Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten um Zuwanderung, Flucht und Asyl beobachten wir in Deutschland und Europa, wie vor allem die Rechtspopulisten systematisch Ängste vor Überfremdung oder einer drohenden „Islamisierung des Abendlandes“ schüren. Ihr Interesse liegt nicht darin, die Begegnung und das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion und Tradition zu gestalten. Sie gebaren sich in der Öffentlichkeit vielmehr als die einzig legitime Stimme des „wahren Volkes“, das kulturelle Vielfalt ablehnt und sich zurückwünscht in die Zeit, als der Satz „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ noch in aller Munde war. Damit gefährden sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Weltoffenheit unserer Gesellschaft. Im Kern handelt es sich dabei um nichts anderes als um eine besonders fremdenfeindliche Variante der Leitkulturdebatte, die seit mehr als 15 Jahren immer wieder heftige Kontroversen ausgelöst hat. Die Verfechterinnen und Verfechter der Idee einer solchen Leitkultur nehmen für sich in Anspruch, ganz genau zu wissen, was „die deutsche Kultur“ ausmacht. Erfolgreiche Integration bedeutet für sie schlicht, dass Zuwandererinnen und Zuwanderer sich dieser Leitkultur einseitig anpassen.
Mit unserer gesellschaftlichen Realität hat diese Sichtweise rein gar nichts zu tun. Deutschland ist längst Teil einer globalisierten Welt. Für viele Menschen sind es die bei uns ankommenden Geflüchteten, die diese Tatsache für sie sichtbar machen. Gegen Geflüchtete richten sich ihre Ängste und Ressentiments angesichts einer immer komplexeren und vernetzteren Welt.
Deutschland ist ein Einwanderungsland mit verschiedensten kulturellen Einflüssen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Flüchtlingsfrage müssen wir uns der Aufgabe stellen, aus unserem Einwanderungsland eine weltoffene Einwanderungsgesellschaft zu machen.
Deswegen stellen sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und seine Mitgliedsgewerkschaften aktiv gegen eine Debatte, die völlig unreflektiert und mit zunehmend rassistischen Untertönen die Fiktion einer deutschen Leitkultur heraufbeschwört.
Was wir stattdessen brauchen, ist ein Gesellschaftsbild, das durch ein hohes Maß an Kultursensibilität geprägt ist. Für die erfolgreiche Integration von Geflüchteten und Asylsuchenden, von Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern, ausländischen Studierenden, Zuwandererinnen und Zuwanderern aus EU-Mitgliedstaaten und Nicht-EU-Staaten brauchen wir hierzulande einen starken gesellschaftlichen Konsens darüber, dass Kultur immer das Ergebnis einer Vielfalt von Erfahrungen, Handlungen, Erkenntnissen und Verhalten von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religionszugehörigkeit ist – und somit einem beständigen Wandel durch neue Einflüsse unterworfen ist. Diese Veränderungen sind es, die Kultur ausmachen.
Kulturelle Integration kann daher nur gelingen, wenn Kultur nicht als etwas Feststehendes, Abgeschlossenes begriffen wird. Es kann nicht darum gehen, im ersten Schritt zu bestimmen, was deutsche Kultur ausmacht, um im zweiten Schritt festzulegen, wie Zugewanderte sich in diese zu integrieren haben. Nur durch Vielfalt, Veränderung und Austausch kann Kultur überhaupt erst entstehen.
Wir begreifen kulturelle Integration dementsprechend als einen wechselseitigen Prozess. Es gilt, den Austausch der Verschiedenen zu fördern, das gegenseitige Verstehen zu stärken und Teilhabe zu ermöglichen. Nur so kann kulturelle Integration einen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten.
