Hei­mat­mi­nis­te­rium – Wie soll das gehen?

Das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­rium erwei­tert seine Kom­pe­ten­zen und sein Selbstverständnis

Im Koali­ti­ons­ver­trag zwi­schen CDU, CSU und SPD ist ver­ein­bart, dass das Bun­des­mi­nis­te­rium für Inne­res (BMI) um die Berei­che „Bau und Hei­mat“ erwei­tert wird. Damit wird die­ses Minis­te­rium für den Kul­tur­be­reich gleich drei­fach interessant.

Zum einen war und ist das klas­si­sche Innen­mi­nis­te­rium mit sei­ner Ver­ant­wor­tung für Fra­gen der Inte­gra­tion und der Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten schon immer im Fokus des Kul­tur­be­rei­ches. Bis vor 20 Jah­ren war auch die Ver­ant­wor­tung für Kul­tur­po­li­tik in der Bun­des­re­gie­rung in der Abtei­lung Kul­tur des Innen­mi­nis­te­ri­ums ver­or­tet. Durch die Initi­ie­rung der Initia­tive kul­tu­relle Inte­gra­tion durch den Deut­schen Kul­tur­rat und die Koope­ra­tion unter ande­rem mit dem Innen­mi­nis­te­rium wurde die Zusam­men­ar­beit in den letz­ten zwei Jah­ren im Bereich Inte­gra­tion deut­lich inten­si­viert. Beide neue The­men­fel­der des BMI – Bau und Hei­mat – sind im Kern Kul­tur­the­men und eng mit­ein­an­der verbunden.

Hei­mat­be­griff des neuen Bun­des­mi­nis­te­ri­ums des Innern, für Bau und Heimat
Nach eige­nen Anga­ben legt das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­rium sei­ner zukünf­ti­gen Arbeit ein moder­nes Ver­ständ­nis des Hei­mat­be­grif­fes zugrunde. In einer Ant­wort auf eine kleine Anfrage von Bünd­nis 90/Die Grü­nen gab die Bun­des­re­gie­rung Ende Juli 2018 Aus­kunft (Bun­des­tags­druck­sa­che 19/3559):

„Hei­mat ist dort, wo sich Men­schen wohl, akzep­tiert und gebor­gen füh­len. Hei­mat hat nichts mit Enge zu tun, son­dern gibt Ori­en­tie­rung und ver­mit­telt einen fes­ten Halt, die Her­aus­for­de­run­gen des Lebens zu bestehen und nach vorne zu bli­cken. Hei­mat­po­li­tik ist als gemein­same Gestal­tungs­auf­gabe zu ver­ste­hen. Der tief­grei­fende Wan­del unse­rer Zeit bewegt viele Men­schen in ihrem Lebensalltag.

Deutsch­land hat sich durch Glo­ba­li­sie­rung, Digi­ta­li­sie­rung und Zuwan­de­rung in den letz­ten Jah­ren stark ver­än­dert. Wenn Gemein­schaf­ten viel­fäl­ti­ger wer­den, sind die Fra­gen der Iden­ti­tät und der Iden­ti­fi­ka­tion mit unse­rem Land umso wich­ti­ger. Die Ant­wor­ten dar­auf müs­sen im Kern­be­reich des Zusam­men­le­bens nor­ma­tiv ver­bind­lich sein. Zu den unver­rück­ba­ren Wer­ten zäh­len nicht nur die Grund­rechte als Basis unse­rer frei­heit­lich demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung, son­dern auch die Ach­tung und Wert­schät­zung der hier tra­dier­ten Lebensweise.

Aber Hei­mat heißt auch Zukunft und Ver­ständ­nis, gesell­schaft­li­che Ver­än­de­run­gen anzu­neh­men und sich mit ihnen aus­ein­an­der­zu­set­zen. Denn Hei­mat war und ist immer auch ein Raum sozia­ler Bezie­hun­gen, Aus­gleich und Ein­bin­dung – Inte­gra­tion. So ver­stan­den ist Hei­mat Lebens­mög­lich­keit und nicht nur Her­kunfts­nach­weis. Hei­mat ist nicht Kulisse, son­dern Ele­ment akti­ver Auseinandersetzung.

