Hei­mat: Was soll das?

Oder: Warum sich der Deut­sche Kul­tur­rat mit dem Hei­mat­be­griff beschäftigt

Armut und Hun­ger been­den, die Ungleich­heit inner­halb und zwi­schen Staa­ten min­dern und zugleich die natür­li­chen Lebens­grund­la­gen welt­weit bewah­ren: Diese und wei­tere „Sus­tainable Deve­lo­p­ment Goals“ will die Welt­ge­mein­schaft bis 2030 errei­chen. Doch dies kann nur gelin­gen, wenn wir unse­ren Res­sour­cen-, Ener­gie- und Flä­chen­ver­brauch abso­lut begren­zen. Ent­schei­dend ist dafür eine Ände­rung unse­rer Wirt­schafts- und Lebens­wei­sen hier, in unse­rem Umfeld, in unse­rer Hei­mat. Doch wie kann das gelingen?

Für den Deut­schen Kul­tur­rat ist die Idee der nach­hal­ti­gen Ent­wick­lung im Kern ein kul­tu­rel­les Pro­jekt. Die 17 glo­ba­len Nach­hal­tig­keits­ziele sind dabei gleich­zei­tig Kom­pass und Motor einer kul­tu­rel­len Ver­än­de­rung, die auf ein gutes Leben aller Men­schen auf unse­rem Hei­mat­pla­ne­ten zielt. Die Kraft von Kunst und Kul­tur kann Inno­va­tio­nen anre­gen, mora­li­sche Res­sour­cen mobi­li­sie­ren und die Grund­lage für einen kul­tu­rel­len Wan­del schaf­fen. Des­halb hat der Deut­sche Kul­tur­rat im letz­ten Jahr eine Arbeits­gruppe initi­iert, die sich inten­siv mit dem The­men­be­reich Nach­hal­tig­keit und Kul­tur befasste. Die Stel­lung­nahme „Umset­zung der Agenda 2030 ist eine kul­tu­relle Auf­gabe“ wurde Anfang 2019 vom Spre­cher­rat verabschiedet.

Aber warum beschäf­tigt sich der Deut­sche Kul­tur­rat mit dem Thema Heimat?

Nahe­lie­gend schei­nen die unglaub­lich vie­len Anknüp­fungs­punkte, die sich für die Mit­glie­der erge­ben. So gehört Musik zu unse­rem Leben und ver­bin­det Men­schen, egal wel­cher sozia­len oder eth­ni­schen Her­kunft sie sind. Musik als gren­zen­lose Welt­spra­che ist geeig­net, Geist, Kör­per und Seele des Men­schen zu errei­chen. Das bür­ger­schaft­li­che Enga­ge­ment der Musi­zie­ren­den ist unver­zicht­ba­rer Teil des kul­tu­rel­len Lebens – selbst in den kleins­ten Gemein­den. Die ein­zig­ar­tige Viel­falt der (freien) Thea­ter- und Orches­ter­land­schaft macht Krea­ti­vi­tät und Freude vor Ort erleb­bar. Die Lite­ra­tur ermög­licht die erzäh­le­ri­sche und dich­te­ri­sche Ver­ar­bei­tung gemach­ter Erfah­run­gen, Traum und Ahnung, war­nende und hoff­nungs­volle Vor­ge­fühle für Kom­men­des. Mit Mit­teln der Bil­den­den Kunst wer­den Poten­ziale erweckt, die für eine tief­grei­fende Ver­an­ke­rung nach­hal­ti­gen Den­kens und Han­delns not­wen­dig sind. Hei­mat lebt auch vom bau­kul­tu­rel­len Erbe, denn die­ses stärkt den sozia­len Zusam­men­halt, basie­rend auf einer gemein­sa­men Iden­ti­tät, Stolz und Ver­bun­den­heit mit einem Ort. Die Art, wie wir den his­to­ri­schen Bestand heute nut­zen, pfle­gen, schüt­zen und wei­ter­ent­wi­ckeln, ist ent­schei­dend für die Zukunft unse­rer Hei­mat. Archi­tek­ten und Stadt­pla­ner gestal­ten unsere gesamte Umwelt unmit­tel­bar. Design gestal­tet unsere Gesell­schaft und beein­flusst unser sozia­les Mit­ein­an­der. Design bewusst auch als Kul­tur­erbe zu ver­ste­hen bedeu­tet, den Blick zu schär­fen, gestal­te­ri­sche Fähig­kei­ten zu för­dern und Inspi­ra­tion für weg­wei­sende Fra­gen und Lösun­gen zu ver­mit­teln. Durch Medien wird Wirk­lich­keit trans­por­tiert. Nicht nur die weite Welt wird in den Wohn­zim­mern und Kinos erleb­bar, son­dern auch Hei­mat. Die Viel­falt der Medien und der Anspruch von Mache­rin­nen und Machern, ihrem Publi­kum gerecht zu wer­den, frei von Ein­fluss­nahme unter­schied­li­che Sicht­wei­sen dar­zu­stel­len, tra­gen zu unse­rem Ver­ständ­nis von Hei­mat bei. In der kul­tu­rel­len Bil­dung wird nach­hal­tige Ent­wick­lung aktiv gelebt, Diver­si­tät aner­kannt und Inklu­sion umge­setzt. Sie leis­tet einen Bei­trag dazu, dass alle die Mög­lich­keit der Behei­ma­tung haben, damit ein „Dazu­ge­hö­ren aller“ gelingt.

