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Gun­ter Demnig

Seit nunmehr 25 Jahren verlegt der Künstler Gunter Demnig die 10 x 10 cm großen STOLPERSTEINE aus Messing. Sie erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus, die zwischen 1933 und 1945 diskriminiert, verfolgt und ermordet wurden. Mittlerweile sind über 70.000 STOLPERSTEINE und STOLPERSCHWELLEN in 26 Ländern Europas und Argentinien verlegt wurden, sie ziehen überall ihre Spuren des Erinnerns. Es ist das weltweit größte dezentrale Mahnmal für alle Opfer des Nationalsozialismus.

Für Gunter Demnig, dem Mann mit Hut und Halstuch, ist das Kunstdenkmal der STOLPERSTEINE schließlich seine Lebensaufgabe geworden.

Vielen Dank, Gunter Demnig, für diese besondere Art der Erinnerungskultur.

Ihr Ziel ist es, mit Ihrer Kunst ein Zeichen zu setzen. Mit den STOLPERSTEINEN, die Sie europaweit als „soziale Skulpturen“ verlegen, haben Sie das auf jeden Fall getan. Was verstehen Sie unter der Bezeichnung „Soziale Skulpturen“ und wie entstand die Idee zu diesem Projekt?
Ich habe schon 1990 eine Schriftspur in Köln verlegt, um an die erste Deportation der Sinti und Roma aus dem Deutschen Reich zu erinnern. Als ich wenige Jahre später die Spur durch Messingschriftzüge ersetzt habe, sprach mich eine ältere Frau an, die mein Projekt zwar würdigte aber bezweifelte, dass „Zigeuner“ in ihrer Nachbarschaft gelebt hätten. Da wurde mir bewusst, dass viele Geschichten gar nicht mehr im Bewusstsein der heutigen Bevölkerung vorhanden sind. Ich wusste, ich muss das Gedenken in die Städte und Straßen zurückholen, dort wo die Opfer gelebt hatten und die Verbrechen einst begannen.

„Da wurde mir bewusst, dass viele Geschichten gar nicht mehr im Bewusstsein der heutigen Bevölkerung vorhanden sind.“

Seit 1993 hat sich das Kunstkonzept der STOLPERSTEINE stetig weiterentwickelt. Nicht nur jeder Stein ist ein Kunstwerk, da er ästhetischen Ansprüchen genügen muss und per Hand (inzwischen) von meinem Künstlerkollegen Michael Friedrichs-Friedlaender hergestellt wird, sondern auch alle Steine und involvierten Menschen bilden in ihrer Gesamtheit eine „Soziale Skulptur“.

Im Herbst 2017 wurde die erste STOLPERSCHWELLE außerhalb Europas vor der Pestalozzi-Schule in Buenos Aires verlegt. Was ist der Unterschied zu den STOLPERSTEINEN und wie kam es dazu?
Es gibt Orte, an denen zum Teil hunderte STOLPERSTEINE verlegt werden müssten, wo jedoch schlichtweg der Platz vor Ort oder der Platz auf dem Stein nicht ausreicht, um zu erzählen, was dort geschehen ist. Die STOLPERSCHWELLE in Buenos Aires erinnert an die Geschichte der Petsalozzi-Schule, die 1934 als Reaktion auf die NS-Gleichschaltung der deutschen Schulen am Río de la Plata gegründet wurde.

Die Initiative für die STOLPERSCHWELLE vor der Schule kam ursprünglich von einer ehemaligen Schülerin der Schule als sie vor Jahren an der Verlegung von STOLPERSTEINEN für ihre Familie in Konstanz teilnahm. Schließlich baten uns vor zweieinhalb Jahren Vertreter der Schule zusammen mit der Deutschen Botschaft in Buenos Aires, die Schwelle zu verlegen.

Die Schwelle erinnert nun daran, dass dort Kinder von rassisch oder politisch Verfolgten die Möglichkeit auf eine an humanistischen Werten orientierte Bildung erhalten hatten.

„Diesen Forschungsdrang sollten wir unterstützen und helfen, Familiengeschichten wieder komplett zu machen.“

Am 27. Januar 2020 jährt sich zum 75. Mal die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Mit den STOLPERSTEINEN setzen Sie bereits ein immenses Zeichen gegen das Vergessen. Wie können wir Ihrer Meinung nach das Erinnern mit immer größerem zeitlichen Abstand zur Shoah und dem Verlust des Gedächtnisses der Zeitzeugen weiter pflegen?
Meiner Erfahrung nach werden zwar die Zeitzeugen mit jedem Jahr weniger, dafür forscht aber nun immer mehr und mehr die Enkelgeneration nach: „Was ist eigentlich mit unseren Großeltern passiert?“ Diesen Forschungsdrang sollten wir unterstützen und helfen, Familiengeschichten wieder komplett zu machen. Dadurch wirken wir langfristig automatisch dem Verlust des Gedächtnisses der Zeitzeugen entgegen.

Im Jahr 2014 haben Sie die Stiftung „STIFTUNG – SPUREN – Gunter Demnig“ ins Leben gerufen. Ziel ist es, das Erinnern durch die STOPLERSTEINE aufrechtzuerhalten. In besonderem Maße sollen Kinder und Jugendliche an das Thema herangeführt werden. Wie gelingt Ihnen das? Für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist hauptsächlich meine Frau verantwortlich. Sie geht in Schulen, stellt das Projekt „STOLPERSTEINE“ vor, hilft bei Recherchen oder der Unterrichtsgestaltung zur NS-Geschichte und bereitet Verlegungen vor. Schülerinnen und Schüler sollen dabei nicht nur mit nackten Zahlen und Fakten im Unterricht konfrontiert werden, sondern auch ein politischsoziales Bewusstsein in Reflexion zu ihrer Zeit und ihrem eigenen Leben entwickeln.

Was bedeutet für Sie persönlich „Zusammenhalt in Vielfalt“?
„Zusammenhalt in Vielfalt“ bedeutet für mich ein Miteinander der Generationen und Nationen.

Vielen Dank!

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