Mit der Hei­mat wird man nicht fertig

Das Hei­mat­ver­ständ­nis deut­scher Min­der­hei­ten im öst­li­chen Europa

Wie viel Hei­mat braucht der Mensch? So lau­tete der Titel eines stu­den­ti­schen Essay­wett­be­werbs, der 2013 von der Deut­schen Gesell­schaft e. V. aus­ge­schrie­ben wor­den war. 150 Stu­die­rende aus Deutsch­land, Russ­land, der Ukraine, Kasach­stan und Usbe­ki­stan setz­ten sich darin mit dem Hei­mat­ver­ständ­nis und der Iden­ti­tät der Russ­land­deut­schen aus­ein­an­der; die 30 bes­ten Essays wur­den 2014 ver­öf­fent­licht. Ent­stan­den ist eine denk­bar breite Palette an Annä­he­rungs­ver­su­chen, in denen nicht nur nach dem „wie viel“, son­dern auch nach dem „wo“ und „wieso“ gefragt wurde. „Ich trage mit mir und in mir die Spra­che mei­ner Vor­fah­ren. Ich habe nichts ande­res vor­zu­wei­sen. Doku­mente kann man fäl­schen. Namen kann man sich erhei­ra­ten. Meine Spra­che, die ers­ten Worte, die ich in mei­nem Leben gehört und gespro­chen habe, in ihnen finde ich meine Hei­mat“, betont die den platt­deut­schen Dia­lekt der Men­no­ni­ten spre­chende Elina Pen­ner in ihrem Essay. Als die ers­ten Deut­schen vor 250 Jah­ren von Zarin Katha­rina der Gro­ßen als Kolo­nis­ten gewor­ben wur­den, zähl­ten die Frei­heit der Per­son, des Glau­bens und der Sprach­wahl zu den wich­tigs­ten Rech­ten der Sied­ler. 175 Jahre spä­ter – nach dem Über­fall Deutsch­lands auf die Sowjet­union – wurde zunächst etwa eine Mil­lion Russ­land­deut­sche, wie sie inzwi­schen hie­ßen, nach Sibi­rien und Zen­tral­asien depor­tiert. Eine Rück­kehr in ihre alten Hei­mat­orte und der Gebrauch ihrer Mut­ter­spra­che wurde ihnen zwei Gene­ra­tio­nen lang ver­wehrt. Unter die­sen pre­kä­ren Umstän­den fiel die Idea­li­sie­rung des Her­kunfts­lan­des Deutsch­land noch inten­si­ver als bei ande­ren deut­schen Min­der­hei­ten im „Ost­block“ aus.

Seit den 1980er Jah­ren ver­lie­ßen über zwei Mil­lio­nen deut­sche Aus­sied­ler das Gebiet der ehe­ma­li­gen Sowjet­union. „Jahr­zehnte sind ver­gan­gen. Nur noch wenige Russ­land­deut­sche wagen den Schritt nach Deutsch­land“, stellt Mar­gret Dick in ihrem Essay fest. „Mitt­ler­weile hat sich her­um­ge­spro­chen, dass in der alten Hei­mat nicht die Erfül­lung aller Träume und die Glück­se­lig­keit war­ten. (…) Hier wird einem nichts geschenkt, auch nicht die Hei­mat.“ Viele in Russ­land ver­blie­bene Deut­sche sind nicht nach Deutsch­land aus­ge­wan­dert, weil sie Russ­land als ihre Hei­mat betrach­ten. Dabei beto­nen sie aber, dass sie „Russ­land­deut­sche“, keine „Rus­sen“ seien. „Ich würde jedem Ein­zel­nen (in Deutsch­land) die ganze Geschichte der Russ­land­deut­schen erzäh­len (…) um zu erklä­ren, wes­halb jede Reise nach Deutsch­land für mich eine Rück­kehr zum Ursprung bedeu­tet und jede Fahrt nach Russ­land eine Rück­kehr in die Hei­mat ist“, unter­streicht in ihrem Essay Anna Ger­man aus dem rus­si­schen Tschel­ja­b­insk. Rund 400.000 bis 500.000 beken­nen sich als Ange­hö­rige der deut­schen Min­der­hei­ten in der Rus­si­schen Föde­ra­tion, 182.000 in Kasach­stan und 33.000 in der Ukraine. Rund 25.000 Deut­sche ver­tei­len sich auf Bela­rus, die Repu­blik Mol­dau, Geor­gien, Arme­nien, Aser­bai­dschan, Kir­gi­si­stan, Tadschi­ki­stan, Turk­me­ni­stan und Usbekistan.

