„Hei­mat­halle“ und ein Denk­mal für enga­gierte Bür­ger davor

Ein Vor­schlag zur Diskussion

Neh­men wir an, es gäbe am Wohn­ort der Lese­rin, des Lesers die Absicht der poli­tisch Ver­ant­wort­li­chen, den neuen Thea­ter­bau „Hei­mat­halle“ zu nen­nen. Neh­men wir außer­dem an, eine Bür­ger­initia­tive for­derte, ein Denk­mal für Ehren­amt­li­che zu errich­ten. Zu bei­den Plä­nen sol­len die Bür­ger befragt wer­den. Wür­den Sie mit „Ja“ oder „Nein“ stim­men? Viel­leicht wären Sie ja auch für das eine und gegen das andere Projekt.

Beim ers­ten Nach­den­ken erscheint der Begriff „Ehren­amt“ ein biss­chen ver­staubt, aber ehren­wert. Die Bezeich­nun­gen „Frei­wil­li­gen­ar­beit“ und der von der weg­wei­sen­den Enquete-Kom­mis­sion „Zukunft des bür­ger­schaft­li­chen Enga­ge­ments“ des Deut­schen Bun­des­ta­ges prä­fe­rierte Begriff „Bür­ger­schaft­li­ches Enga­ge­ment“ sind vie­len Men­schen und Insti­tu­tio­nen mitt­ler­weile deut­lich lie­ber. Frei­wil­lig, nicht auf mate­ri­el­len Gewinn aus­ge­rich­tet, mit posi­ti­vem Effekt für Dritte, im öffent­li­chen Raum statt­fin­dend – das sind von der Kom­mis­sion her­aus­ge­ar­bei­tete Cha­rak­te­ris­tika bür­ger­schaft­li­chen Enga­ge­ments, das in der Regel gemein­schaft­lich bzw. koope­ra­tiv aus­ge­übt und an der Stär­kung des gesell­schaft­li­chen Zusam­men­halts und am Gemein­wohl ori­en­tiert sein soll. Zu die­sem Enga­ge­ment gibt es ver­schie­dene empi­ri­sche Erhe­bun­gen. Den Gold­stan­dard lie­fert seit 1999 der im Abstand von fünf Jah­ren durch­ge­führte, vom Bun­des­mi­nis­te­rium für Fami­lie, Senio­ren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) finan­zierte Frei­wil­li­gen­sur­vey. Das Enga­ge­ment ist dem­nach im Umfang über die Jahre sta­bil geblie­ben, die Zahl der Enga­gier­ten hat sich aber erhöht, ins­be­son­dere in den obe­ren Alters­klas­sen. Lange galt die Ein-Drit­tel-Faust­re­gel: ein Drit­tel ist enga­giert, ein Drit­tel nicht, ein Drit­tel steht in War­te­stel­lung. Ins­ge­samt und beson­ders beim mitt­le­ren Drit­tel ist zu beden­ken, dass die Zuord­nung durch Selbst­ein­schät­zung ent­steht. Aller­dings hat die Hilfs­be­reit­schaft gegen­über Flücht­lin­gen seit 2015 bewie­sen, dass die „Reser­vis­ten“ doch in erheb­li­chem Umfang in beson­de­ren gesell­schaft­li­chen Situa­tio­nen ein­sprin­gen. Erste empi­ri­sche Unter­su­chun­gen gehen von 23 Pro­zent Neu­lin­gen in der ehren­amt­li­chen Flücht­lings­ar­beit aus. Ob die neu Enga­gier­ten aktiv blei­ben, wün­schens­wer­ter­weise auch in ande­ren Enga­ge­ment­fel­dern, lässt sich zur­zeit nicht abse­hen. Der letzte Frei­wil­li­gen­sur­vey von 2016, der noch ohne das Flücht­lings­en­ga­ge­ment erfasst wurde, stellt eine Stei­ge­rung gegen­über den Vor­läu­fern auf nun 43,6 Pro­zent der Wohn­be­völ­ke­rung ab 14 Jahre, das wären 30,9 Mil­lio­nen Men­schen, fest. Aller­dings wei­sen Ken­ner wie Roland Roth unter dem prä­gnan­ten Titel „Gewinn­war­nung“ auf die, wie er es nennt, „wun­der­same Enga­ge­ment­ver­meh­rung des Frei­wil­li­gen­sur­veys 2014“ hin, was mit einem Wech­sel des Erhe­bungs­in­sti­tuts und der Erhe­bungs­me­tho­den zusam­men­hän­gen könnte. Wie auch immer: Das bür­ger­schaft­li­che Enga­ge­ment in Deutsch­land ist quan­ti­ta­tiv beträcht­lich und unbe­strit­ten gesell­schaft­lich rele­vant, es ver­dient ein Denk­mal. Aber halt, ein Denk­mal ist ein Denk-Mal.

