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Jee-Un Kim

Juristin, Kulturmanagerin, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Tübingen, Gründungsmitglied des Vereins „korientation“ und Geschäftsführerin des Projektes „MEGA“ – all diese vielfältigen Erfahrungen bringt Jee-Un Kim in ihrer Arbeit mit viel Power ein. Dabei sind ihr insbesondere eine nachhaltige Organisations- und Teamentwicklung für den Verein, Empowerment durch Selbstorganisierung, Vernetzung und Community-building sowie Aufbau und Sharing post-/migrantischer Wissensbestände wichtig.

Vielen Dank, Jee-Un Kim, für deine wichtige Aufklärungsarbeit im Rahmen des anti-asiatischen Rassismus!

Du bist Gründungsmitglied von „korientation. Netzwerk für Asiatisch-Deutsche Perspektiven e.V.“. Wie kam es zu der Gründung des Vereins und was ist seitdem passiert?
„korientation“ wurde Anfang 2008 von einer kleinen Gruppe von koreanischen Deutschen vornehmlich der zweiten Generation gegründet, um ein mehrjähriges Projekt zu Migrationsbewegungen zwischen Deutschland und Korea durchzuführen. Höhepunkt des Projektes war 2009 die Ausstellung „Shared.Divided.United. Deutschland-Korea: Migrationsbewegungen im Kalten Krieg“, die wir unter dem Dach der ngkb – neue gesellschaft für bildende kunst e.V. kuratiert und organisiert haben. Dieses Projekt war neben der Aufarbeitung unserer eigenen Geschichten auch ein Mittel, um uns in der damals schwelenden Integrationsdebatte inhaltlich und politisch besser positionieren zu können. Wir wollten den dort offensichtlich zutage tretenden rassistischen Narrativen und Stereotypen zu „asiatischen“ Migrantinnen und Migranten und dem fehlenden Wissen zu asiatischen Menschen und ihren Lebensrealitäten in Deutschland etwas entgegensetzen, indem wir selbst zu Wissensproduzentinnen und -produzenten sowie Akteurinnen und Akteuren werden.

„Es geht darum, den vorherrschenden stereotypen Bildern und Narrativen von Asiatisch-Deutschen Menschen vielfältige Bilder, Beiträge und Erzählungen aus Asiatisch-Deutschen Perspektiven entgegenzusetzen.“

Uns wurde nach Abschluss des Projektes bald klar, dass der Verein ein Eigenleben entwickelt hatte und es Sinn machte, die Arbeit weiterzuführen. Es wurde zudem sehr schnell deutlich, dass der Fokus auf koreanisch-deutsche Themen viel zu eng war und ausgeweitet werden musste. Seit 2010 arbeiten wir immer wieder an unserer Selbstbezeichnung und verstehen uns als ein Asiatisch-Deutsches Netzwerk. Wir verwenden das Label „Asiatisch-Deutsch“ als strategische politische Selbstpositionierung, die herkunftsübergreifend einen gemeinsamen Ort schafft, von dem aus wir sprechen können, um unseren Themen und gesellschaftlichen Forderungen Gehör zu verschaffen.

Das erste Projekt hat für mich eine große Bedeutung, weil es nicht nur den Verein selbst ins Leben gerufen, sondern auch die Grundpfeiler für die Ausrichtung der Arbeitsfelder von „korientation“ gelegt hat. Wir arbeiten seitdem an der Schnittstelle von Wissenschaft, Kultur/Medien, Politischer Bildung und Politik mit dem Ziel, die Repräsentation von Asiatisch-Deutschen Perspektiven zu stärken. Gleichzeitig ist diese Arbeit nicht denkbar ohne die solidarische Zusammenarbeit und den Austausch mit anderen Communities.

Bis 2019 war der Verein rein ehrenamtlich organisiert. Wir freuen uns sehr, dass wir seit 2020 mit dem Projekt „MEGA“ zum ersten Mal auch hauptamtliche Stellen bei „korientation“ schaffen konnten und weiter in die Professionalisierung und Institutionalisierung des Vereins gehen können.

Darüber hinaus betreust du das eben bereits erwähnte Projekt „MEGA“, welches im
dritten Jahr in Folge im Rahmen des Programms „Demokratie leben!“
durchgeführt wird. Wofür steht das Projekt?
„MEGA“ steht für „Media and Empowerment for German Asians” und ist ein Empowerment-Projekt für junge Asiatische-Deutsche. In dem Projekt schaffen wir Räume, in denen die Teilnehmenden darin ermutigt werden, ihre eigenen Geschichten zu entdecken, ihre Erfahrungen zu teilen, einzuordnen und befähigt werden, diese mit unterschiedlichen medialen Mitteln zu erzählen und sichtbar zu machen. Es geht darum, den vorherrschenden stereotypen Bildern und Narrativen von Asiatisch-Deutschen Menschen vielfältige Bilder, Beiträge und Erzählungen aus Asiatisch-Deutschen Perspektiven entgegenzusetzen. Alle Teilnehmenden sollen darin bestärkt werden, selbst zu Wissens- und Medienproduzentinnen und -produzenten sowie zu Multiplikatorinnen und Multiplikatoren werden zu können.

Inhaltlich beschäftigen sich die Teilnehmenden in den Seminaren beispielsweise mit Asiatisch-Deutschen Migrationsgeschichten oder historischen Entwicklungen von anti-asiatischem Rassismus, drehen in Workshops Kurzfilme, schreiben eigene Texte oder erstellen multimediale Arbeiten, die zum Teil veröffentlicht und gezeigt werden. In den unterschiedlichen Formaten werden aber nicht nur Wissen, Theorien und Methoden sowie technische und mediale Kompetenzen vermittelt. Ganz besonders wichtig sind uns und den Teilnehmenden die Räume, die hierdurch zum Aus-/Tauschen und zur Vernetzung sowie zur Zirkulation von Inhalten entstehen. Die entstehenden Arbeiten und Projektinhalte werden auch auf unserer Projektwebseite für die breite Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Mit Beginn der Coronapandemie vor zwei Jahren sind rassistische Äußerungen oder Übergriffe gegenüber Menschen, denen eine asiatische Herkunft zugeschrieben wird, stark angestiegen. Gleichzeitig hat anti-asiatischer Rassismus nicht erst mit der Pandemie begonnen, sondern ist leider bereits seit Jahrhunderten in der deutschen Geschichte vorzufinden. Welche Erwartungen hast du an Politik und Gesellschaft?
Trotz des massiven Anstiegs von rassistischen Übergriffen gegen asiatisch gelesene Menschen als Sündenböcke der Pandemie ist anti-asiatischer Rassismus offensichtlich wieder aus dem Blickfeld der medialen Öffentlichkeit und der Politik gerutscht. Deutlich wurde dies im Koalitionsvertrag der nicht mehr ganz so neuen Bundesregierung, in der wir in der Auflistung unterschiedlicher Formen von Rassismus und Diskriminierung vergeblich nach „anti-asiatischem Rassismus“ gesucht haben.

Wir erwarten von der Politik und Gesellschaft, dass anti-asiatischer Rassismus als spezifische Form von Rassismus anerkannt, benannt und bekämpft wird. Die explizite Aufnahme von anti-asiatischem Rassismus neben anderen Rassismusformen in Koalitionsplänen, im „Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus“ und sonstigen politischen Maßnahmenplänen gegen Rassismus und Diskriminierung wäre ein Anfang.

Mehr Ressourcen für die Erforschung von anti-asiatischem Rassismus, asiatisch-deutschen Migrationsgeschichten und deutscher Kolonialgeschichte und ihren Verwebungen wäre erforderlich, sowohl im Bereich der Wissenschaft als auch für die kulturelle, künstlerische, mediale Projektarbeit. Darüber hinaus sollte auch der Transfer von Wissen hinein in Bildungsinstitutionen wie Schulen, Universitäten und Hochschulen, aber auch Museen oder in journalistische Institutionen gefördert werden.

„Wir erwarten von der Politik und Gesellschaft, dass anti-asiatischer Rassismus als spezifische Form von Rassismus anerkannt, benannt und bekämpft wird.“

Im Feld der postmigrantischen Erinnerungskultur wünschen wir uns ein würdiges Gedenken an die Opfer der deutschen Kolonialpolitik, aber auch an die Menschen, die aus rassistischer Motivation ermordet wurden. Hierzu gehört auch eine ganze Reihe von asiatischen Menschen. Am 24.04.2022 jährte sich dieses Jahr beispielsweise der 30. Todestag von Nguyễn Văn Tú, am 30.04.2022 der 25. Todestag von Phan Văn Toàn, die beide in der Nachwendezeit Opfer rechter Gewalt wurden.

Der anti-asiatische Rassismus ist im Vergleich zu anderen rassistischen Ausgrenzungsformen noch recht wenig erforscht. Welche Gründe gibt es hierfür?
Es gibt häufig in weiten Teilen der Gesellschaft kein Bewusstsein für die Existenz von anti-asiatischem Rassismus wegen des vorherrschenden „Model Minority Mythos“. Als „Model Minority Mythos“ wird das Narrativ bezeichnet, dass „asiatische“ Menschen per se bestens integriert und leistungswillig sind, aus diesem Grunde wenig Probleme machen und wenig Probleme haben. Sie gelten als unsichtbar, leise und passiv und diese Kategorisierung wird genutzt, um die „Mustermigrant*innen“ gegen andere migrantische Gruppen auszuspielen. Darüber hinaus gibt es im Grunde keine Auseinandersetzung mit diesen Bevölkerungsgruppen und ihren Lebensrealitäten, Betroffenen werden Rassismuserfahrungen häufig abgesprochen. Wie wenig Wissen nicht nur in der Mehrheitsgesellschaft zu anti-asiatischem Rassismus und über Asiatische-Deutsche bekannt ist, wurde in der Pandemie deutlich, als Medien und Politik anti-asiatischen Rassismus zum Teil selbst reproduzierten und ihn später aufgrund der plötzlich für alle sichtbar werdenden rassistischen Übergriffe auf asiatisch gelesene Menschen neu „entdeckten“.

„Der Begriff des anti-asiatischen Rassismus ist im deutschen Kontext noch nicht etabliert.“

Der Begriff des anti-asiatischen Rassismus ist zudem im deutschen Kontext noch nicht etabliert. Dies hängt damit zusammen, dass spezifische Diskriminierungsformen erst dann sichtbar werden, wenn die Betroffenen selbst diese Ungleichheiten benennen, ihre Anerkennung durchsetzen und in den Machtdiskurs einschreiben können. Mittlerweile sind auch in Deutschland in unterschiedlichen asiatischen Communities die zweite und auch dritte Generation in der Position, ihre Stimmen zu erheben, um gleichberechtigte Teilhabe als Bürgerinnen und Bürger mit gleichen Rechten einzufordern. „korientation“ sieht sich als Teil dieser Entwicklung und hoffentlich wachsenden Bewegung.

„Meine Assoziation mit ‚Zusammenhalt in Vielfalt‘ ist das Bild einer pluralen, solidarischen Gesellschaft.“

Die 15 Thesen der Initiative kulturelle Integration tragen den Titel „Zusammenhalt in Vielfalt“. Was bedeutet für dich „Zusammenhalt in Vielfalt“ und welche der 15 Thesen ist deine „Lieblingsthese“?
Meine Assoziation mit „Zusammenhalt in Vielfalt“ ist das Bild einer pluralen, solidarischen Gesellschaft. Zwei Thesen sprechen mich an:

These 1 „Das Grundgesetz als Grundlage für das Zusammenleben der Menschen muss gelebt werden“ ist als Forderung formuliert, was mir an dieser Stelle gefällt, weil schließlich weiterhin, auch im Jahr 2022, die Grundrechte in Deutschland nicht für alle Menschen gelten.

These 13 „Die Auseinandersetzung mit der Geschichte ist nie abgeschlossen“ – Es bleibt weiterhin eine offene Aufgabe für die deutsche Gesellschaft, sich beispielsweise auch der eigenen Kolonialgeschichte zu stellen, nationale Mythen zu dekonstruieren und sich zu vergegenwärtigen, dass unsere Geschichten, das heißt auch die post/migrantischer Bevölkerungsgruppen, Teil der deutschen Geschichte sind.

Vielen Dank!

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