Den Schlüssel dazu bilden gesellschaftliche Integrationskonzepte, kontinuierliche kulturelle und politische Bildungsangebote sowie Organisationsentwicklungsprozesse, die auf kulturelle Vielfalt und Teilhabe setzen. Denn wenn wir über kulturelle Integration sprechen, müssen wir auch über Teilhabe sprechen. Abhängig von Herkunft, Bildung und Einkommen nehmen Menschen in Deutschland in ganz unterschiedlichem Maß am kulturellen und politischen Leben unseres Landes teil. Kulturelle und politische Teilhabe zu ermöglichen und zu fördern, muss deswegen unser gemeinsames Ziel sein.
Was wir brauchen, ist ein Bildungssystem, das offen ist für kulturelle Vielfalt und diese ermöglicht. Darin liegt der Schlüssel zu einer Gesellschaft, deren Zusammenhalt von der Herausbildung transkultureller Identitäten getragen wird – und die keinen Raum lässt für den Rückfall in ein völlig überholtes Leitkulturdenken, das sich in unserer globalisierten Welt mehr und mehr als gesellschaftlicher Spaltpilz erweist.
Eine gleichberechtigte Teilhabe am Erwerbsleben ist für den Deutschen Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Integration in Deutschland gelingen kann. Dabei darf aber nicht das Prinzip „Arbeit um jeden Preis“ gelten. Die gleichberechtigte Teilhabe an guter Arbeit muss für alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, unser gemeinsames Ziel sein. Denn gute Arbeit bedeutet nicht nur ein gesichertes Einkommen und wirtschaftliche Unabhängigkeit, sondern auch die Möglichkeit zur aktiven Teilhabe an der Gesellschaft und ihrem kulturellen Leben.
Arbeit ist für viele Menschen mehr als ein bloßer Brotverdienst. Gute Arbeit bietet aus Sicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht nur ein festes, verlässliches Einkommen. Gute Arbeit eröffnet die Möglichkeit, die eigenen Fähigkeiten einzubringen, diese weiterzuentwickeln und Anerkennung zu erhalten. Sie ist sinnstiftend und fördert den sozialen Zusammenhalt von Kolleginnen und Kollegen. Unter den richtigen Rahmenbedingungen sind Betriebe und Verwaltungen Orte des kollegialen und kulturellen Austauschs auf Augenhöhe. Diese Rahmenbedingungen gilt es sozialpartnerschaftlich zu gestalten.
Dass solche Veränderungsprozesse nicht immer konfliktfrei ablaufen, ist auch klar. Dafür bieten der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften eine Bandbreite an Seminaren, Weiterbildungen und Trainings an. In unserer Bildungsarbeit orientieren wir uns an einem Verständnis von Diversität, das die unterschiedlichen kulturellen Erfahrungen der Menschen, die bei uns zusammenleben, als Reichtum und Potenzial begreift. Als Teil der europäischen und internationalen Gewerkschaftsbewegung stehen unsere bildungspolitischen Aktivitäten im Zeichen von Solidarität, sozialer Gerechtigkeit und einer lebendigen Demokratie. Kulturelle Vielfalt ist für uns erhaltenswert. Deswegen setzen wir uns dafür ein, sich offen mit kultureller Differenz auseinanderzusetzen. Unsere gewerkschaftliche Bildungsarbeit soll die Beschäftigten dazu befähigen, kulturelle Differenz nicht an nationalen Stereotypen festzumachen. Diese haben die negative Kraft, Belegschaften zu spalten und Entsolidarisierung zu fördern. Stattdessen schulen wir die Kolleginnen und Kollegen darin, jede Einzelne und jeden Einzelnen besser als Individuum wahrzunehmen – mit allem, was sie oder er erlebt hat und was sie oder ihn ausmacht. Es sind Menschen wie die Mitglieder des Vereins „Mach‘ meinen Kumpel nicht an!“, die sich für eine vielfältige Gesellschaft und friedliches Miteinander einsetzen. Und das nicht erst seit gestern: Der Kumpelverein wurde vor 31 Jahren von der DGB-Jugend gegründet. Sein Logo, die leuchtend gelbe Handfläche mit dem roten Schriftzug „Mach’ meinen Kumpel nicht an“ ist das deutlichste gewerkschaftliche Symbol für die Bekämpfung von Rassismus und Menschenfeindlichkeit in der Arbeitswelt. Der Verein arbeitet vor allem präventiv. Zu seinen Kernaktivitäten gehört beispielsweise ein Wettbewerb „Gelbe Hand“, der Auszubildende, Berufsschülerinnen und Berufsschüler und die Gewerkschaftsjugend motivieren soll, sich mit Rassismus, Rechtsextremismus und Gleichbehandlung in der Arbeitswelt auseinanderzusetzen.