Ist bür­ger­schaft­li­ches Enga­ge­ment in jedem Fall demo­kra­tie­för­dernd? Hier öff­net sich die Tür zur Debatte um die helle und dunkle Seite der Zivil­ge­sell­schaft. Der Schein­wer­fer rich­tet sich auf PEGIDA und ähn­li­che Akti­vi­tä­ten. Die Debatte muss hier nicht ent­fal­tet wer­den, klar ist: Was hier hell und dun­kel ist, ist höchst umstrit­ten. Die schnell abge­nickte For­mu­lie­rung „Stär­kung des gemein­schaft­li­chen Zusam­men­halts“ kommt unter dem Brenn­glas „Open Society“ in die Über­prü­fung. Mahatma Gan­dhis berühm­ter Satz „Our ability to reach unity in diver­sity will be the beauty and the test of our civi­li­sa­tion“, zu deutsch: „Unsere Fähig­keit, Ein­heit in Viel­falt zu errei­chen, wird die Schön­heit und der Test unse­rer Gesell­schaft sein“, ist auch hier­zu­lande her­aus­for­dernd. Das Zwi­schen­fa­zit lau­tet: Ja, ein Denk­mal des bür­ger­schaft­li­chen Enga­ge­ments sollte geschaf­fen wer­den, aber mit dem Gan­dhi-Satz als Sub­ti­tel der Inschrift.

Und die „Hei­mat­halle“? Nach­dem jah­re­lang Intel­lek­tu­elle über alles, was mit Hei­mat ver­knüpft war, ihre aus­gren­zen­den, ja ver­ach­ten­den Sprü­che vom Sta­pel lie­ßen, um als Kos­mo­po­li­ten, die sie zumeist nicht waren,  dazu­ste­hen, ist nun Nach­den­ken ange­sagt. Hei­mat ist salon­fä­hig gewor­den. Es däm­mert, dass in die­sem emo­tio­nal besetz­ten All­wort Wich­ti­ges zusam­men­strömt, das um „Wo und wie ich mich wohl­fühle“ kreist. Auch hier gibt es eine dunkle, ver­gif­tete Seite. Aber Hei­mat in der frag­wür­di­gen Wagen­burg-Fül­lung poli­ti­schen Grup­pie­run­gen zu über­las­sen, die aus der ver­meint­li­chen Bedro­hung hei­mat­li­cher Gefühle durch das Fremde poli­ti­schen Gewinn zie­hen, das soll nicht sein. Aber was ist Hei­mat pro­gres­siv gedacht? Eine Emp­feh­lung lau­tet, Hei­mat in den Plu­ral zu ver­set­zen – „Es gibt nicht nur eine Hei­mat“ –  und im Sinne einer offe­nen Gesell­schaft zu öff­nen, frei­lich unter Aner­ken­nung der nur schritt­weise mög­li­chen Ver­än­de­rung. Hei­mat ist wie ein Stuhl­kreis mit eini­gen freien Stüh­len und der Absicht, offen zu sein für Men­schen, die nach­rü­cken. Das Rin­gen um Hei­mat ist dem­nach ein Pro­zess zwi­schen Be- und Ent­hei­ma­tung, an dem jede und jeder sei­nen Anteil hat. Der Gan­dhi-Satz würde auch als Pla­kette an der „Hei­mat­halle“ gut passen.

Der abschlie­ßende Vor­schlag lau­tet: „Hei­mat­halle“? Ja, bitte. Und in Ver­bin­dungs­nähe sollte das Denk­mal für das bür­ger­schaft­li­che Enga­ge­ment auf­ge­stellt wer­den, um den Zusam­men­hang zu sym­bo­li­sie­ren. Denn Enga­ge­ment, rich­tig ange­legt, för­dert Bezie­hun­gen zwi­schen dem, der gibt, und dem, der nimmt. Sol­che Bezie­hun­gen kön­nen mehr sein als ein freund­li­cher Gruß oder das kleine Gespräch unter Frem­den, so wich­tig die sind. Wie der Vor­sit­zende des Pas­sauer Hei­mat­ver­eins unlängst for­mu­lierte: „Hei­mat ist dort, wo die Men­schen mit­ein­an­der reden.“ Aus Bezie­hun­gen, die auf Enga­ge­ment grün­den, kann Ver­trauen erwach­sen, und ein fes­tes Maß an Ver­trauen gibt dem Ver­trau­ten eine Zukunfts­per­spek­tive. So betrach­tet ist bür­ger­schaft­li­ches Enga­ge­ment das Rück­grat eines neuen, am Unter­schied fest­hal­ten­den „Wir-Gefühls“, das getrost Hei­mat­ge­fühl genannt wer­den kann.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 01-02/2019.

Von |2019-06-13T17:17:23+02:00Januar 25th, 2019|Heimat|Kommentare deaktiviert für

„Hei­mat­halle“ und ein Denk­mal für enga­gierte Bür­ger davor

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Henning von Vieregge ist Publizist. Sein aktuelles Buch heißt: »Wo Vertrauen ist, ist Heimat: Auf dem Weg in eine engagierte Bürgergesellschaft«, oekom Verlag München 2018.