Eine knappe halbe Mil­lion Deut­sche lebt in Ost­mit­tel- und Süd­ost­eu­ropa, in Län­dern, die fast alle der Euro­päi­schen Union ange­hö­ren. Die größ­ten deut­schen Min­der­hei­ten sind in Polen mit 148.000 bis 300.000, in Ungarn mit 132.000 bis 164.000 und in Rumä­nien mit 36.900 Per­so­nen zu Hause. Etwa 40.000 Deut­sche ver­tei­len sich auf Est­land, Lett­land, Litauen, Tsche­chien, die Slo­wa­kei, Slo­we­nien, Kroa­tien, Bos­nien und Her­ze­go­wina sowie Ser­bien. Die über 800-jäh­rige Geschichte der Deut­schen im öst­li­chen Europa endete zu einem gro­ßen Teil mit Hit­lers Angriffs- und Ver­nich­tungs­krieg. Von den mehr als 18 Mil­lio­nen Deut­schen, die vor 1939 öst­lich von Oder und Neiße gelebt hat­ten, star­ben nach 1944 rund zwei Mil­lio­nen infolge von Flucht, Ver­trei­bung und Depor­ta­tion. Etwa 12 Mil­lio­nen erreich­ten bis 1950 das Gebiet der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und der DDR sowie etwa 400.000 Öster­reich. Um das Jahr 1950 leb­ten vor allem im pol­ni­schen Ober­schle­sien, der slo­wa­ki­schen Zips, Ungarn, Rumä­nien und in den asia­ti­schen Tei­len der Sowjet­union noch über vier Mil­lio­nen Deut­sche, die auf­grund ihrer Dis­kri­mi­nie­rung als Ange­hö­rige einer deut­schen Min­der­heit fast alle bis zur Jahr­tau­send­wende als (Spät-)Aussiedler nach Deutsch­land aus­ge­reist sind. Fragt man die vor Ort ver­blie­be­nen Deut­schen nach den größ­ten Her­aus­for­de­run­gen, denen sich ihre Gruppe stel­len müsse, wer­den Sprach­ver­lust und Ver­ein­sa­mung genannt. Ers­te­res ist eine Folge des stren­gen Ver­bots in den meis­ten Staa­ten des öst­li­chen Euro­pas, sich der deut­schen Mut­ter­spra­che zu bedie­nen, letz­te­res ein Resul­tat der Mas­sen­aus­wan­de­rung und des hohen Alters­durch­schnitts der deut­schen Min­der­hei­ten. Auch Gene­ra­tio­nen­kon­flikte, die sich aus unter­schied­li­chen Ein­stel­lun­gen gegen­über einer mög­li­chen Aus­reise nach Deutsch­land, der Pflege des Brauch­tums oder der Mehr­heits­ge­sell­schaft erge­ben, belas­ten oft die deut­schen Min­der­hei­ten. Den­noch konn­ten sich ins­be­son­dere die deut­schen Grup­pen in Polen, Ungarn und Rumä­nien kon­so­li­die­ren, deren Gemein­schafts­le­ben inzwi­schen weit­ge­hend von einer jün­ge­ren Gene­ra­tion getra­gen wird.

