Theresa Brüheim: Herr Flecken, zu Beginn ein Geständnis: Ich war noch nie auf einem Schützenfest. Was würde mich beim Neusser Bürger-Schützenfest erwarten?
Martin Flecken: Es erwartet Sie eine geschmückte Stadt mit festlich gesinnten Bürgerinnen und Bürgern, die in der Neusser Innenstadt an jedem letzten Augustwochenende das große Schützenfest feiern – von dem wir annehmen, dass es das größte Stadt-Schützenfest in Deutschland oder gar Europa ist. Gäste sind stets herzlich willkommen. Das Schützenfest ist in Neuss auf städtischer Basis gewachsen. Alle Schützen kommen ursprünglich aus Neuss oder haben Bindungen zur Stadt. Auch wenn viele in alle Welt verstreut sind, kommen sie im August in die Heimat, um Freunde zu treffen und das Schützenfest zu feiern. Das Schützenfest ist ein großes Familien- und Klassentreffen. Nehmen Sie den deutschen Botschafter bei den Vereinten Nationen und früheren Berater der Kanzlerin, Christoph Heusgen, der stammt aus Neuss und ist Neusser Schütze. Trotz politischer Aufgaben hat er es immer zum Bürger-Schützenfest geschafft.
Welche Aufgaben und Bedeutung haben Schützenvereine heute?
Schützenvereine schaffen ein besonderes Heimatgefühl und sorgen unter anderem dafür, sich mit der Heimatstadt zu identifizieren. In Neuss werden die Kinder mit dem Bürger-Schützenfest groß. Es ist etwas ganz Normales, das mitzufeiern. Ich selbst habe vier Kinder. Mit dem Schützenfest sind sie groß geworden; während sie andere Sachen, die ich mache, eher als „peinlich“ ansehen, das Schützenfest feiern sie begeistert mit, übrigens auch meine drei Töchter, obwohl ja nach alter Tradition nur die Männer mitmarschieren.
Schützenfeste sind also eine Art Heimatpflege. Wie gehen Sie dabei mit Kritik an Schützenfesten um – z. B. aus Perspektive der Geschlechtergerechtigkeit?
Schützenvereine und -feste haben immer eine gewisse Tradition, durch die letztlich ein Akzent gegenüber manch sonstigen Feiern und Events gesetzt wird und Heimatpflege entsteht. Dass beim Neusser Bürger-Schützenfest nur Männer und keine Frauen mitmarschieren, liegt in der Geschichte begründet: Das Schützenwesen in Neuss reicht sehr weit zurück. Einer der teilnehmenden Vereine wurde 1415 gegründet. In dieser alten Bedeutung waren die Schützen die Verteidiger der Stadt. Hier ist bei der Heimatpflege durch Schützenfeste eben auch die geschichtliche Tradition zu berücksichtigen.
Sind Schützenfeste noch zeitgemäß?
Ja, sie machen deutlich, dass nicht alles unbedingt und stets modern und upgedated sein muss, sondern dass man auch alte Traditionen feiern kann. Und auch wenn nur die Männer an den Schützenfesttagen marschieren, danach feiern sie gemeinsam mit den Familien weiter.
Das Schützenwesen in Neuss steht außerdem jedem offen und gern werden Dazugekommene integriert. Das ist auch zeitgemäß, solche Offenheit bildet den Humus für Integration.
Außerdem engagieren sich Schützen in Neuss auch sozial und kulturell, das ist auch bei den Kulturinstituten der Stadt Neuss anerkannt. So ist
z. B. beim Frühschoppen an einem der Schützenfesttage das Rheinische Landestheater dabei. Es gibt viele Musiker, die auftreten. Wir machen auch Ausstellungen zum Schützenwesen. Denn in Neuss haben wir ja auch ein Schützenmuseum und ein Schützenarchiv. Es ist also auch ein Kulturereignis.
Vielen Dank.
Dieses Interview ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 01-02/2019.