In der Fremde Hei­mat finden

Deutsch­spra­chige evan­ge­li­sche Kir­chen­ge­mein­den im Ausland

„Sehn­sucht nach Freun­din­nen oder Freun­den, Dresd­ner Stol­len oder Vanil­le­kip­ferl, Knö­deln oder Rot­kohl, Leber­käse oder Haus­ma­cher Wurst, Voll­korn­brot oder Hand­käse? Wenn Sie das Heim­weh packt, dann ver­spre­chen wir Ihnen eines: Bei uns fin­den Sie Gleich­ge­sinnte und Gesprächs­part­ne­rin­nen – und oft auch die Adres­sen zum nächst­ge­le­ge­nen Bäcker, Metz­ger oder Super­markt mit Pro­duk­ten aus der ›alten‹ Hei­mat.“ So wer­ben welt­weit deutsch­spra­chige evan­ge­li­sche Kirchengemeinden.

Das Pro­gramm der deutsch­spra­chi­gen evan­ge­li­schen Gemein­den im Aus­land bie­tet Krab­bel­grup­pen und Kaf­fee­klatsch genauso wie Lite­ra­tur­zir­kel. Kin­der- und Jugend­ar­beit ist ein wich­ti­ger Schwer­punkt der Gemein­den. Aber auch für Erwach­sene fin­den sich viele Ange­bote: Sie kön­nen nach dem Got­tes­dienst zum Kirch­kaf­fee blei­ben, sich in Gesprächs­krei­sen zu gesell­schaft­li­chen oder reli­giö­sen The­men aus­tau­schen, im Chor sin­gen oder die Würst­chen beim sonn­täg­li­chen Pick­nick auf den Grill legen.

Die deutsch­spra­chi­gen evan­ge­li­schen Gemein­den im Aus­land sind an vie­len Stel­len anders als deut­sche Kir­chen­ge­mein­den, und trotz­dem wie­derum ganz ver­traut. Sie fei­ern die hohen Feste wie Weih­nach­ten oder Ostern, aber auch Tau­fen, Kon­fir­ma­tio­nen, Trau­un­gen und Beer­di­gun­gen. Und meist mehr als ein Gemein­de­fest im Jahr. Falls neben dem deut­schen Brot auch das hei­mi­sche Weih­nachts­fest ver­misst wird: Schnee­flo­cken wer­den nicht expor­tiert, aber Advents­ba­sare fin­den sich an fast allen Orten und „O du fröh­li­che“ wird – gerade auch fern der Hei­mat – mit einer beson­de­ren Ver­bun­den­heit gesungen.

Dass sich oft­mals ein hoher Pro­zent­satz Deut­scher oder deutsch­spra­chi­ger Men­schen im Aus­land an eine Kir­chen­ge­meinde wen­det, hat nichts mit einer höhe­ren Reli­gio­si­tät zu tun, aber es gilt nach wie vor die jahr­hun­der­talte Erfah­rung der Aus­wan­de­rer: Gezählt und gebe­tet wird in der Mut­ter­spra­che. Daran wird deut­lich, wie sehr unsere Kul­tur in Mit­tel­eu­ropa immer noch vom christ­li­chen Kalen­der, sei­nen Bräu­chen und Fes­ten und sei­nen Lebens- und Denk­wei­sen geprägt ist. Vie­len Men­schen ist dies in ihren all­täg­li­chen Lebens­voll­zü­gen in Deutsch­land gar nicht so offen­sicht­lich. Erst in der Distanz wird vie­len bewusst, wie prä­gend die hei­mi­sche Kul­tur und die damit ver­wo­be­nen christ­li­chen Bräu­che für den Jah­res- und Lebens­rhyth­mus sind. „Erst im Aus­land merkte ich, wie deutsch ich doch eigent­lich bin!“ – die­sen Satz hören die rund 140 evan­ge­li­schen Pfar­re­rin­nen und Pfar­rer der über 100 mit der Evan­ge­li­schen Kir­che in Deutsch­land (EKD) ver­bun­de­nen deutsch­spra­chi­gen Gemein­den im Aus­land nahezu ununterbrochen.

Anders als in Deutsch­land gibt es in den meis­ten ande­ren Län­dern keine Kir­chen­steuer. Das gilt auch für die deutsch­spra­chi­gen Gemein­den im Aus­land, die sich haupt­säch­lich aus Spen­den und frei­wil­li­gen Mit­glieds­bei­trä­gen der Gemein­de­mit­glie­der vor Ort finan­zie­ren müssen.