Wie viel Hei­mat braucht der Mensch? So lau­tete der Titel eines stu­den­ti­schen Essay­wett­be­werbs, der 2013 von der Deut­schen Gesell­schaft e. V. aus­ge­schrie­ben wor­den war. 150 Stu­die­rende aus Deutsch­land, Russ­land, der Ukraine, Kasach­stan und Usbe­ki­stan setz­ten sich darin mit dem Hei­mat­ver­ständ­nis und der Iden­ti­tät der Russ­land­deut­schen aus­ein­an­der; die 30 bes­ten Essays wur­den 2014 ver­öf­fent­licht. Ent­stan­den ist eine denk­bar breite Palette an Annä­he­rungs­ver­su­chen, in denen nicht nur nach dem „wie viel“, son­dern auch nach dem „wo“ und „wieso“ gefragt wurde. „Ich trage mit mir und in mir die Spra­che mei­ner Vor­fah­ren. Ich habe nichts ande­res vor­zu­wei­sen. Doku­mente kann man fäl­schen. Namen kann man sich erhei­ra­ten. Meine Spra­che, die ers­ten Worte, die ich in mei­nem Leben gehört und gespro­chen habe, in ihnen finde ich meine Hei­mat“, betont die den platt­deut­schen Dia­lekt der Men­no­ni­ten spre­chende Elina Pen­ner in ihrem Essay. Als die ers­ten Deut­schen vor 250 Jah­ren von Zarin Katha­rina der Gro­ßen als Kolo­nis­ten gewor­ben wur­den, zähl­ten die Frei­heit der Per­son, des Glau­bens und der Sprach­wahl zu den wich­tigs­ten Rech­ten der Sied­ler. 175 Jahre spä­ter – nach dem Über­fall Deutsch­lands auf die Sowjet­union – wurde zunächst etwa eine Mil­lion Russ­land­deut­sche, wie sie inzwi­schen hie­ßen, nach Sibi­rien und Zen­tral­asien depor­tiert. Eine Rück­kehr in ihre alten Hei­mat­orte und der Gebrauch ihrer Mut­ter­spra­che wurde ihnen zwei Gene­ra­tio­nen lang ver­wehrt. Unter die­sen pre­kä­ren Umstän­den fiel die Idea­li­sie­rung des Her­kunfts­lan­des Deutsch­land noch inten­si­ver als bei ande­ren deut­schen Min­der­hei­ten im „Ost­block“ aus.

Seit den 1980er Jah­ren ver­lie­ßen über zwei Mil­lio­nen deut­sche Aus­sied­ler das Gebiet der ehe­ma­li­gen Sowjet­union. „Jahr­zehnte sind ver­gan­gen. Nur noch wenige Russ­land­deut­sche wagen den Schritt nach Deutsch­land“, stellt Mar­gret Dick in ihrem Essay fest. „Mitt­ler­weile hat sich her­um­ge­spro­chen, dass in der alten Hei­mat nicht die Erfül­lung aller Träume und die Glück­se­lig­keit war­ten. (…) Hier wird einem nichts geschenkt, auch nicht die Hei­mat.“ Viele in Russ­land ver­blie­bene Deut­sche sind nicht nach Deutsch­land aus­ge­wan­dert, weil sie Russ­land als ihre Hei­mat betrach­ten. Dabei beto­nen sie aber, dass sie „Russ­land­deut­sche“, keine „Rus­sen“ seien. „Ich würde jedem Ein­zel­nen (in Deutsch­land) die ganze Geschichte der Russ­land­deut­schen erzäh­len (…) um zu erklä­ren, wes­halb jede Reise nach Deutsch­land für mich eine Rück­kehr zum Ursprung bedeu­tet und jede Fahrt nach Russ­land eine Rück­kehr in die Hei­mat ist“, unter­streicht in ihrem Essay Anna Ger­man aus dem rus­si­schen Tschel­ja­b­insk. Rund 400.000 bis 500.000 beken­nen sich als Ange­hö­rige der deut­schen Min­der­hei­ten in der Rus­si­schen Föde­ra­tion, 182.000 in Kasach­stan und 33.000 in der Ukraine. Rund 25.000 Deut­sche ver­tei­len sich auf Bela­rus, die Repu­blik Mol­dau, Geor­gien, Arme­nien, Aser­bai­dschan, Kir­gi­si­stan, Tadschi­ki­stan, Turk­me­ni­stan und Usbekistan.