Die neue Hei­mat­ab­tei­lung wird sich dem ent­spre­chend zum einen mit der Ver­bes­se­rung des gesell­schaft­li­chen Zusam­men­halts, der Iden­ti­fi­ka­tion mit unse­rem Land und der Inte­gra­tion beschäf­ti­gen. Sie geht auf das Bedürf­nis nach Gemein­schaft, Sicher­heit im All­tag, kul­tu­rel­ler Iden­ti­tät, Sta­bi­li­tät und einem guten Mit­ein­an­der ein. Zum ande­ren wird sich die Abtei­lung Hei­mat mit struk­tur­po­li­ti­schen Maß­nah­men zur Schaf­fung gleich­wer­ti­ger Lebens­ver­hält­nisse küm­mern. Hier­bei wird sie sich auch der Instru­mente der Raum­ord­nungs­po­li­tik bedienen.“

Zur­zeit baut das Bun­des­mi­nis­te­rium des Innern, für Bau und Hei­mat eine neue drei­zü­gige Abtei­lung Hei­mat auf, die Staats­se­kre­tär Mar­kus Ker­ber unter­stellt ist. Der Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler war von 2011 bis 2017 Haupt­ge­schäfts­füh­rer des Bun­des­ver­ban­des der Deut­schen Indus­trie (BDI), zuvor Lei­ter der Grund­satz­ab­tei­lung im Bun­des­mi­nis­te­rium der Finanzen.

Gesell­schaft­li­cher Zusam­men­halt und Integration
Die Unter­ab­tei­lung H I hat die Bezeich­nung „Gesell­schaft­li­cher Zusam­men­halt und Inte­gra­tion“ und setzt sich aus bestehen­den Refe­ra­ten des Stabs „Gesell­schaft­li­cher Zusam­men­halt“ und des Stabs „Aus­sied­ler­po­li­tik; Natio­nale Min­der­hei­ten“ des BMI zusam­men. Die Unter­ab­tei­lung H I wird den fol­gen­den orga­ni­sa­to­ri­schen Auf­bau erhalten:

• Refe­rat H I 1: Grundsatz
• Refe­rat H I 2: Rechts­an­ge­le­gen­hei­ten und Maß­nah­men der Integration
• Refe­rat H I 3: Kir­chen, jüdi­sches Leben, Religionsgemeinschaften
• Refe­rat H I 4: Deut­sche Islam Konferenz
• Refe­rat H I 5: Ehren­amt und Bür­ger­schaft­li­ches Engagement
• Refe­rat H I 6: Aus­sied­ler­po­li­tik und natio­nale Min­der­hei­ten in Deutschland
• Refe­rat H I 7: Deut­sche Min­der­hei­ten in Mit­tel- und Ost­eu­ropa (MOE), Gemein­schaft Unab­hän­gi­ger Staa­ten (GUS) und Baltikum

Gleich­wer­tig­keit der Lebensverhältnisse
Die Unter­ab­tei­lung H II hat die Bezeich­nung „Gleich­wer­tig­keit der Lebens­ver­hält­nisse“ und setzt sich aus neu geschaf­fe­nen Refe­ra­ten sowie dem bestehen­den Refe­rat „Demo­gra­fie“ des BMI zusam­men und beinhal­tet auch die aus dem Bereich des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Ver­kehr und digi­tale Infra­struk­tur (BMVI) über­ge­gan­gene Zustän­dig­keit für den demo­gra­fi­schen Wan­del. Die Unter­ab­tei­lung H II soll den fol­gen­den orga­ni­sa­to­ri­schen Auf­bau erhalten:

• Refe­rat H II 1: Grund­satz, Geschäfts­stelle, Kommunen
• Refe­rat H II 2: För­der­sys­teme, Ana­ly­sen, Heimatberichterstattung
• Refe­rat H II 3: Demo­gra­fi­scher Wan­del und gleich­wer­tige Lebensverhältnisse
• Refe­rat H II 4: Daseins­vor­sorge und gleich­wer­tige Lebensverhältnisse
• Refe­rat H II 5: Mobi­li­tät, Tech­no­lo­gie, Raum und gleich­wer­tige Lebensverhältnisse
• Refe­rat H II 6: Regio­nale und kul­tu­relle Identität

Raum­ord­nung, Regio­nal­po­li­tik und Landesplanung
Die Unter­ab­tei­lung H III hat die Bezeich­nung „Raum­ord­nung, Regio­nal­po­li­tik und Lan­des­pla­nung“. Sie setzt sich aus den aus dem BMVI über­ge­gan­ge­nen Orga­ni­sa­ti­ons­ein­hei­ten „Raum­ord­nung“, Pro­jekt­gruppe „Bun­des­raum­ord­nungs­plan Hoch­was­ser­schutz, Euro­päi­sche Raumentwicklungspolitik/territorialer Zusam­men­halt“ und aus dem Bun­des­um­welt­mi­nis­te­rium (BMU) über­nom­me­nen Zustän­dig­kei­ten für die Stadt­ent­wick­lungs­an­ge­le­gen­hei­ten der Raum­ord­nung und für den demo­gra­fi­schen Wan­del sowie dem bestehen­den Refe­rat „Geo­dä­sie und Geo­in­for­ma­ti­ons­we­sen“ zusam­men. Das Refe­rat H III 6 wird neu geschaf­fen. Die Unter­ab­tei­lung H III soll den fol­gen­den orga­ni­sa­to­ri­schen Auf­bau erhalten:

