Hei­mat ver­lie­ren, Hei­mat neu schaffen

40 Jahre Ira­ni­sche Revo­lu­tion: Bei­spiele lite­ra­ri­scher und fil­mi­scher Verarbeitung

„Schah raft“, mel­den die Zei­tun­gen am 16. Januar 1979 auf Per­sisch. Das heißt auf Deutsch: „Der Schah ist gegan­gen“. Der Jubel auf Tehe­rans Stra­ßen ist groß. Die Bevöl­ke­rung fei­ert die Abreise von Moham­med Reza Pahl­avi Rich­tung Ägyp­ten. Nach einer kur­zen Flucht nach Rom 1953 infolge des Macht­kamp­fes mit Pre­mier­mi­nis­ter Moham­med Mos­sa­degh ist es damit bereits das zweite Mal, dass der Schah außer Lan­des flieht. Doch eine erneute Rück­kehr ist mehr als unwahr­schein­lich. Auf der Kon­fe­renz von Gua­de­loupe Anfang Januar 1979 ent­schei­den die Regie­run­gen der USA, Groß­bri­tan­ni­ens, Frank­reichs und der Bun­des­re­pu­blik, ihn fal­len zu las­sen. So kann Aya­tol­lah Ruhol­lah Kho­meini, einer der schärfs­ten Wider­sa­cher des Mon­ar­chen, am 1. Februar 1979 aus dem Exil zurückkehren.

Doch mit Kho­mei­nis Rück­kehr erlischt die Hoff­nung auf Demo­kra­tie, auf ein Leben in Frei­heit und Sicher­heit. Die Revo­lu­tion, die 1978 als eine linke beginnt und zahl­rei­che Pro­teste und Tote for­dert, wird von den Geist­li­chen okku­piert. Kho­meini ruft im April 1979 die Isla­mi­sche Repu­blik aus. Bald herrscht wie­der Zen­sur. Hoch­schu­len schlie­ßen. Kopf­tuch tra­gen für Frauen wird Pflicht. Poli­ti­sche Geg­ner wer­den aus­ge­schal­tet. Auch außen­po­li­tisch spannt sich die Lage mas­siv an. Im April 1980 bricht Washing­ton seine offi­zi­el­len Bezie­hun­gen zu Tehe­ran nach der Bot­schafts­be­set­zung und der Gei­sel­nahme von US-Diplo­ma­ten ab. Sehr viel dra­ma­ti­scher wirkt sich der im Sep­tem­ber 1980 vom Irak ent­fachte Krieg gegen den Iran aus. Acht Jahre spä­ter sind fast eine Mil­lion Tote zu bekla­gen, die Infra­struk­tur bei­der Län­der ist stark beschä­digt und ihre Schul­den­last gegen­über dem Aus­land enorm.

Es sind Mil­lio­nen von Men­schen, die den Iran seit­dem auf lega­lem und ille­ga­lem Weg ver­las­sen haben. Ihr Ziel: sich ein Leben in Frie­den, Frei­heit und Sicher­heit auf­zu­bauen. Viele hof­fen indes, nach dem bal­di­gen Sturz der geist­li­chen Herr­schaft zurück­zu­keh­ren. Doch die Isla­mi­sche Repu­blik kon­so­li­diert sich. Pro­teste wie der von Stu­den­ten 1999 oder der der „Grü­nen Bewe­gung“ 2009 wer­den nie­der­ge­schla­gen. Und allen, die fern der Hei­mat leben, wird bewusst, dass ihr Leben im Aus­land – das Pen­deln zwi­schen min­des­tens zwei Spra­chen und Kul­tu­ren – dau­er­haft sein wird.

Rin­gen um Spra­che und Identität

Im Fol­gen­den bli­cken wir auf vier Bei­spiele lite­ra­ri­scher und fil­mi­scher Aus­ein­an­der­set­zung mit die­sen Ereig­nis­sen. Die Autoren und Regis­seure stam­men aus dem Iran, gehö­ren unter­schied­li­chen Gene­ra­tio­nen an und erzäh­len ihre Geschich­ten auf Deutsch. Ihre Ein­zel- und Fami­li­en­por­träts, die durch Migra­tion und Neu­an­fang in der Fremde gebro­chen sind, bie­ten „Innen­an­sich­ten“, wie sie Autoren und Regis­seu­ren west­li­cher Her­kunft so eher sel­ten gelin­gen. Diese (auto-)biografischen Dar­stel­lun­gen die­nen zudem als Folie, um über grö­ßere poli­ti­sche und wirt­schaft­li­che, soziale und kul­tu­relle Zusam­men­hänge auf­zu­klä­ren, die das Leben der Men­schen im Iran bis heute prägen.