Eine knappe halbe Mil­lion Deut­sche lebt in Ost­mit­tel- und Süd­ost­eu­ropa, in Län­dern, die fast alle der Euro­päi­schen Union ange­hö­ren. Die größ­ten deut­schen Min­der­hei­ten sind in Polen mit 148.000 bis 300.000, in Ungarn mit 132.000 bis 164.000 und in Rumä­nien mit 36.900 Per­so­nen zu Hause. Etwa 40.000 Deut­sche ver­tei­len sich auf Est­land, Lett­land, Litauen, Tsche­chien, die Slo­wa­kei, Slo­we­nien, Kroa­tien, Bos­nien und Her­ze­go­wina sowie Ser­bien. Die über 800-jäh­rige Geschichte der Deut­schen im öst­li­chen Europa endete zu einem gro­ßen Teil mit Hit­lers Angriffs- und Ver­nich­tungs­krieg. Von den mehr als 18 Mil­lio­nen Deut­schen, die vor 1939 öst­lich von Oder und Neiße gelebt hat­ten, star­ben nach 1944 rund zwei Mil­lio­nen infolge von Flucht, Ver­trei­bung und Depor­ta­tion. Etwa 12 Mil­lio­nen erreich­ten bis 1950 das Gebiet der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und der DDR sowie etwa 400.000 Öster­reich. Um das Jahr 1950 leb­ten vor allem im pol­ni­schen Ober­schle­sien, der slo­wa­ki­schen Zips, Ungarn, Rumä­nien und in den asia­ti­schen Tei­len der Sowjet­union noch über vier Mil­lio­nen Deut­sche, die auf­grund ihrer Dis­kri­mi­nie­rung als Ange­hö­rige einer deut­schen Min­der­heit fast alle bis zur Jahr­tau­send­wende als (Spät-)Aussiedler nach Deutsch­land aus­ge­reist sind. Fragt man die vor Ort ver­blie­be­nen Deut­schen nach den größ­ten Her­aus­for­de­run­gen, denen sich ihre Gruppe stel­len müsse, wer­den Sprach­ver­lust und Ver­ein­sa­mung genannt. Ers­te­res ist eine Folge des stren­gen Ver­bots in den meis­ten Staa­ten des öst­li­chen Euro­pas, sich der deut­schen Mut­ter­spra­che zu bedie­nen, letz­te­res ein Resul­tat der Mas­sen­aus­wan­de­rung und des hohen Alters­durch­schnitts der deut­schen Min­der­hei­ten. Auch Gene­ra­tio­nen­kon­flikte, die sich aus unter­schied­li­chen Ein­stel­lun­gen gegen­über einer mög­li­chen Aus­reise nach Deutsch­land, der Pflege des Brauch­tums oder der Mehr­heits­ge­sell­schaft erge­ben, belas­ten oft die deut­schen Min­der­hei­ten. Den­noch konn­ten sich ins­be­son­dere die deut­schen Grup­pen in Polen, Ungarn und Rumä­nien kon­so­li­die­ren, deren Gemein­schafts­le­ben inzwi­schen weit­ge­hend von einer jün­ge­ren Gene­ra­tion getra­gen wird.

Alfons Nos­sol gehört der alten Gene­ra­tion an, er ist ein ober­schle­si­sches Ori­gi­nal. Als Bischof von Opole/Oppeln hat er sich einen Namen als Brü­cken­bauer zwi­schen Deut­schen und Polen in Schle­sien, aber auch zwi­schen Deutsch­land und Polen gemacht. Nach der poli­ti­schen Wende von 1989 rief der Katho­lik „seine“ Deut­schen in Ober­schle­sien zum Blei­ben auf. Und die nach 1945 in seine Diö­zese gezo­ge­nen Polen bat er, ihm zu hel­fen, die „ver­blie­bene ein­hei­mi­sche Bevöl­ke­rung“ an „unsere herr­li­che schle­si­sche Erde“ zu bin­den, schließ­lich sei sie für beide Grup­pen eine „wirk­li­che Hei­mat“, denn „Schle­sien wäre nicht mehr Schle­sien“, wenn eine der bei­den Grup­pen das Land ver­ließe, wird Nos­sol von der Zei­tung „Die Zeit“ am 4. Mai 1990 zitiert. Da über 90 Pro­zent der Polen­deut­schen in Ober­schle­sien leben, ist das Hei­mat­ver­ständ­nis der deut­schen Min­der­heit in Polen nicht von die­ser Region zu tren­nen, deren zwei­spra­chige Wochen­zei­tung übri­gens „Hei­mat“ heißt. Nos­sol betont in dem von Chris­toph Berg­ner und Mat­thias Weber 2009 her­aus­ge­ge­be­nen Band „Aus­sied­ler- und Min­der­hei­ten­po­li­tik in Deutsch­land“, dass die his­to­risch gewach­se­nen Kul­tur­räume, die auch „über­schau­bare Erfah­rungs­räume der Gebor­gen­heit“ seien, die „eigent­li­che Hei­mat“ der deut­schen Min­der­heit dar­stell­ten. Er hebt die Bedeu­tung der „affektiv-emotionale(n) Iden­ti­fi­zie­rung mit dem aus der Kind­heit Ver­trau­ten“ für das Hei­mat­ver­ständ­nis der Deut­schen in Ober­schle­sien her­vor und zählt dazu nicht nur die Land­schaft mit ihren Erin­ne­rungs­or­ten, regio­nale Tra­di­tio­nen oder den loka­len Dia­lekt, son­dern auch die prä­gende Rolle der katho­li­schen Kir­che. Die­ser Regio­na­lis­mus zeigt sich darin, dass viele Nach­kom­men der deut­schen Ober­schle­sier bei Volks­zäh­lun­gen nicht die Kate­go­rie „Deut­sche“, son­dern „Schle­sier“ wäh­len, auch um sich dem natio­na­len Bekennt­nis­zwang zu ent­zie­hen. Daher, aber auch weil bei der letz­ten Volks­zäh­lung nur etwa 40 Pro­zent der Polen­deut­schen anga­ben, Deutsch als Mut­ter­spra­che zu spre­chen, kann die tat­säch­li­che Größe der deut­schen Min­der­heit in Polen nur geschätzt werden.

