Ab 2020 ist Deutschland um ein Filmfestival reicher. Die Biennale Bavaria International ist ein Publikumsfestival, das Neue Heimatfilme auf dem bayerischen Land zeigt. Wer jetzt an bayerische Lederhosen, Dirndl und Jodeln denkt, liegt eher falsch. Zwar schließt das Filmfestival diese drei Punkte im Rahmen eines offenen Heimatbegriffes nicht aus, aber die Kernidee ist viel tiefgreifender am Gedanken der kulturellen Vielfalt orientiert: Es soll ein realistisches, modernes und weltoffenes Verständnis von Heimat durch Filme angeregt werden. Dabei soll ein Austausch über Heimat und verbundene Themen mit dem internationalen Zielpublikum entstehen. Theresa Brüheim spricht mit den Initiatoren Günther Knoblauch und Peter Syr über Neue Heimatfilme, Herausforderungen eines Festivals fernab der Großstadt und ihre Ideen.
Theresa Brüheim: Biennale Bavaria International, ein Festival für Neuen Heimatfilm – was ist das genau und welcher Ansatz steht dahinter?
Peter Syr: Aktuell gibt es weltweit wieder zahlreiche Filme, die einen lokalen Bezug haben – sogenannte Neue Heimatfilme. Aber es gibt kein namhaftes Festival für diese. Das wollen wir ändern, denn Produzenten und Filmemacher brauchen den Austausch. Außerdem wollen wir mehr Leute mit Neuen Heimatfilmen erreichen. Neue Heimatfilme gibt es weltweit. Sie beziehen sich nicht nur auf bayerische oder deutsche Geschichten. Um die Leute bei einem Filmfestival mit dem Thema Heimat zu erreichen, bedarf es unserer Meinung nach auch eines verstärkten Rahmenprogrammes mit bildender Kunst, Musik, Literatur u.v.m., das sich vor, während und nach dem Festival mit dem Heimatbegriff beschäftigt.
Das ist auch ein Grund dafür, das Festival nicht in München abzuhalten. Sie kennen es aus Berlin: Große Festivals schaffen große Presseaufmerksamkeit, aber was bleibt danach? Wir wollen ein Publikumsfestival schaffen – fernab der großen Stadt.
Günther Knoblauch: Uns ist der Austausch wichtig – der Austausch zwischen den Regisseuren, den Filmschauspielern, den Besuchern. Und wir wollen ein Flair kreieren. Wir stellen uns ein Festival an verschiedenen Orten mit jeweils einem für diesen Ort spezifischen Genre bzw. Schwerpunktthema vor. Das sollen sein: Spielfilm/Fernsehfilm, (inter-) religiöser Film, Retrospektiven, Fremde Heimat – Heimat in der Fremde, Dokumentarfilm, Nachwuchsproduktionen und Jugendfilmarbeit.
Dabei soll jeweils eine Diskussion mit den Zuschauern angeregt werden. Es sollen essenzielle Fragen rund um Heimat diskutiert werden, wie: „Was ist eigentlich das Thema, das der Film aufgezeigt hat? Wie berührt mich der Film? Welche Rolle spielen vermeintlich Fremde in der Heimat? Was trage ich zur Heimat bei? Wie könnte das weitergehen? Was hat der andere für Probleme oder was hat er für Freuden?“
Mein Wunsch wäre natürlich, dass wir darauf kommen, dass alle Menschen den gleichen Wunsch haben, dass es ihnen und der Familie gut geht, dass sie happy und gesund sind. Wir wollen das normale Leben zeigen und sind überzeugt, dass die Rückmeldung außerhalb einer Großstadt intensiver ist.
Brüheim: Was verstehen Sie genauer unter Neuen Heimatfilmen? Was unterscheidet sie von Klassikern?
Syr: Der Heimatbegriff ist verkommen, was vor allen Dingen durch den deutschen traditionellen Heimatfilm geschehen ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte man an die Filme von Arnold Fanck, Leni Riefenstahl und anderen mit irgendwelchem Förster-vom-Silberwald-Zeug anzuknüpfen. Das hat nicht funktioniert. Anfangs waren die Leute noch interessiert an den Landschaften, die gezeigt wurden. Viele hatten die noch nicht gesehen, da man viel weniger reiste. Irgendwann sind sie selbst hingefahren, dann ging das Interesse am Heimatfilm runter. Man versuchte es mit Erotik aufzupeppen: „Jodeln in der Lederhose“ und wie das alles hieß. Woanders hat das besser funktioniert – z. B. in Italien im „Neorealismo“ oder in Amerika im „New Hollywood“.
