder „This War of Mine“ von 11 Bit Stu­dios 2014, die vom Ver­lust von Hei­mat durch Krieg und Gewalt und von der Flucht in eine unge­wisse Zukunft berich­ten. Robert Sei­fert regt an, nicht mehr nur von einer Hei­mat, „son­dern von einer als kon­ver­gent und fluide erleb­ten, sich immer wie­der ver­än­dern­den Hei­mat“ aus­zu­ge­hen. Com­pu­ter­spiele bie­ten man­nig­fal­tige Anknüp­fungs­punkte, um Hei­mat­ge­fühle zu sti­mu­lie­ren oder gar selbst zur Hei­mat zu wer­den; sie sind „hei­mat­fä­hig“, schreibt Sei­fert. Sie pro­fi­tie­ren sicher­lich vom unsi­che­ren Sta­tus der Hei­mat in der rea­len Welt, in der der Begriff in ideo­lo­gisch auf­ge­la­de­nen Gra­ben­kämp­fen Ver­wen­dung fin­det. An die­sen Gra­ben­kämp­fen sind aller­dings gewiss auch Com­pu­ter­spiele nicht unbe­tei­ligt. Wo Hei­mat nur roman­ti­sier­ter Wohl­fühlort ist, da fin­det keine pro­duk­tive Aus­ein­an­der­set­zung mit ihr statt. Doch an der Dis­kus­sion dar­über, was Hei­mat in Zukunft bedeu­ten soll, wer­den sich auch Com­pu­ter­spiele betei­li­gen müssen.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 03/2019.

Von |2019-06-14T14:58:37+02:00Februar 26th, 2019|Heimat|Kommentare deaktiviert für

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Felix Zimmermann arbeitet als Referent für Games-Kultur, politische Bildung und Extremismus bei der Bundeszentrale für politische Bildung.