Mei­nung im Netz

Medi­en­kom­pe­tenz muss geför­dert werden

Die Mei­nungs­frei­heit ist in Arti­kel 5 des Grund­ge­set­zes nicht umsonst von der Pres­se­frei­heit abge­grenzt. In Bezug auf die Medien ist neben der Presse die Rede von Bericht­erstat­tung in Rund­funk und Film – das Inter­net fin­det natur­ge­mäß (noch) keine Berück­sich­ti­gung. Schaut man sich die For­mu­lie­run­gen genau an, fällt auf, dass zwi­schen Mei­nung und Bericht­erstat­tung unter­schie­den wird. Darin kommt die beson­dere Rolle zum Aus­druck, die der Jour­na­lis­mus bei der Her­stel­lung einer demo­kra­ti­schen Öffent­lich­keit spielt. Es geht in ers­ter Linie darum, Infor­ma­tio­nen zu ver­mit­teln. Mei­nung zu „machen“ ist nicht die erste Auf­gabe des Jour­na­lis­mus. Gleich­wohl bedeu­tet das nicht, dass pro­fes­sio­nelle Medien frei von jeg­li­cher Mei­nungs­äu­ße­rung sind. Kon­kret hat sich aus­ge­prägt, dass Bericht und Kom­men­tar getrennt wer­den. Auch wenn es immer wie­der Ten­den­zen der Ver­mi­schung gab und gibt, las­sen sich die meis­ten Medi­en­schaf­fen­den von die­ser berufs­ethi­schen Linie leiten.

Aber nicht alle „Filme“ oder ande­ren Bei­träge, die im Inter­net kur­sie­ren, las­sen sich als Jour­na­lis­mus ein­ord­nen. Die Schwie­rig­keit besteht heute darin, dass die Über­tra­gungs­wege nicht mehr inhalt­lich das Medium und die Ver­läss­lich­keit bestim­men. Eine Tages­zei­tung, ein Radio­sen­der, ein Fern­seh­ka­nal – das sind klar zuzu­ord­nende Gen­res, bei denen wir gelernt haben, wie wir sie ein­zu­ord­nen haben. Ser­viert wurde uns dort stets eine ganze Band­breite an Ange­bo­ten: Neben Infor­ma­tion die Unter­hal­tung, die Satire, die Reklame. Im Inter­net dro­hen diese Gren­zen zu ver­schwim­men. Ein Video wie das des You­Tube-Künst­lers Rezo vor der Euro­pa­wahl über die CDU hätte sich in der ana­lo­gen Zeit in der Rubrik „Bun­tes“ oder „Kom­men­tar“ gefun­den, nicht im eher sach­lich ori­en­tier­ten Nachrichtenteil.

Es geht um diese Ent­schei­dung – und nicht, wie aus der Netz­ge­meinde gern unter­stellt wird, um Zen­sur. Die Äuße­run­gen der CDU-Vor­sit­zen­den Anne­gret Kramp-Kar­ren­bauer nach der Euro­pa­wahl zeug­ten genauso von einem pro­ble­ma­ti­schen Kul­tur­ver­ständ­nis wie die Befürch­tung, jeg­li­che Kri­tik an „You­Tubern“ wolle deren Geschäfts­mo­dell zer­stö­ren. Ähn­li­che Vor­würfe waren bereits bei der Dis­kus­sion um ein euro­päi­sches Leis­tungs­schutz­recht erho­ben worden.

Dabei geht es bei Unter­hal­tung, Satire und Kom­men­tie­rung eben um ein Genre, das sich nicht alleine an nach­richt­li­chen Kri­te­rien ori­en­tiert. Jour­na­lis­ten sind zurück­hal­tend bei der Äuße­rung von Mei­nun­gen, das »Machen« von Mei­nun­gen ist allen­falls ein Mit­tel des Bou­le­vards. Was im Netz geschieht, ist oft­mals Kunst. So etwas hat es schon immer gege­ben: Buch­au­to­ren oder Musi­ker spra­chen sich für oder gegen die Wahl bestimm­ter Par­teien aus und begrün­de­ten das auch inhalt­lich wie zuge­spitzt. Warum soll das ent­spre­chen­den Prot­ago­nis­ten in der digi­ta­len Welt nicht erlaubt sein?