In den 1960er Jahren kam eine Wende mit Regisseuren wie Peter Fleischmann oder Rainer Werner Fassbinder. Nehmen Sie z. B. „Katzelmacher“ von Fassbinder. Das ist ein Heimatfilm, der interessant für cineastisches Publikum war, aber keine Breitenwirkung hatte. Helmut Dietl hingegen machte mit seinen „Münchner Geschichten“ populäre Neue Heimatfilme. Dann kam Ottfried Fischer, eine ganz wichtige Figur für den Heimatfilm, mit „Irgendwie und sowieso“ und „Der Bulle von Tölz“. Da wurde etwas erfunden, was es bisher nicht gab: der Heimatkrimi, der durchaus sozialkritisch war.
Allgemein hat der Heimatfilm mit meiner näheren Umgebung zu tun. Ich erkenne mich wieder. Es hat in Deutschland oft mit Dialekt zu tun. Ich habe ca. 20 Jahre in Schweden gelebt. Mir hat in erster Linie nicht die deutsche Sprache gefehlt, sondern vielmehr mein bayerischer Dialekt. Nun bin ich seit drei Jahren wieder in Bayern. Wissen Sie, Sie wollen einen Stadtrat von einem Filmfestival überzeugen, alle reden Bayerisch und Sie können auch Dialekt sprechen. Meine Sprache ist für mich ganz wesentlich Heimat.
Aber auch die Heimat der anderen spielt in Neuen Heimatfilmen eine Rolle. Wir planen z. B. den Bereich „Fremde Heimat – Heimat in der Fremde“, der in Trostberg stattfinden soll. Da kann man vieles zeigen: wegfahren, wiederkommen. Oder die ganze Migrationsgeschichte – Immigration und Emigration. „Schwabenkinder“ war z. B. so ein Film, bei dem Kinder als Kaminkehrer nach Italien verkauft wurden. Ich glaube, Film ist ein tolles Mittel, Dialoge zu initiieren.
Günther Knoblauch: Durch die Globalisierung ist der Wunsch, dort, wo ich lebe, Rückhalt zu bekommen und das im täglichen Leben umsetzen zu können, größer geworden. Denn viele Menschen fühlen sich nicht mehr verstanden. Früher hieß es: „Mein Chef versteht mich, der kümmert sich um uns. Die Politik versteht schon was. Meine Partei weiß, was los ist.“ Inzwischen heißt es, dem Chef ist es vollkommen egal. Hauptsache, er verdient sein Geld. Politik versteht manchmal nicht, um was es bei Heimat geht.
Daraus ergibt sich die Gefahr, dass die Sehnsucht nach Heimat und verstanden werden von populistisch-nationalen Bewegungen besetzt wird. Umso wichtiger ist es, in Neuen Heimatfilmen Situationen darzustellen, die zeigen, dass auch von anderer Seite verstanden wird, um was es geht. Film kann da Heimat und Verständnis schaffen, wo es manchmal fehlt. Denn der Neue Heimatfilm schließt auch fremde Kulturen nicht aus.
Brüheim: Ein Festival in der Region macht bei dem Thema Heimatfilm Sinn, ist sicher aber eine große logistische Herausforderung. Wie gehen Sie diese an?
Syr: Wir beziehen für das Festival die gesamte Planungsregion 18 im südostbayerischen Raum ein. Dazu zählen als Festivalorte Mühldorf am Inn, Waldkraiburg, Altötting, Burghausen, Trostberg, Wasserburg und Haag in Oberbayern. Die Absprachen mit den Kommunen sind sehr gut gelungen. Wir haben diese nämlich gebeten, das Festival mitzufinanzieren, was sie auch tun. Die Details organisieren wir gerade. Ein Filmfestival in einer ganzen Region ist neu. Denn bisher hat niemand ein Filmfestival in der Region gemacht. Das ist wirklich ein logistisches Problem.
Aber es bietet viele Vorteile – nicht nur was die Publikumsansprache betrifft. Für das Genre des interreligiösen Films bietet sich großartigerweise als Festivalort der Wallfahrtsort Altötting an. Wann ist so etwas schon einmal möglich: interreligiöse Filme im Wallfahrtsort! Wir arbeiten dort mit der katholischen Diözese zusammen, aber auch mit der evangelischen Landeskirche. Kontakt möchten wir gern noch zu islamischen und jüdischen Einrichtungen aufbauen. Wir wollen diesen Bereich in das Festival integrieren, da wir denken, dass Religion für viele Menschen Heimat ist. Da fühlen sie sich geborgen, das brauchen sie. Dem muss man Rechnung tragen. Und da gibt es eine ganze Reihe spannender Filme und Diskussionen.