Der Roman „Tufan. Brief an einen isla­mi­schen Bru­der“ (1983) der Autorin Tor­kan, gebo­ren 1941, ist ein frü­hes Bei­spiel für eine scho­nungs­lose Aus­ein­an­der­set­zung mit der eige­nen Lebens- und Fami­li­en­ge­schichte sowie den kul­tu­rel­len und reli­giö­sen Tra­di­tio­nen und Kon­ven­tio­nen. Weil Asar nicht, wie erhofft, einen Brief von ihrem jün­ge­ren Bru­der Tufan erhält, schreibt sie ihm selbst. Die Ich-Erzäh­le­rin schil­dert darin ihr Leben als Toch­ter eines Arz­tes, der in der Pro­vinz lebt und sich für sie ebenso wenig inter­es­siert wie ihre Mut­ter, die ihren Frust auf Asar wälzt und Tufan auf sie hetzt. Doch Asar gelingt der Aus­bruch. Sie geht zum Stu­dium nach Tehe­ran und wan­dert spä­ter in die Bun­des­re­pu­blik aus. Hier fin­det sie zwar den nöti­gen Abstand, um sich ihrer Trau­mata bewusst zu wer­den und sich wie­der- und zurecht­zu­fin­den. Doch die Kälte, die sie im All­tag emp­fin­det, lässt sie hier, wo sie ein Kind und den deut­schen Pass bekommt, nicht hei­misch wer­den. Tor­kan hat mit „Tufan“ einen stark auto­bio­gra­fi­schen Fami­li­en­ro­man und ein prä­zi­ses Psy­cho­gramm der ira­ni­schen Gesell­schaft der 1940er bis 1970er Jahre in einem geschrie­ben. Der Leser lernt das Leben eines Men­schen ken­nen, das von Lieb­lo­sig­keit, Gewalt und feh­len­der Kom­mu­ni­ka­tion, von patri­ar­cha­li­schen Struk­tu­ren, reli­giö­sen Gebo­ten und den Fol­gen der Moder­ni­sie­rung des Iran unter dem Schah geprägt ist. Vor allem Frauen bleibt hier kaum Raum für ein selbst­be­stimm­tes Leben.

Endet der Roman „Tufan“ kurze Zeit nach der Ira­ni­schen Revo­lu­tion, schil­dert Mehr­nousch Zaeri-Esfahani, Jahr­gang 1974, in ihrer Auto­bio­gra­fie „33 Bogen und ein Tee­haus“ von 2016 offen die an dra­ma­ti­schen Erleb­nis­sen rei­che Geschichte ihrer Fami­lie vor und nach der Zäsur des Jah­res 1979. Die Ich-Erzäh­le­rin berich­tet, wie auch ihr Vater, ein säku­la­rer Arzt aus Isfa­han, von der Revo­lu­tion mit­ge­ris­sen wird. Wir erfah­ren von der Ernüch­te­rung der Men­schen – etwa infolge des Schre­ckens, den die Pas­daran, die Revo­lu­ti­ons­gar­den, nach Errich­tung der Isla­mi­schen Repu­blik ver­brei­ten, so wenn sie junge Frauen fest­neh­men, weil ihnen deren Klei­dung als unis­la­misch erscheint. Es fol­gen immer mehr Ver­bote. Dazu kom­men die Aus­wir­kun­gen des Iran-Irak-Krie­ges. Als die Gefahr akut wird, dass auch ein Bru­der der Ich-Erzäh­le­rin als (Kinder-)Soldat an die Front muss, flüch­tet die Fami­lie 1985 ins Aus­land. Sie wird zehn Monate unter­wegs sein und über die Tür­kei, die DDR und West­ber­lin nach Hei­del­berg gelan­gen. Wir lesen von Zustän­den, die noch immer aktu­ell sind: von der ernied­ri­gen­den Behand­lung durch Mit­ar­bei­ter in deut­schen Hei­men; von den Kon­flik­ten in den Hei­men zwi­schen den Ange­hö­ri­gen ver­schie­de­ner Eth­nien; von der Angst der Fami­lie der Ich-Erzäh­le­rin, in der neuen, frem­den Umge­bung die eigene Iden­ti­tät zu ver­lie­ren, und der Stra­te­gie der Eltern, sich zu assi­mi­lie­ren, indem sie und ihre Kin­der sich unsicht­bar machen.