Auch bei den Ungarn­deut­schen führt die Dis­kre­panz zwi­schen dem Bekennt­nis zur deut­schen Mut­ter­spra­che und der Zuord­nung zur „deut­schen Natio­na­li­tät“ zu einer gewis­sen Unschärfe bei der Erfas­sung der Größe der deut­schen Min­der­heit. Diese kon­zen­triert sich nicht in einer bestimm­ten Region, son­dern lebt sowohl im Wes­ten als auch im Süden Ungarns. Als nach dem Zwei­ten Welt­krieg etwa die Hälfte der Ungarn­deut­schen nach Deutsch­land ver­trie­ben wurde, schlu­gen sich fünf bis sechs Pro­zent von ihnen, vor allem aus der Sowje­ti­schen Besat­zungs­zone, ille­gal wie­der nach Ungarn durch. Für die donau­schwä­bi­schen Bau­ern bedeu­tete die Ver­trei­bung „einen voll­stän­di­gen exis­ten­zi­el­len Zusam­men­bruch“. Die Ent­wur­ze­lung und der Ver­lust der sozia­len Ein­bet­tung schmerz­ten stär­ker als die Stra­pa­zen und Ent­beh­run­gen wäh­rend der Zwangs­aus­sied­lung. „Es gab schreck­li­ches Heim­weh, ein Heim­weh, wie man es sich nicht vor­stel­len kann“, berich­tet eine Zeit­zeu­gin in dem von Ágnes Tóth ver­fass­ten Buch „Rück­kehr nach Ungarn 1946-1950“, und eine andere ergänzt: „Wir sehn­ten uns nach der Hei­mat, wo unsere Wiege stand, wir woll­ten nicht in ein ande­res Land. (…) Wir haben uns nur heim­ge­sehnt, nur heim­ge­sehnt. (…) Und sie sag­ten immer, dass man es nicht aus­spre­chen könne, was das Zuhause, was die Hei­mat bedeute. Das fühle nur das Herz“. Dass sie trotz des stren­gen Rück­kehr­ver­bots und oft nach mehr­ma­li­ger Aus­wei­sung immer wie­der auf aben­teu­er­li­che Weise ver­such­ten, nach Ungarn zurück­zu­keh­ren, zeigt die beson­dere Anhäng­lich­keit der donau­schwä­bi­schen Bau­ern zu ihrem Hei­mat­ort. Ihr Drang, in die Hei­mat zurück­zu­keh­ren, steht aber auch für ihre Loya­li­tät gegen­über dem unga­ri­schen Staat, die trotz der Magya­ri­sie­rungs­po­li­tik der unga­ri­schen Regie­run­gen seit dem 19. Jahr­hun­dert außer­ge­wöhn­lich stark aus­ge­prägt ist. Bei­des drückt sich in der gerin­gen Zahl ungarn­deut­scher Aus­sied­ler aus, die ihr Land nach 1950 und auch nach 1989 in Rich­tung Deutsch­land ver­las­sen haben.