Knoblauch: Wenn wir über ein Festival in Bayern sprechen, ist es uns wichtig zu betonen, dass es kein bayerisches Filmfestival ist. Wir sind im Kontakt mit Österreich, mit Südtirol. Nehmen Sie z. B. das Burghausener Jazzfestival, das ist ein Weltfestival in einer Kleinstadt. Das wollen wir auch schaffen. Dabei werden wir von der Festivalstadt Burghausen unterstützt. Wir wollen das Gefühl für Heimat mit weltoffener Freiheit etablieren, denn das finden wir fantastisch.
Brüheim: Wir sprechen direkt über Ihre Planungen. 2020 soll die erste Biennale Bavaria International stattfinden. Was steht bis dahin noch an?
Knoblauch: Wir suchen gerade nach den entsprechenden Preisen oder deren Benennung. Mindestens wollen wir folgende Preiskategorien auszeichnen: Bester Spielfilm, Bester Dokumentarfilm, Publikumspreis, Beste/r Schauspieler/in. Wir hoffen auch auf gestiftete Spezialpreise. Da sind wir sehr kreativ, aber wir sind unter Zeitdruck, weil wir im Oktober 2020 starten wollen. Danach soll die Biennale Bavaria International alle zwei Jahre durchgeführt werden. Das Bayerische Staatsministerium der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat unterstützt uns. Ministerpräsident Markus Söder ist Schirmherr des Festivals. Die Bürgermeister der Festivalorte sind dabei. Wir haben mit den Landräten gesprochen, die unter bestimmten Umständen dabei sind. Die Bayerische Filmförderung hat gesagt: „Wir machen mit.“ Es gibt erste Sponsoren, sage ich mal vorsichtig. Bisher unterstützen uns die Volks- und Raiffeisenbanken als eine Regionalbank sehr.
Aber bei der Suche nach Sponsoren haben wir festgestellt, dass die gesellschaftspolitische Bedeutung von dem neuen Begriff Heimat noch nicht richtig in der Bürgerschaft angekommen ist. Früher spielte beim Sponsoring das Gesellschaftspolitische eine Rolle. Das hat sich viel zu sehr gewandelt in überwiegende marktwirtschaftliche Überlegungen. Sponsoring muss sich bezahlt machen. Für uns ist es momentan ein gewisses Problem, größere Partner zu finden, die sagen: „Das ist so ein wichtiges Thema, da bin ich als Firma oder Organisation aufgerufen mitzumachen und meinen Beitrag zu leisten, weil das darf nicht in eine falsche Richtung gehen, was zu Heimat gehört.“ Und dieses weltoffene Leben in einer Gegend, in der ich mich auskenne, ist eigentlich der Neue Heimatfilm. Das kann auch touristisch für Deutschland interessant sein.
Dankbar sind wir für unsere prominenten Unterstützer: Mit dabei sind unter anderem Schauspieler und Kabarettisten wie Lisa Fitz, Ottfried Fischer, Karl Merkatz, Werner Schmidbauer, Johanna Bittenbinder, Heinz Joseph Braun und Helmfried von Lüttichau.
Brüheim: Zwei Punkte habe ich in unserem Gespräch immer wieder rausgehört. Das ist zum einen der Austausch mit anderen über den Heimatbegriff und zum anderen die Darstellung einer mit Heimat verknüpften modernen Weltoffenheit. Sind das Ziele des Festivals? Oder streben Sie anderes an?
Knoblauch: Beides ist uns wichtig, aber wir wollen eine realistischere Heimat zeigen.
Syr: Vor allem wollen wir den Zuschauern Türen und Sichtweisen eröffnen. Nehmen Sie z. B. die Stadt Waldkraiburg in der Nähe von Mühldorf am Inn. Diese Stadt gab es Anfang des 20. Jahrhunderts noch nicht. Sie wurde nach dem Krieg von Flüchtlingen gegründet. Heute zählt sie knapp 25.000 Einwohner. Viele stammen von Flüchtlingen ab und Waldkraiburg hat einen AfD-Wähleranteil von knapp 20 Prozent.
Ich denke, dass Film für solche Leute, die zweifeln, die unsicher sind, die Ängste haben, eine gute Möglichkeit ist, sich damit auseinanderzusetzen.
Brüheim: Da wären wir bei der Zielgruppe. An wen soll sich Ihr Festival richten?
Knoblauch: An alle. Jung, alt – einfach alle.
Syr: Für junge Leute planen wir die Sektion „Heimat on YouTube“. Viele junge Leute gehen nicht mehr ins Kino und sie schauen schon gar keine Fernsehsendungen. So möchten wir jüngere Generationen ansprechen, die Heimat toll finden.
Vielen Dank.
Dieses Interview ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2019.