Vor allem zeigt die Debatte über das „Rezo-Video“, wie unbe­hol­fen nicht nur in den Uni­ons­par­teien die digi­tale Welt und das junge Poli­tik-Publi­kum wahr­ge­nom­men wer­den. Die Instru­mente öffent­li­cher Kom­mu­ni­ka­tion haben sich ver­än­dert, und die CDU scheint wacker im ana­lo­gen Zeit­al­ter ste­cken geblie­ben zu sein. Debat­ten­bei­träge wer­den heute eben auch digi­tal im Netz aus­ge­lie­fert, und sie kön­nen nicht (mehr) igno­riert wer­den – auch wenn sie kein Jour­na­lis­mus sind.

Statt nach Ver­bo­ten oder Regu­lie­run­gen zu rufen, sollte kon­se­quent auf Medi­en­kom­pe­tenz gesetzt wer­den. Das Inter­net ist nicht nur bei jun­gen Men­schen längst zur wich­tigs­ten Quelle für Infor­ma­tion, Anre­gung und Unter­hal­tung gewor­den. Was da aller­dings Mei­nung ist und was objek­tive Bericht­erstat­tung, lässt sich zuwei­len schwie­rig unter­schei­den. Bei den „gro­ßen Mar­ken“ des Jour­na­lis­mus – ob alt oder neu – ist diese Ori­en­tie­rung meist gege­ben. Bei eini­gen neuen Pro­duk­ten wie Videos oder Blogs fehlt vie­len diese Ein­ord­nung. In Zei­ten, in denen an man­chen Schu­len nahezu kein Poli­tik­un­ter­richt mehr statt­fin­det, braucht man gar nicht erst zu fra­gen, ob zumin­dest die Medi­en­kom­pe­tenz auf dem Lehr­plan steht. Geis­tes- und Gesell­schafts­wis­sen­schaf­ten wer­den in Bil­dungs­ein­rich­tun­gen oft ver­nach­läs­sigt. Das zu ändern wäre eine adäquate poli­ti­sche For­de­rung, statt die Mei­nungs­frei­heit mit ver­schwur­bel­ten Äuße­run­gen zur Dis­po­si­tion zu stel­len, wie Kramp-Kar­ren­bauer es gemacht hat.

Denn selbst der Ver­gleich, dass meh­rere Chef­re­dak­teure deut­scher Tages­zei­tun­gen vor einer Wahl eine Par­tei kol­lek­tiv kri­ti­sie­ren, ist keine Hor­ror­vor­stel­lung: Man muss nur beharr­lich schlecht genug regie­ren oder ein so gesell­schafts­feind­li­ches Poli­tik­bild ver­mit­teln, dass die öffent­li­che Empö­rung hoch­schlägt. Dann braucht es gar keine Abspra­che zwi­schen den Chef­eta­gen der eta­blier­ten Medien – dann kann jeder Schrei­ber selbst zu dem Schluss kom­men, dass eine Par­tei als unwähl­bar ein­ge­schätzt wird. Mit einer sol­chen Mei­nung muss man sicher vor­sich­tig sein, sie ist in einer Demo­kra­tie die abso­lute Aus­nahme. Dass sie aber mög­lich ist, ist durch Arti­kel 5 des Grund­ge­set­zes genauso gedeckt wie unab­hän­gige Bericht­erstat­tung oder pro­vo­zie­rende Kunst.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 07-08/2019.

Von |2019-07-09T17:57:09+02:00Juli 9th, 2019|Meinungsfreiheit|Kommentare deaktiviert für

Mei­nung im Netz

Medi­en­kom­pe­tenz muss geför­dert werden

Frank Überall ist Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), freier Journalist und lehrt an der HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft.