Sounds of Heimat

Ein Fes­ti­val für neue Volks­mu­sik und eine viel­fäl­tige Heimat

Baye­ri­sche Pol­kas erklin­gen mit kuba­ni­schem Son, die Saz wird mit der Tuba gespielt, das Alp­horn groovt zu exo­ti­schen Rhyth­men. So klingt die neue Volks­mu­sik, die das Fes­ti­val „Sounds of Hei­mat“ des Stutt­gar­ter Thea­ter­hau­ses prä­sen­tiert. Dabei soll ein viel­fäl­ti­ger Hei­mat­be­griff ent­ste­hen, der im Loka­len ver­wur­zelt und zugleich offen für die Welt ist. The­resa Brüh­eim spricht mit Wolf­gang Mar­mulla, dem Pro­gramm­ver­ant­wort­li­chen von „Sounds of Hei­mat“, über diese neuen Klänge der Heimat.

The­resa Brüh­eim: „Sounds of Hei­mat“ – was ist das?
Wolf­gang Mar­mulla: „Sounds of Hei­mat“ ist ein Fes­ti­val. Im Moment kon­zen­triert es sich noch aus­schließ­lich auf Musik, die sich als Hei­mat- und Volks­mu­sik ver­steht – aber nicht in einem selbst­iso­lie­ren­den Sinn, son­dern in einem höchst auf­ge­schlos­se­nen, auf andere Kul­tu­ren zuge­hen­den Sinn. Dabei blei­ben die eige­nen Wur­zeln den­noch bestehen. In die­ser Form gibt es aktu­ell nichts Ver­gleich­ba­res. Gerade in den heu­ti­gen Zei­ten halte ich das für ein aus­ge­spro­chen wich­ti­ges Signal.

Wie kam die Idee zu „Sounds of Hei­mat“ zustande?
Die Idee hat sich auf­ge­drängt. Ich bin Pro­gramm­ver­ant­wort­li­cher für den Gast­spiel­be­reich im Thea­ter­haus Stutt­gart. Da bekomme ich sehr viele Zusen­dun­gen, einige beschäf­tig­ten sich mit die­sem Thema. Hinzu kamen direkte per­sön­li­che Begeg­nun­gen, beson­ders bei Wan­de­run­gen im alpi­nen Bereich, Tref­fen von Musi­kern usw. Ich merkte, dass da was zugange ist, was es bis dato noch nicht gab: eine neue Volks­mu­sik. Diese neue Volks­mu­sik hatte noch kein Forum, kei­nen Platz in den gän­gi­gen Medien. Am Thea­ter­haus Stutt­gart sind wir stark in der Ver­mitt­lung von Kul­tur tätig und haben so der neuen Volks­mu­sik einen Raum gege­ben. Wir woll­ten deut­lich machen, dass diese neue Volks­mu­sik nicht reak­tio­när, nicht rechts, nicht in sich gekehrt ist. Hei­mat und somit auch Volks- und Hei­mat­mu­sik haben mit Her­kunft zu tun und mit Zukunft. Das woll­ten wir mit dem Fes­ti­val zeigen.

Die Volks­mu­sik, die „Sounds of Hei­mat“ prä­sen­tiert, ist keine typi­sche deut­sche Hei­mat­mu­sik à la Musi­kan­ten­sta­del. Es ist eine Hei­mat­mu­sik, die sich aus ver­schie­de­nen Kul­tu­ren speist.
Genau. Die beim dies­jäh­ri­gen Fes­ti­val ver­tre­te­nen Pro­jekte sind nicht in der eige­nen Volks­mu­sik und Tra­di­tion hän­gen geblie­ben, son­dern sie suchen alle das jeweils andere.
Ein Bei­spiel sind „Die Cuba­Boari­schen“. Das ist ein baye­ri­scher Musik­ver­ein, der vor eini­ger Zeit eine Reise nach Kuba gemacht hat und dort fas­zi­niert von kuba­ni­scher Musik war. Sie haben Freund­schaft mit Musi­kern vor Ort geschlos­sen und diese über viele Jahre gepflegt. Dar­aus ist ihre Musik, eine Mischung aus baye­ri­scher und kuba­ni­scher Volks­mu­sik, ganz orga­nisch gewach­sen. Jetzt beginnt auch die zweite Gene­ra­tion des Ver­eins ein neues baye­risch-kuba­ni­sches Musik­pro­jekt. Jung, hip und mit viel Groove …
Ein wei­te­res Bei­spiel ist die „Unter­bi­ber­ger Hof­mu­sik“. Das ist eine baye­ri­sche Fami­lie, die Himpsls, die fas­zi­niert von tür­ki­scher Musik ist. Sie rei­sen seit Jah­ren immer wie­der in die Tür­kei. Vater Himpsl spricht und singt flie­ßend Tür­kisch. Macht man die Augen zu, steht gefühlt ein Türke vor einem. Macht man sie wie­der auf, sieht man aber einen deut­schen Mann in Tracht. Eine deut­li­chere Aus­sage kann man nicht tref­fen, ja? Und das alles aber auch nicht par­odie­rend, ein ganz wesent­li­cher Fak­tor. Ist auch keine Kunst, sich über Volks­mu­sik lus­tig zu machen … Cul­tur­bas­hing aus den 1970er Jah­ren. Das alles ist Volks­mu­sik in einer neuen Form. Deut­lich wird dabei, das State­ment von „Sounds of Hei­mat“: Wir wol­len einen viel­fäl­ti­gen Hei­mat­be­griff vermitteln.