Aus dem­sel­ben Grund kann auch nicht davon aus­ge­gan­gen wer­den, dass an den Schu­len im Aus­land Reli­gi­ons­un­ter­richt ange­bo­ten wird. In Deutsch­land ist der kon­fes­sio­nelle Reli­gi­ons­un­ter­richt laut Grund­ge­setz ordent­li­ches Lehr­fach an allen Schu­len. Im Aus­land sieht das ganz anders aus. In man­chen Län­dern ist der Reli­gi­ons­un­ter­richt an staat­li­chen Schu­len gar nicht gestat­tet oder es wird Wis­sen über die ver­schie­de­nen Reli­gio­nen ver­mit­telt. An deut­schen Schu­len im Aus­land ist der nach den Kon­fes­sio­nen auf­ge­teilte Reli­gi­ons­un­ter­richt auch nicht über­all die Regel. An vie­len Orten ertei­len die aus Deutsch­land ent­sand­ten Pfar­re­rin­nen und Pfar­rer kon­fes­sio­nel­len Reli­gi­ons­un­ter­richt, an zahl­rei­chen Aus­lands­schu­len wird der Reli­gi­ons­un­ter­richt für katho­li­sche und evan­ge­li­sche Kin­der aber auch gemein­sam erteilt. Und dann gibt es auch Aus­lands­schu­len ohne Reli­gi­ons­un­ter­richt – dort wird dann für alle Schü­ler das Pflicht­fach Ethik oder Phi­lo­so­phie angeboten.

Wo die Schule kei­nen Reli­gi­ons­un­ter­richt anbie­tet, fin­den sich Ange­bote für Kin­der und Jugend­li­che in den deutsch­spra­chi­gen Gemein­den, denn eine zen­trale Auf­gabe der Gemein­den ist es, die reli­giöse und kul­tu­relle Iden­ti­tät zu pfle­gen. Sie hel­fen dabei, auch Kin­dern und Jugend­li­chen Glau­bens­fra­gen zu beant­wor­ten, Grund­la­gen zu ver­mit­teln, Lied­gut und Bibel­worte ken­nen­zu­ler­nen und diese wei­ter­hin zu pflegen.

Die berühmte Frage: „Was wür­den Sie auf eine ein­same Insel mit­neh­men?“ lässt sich auch auf einen Umzug ins Aus­land über­tra­gen: Viele Umzie­hende über­le­gen sich genau, was sie brau­chen, um sich hei­misch zu füh­len: ein bestimm­tes Bild, eine Kuschel­de­cke, den gelieb­ten Früh­stücks­tee oder die Fami­li­en­fo­tos. Falls mit Kin­dern umge­zo­gen wird, ach­ten wir in der Pla­nung dar­auf, genug Zeit und Raum, geliebte Spiel­sa­chen, Bücher oder Erin­ne­rungs­schätze mitzunehmen.

Am neuen Wohn­ort im Aus­land ange­kom­men, ist das durch­gän­gige Pfle­gen von Ritua­len ent­schei­dend: das Fami­li­en­st­änd­chen zum Geburts­tag, das gemein­same Oster­ei­er­ma­len, die Vor­lie­ben im Advent und zum Weih­nachts­fest, das Abend­ge­bet oder der Advents­ka­len­der für die ganze Fami­lie. Gewohnte Zere­mo­nien geben vor allem den Jüngs­ten Sicher­heit; aber auch den Erwach­se­nen hel­fen sie, sich schnel­ler zu Hause zu fühlen.

Es gibt welt­weit ver­schie­denste Orte, an denen Expa­tria­tes recht zuver­läs­sig auf Men­schen in ähn­li­chen Lebens­si­tua­tio­nen tref­fen. Die deutsch­spra­chi­gen Gemein­den sind ein sol­cher Ort und oft bil­det sich dort auch das gesamte neue Umfeld von Schule, Kin­der­gar­ten, Arbeits­kol­le­gin­nen und -kol­le­gen und Nach­bar­schaft bis hin zu Vor­trä­gen von Stif­tun­gen, musi­ka­li­schen Dar­bie­tun­gen, Hin­wei­sen auf Goe­the-Insti­tute und diplo­ma­ti­sche Ver­tre­tun­gen, medi­zi­ni­scher Ver­sor­gung oder Sprach­kur­sen ab.

Dies alles bil­det Hei­mat in der Fremde.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 01-02/2019.

Von |2019-06-13T17:08:30+02:00Januar 25th, 2019|Heimat|Kommentare deaktiviert für

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Frank Kopania ist evangelischer Pfarrer und Leiter der Abteilung Auslandsarbeit im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland in Hannover.