Lerne lachen, ohne zu weinen

Eine andere Stra­te­gie, diese exis­ten­zi­el­len Erfah­run­gen zu ver­ar­bei­ten, ver­fol­gen zwei Spiel­filme: „I love Vienna“ (1991) von Hou­chang Alla­hyari, Jahr­gang 1941, und „Salami Alei­kum“ (2009) von Ali Samadi Ahadi, gebo­ren 1972. Beide Filme neh­men das Aufei­nanderprallen von Men­schen aus ver­schie­de­nen Kul­tu­ren und ihrer Wer­te­maß­stäbe mit Humor – trotz oder gerade wegen der dar­aus resul­tie­ren­den Span­nun­gen und Miss­ver­ständ­nisse. „I love Vienna“ han­delt von dem ira­ni­schen Deutsch­leh­rer Ali Moham­med, der mit sei­ner Schwes­ter Maryam und sei­nem Sohn Kur­osh nach Wien kommt, damit der jugend­li­che Sohn nicht zum Mili­tär muss. Zugleich erfüllt sich für den Vater ein alter Traum, denn nun lernt er Wien, das er in den „Sissi“-Filmen gese­hen hat, end­lich ken­nen. Doch die Stadt ent­spricht nicht sei­nen Vor­stel­lun­gen. Und auch das beengte Leben in einem klei­nen Hotel mit ande­ren Neu­an­kömm­lin­gen und der fremde Lebens­stil über­for­dern den reli­giö­sen Ira­ner. Ein Licht­blick ist Mari­anne, die Wir­tin des Hotels, mit der Ali eine „Zeit­ehe“ ein­geht. Als er erfährt, dass sie die Ehe­frau des Hote­liers ist, trennt er sich von ihr. Und da gibt es noch Djams­hid, Alis Nef­fen, der in Wien auf­ge­wach­sen ist und sei­nem Onkel hilft, eine Auf­ent­halts­ge­neh­mi­gung für Öster­reich zu erlan­gen. Weil die Chan­cen nicht gut sind, ver­sucht Ali ein Visum für die USA zu erhal­ten. „I love Vienna“ pen­delt gekonnt zwi­schen komi­schen Bege­ben­hei­ten und der Dar­stel­lung des tris­ten All­tags von Men­schen, deren Neu­an­fang stark von Ent­schei­dun­gen ande­rer abhängt.
„Salami Alei­kum“ stellt Par­al­le­len zwi­schen den Erfah­run­gen von Migran­ten und denen frü­he­rer DDR-Bür­ger her. Moh­sen Taheri lebt, obschon Ende Zwan­zig, noch bei sei­nen Eltern in Köln, wo der Vater eine Flei­sche­rei besitzt. Als diese wegen eines behörd­li­chen Ver­bots geschlos­sen wer­den soll, über­nimmt Moh­sen das Geschäft, obwohl er kein Blut sehen kann und der Vater auch nicht viel von sei­nem sen­si­blen Sohn hält. Da kommt das Ange­bot, fer­tig geschlach­tete Schafe aus Polen zu kau­fen. Moh­sen fährt los, hat im ost­deut­schen „Ober­nie­der­walde“ eine Auto­panne und lernt Ana, eine Auto­me­cha­ni­ke­rin und frü­here DDR-Kugel­sto­ße­rin, ken­nen und lie­ben. Die Ein­woh­ner, vor allem Anas Vater, der Dorf­wirt, leh­nen ihn ab. Das ändert sich erst, als durch ein Miss­ver­ständ­nis der Ein­druck ent­steht, Moh­sen wäre reich und könnte den nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung 1990 still­ge­leg­ten VEB „Tex­tile Freu­den“ wie­der ins Leben rufen. Als seine Eltern aus Köln anrei­sen, wer­den sie vom Dorf als poten­zi­elle Inves­to­ren emp­fan­gen. Erst spät klärt Moh­sen, der Ana hei­ra­ten will, den Dorf­wirt über die wah­ren (Besitz-)Verhältnisse sei­ner Eltern auf, die durch die Ein­wan­de­rung in die Bun­des­re­pu­blik – genauso wie die Eltern von Ana durch die Wende – gezwun­gen wur­den, sich quasi neu zu erfinden.