Aber nicht nur die Mit­glie­der des Deut­schen Kul­tur­ra­tes haben den Anspruch, Hei­mat zu gestal­ten. Dafür bedarf es Vie­ler. Des­halb haben der Bund für Umwelt und Natur­schutz Deutsch­land (BUND) und der Deut­sche Kul­tur­rat mit Unter­stüt­zung des Rates für Nach­hal­tige Ent­wick­lung Ende letz­ten Jah­res ein Koope­ra­ti­ons­pro­jekt ins Leben geru­fen. Ziel die­ser auf zwei Jahre ange­leg­ten Kam­pa­gne ist es, eine Brü­cke zwi­schen dem Nach­hal­tig­keits­dis­kurs des Natur- und Umwelt­be­rei­ches und kul­tur­po­li­ti­schen Debat­ten zu schla­gen. Gemein­sam mit Inter­es­sier­ten aus bei­den Ver­bän­den kon­zi­pie­ren wir eine Ver­an­stal­tungs­reihe zum Thema „Hei­mat: Was ist das?“, mit dem Ziel zu zei­gen, dass die aktu­el­len Debat­ten um den Begriff keine rück­wärts­ge­rich­te­ten Dis­kus­sio­nen sind, son­dern sich viel­mehr um die Zukunfts­frage dre­hen, in was für einem Land wir leben wollen.

Denn wie wir setzt sich der BUND für nach­hal­tige Ent­wick­lung und für einen gesell­schaft­lich-kul­tu­rel­len Wan­del ein, wenn auch in einem ande­ren Bereich und mit ande­ren Mit­teln. Aber ohne die vie­len akti­ven Mit­strei­ter aus Kunst und Kul­tur ist die Geschichte des BUND nicht denk­bar. Heute sind dort über 2.000 Grup­pen vor Ort aktiv und tra­gen mit dazu bei, Hei­mat aktiv zu gestal­ten und Zukunft Rea­li­tät wer­den zu las­sen. Und sie machen der Poli­tik Druck: für eine intakte Umwelt, die Bewah­rung der bio­lo­gi­schen Viel­falt, wenig Res­sour­cen­ver­brauch und eine hohe Lebens­qua­li­tät für die Menschen.

Um diese Ziele gemein­sam zu ver­fol­gen, wurde beim Deut­schen Kul­tur­rat ein Pro­jekt­büro ein­ge­rich­tet. Eine Ver­net­zungs­gruppe, in der das Prä­si­dium und die Geschäfts­füh­rung bei­der Ver­bände ver­tre­ten sind, beglei­tet diese Koope­ra­tion und bringt die nöti­gen Ent­schei­dun­gen auf den Weg.

Ein Work­shop mit dem Titel „Hei­mat: Was soll das?“ war der Auf­takt die­ses beson­de­ren Koope­ra­ti­ons­pro­jek­tes. Aktive aus bei­den Ver­bän­den haben beschlos­sen, noch stär­ker zusam­men­zu­ar­bei­ten und zivil­ge­sell­schaft­li­che Dis­kurse zu gestal­ten. Mit viel­fäl­ti­gen Aktio­nen wer­den wir gemein­sam noch mehr Druck auf die aktu­elle Poli­tik aus­üben. Denn es braucht Mut zu Ver­än­de­rung! Mut zu kul­tu­rel­lem Wandel!

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 03/2019.

Von |2019-06-14T12:49:36+02:00Februar 25th, 2019|Heimat|Kommentare deaktiviert für

Hei­mat: Was soll das?

Oder: Warum sich der Deut­sche Kul­tur­rat mit dem Hei­mat­be­griff beschäftigt

Jens Kober ist Referent für Nachhaltigkeit und Kultur beim Deutschen Kulturrat.