Und wie sieht die­ser viel­fäl­tige Hei­mat­be­griff genau aus?
Es ist wich­tig, die eige­nen Wur­zeln nicht zu ver­leug­nen. Es gibt so viele Teile unse­res Kul­tur­gu­tes zu ent­de­cken und dabei zu erken­nen, dass mich das nicht wie eine Fuß­fes­sel an die Scholle bin­den muss. Son­dern Hei­mat kann etwas sein, dem man ver­bun­den ist und das trotz­dem den Blick für das Ganze nicht ver­bie­tet. Wir Men­schen aus ver­schie­de­nen Kul­tu­ren kön­nen mit­ein­an­der leben, mit­ein­an­der kom­mu­ni­zie­ren, ohne dass man dazwi­schen 500 Kilo­me­ter Ent­fer­nung braucht, um sorg­los der eige­nen Tra­di­tion zu frö­nen. Das ist Viel­falt – auch in der Heimat.

Pla­nen Sie eine Fort­set­zung von „Sounds of Heimat“?
Es gibt unglaub­lich viel Mate­rial für meh­rere Fort­set­zun­gen. Z. B. gibt es in der Blue­grass-Szene in den USA große Ver­än­de­run­gen. Das ist auch für uns span­nend. Frü­her war das eine sehr weiß und männ­lich domi­nierte Szene. Jetzt spie­len immer mehr Frauen und Afro­ame­ri­ka­ner mit. Da tut sich gewal­tig viel. Das ist eine Volks­mu­sik­tra­di­tion, die wei­ter­ge­führt wird, aber mit mehr Farbe. Oder warum nicht eine tuvi­ni­sche Kehl­kopf­ge­sangs­for­ma­tion ein­la­den, die hier vor Ort mit Künst­lern aus der Volks­mu­sik­szene ein gemein­sa­mes Pro­jekt ent­wi­ckelt? Denn es soll­ten nicht nur „fer­tige“ Pro­duk­tio­nen ein­ge­la­den wer­den. Das darf nicht das Ziel sein. Wir wür­den gern einen Schirm­herrn wie Rein­hold Mess­ner gewin­nen, der lokal ver­or­tet ist und gleich­zei­tig wie kein ande­rer den gan­zen Glo­bus erforscht hat. Diese lokale Ver­bun­den­heit gemein­sam mit dem Wis­sen, was in der Welt drau­ßen vor­geht, ist ein Weg, der wirk­lich zu einem Hei­mat­be­griff führt, der zeit­ge­mäß ist. Aber für die nächste Aus­gabe braucht es die Unter­stüt­zung sei­tens der Öffent­lich-Recht­li­chen – die war lei­der äußerst mager – und den einen oder ande­ren Förderpartner.

Vie­len Dank.

Die­ses Inter­view ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 03/2019.

Von |2019-06-14T15:39:58+02:00Februar 26th, 2019|Heimat|Kommentare deaktiviert für

Sounds of Heimat

Ein Fes­ti­val für neue Volks­mu­sik und eine viel­fäl­tige Heimat

Wolfgang Marmulla ist Programmverantwortlicher für den Gastspielbereich im Theaterhaus Stuttgart. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.