Blei­ben oder gehen? Diese Frage trieb auch die Rumä­ni­en­deut­schen jahr­zehn­te­lang um, in den Gesprä­chen nach dem Sonn­tags­got­tes­dienst und anschlie­ßend zu Hause beim Mit­tags­tisch. Die Repres­sio­nen und der Natio­na­lis­mus der Ceaușescu-Dik­ta­tur hat­ten dazu geführt, dass sich viele Sie­ben­bür­ger Sach­sen und Bana­ter Schwa­ben zuneh­mend fremd in der eige­nen Hei­mat fühl­ten. Sie gin­gen, als sie gehen konn­ten, allein 111.000 im Jahr 1990, also etwa jeder zweite. Einige blie­ben trotz­dem, gerade weil es „ihre“ Hei­mat ist – anders als jeder andere Ort auf die­ser Welt. Einen Ver­such, die kaum zu über­bli­ckende wis­sen­schaft­li­che und künst­le­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Hei­mat­ver­ständ­nis der aus­ge­reis­ten und vor Ort ver­blie­be­nen Rumä­ni­en­deut­schen zu erfas­sen, unter­nahm die ein­gangs erwähnte Deut­sche Gesell­schaft im Jahr 2012. Auf einer Kon­fe­renz in der sie­ben­bür­gi­schen Uni­ver­si­täts­stadt Cluj-Napo­ca/Klau­sen­burg führte sie For­scher, Jour­na­lis­ten, Schrift­stel­ler, Musi­ker und Maler zusam­men, deren Ergeb­nisse 2014 von Inge­borg Szöl­lösi ver­öf­fent­licht wur­den. Auf die Frage, was Hei­mat sei und wo sie gesucht wer­den könne, ant­wor­tete die Jour­na­lis­tin Bea­trice Ungar poin­tiert: „Heute muss ich mich recht­fer­ti­gen, weil ich in mei­ner Hei­mat­stadt wohne und nicht wie viele andere nach Deutsch­land aus­ge­wan­dert bin. Es heißt, ich gehöre zu den ‚Rest­be­stän­den‘ der deut­schen Min­der­heit in Rumä­nien. In die­sem Zusam­men­hang fal­len mir die Bezeich­nun­gen wie ‚Her­un­ter­ge­kom­mene‘ für Rück­keh­rer und ‚Zurück­ge­blie­bene‘ für die in ihrer Hei­mat Ver­blie­be­nen ein. Auch bekommt man immer wie­der zu hören: ‚Dort sind noch…, dort har­ren noch einige wenige aus…‘ Ich jedoch sage: Wir leben hier, wir har­ren nicht aus! (…) Auch das ist eine Defi­ni­tion von Hei­mat: Sie gehört uns! Und kei­ner weiß bes­ser dar­über Bescheid als wir selbst“. Am Ende der Kon­fe­renz kon­sta­tierte der Ger­ma­nist Georg Aescht, dass jeder eine Hei­mat habe und mit ihr etwas anfan­gen kön­nen müsse, sei es nur, dass er sie ver­ächt­lich igno­riere. Die Bit­ter­keit, mit der über die unter­schied­li­chen Auf­fas­sun­gen von Hei­mat zuwei­len gestrit­ten werde, müsse nicht sein, denn es sei „genug Hei­mat für alle da, für alle zusam­men und für jeden Ein­zel­nen“. „Hei­mat ist ein Erleb­nis auch für jenen, der glaubt, ein biss­chen Brecht im Kopf und kein Brett davor reich­ten aus, mit dem, was da auf einen zukommt, fer­tig zu wer­den. Man wird nicht fer­tig damit, denn das hieße, dass man auch mit all den Men­schen ‚fer­tig‘ wäre. Und das ist man nicht, hof­fent­lich noch lange nicht, nie.“

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 01-02/2019.

Von |2019-06-13T17:53:25+02:00Januar 25th, 2019|Heimat|Kommentare deaktiviert für

Mit der Hei­mat wird man nicht fertig

Das Hei­mat­ver­ständ­nis deut­scher Min­der­hei­ten im öst­li­chen Europa

Gerald Volkmer ist stellvertretender Direktor des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa an der Universität Oldenburg.