„Salami Alei­kum“ arbei­tet stark mit Über­trei­bun­gen. Moh­sens Vater wirkt fast wie eine Kari­ka­tur. Es gibt Tanz- und Gesangs­ein­la­gen auf Per­sisch. Ori­en­ta­li­sche Mär­chen­ele­mente tau­chen auf. Dies alles unter­streicht aber letzt­lich die Hoff­nung des Films auf ein fried­li­ches Zusam­men­le­ben der Men­schen. So heißt es am Ende aus dem Off: „Eine ver­lo­ren gegan­gene Hei­mat kannst du nur dann wie­der­ge­win­nen, wenn du sie dir neu erschaffst. Eine Hei­mat, in der du dich als Teil des Gan­zen fühlst, in der du sein kannst, wie du bist, und in der du dich mit all dei­nen Schwä­chen und Stär­ken ein­brin­gen darfst. Wenn du das geschafft hast, ja, dann bist du wirk­lich zu Hause angekommen.“

Kon­tras­tie­rend zu den zwei lite­ra­ri­schen und zwei fil­mi­schen Arbei­ten soll zum Schluss noch eine Autorin genannt sein, deren Werk zuletzt in der Bun­des­re­pu­blik mit Recht einige Auf­merk­sam­keit und mit dem LiBe­ra­tur­preis 2017 auch eine Wür­di­gung erfah­ren hat: Fariba Vafi, gebo­ren 1963, ist nicht aus­ge­wan­dert, son­dern lebt mit ihrer Fami­lie in Tehe­ran. In ihren ins Deut­sche über­setz­ten Roma­nen „Kel­ler­vo­gel“ (2012) und „Tar­lan“ (2015) schil­dert sie mikro­sko­pisch und nüch­tern das bedrü­ckende Leben meist jun­ger, star­ker Frauen vor dem Hin­ter­grund der Isla­mi­schen Revo­lu­tion, in klein­bür­ger­li­chen Ver­hält­nis­sen und in „Tar­lan“ auch das Leben als Nicht-Perserin.

Vafi gehört der Eth­nie der aser­bai­dscha­ni­schen Tür­ken an, die mit den ande­ren turk­spra­chi­gen Men­schen im Land 40 Pro­zent der ira­ni­schen Bevöl­ke­rung stel­len. Es ist Vafis Ver­dienst, in „Kel­ler­vo­gel“ die all­täg­li­chen Anfor­de­run­gen und Schwie­rig­kei­ten auf­zu­zei­gen, die die Aus­reise einer Mut­ter und ihrer Kin­der ver­hin­dern. In „Tar­lan“ gelingt es ihr, den Blick zusätz­lich auf die Pro­bleme zu len­ken, die im Viel­völ­ker­staat Iran für die nicht-per­si­schen Eth­nien bestehen. Ihre Spra­chen und Kul­tu­ren zu pfle­gen garan­tiert ihnen zwar die Ver­fas­sung der Isla­mi­schen Repu­blik. Die Wirk­lich­keit sieht jedoch anders aus.

Betrach­tet man die hier vor­ge­stell­ten Romane, Auto­bio­gra­fien und Filme, geht es ihnen pri­mär um ein Rekon­stru­ie­ren und Ver­ge­gen­wär­ti­gen des­sen, was Indi­vi­duen – stell­ver­tre­tend für eine grö­ßere Gruppe von Ira­ne­rin­nen und Ira­nern – vor, wäh­rend und nach der Revo­lu­tion bezie­hungs­weise ihrer Aus­wan­de­rung wider­fah­ren ist. Wir ler­nen Men­schen ken­nen, die Opfer von Dik­ta­tur, Umwäl­zung und Krieg gewor­den sind. Zugleich sind es Men­schen, die die Kraft auf­brin­gen, Hei­mat, Fami­lie und Freunde zu ver­las­sen, in der Fremde ein zwei­tes Leben zu begin­nen und im bes­ten Fall ein neues Zuhause zu fin­den. Inso­fern stel­len diese Werke in ihrer Art (Selbst-)Therapien und Erfolgs­ge­schich­ten in einem vor, zei­gen sie Bewäl­ti­gungs­stra­te­gien mit Ernst und Witz auf.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 03/2019.

Von |2019-06-14T14:50:39+02:00Februar 25th, 2019|Heimat|Kommentare deaktiviert für

Hei­mat ver­lie­ren, Hei­mat neu schaffen

40 Jahre Ira­ni­sche Revo­lu­tion: Bei­spiele lite­ra­ri­scher und fil­mi­scher Verarbeitung

Behrang Samsami, geboren in Iranisch-Aserbaidschan, ist freier Journalist.