• Refe­rat H III 1: Grund­satz, Raumordnung
• Refe­rat H III 2: Raum­ord­nungs­pla­nung, Raumordnungsrecht
• Refe­rat H III 3: Euro­päi­sche Raum­ent­wick­lungs­po­li­tik, ter­ri­to­ria­ler Zusammenhalt
• Refe­rat H III 4: Regio­nal­po­li­tik, Struk­tur­wan­del, Stadtentwicklung
• Refe­rat H III 5: Geoinformationswesen
• Refe­rat H III 6: Grenz­über­schrei­tende regio­nale Zusammenarbeit

Bereits in der Bun­des­tags­druck­sa­che 19/1578 vom April 2018 hat die Bun­des­re­gie­rung ange­kün­digt, dass für das Poli­tik­feld hei­mat­be­zo­gene Innen­po­li­tik 98 neue Stel­len geschaf­fen wer­den. Darin ent­hal­ten sind die Stel­len für die neu ein­ge­rich­tete Funk­tion des beam­te­ten Staats­se­kre­tärs und des­sen Büro. Zusätz­lich wur­den sechs neue Stel­len für das Büro des neuen Par­la­men­ta­ri­schen Staats­se­kre­tärs geschaffen.

Inhalt­lich wie struk­tu­rell berei­tet sich das Bun­des­mi­nis­te­rium des Innern, für Bau und Hei­mat auf eine deut­li­che Erwei­te­rung sei­ner Kom­pe­ten­zen, aber auch sei­nes Selbst­ver­ständ­nis­ses vor. Der vom Minis­te­rium beschrie­bene Hei­mat­be­griff ist erfreu­lich modern und wenig aus­gren­zend. Doch bleibt bis­lang voll­stän­dig unklar, wie die­ser begrü­ßens­werte offene Hei­mat­be­griff mit eini­gen Äuße­run­gen von Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Horst See­ho­fer in Deckung zu brin­gen ist.

Noch unklar ist auch, wie das Minis­te­rium seine Auf­ga­ben inhalt­lich erfül­len will. Beson­ders die Frage, ob und wie bun­des­weite För­der­pro­gramme initi­iert wer­den, scheint noch nicht abschlie­ßend geklärt zu sein. Der Koali­ti­ons­ver­trag zwi­schen CDU, CSU und SPD sieht die Ent­wick­lung eines gesamt­deut­schen För­der­sys­tems für struk­tur­schwa­che Regio­nen ab dem Jahr 2020 vor. Im Rah­men der Kon­zi­pie­rung des gesamt­deut­schen För­der­sys­tems sol­len wei­tere Bun­des­pro­gramme dar­auf­hin über­prüft wer­den, ob und wie sie zur För­de­rung struk­tur­schwa­cher Regio­nen bei­tra­gen. Beson­ders ein Bun­des­pro­gramm kul­tu­relle Inte­gra­tion ist im Koali­ti­ons­ver­trag bedau­er­li­cher­weise nicht vor­ge­se­hen, aber drin­gend notwendig.

Struk­tu­rell ent­wi­ckelt sich das Bun­des­mi­nis­te­rium des Innern, für Bau und Hei­mat zu einem span­nen­den Minis­te­rium mit (wie­der) zuneh­men­der Kul­tur­kom­pe­tenz. Nach 20 Jah­ren kul­tur­po­li­ti­scher Abs­ti­nenz, scheint das Innen­mi­nis­te­rium jetzt in den Kul­tur­de­bat­ten wie­der mit­mi­schen zu wol­len. Die Zusam­men­ar­beit in der Initia­tive kul­tu­relle Inte­gra­tion hat die Türen zwi­schen dem Kul­tur­be­reich und dem Innen­mi­nis­te­rium bereits seit zwei Jah­ren geöff­net. Diese Zusam­men­ar­beit wird auch mit dem erwei­ter­ten Bun­des­mi­nis­te­rium des Innern, für Bau und Hei­mat wei­ter­ge­hen. Dar­über hin­aus stre­ben wir auch inten­sive Debat­ten zu wei­te­ren kul­tur­po­li­ti­schen The­men mit dem Innen­mi­nis­te­rium an. Man darf gespannt sein.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 5/2018.

Von |2019-06-13T09:24:28+02:00November 29th, 2018|Heimat|Kommentare deaktiviert für

Hei­mat­mi­nis­te­rium – Wie soll das gehen?

Das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­rium erwei­tert seine Kom­pe­ten­zen und sein Selbstverständnis

Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.