Auch auf das DGB-Bildungswerk, das sich stark auf den Umgang mit kultureller Vielfalt in der Arbeitswelt konzentriert, möchte ich an dieser Stelle verweisen. In den letzten Jahren hat unser Bildungswerk weit über hundert Trainings in Betrieben und Verwaltungen durchgeführt – mit der Zielsetzung, die Beschäftigten sicherer im Umgang mit kultureller Diversität zu machen. Einen Schwerpunkt bildet dabei die Sensibilisierung und Schulung von Betriebs- und Personalräten sowie der Leitungsebene für Formen der strukturellen Diskriminierung von Kolleginnen und Kollegen mit Migrationshintergrund. Mit den Ausbildungen „Fachkraft Kulturelle Vielfalt“ und „Trainer für (kulturelle) Vielfalt in der Arbeitswelt“ vermittelt das DGB-Bildungswerk Kompetenzen und Konzepte, um in Organisationen die Themen Migration und kulturelle Vielfalt noch besser strukturell zu verankern – mit dem Ziel, eine gleichberechtigte Teilhabe aller zu fördern. Fachkräfte, Trainerinnen und Trainer können beispielsweise Ziele und Inhalte für interkulturelle Weiterbildungen benennen, gute Ziele im Rahmen einer interkulturellen Öffnung formulieren und Vorschläge machen, was dafür wie konkret verändert werden muss.
Mit verschiedenen Bildungsangeboten und Aktivitäten setzt sich auch unsere DGB-Jugend als eigenständiger Jugendverband für eine offene und tolerante Gesellschaft ein. Sie ist aktiv gegen Rechts – mit Projekten wie 90 Minuten gegen Rechts, Aktionskarten gegen Nazis, AfD und Pegida: Die neue Rechte.
Die DGB-Gewerkschaften arbeiten zudem mit dem Netzwerk für Demokratie und Courage (NDC) zusammen, das von verschiedenen Jugendorganisationen und -verbänden getragen wird und sich für Demokratieförderung und politische Bildung engagiert. Das Hauptaufgabenfeld des NDC ist die Ausbildung von jungen Menschen als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Das Netzwerk führt Projekttage, Seminare und Fortbildungen an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen sowie für viele andere Zielgruppen durch.
Auf Initiative des DGB hat sich im Februar 2016 die „Allianz für Weltoffenheit, Solidarität, Demokratie und Rechtsstaat“ gegründet (www.allianz-fuer-weltoffenheit.de). Leitmotiv dieses breiten zivilgesellschaftlichen Bündnisses ist der Artikel 1 unseres Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Die zehn Allianzpartner rufen dazu auf, demokratische Grundwerte und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu wahren sowie Hass und Intoleranz entschieden entgegenzutreten. In dem Aufruf heißt es: „Gerade in Krisenzeiten dürfen wir die rechtsstaatlichen, sozialen und humanitären Errungenschaften unserer Gesellschaft nicht aufgeben.“ Zur Integration der geflüchteten Menschen, die für lange Zeit oder dauerhaft in Deutschland bleiben, bedarf es aus Sicht der Allianz ausreichender Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe sowie die Bereitschaft zur Integration.